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Paranoia

von MaLi

Kapitel 1

Leonard McCoy warf einen hektischen Blick über die Schulter. Nichts. Er seufzte erleichtert und war doch nicht überzeugt. Jemand beobachtete ihn. Oder Etwas. Zumindest, und das fühlte er bis ins Mark, war er nicht alleine. Mit mulmigem Gefühl eilte er über den staubigen Untergrund des Wüstenplaneten, der noch nicht einmal einen Namen hatte. In einer Minute hatte er das Lager erreicht.

„Ist frei jetzt“, nickte er zu Chekov und wies mit dem Daumen hinter sich, wo in einiger Entfernung der Wasch -und Toilettencontainer hingebeamt worden war. Der Russe bedankte sich und eilte davon. 

Er war es nicht, dem McCoy nachsah. Unablässig scannten seine Augen den trostlosen Ausblick auf Garnichts, von dem die Wüste geradezu überreich beschenkt war. Kein Baum, keine Kakteen, nicht einmal einer jener Büsche, die er in den alten Western so gerne über den Bildschirm hatte wehen sehen. Abgesehen vom Waschcontainer war die Umgebung leer. Er spürte wie er sich entspannte, als der junge Ensign unversehrt darin verschwand.

„Kirk an McCoy!“, krächzte der Kommunikator.
Der Arzt fuhr zusammen.
„Herrgott, Jim?!“
„Entschuldige“, hörte er den Captain grinsen, dem das Schnaufen des Doktors nicht entgangen sein konnte. „Ich wollte nur sagen, dass wir jetzt zur Rückseite des Planeten aufbrechen und für ein paar Stunden keine Funkverbindung haben werden. Kommst du klar?“
Leonards geschäftige Augenbraue wanderte steil nach oben.
„Ob ich klarkomme!? Hast du Angst, dass ich mich hier im Nichts verlaufe?“
Kirk lachte. 
„Ich dachte nur: Heiße Wüste, Gefahr von Überhitzung der Crew, unbekanntes Terrain …“
„Fürchtest du dich um mich oder um dich?“, zweifelte der Arzt an dessen Aufrichtigkeit.
„Normalerweise machst du mir die Hölle heiß, wenn ich die Mannschaft so sorglos unbekannten Gefahren aussetze“, wich Jim der Frage aus. „Ich hatte wenigstens mit einem halbherzigen Mordanschlag gerechnet!“

Ein Lächeln huschte über McCoys Gesicht.
„Den spare ich mir für später auf“, drohte er, „und je nach dem in welchem Zustand wir sein werden, wird er nicht halbherzig ausfallen …“
„Ich bringe dir von der anderen Seite ein paar Sandkuchen mit“, versprach Kirk beschwichtigend und verabschiedete sich.
„Bis dann! Oh, und Jim: Hier ist wirklich nichts, oder?“
„Pille, wir haben die Umgebung drei Mal gescannt! Da ist nur diese neuartige Gesteinsform und jede Menge Wüste. Das wird ein Spaziergang; betrachte es als Landurlaub.“

McCoy nickte nur und ließ langsam den Kommunikator in die Tasche gleiten. Er war nicht überzeugt. Seit er hier war piesackte ihn das unbestimmte Gefühl, auf dem Speck einer gigantischen Mausefalle zu sitzen. Beunruhigt wandte er seinen Blick vom leeren Horizont ab und wandte ihn dem Container zu. Chekov war noch nicht zurück. Ein Kribbeln legte sich auf seinen Nacken. Mit bangem Herzen rannte er los. Er war sich sicher, dass dem Russen etwas passiert war.

***

„Chekov?“
Der Angesprochene sprang erschrocken einen Schritt zurück, als der Arzt die Tür aufriss. Er hatte sich gerade die Hände gewaschen.
„Doktor? Ist etwas passi’rt!?“
„Nein, ich ähm … Ich dachte … Bitte entschuldigen Sie!“
Scham und Erleichterung zugleich durchzogen ihn. Für einen Moment kam er sich dämlich vor, obwohl er noch immer nicht überzeugt war, dass keine Gefahr drohte. Das Prickeln saß ihm permanent im Nacken, wie ein gefährlicher Hund, der einen ohne Leine umkreiste.
„Natyrlich, Sir!“

Mit einer Mischung aus Unruhe und Misstrauen im Gesicht trocknete sich Chekov die Hände fertig. McCoy sah zu verstört aus, als dass alles in Ordnung sein könnte. Als die Tür hinter Pavel ins Schloss fiel, war das Gefühl zurück, wieder auf dem Präsentierteller zu sitzen. Keine offene Tür im Rücken, durch die man im Notfall fliehen könnte …
Nur unter größter Anstrengung brachte McCoy es fertig, nicht erneut über die Schulter zu sehen, als sie, die Hände tief in die Hosentaschen vergraben, gemeinsam den Weg zum nahen Camp zurückgingen.

„Doktor, darf ich Sie etwas fragen?“, bat der Junge höflich.
„Schießen Sie los?“
„Vorchin, da … Sie dachten … Sie chaben sich um mich Sorgen gemacht, richtig?“
„Ja“, gestand McCoy langsam und sah ihn nicht an.

Der Russe blieb stehen.
„Cheißt das, Sie spüren es auch?“
Auch McCoy stoppte jetzt seinen Schritt. Er blinzelte erst, bevor er antwortete.
„Sie meinen dieses … dieses Gefühl, beobachtet zu werden? Dass gleich etwas passieren wird?“
Chekov nickte und verschränkte die Arme. McCoy erahnte dessen Frösteln mehr, als dass er es sah. Bei vierzig Grad war kein Windhauch in der Lage, es auszulösen. Chekov hatte Angst. 

„Ich bin froh“, gestand Leonard, „dass ich nicht der Einzige bin, der das so empfindet.“
„Ich nicht“, verneinte der junge Navigator und rieb sich unauffällig die Hühnerhaut von den Armen. „Ich bin nicht froh, denn es bedeutet, dass ich es mir nicht einbilde, verstehen Sie? Etwas stimmt chier nicht!“
McCoy nickte stumm. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte und war froh, dass er vom Camp hergerufen wurde. Mit einem Blick lud er Chekov ein, mit ihm zu kommen. Der zögerte keine Sekunde ihm zu folgen.

***

Mit dem Abend kam die Kälte. Unangenehm schnell wich ihr die Hitze und zwang das fünfzehnköpfige Forscherteam in dicke Jacken. Warmes, gelbes Licht ging von den weißen Domkuppeln aus, die wie ein kleines Igludorf auf dem nun fast schwarzen Boden der Wüste standen. Ein seltsamer Nebel bedeckte kniehoch den harten Lehm. Ein paar Fetzen davon wehten herein, als Chekov den Wohndom betrat und fast hastig den Reißverschluss hinter sich zu zog. McCoy begrüßte das im Stillen. Er fand es auch ohne Nebel schon unheimlich genug.

„Guten Abend, Doktor“, begrüßte ihn der Russe und legte ein Messgerät auf den Tisch.
„N’Abend Chekov“, nickte der und kam nicht umhin zu bemerken, wie der Navigator nach seinem Kulturbeutel griff, die Hand aber auf halben Weg wieder zurückzog. Es ging ihm gleich. Er versuchte, betont unbeteiligt zu klingen, als er fragte: „Haben Sie die Zähne schon geputzt?“
„J-ja“, nickte der Russe nach kurzem Zögern und sah ihn nicht an.
McCoy verbiss sich ein Schmunzeln.
„Wenn Ja bedeutet, dass Sie es noch nicht getan haben, aber sich nicht trauen, alleine zum Container zu gehen, dann habe ich meine Zähne auch schon geputzt …“
Es klappte. Ein zartes Lächeln zeigte sich jetzt auf Chekovs Gesicht, wenn ein auch etwas Gequältes. Er schien erleichtert, als er sich dem Arzt gegenüber auf sein Feldbett setzte. McCoy legte sein PADD zur Seite, als Pavel ihn ansprach.
„Wir sind nicht die Einzigen“, gestand er dem Arzt. „Ich chabe mich umgechört, das ganze Team sagt, dass sie sich beobachtet fyhlen! Die Nachtwache chat sich sogar geweigert, über Nacht bei den Geräten zu bleiben.“
„Sind nicht SIE eine der Nachtwachen?“, konnte sich McCoy ein erneutes Schmunzeln nicht verkneifen.
Pavel versank in seinem Parka.
„E-einer von denen“, gestand er dem Wüstenboden.

"Was ist mit dem Nebel?", wolle der Arzt wissen. "Haben Sie schon Ergebnisse?"

"Ja. Er besteht aus einem unbekannten Element, das aus dem Boden austritt. Der Scanner chat es fyr Chumanoide als ungiftig eingestuft."

"Gut zu wissen", nickte McCoy beruhigt.
Sein Kopf schoss hoch als ein Schatten am Dom vorbei huschte.

Fast gleichzeitig atmeten sie aus. Es war nur einer der Geologen gewesen, der sich eilig zu seinem Dom bewegt hatte. Auch dessen Reißverschluss ratschte ungewöhnlich schnell und laut.

„Sollten wir nicht … vielleicht die Enterprise …“ Chekovs hoffnungsvolles Leuchten verschwand aus dessen Augen.
„Und dann? Was sollen wir denen sagen? Jim, komm und beame uns hoch, wir haben hier Angst vor gar nichts? Die werden … obwohl …“
McCoy besann sich, zog den Kommunikator aus der Jacke und ließ ihn aufschnappen.
„McCoy an Enterprise!“
„Uhura hier.“
„Uhura, sagen Sie Spock bitte, er soll noch einmal die ganze Umgebung um das Camp scannen.“
„Sofort! *knister* Ist alles in Ordnung?“
„Ja. Nein. Es ist … Wir haben nur das Gefühl, dass etwas nicht stimmt.“
„Soll ich den Captain benachrichtigen?“, kam es besorgt aus dem Lautsprecher.
„Wie sieht der Scan aus?“, wollte McCoy erst wissen.
„Warten Sie …“
„Doktor, hier Spock! Der Scan entdeckte keinerlei fremde Lebensformen oder seismische Aktivitäten in einem Radius von fünfzig Kilometern. Haben Sie einen Anlass zur Sorge?“

McCoy zögerte. Jedem anderen hätte er von seiner diffusen Angst erzählt, ohne es zu wissen in das aufgesperrte Maul eines Hais zu schwimmen, vor Spock allerdings wollte er sich diese emotionale Blöße nicht geben. Vielleicht ein Fehler, doch im geistigen Angesicht von dessen kritisch hochgezogener Augenbraue, kam er sich auf einmal töricht und kindisch vor.

„Nein, alles in Ordnung. Nur noch ein letzter Sicherheitscheck. Danke Mister Spock. McCoy Ende.“ 
Langsam, als hätte er soeben ein nun nicht mehr änderbares Schicksal besiegelt, ließ er den Kommunikator zurück in die Tasche gleiten.
„Es … es ist bestimmt nur Einbildung. Der Scan ist negativ“, meinte er tröstend. Chekov sah aus, als wäre er gerade einer Kanibalenprinzessin als Hochzeitsschmaus versprochen worden. „Alles in Ordnung.“

Er glaubte selber nicht daran. Konnten sich fünfzehn Leute irren? Sich fürchten wegen Nichts? War nicht genau das das deutlichste Alarmzeichen dafür, dass etwas im Busch war? Chekov nickte tapfer und legte sich hin. McCoy entging nicht, dass der Ensign die Schuhe zum Schlafen anbehielt. Fluchtbereit. Auch McCoy entschied sich dazu. Die Lampe ließen sie in stummem Einvernehmen brennen.

***

Es war still im Camp. Zu still. Kein Flüstern, kein Raunen, kein Lachen, keine Musik, nicht einmal Grillen oder ein artverwandtes Alientier zirpte in die Nacht. McCoy fiel auf, dass er sogar ganz bewusst ein müdes Seufzen unterdrückte und sich besonders behutsam bewegte, wenn er es denn überhaupt tat. Ein übermächtiges Gefühl hielt ihn still in Position, eines das ihm sagte, dass etwas Schreckliches geschehen wird, wenn er sich durch ein Geräusch bemerkbar machte. Auch Chekov lag wie in Beton gegossen auf seinem Feldbett und fixierte stumm den Reißverschluss. Immer wieder fielen ihm die Augen zu, nur um sie eine Sekunde darauf wieder erschrocken aufzureißen.
Dem Arzt fiel auf, dass sich sein Gegenüber so in Schlafsack und Decke gemummt hatte, dass sein Blick von nichts gehindert durch den ganzen Dom schweifen konnte. McCoy verstand dessen Angst nur zu gut. Auch er behielt starr den Ausgang im Blick.

„Ich chabe mal einen Film gese’n“, flüsterte Chekov unvermittelt und ohne den Blick vom Reißverschluss zu nehmen, „einen sehr, sehr alten Film. Es ging um eine Insel mit Dinosauriern und eine Frau und ein Mädchen schliefen in einem Zelt. Ich chabe den Film oft geseh’n und mich immer gefragt, wie man schlafen kann, wenn eine solche Bestie draußen cherum schleicht … Cheute weiß ich: Das geht nicht! Chier ist nichts, absolut NICHTS auf diesem Planjeten, nur Nebel und ich kann meine Augen trotzdem nicht schließen?! Es ist alles Lyge …“

Chekov blinzelte und verstummte dann. Auch McCoy blinzelte stumm, denn er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Trotz warmer Decken hatte sich auch auf seiner Haut der Frost der Angst abgesetzt. Er hatte nichts mit der Kälte zu tun, die sich im Dom ausgebreitet hatte. Der junge Russe seufzte kaum hörbar und grub den Kopf etwas tiefer in die Wolldecke. Eine Falte klappte hoch und nahm ihm vielleicht zehn Prozent Sicht auf den Reißverschluss. In Sekundenschnelle hatte er sie geglättet. Seine Angst war so groß, dass er sich nicht einmal diesen minimalen Kontrollverlust erlauben wollte.

„Kennen Sie den Film: Der Geist und die Dunkelheit? Darin geht es um zwei Löwen, die nachts die Leute aus den Zelten …“
„Oh bitte?!“, flüsterte Chekov und presste sich die Hände auf die Ohren.
„Entschuldigung. Ich wollte nur sagen, dass ich gerade jeden einzelnen Gruselfilm verfluche, den ich mir je zu Gemüte geführt habe …“
Pavel pflichtete ihm nickend und von Herzen bei. Dann verstummten sie wieder für lange Zeit. 

***

McCoys Herz blieb jedes Mal für Sekunden stehen, wenn bei minimalster Positionsveränderung das Feldbett unter ihm knarrte. Was, wenn ein gutbeohrtes Raubtier das hören würde? Wie schnell konnten wohl hiesige Fleischfresser die fünfzig Kilometer Radius überwinden? Waren sie längst hier? Schlichen sie gerade ums Zelt auf der Suche nach leckerem …

*swiischhh*
Chekov saß aufrecht auf dem Feldbett während McCoy mit einem Satz zu Boden sprang. Kein Schatten bewegte sich am Dom entlang, doch da hatte hinter seinem Rücken ganz deutlich etwas die Nylonwand gestreift. Er hielt den Atem an, denn sein Herz pochte so laut, dass er nichts hören konnte. Jeden Moment musste sich der Reißverschluss bewegen. Jeden Moment musste ein gieriges Ungeheuer seine Fangzähne in die Wand schlagen und sie zerfetzen. Mit Grausen wurde McCoy klar, dass er nicht durch die dreiecksförmigen Löcher zwischen dem Gestänge passen würde. Kam es durch die Tür, war er verloren! Noch immer fixierte er den Reißverschluss. Jetzt! Er bewegte sich. Oder doch nicht? Ein Windhauch, ein Zupfen am Stoff …

***

Der Moment kam nicht. Nach der längsten Minute seines Lebens, wurde er sich dessen bewusst. Was immer die Wand gestreift hatte, hatte schlussendlich einen anderen Weg genommen. Nur eine Sekunde schenkte er sich, seinen Blick vom Reißverschluss weg auf Chekov zu richten. Der junge Ensign hatte sich in die Wolldecke gekrallt und fixierte mit aufgerissenem Mund und Augen den Eingang. Er schien noch immer auf den Moment zu warten. Als McCoy sich schließlich aufrappelte, sprang der Russe fast vom Feldbett vor Schreck.

So leise wie möglich schoben sie die Betten in der Mitte des Doms zusammen. Die Wand, die ihnen bis vor wenigen Minuten noch Schutz im Rücken versprochen hatte, hatte das Vertrauen in sie nun eingebüßt. Während sich Chekov bibbernd auf den Rücken legte, dimmte McCoy das Licht so weit, dass sie gerade noch etwas erkennen konnten, ohne dass sich ihre Schatten nach außen durch die Zeltwand abzeichneten. Jetzt, wo sie beinahe im Dunkeln lagen bemerkten sie, dass auch von Draußen kaum ein Licht herein drang. Offenbar waren sie die letzten gewesen, die das Licht verringert hatten.

McCoy schalt sich töricht, als er so leise wie möglich zurück unter die Decken kroch. Als hellster Dom von allen hätten sie auch schlicht ein Herzlich Willkommen Schild an die Tür heften können. Rücken an Rücken lagen sie jetzt da. Nah zusammen und doch so weit auseinander, dass sie sich nicht berührten, aber doch die Nähe des Anderen fühlen konnten. So bewachten sie stumm und starr vor Angst ihre Seite der Domwand und gemeinsam den Reißverschluss. Die Zeit verrann. Quälend langsam, in Sekunden so zähflüssig wie Teer. 

***

RUMPEL
SWISCHHH
McCoy und Chekov standen im Bett. In Windeseile krabbelten sie aus den Decken, Pavel griff nach der Lampe, Leonard nach einem massiven Stativ. Nicht fähig, den schweren Atem zu kontrollieren, standen sie keuchend im Dom und lauschten. Kein Laut drang von draußen ins Zelt. In Zeitlupe wanderten McCoys Füße auf den Reißverschluss zu. Er zögerte lange, ihn zu öffnen. So sicher wie seinen Namen wusste er, dass etwas vor dem Eingang stand.

Zacken für Zacken wanderte das Schiffchen die Zähne ab. Einen nach dem anderen. Auf Kniehöhe stoppte der Arzt. Nebel waberte durch die neue Öffnung herein und die spannungslosen Stoffecken bewegten sich leise im Fluss. Es half nicht, wollte er etwas sehen, musste er den Verschluss noch weiter aufziehen. Je höher das Schiffchen kletterte, umso tiefer sank sein Herz.

Dann war es oben. Leichter Wüstenwind wehte gegen den nun offenen Eingang und ließ ihn dann und wann ein paar Millimeter auseinander gehen. Der schmale Streifen aus dunklem Nichts offenbarte keinen Fremden. Kein Mörder begehrte Einlass, kein Tier schnüffelte nach ihnen und auch kein Monster verschaffte sich Zutritt.

Während Chekov erleichtert seufzte war McCoy nicht überzeugt. Das Prickeln im Nacken sagte ihm deutlich, dass etwas nicht so war, wie es schien. Er hörte Chekov nach Luft schnappen, als er langsam die Hand nach der Tür ausstreckte und die eine Stoffwand zur Seite zog. Nichts. Und doch hatte er das Gefühl, jemandem gegenüber zu stehen. Seine Rechte grabschte zögernd in die Dunkelheit vor dem Eingang. Nichts.

Ein plötzliches Gefühl von Panik überkam ihn. Er packte den Reißverschluss, zog ihn mit einem lauten Rrrrrrritsch nach unten und zog den erstarrten Chekov zu den Betten.

„Was? Was ist?!“
„Nichts“, keuchte McCoy und klang ärgerlich und verstört zugleich. „Es ist absolut nichts! Verrückt ist das alles. Einfach nur verrückt …!“

Sie beschlossen, den Rest der Nacht im Sitzen zu verbringen. Rücken an Rücken saßen sie auf ihren Feldbetten und beobachteten bang die Wände und den Reißverschluss. Wann immer der eine zuckte, weil ihm im Sekundenschlaf der Kopf auf die Brust gefallen war, gab ihm der andere einen Rippenstoß. Sie konnten es nicht riskieren, ein wachsames Paar Augen zu verlieren.

***

Völlig übermüdet blinzelten sie dem herrlichen Morgenrot der Sonne entgegen, die den Dom von Innen wie eine Mandarine aufleuchten ließ. Es vermochte die Beklemmung nicht zu vertreiben, die den beiden Männern noch immer in den Knochen saß. Zumindest gab ihnen das Tageslicht und die stetig wärmer werdende Luft den Mut, sich steif und ungelenk vom Feldbett auf die Füße zu kämpfen. Übernächtigt und von Angst und Anspannung gebeutelt waren sie zehn Jahre gealtert in dieser Nacht. Ohne sich in die Augen zu sehen griffen sie fast synchron nach ihrem Kulturbeutel und traten den Weg zum Waschcontainer an.

Sie waren die ersten, die auf den Beinen waren. Niemand war zu sehen, die Reißverschlüsse der anderen Dome noch zugezogen. McCoy erwischte sich dabei, dass er unauffällig nach zerfetzten Zelten Ausschau hielt. Das ständige Gefühl der Beklemmung und in Lebensgefahr zu sein, war noch immer sein ständiger Begleiter. Auch Chekov blickte dauernd über die Schulter und zog das Tempo an. Mit einem erleichterten Knall und dem Gefühl, in Sicherheit zu sein, fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss.

Sie genossen es und bummelten. Noch immer sprachen sie nicht miteinander. Es war ihnen zu peinlich. Stumm putzten sie sich die Zähne doppelt so lange als nötig, erfrischten immer wieder das müde Gesicht mit kaltem Wasser und wuschen sich gründlicher als sonst. Es war der Gedanke, den sicheren Container bald wieder verlassen zu müssen, der ihnen jede Eile nahm. Auf das Gefühl, sich außerhalb des Blechquaders gleich wieder bedroht und verfolgt zu fühlen, waren sie nicht besonders erpicht.
Ein Geräusch ließ sie schlussendlich aufsehen. Das erste Mal eines, das nicht bedrohlich war. Kirks Shuttle war gerade gelandet.

Spock nahm die Beiden in Empfang.
„Mir ist aufgefallen, Doktor“, kam der Wissenschaftsoffizier nach der Begrüßung ohne Umschweife zum Punkt, „dass Sie und die Crew sehr übernächtigt aussehen. Hat es einen Vorfall gegeben? Im Expeditionslogbuch ist nichts vermerkt worden …“
McCoy warf einen schnellen Blick auf Chekov, der bereits auf dem Weg zu seinen Messgeräten war. 
„Es ist nichts, Spock, nur ein Gefühl. Wir … Wir fühlen uns beobachtet, das ist alles.“
„Wir?“, fragte der Vulkanier nach.
„Wir alle. Es ist, als wären wir nicht alleine, verstehen Sie? Als würde uns die ganze Zeit jemand nachschleichen …“
„Ist es der Crew unabhängig voneinander aufgefallen oder nur einem und die anderen haben sich angeschlossen?“
„Worauf wollen Sie hinaus?“, wurde McCoy misstrauisch.
„Paranoia ist sehr oft ansteckend, Doktor“, erklärte der Vulkanier schlicht.
„Para- …“, fuhr der Arzt verärgert auf und besann sich dann, weil Kirk aus einem der Dome getreten war. Er rief ihn her. „Hören Sie, Spock, das ist keine Paranoia, sondern ein ernst zu nehmendes Warnsignal eines jeden Lebewesens! Da alle das fühlen, ist es doch nur umso wahrscheinlicher, dass … Hallo Jim!“

„Morgen, Pille! Was ist mit der Nachtschicht- …“
„Bevor wir über irgendwas Anderes reden“, unterbrach ihn der Arzt mit entschuldigend erhobenen Händen, „erst eine simple Frage: Wie fühlst du dich?“
„Gut. Es ist etwas heiß hier, aber- …“
„Nein“, wurde der Arzt etwas eindringlicher, „WIE fühlst du dich? WAS fühlst du?“
Kirk blinzelte und horchte in sich hinein.

„Etwas beobachtet“, gestand er dann beunruhigt.
„DANKE!“ McCoy ging kurz in die Knie vor Erleichterung. „Danke, Jim, danke! Dieser grünblütige …“ -Spock hob die Augenbraue- „… Mr. Spock wollte mir gerade weismachen, dass ich mir das alles nur einbilde. Ha!“
„Doktor McCoy“, warf der Vulkanier ein, „als Arzt sollte Ihnen bekannt sein, dass Paranoia durchaus eine Form der Einbildung ist.“
„Hörst du das?“, empörte sich Leonard, mit dem Zeigefinger gegen Spock, an Kirk gewandt. „Hörst du das? Der Mann ohne Gefühle will mir erzählen, was ich empfinden soll?!“
„Doktor“, fuhr der Vulkanier in seiner unendlichen Ruhe fort, „es gibt keinen logischen Grund, sich in einer von Scannern bestätigten, offensichtlich leeren Umgebung vor etwas zu fürchten. Ich vermute daher, dass Ihre dauerhafte Erwartungshaltung, auf jedem fremden Planeten etwas Bösem zu begegnen, ihre Wahrnehmung in dieser Richtung beeinflusst.“
McCoy rang hilflos die Hände gen Himmel. Der Captain sprang stellvertretend für ihn ein.
„Und wie erklären Sie sich, dass sich auch die anderen Crewmitglieder beobachtet fühlen?“
„Hysterie“, erklärte Spock schlicht. „Ein Individuum empfindet Angst und überträgt das Gefühl auf die anderen Teammitglieder.“
„Ich habe keine Angst“, warf Kirk ein.
„Nein“, nickte der Vulkanier, „aber durch seine eindringliche Befragung vorhin hat Doktor McCoy bei Ihnen automatisch das Gefühl geweckt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Sie haben sich somit ebenfalls von der Hysterie und damit der Paranoia anstecken lassen.“
Kirk blinzelte und nickte lange.
„Das klingt logisch“, gestand er sich ein.
Spock hob nur bestätigend seine Augenbraue, während McCoy die seine kritisch hob.
„Ich weiß, was ich fühle“, widersprach er knurrend.
„Auch das hat seinen logischen Grund“, goss Spock unbeabsichtigt Öl ins Feuer, „denn jemand der nicht fühlt oder nicht weiß, was er fühlt, kann auch nicht der Hysterie oder der Paranoia verfallen.“
Kirk hob beschwichtigend die Hände und schlug somit dem aufkommenden Streitgespräch die Tür vor der Nase zu. Gehorsam schloss McCoy den offenen Mund und verschränkte dafür vielsagend die Arme vor der Brust. Die Welle des Friedens ausnutzend, trat Chekov an die Gruppe heran.
„Keptin“, begann er und hob den Tricorder, „es chat eine Weile gedauert, Sir, aber das Messgerät konnte gerade drei uns Unbekannte Elemente in der Luft lokalisieren. Sie scheinen gasförmig und somit unsichtbar zu sein und sie bewegen sich offenbar in Blasen oder Wolken über den Planjeten.“
„Captain“, überlegte Spock, „wäre es möglich, dass diese Elemente die Beklemmung der Crew auslösen? So wie einige irdische Gase Bewusstseinstrübungen verursachen, wirken möglicherweise einer oder mehrere dieser Stoffe auf eine ähnliche Weise auf die Psyche ein.“
„Klingt plausibel“, nickte das der Arzt ab. „Das wäre eine Erklärung dafür, warum das Phänomen schon nach so kurzer Zeit auftritt. Ein Halluzinogen, das über die Lunge eindringt und die Blut-Hirnschranke überwindet, wäre denkbar. Ich werde ein paar Untersuchungen veranlassen, denn wenn die tatsächlich eine Hysterie verursachen, könnte es hier gefährlich werden …“
„Tu das, Pille“, freute sich Kirk über die Lösung und wandte sich dann an Chekov. Der Russe machte unangenehm den Eindruck, bestellt und nicht abgeholt worden zu sein. „Ist noch was?“
„Ehm, ja, Keptin. Der Tricorder fragt, unter welcher Bezeichnung ich die unbekannten Elemente speichern soll.“
„Hm, da müssen wir wohl erst noch wissenschaftliche Namen dafür finden … Untersuchen Sie die Molekularstruktur nach aussagekräftigen- nein.“ Ein Schmunzeln trat auf sein Gesicht. „Wir haben den Planeten entdeckt und dürfen somit ihn und all seine Elemente selbst benennen. Ich schlage vor, dass wir sie nach ihren Eigenschaften bezeichnen. Jemand eine Idee?“
„Wie wär’s mit: Paranoium, Hysterium und Phantomium?“, scherzte McCoy und sah sich mit blinzelnden Augen und einer gehobenen Vulkanierbraue konfrontiert.
„Gefällt mir!“, nickte Kirk dann fröhlich und auch Pavel stimmte begeistert zu. „So soll es sein. Tragen Sie die Namen in den Tricorder ein, Chekov; Reihenfolge nach Ihrem Belieben. Spock, überwachen Sie weiter die Untersuchungen und wir beide, Pille - er legte ihm brüderlich eine Hand auf die Schulter - suchen uns jetzt noch einen passenden Namen für diesen Spukplaneten aus.“

***

Kurze Zeit später wurde im Labordom das Landeteam informiert, dass man sich ab sofort auf einem Himmelskörper namens Formidulosus II befände. Das, so erklärte Doktor McCoy der Versammlung, weil er den Namen „Unheimlich“ als durchaus passend für diese Umgebung fand. Nicht wenige stimmten dem verhalten nickend zu, auch wenn sie die Offenbarung erleichtert annahmen, dass vermutlich die Elementnebel ihre Paranoia verschuldeten. Lieber arbeiteten sie deswegen aber trotzdem nicht hier. Auch Chekov schien erlöster, auch wenn er weiterhin verspannt blieb und sich häufig über die Schulter sah, als er sich auf den Weg zurück zu den Messgeräten machte. 

Kirk trat zu McCoy und zog ihn vom Labordom weg ins Materialzelt. Er wollte alleine mit ihm reden und das beunruhigte den Arzt.
„Jim?“
„Wie gefährlich ist so eine Paranoia, wenn sie zur Hysterie wird?“, wollte der Captain wissen.
„Nun, wenn es eine Krankheit betrifft, entwickeln auch gesunde Leute die Symptome, ist jedoch Angst der Auslöser, könnte sich eine Massenpanik entwickeln, die wir nicht mehr kontrollieren könnten.“
„Profilaxe?“
„Sobald einer in Panik verfällt, muss er sofort von den anderen isoliert werden. Und es muss schnell geschehen! Wenn erst mal zwei, drei angesteckt sind, gibt es kein Halten mehr.“
Kirk nickte und rieb sich das Kinn.
„Du bist beunruhigt“, erkannte der Arzt sofort.
Jim bestätigte und schob einen Ärmel zurück. Trotz Wüstenhitze hatte er Gänsehaut.
„Es hat mich auch erwischt, Pille, und das schon kurz nach meiner Ankunft“, gestand er McCoy. „Ich teile langsam deine Meinung, dass diese Elemente gefährlich sind. Nicht für den Körper, aber für die Psyche ganz bestimmt! Kannst du einen Blocker oder ein Gegenmittel für diese Gase entwickeln?“
„Nicht in so kurzer Zeit“, verneinte McCoy. „Ich bräuchte Analysen, Studien, … Nein.“
Kirk seufzte tief und traf dann eine Entscheidung.
„Wir brechen die Expedition ab, Pille, das ist es nicht wert. Ich informiere die Crew.“
„Ich gebe Chekov Bescheid“, nickte McCoy erleichtert und eilte zu den Messgeräten.

Der Navigator schraubte gerade die Kamera vom Stativ. Er erschrak als er den nahenden Doktor bemerkte und schlug mit seiner fuchtelnden Hand versehentlich ein Teil des Okulars ab. Die rote Farblinse fiel zu Boden. Chekov bückte sich, hob sie auf und rieb sie nach dem Anhauchen an der Uniform trocken. Prüfend hielt er sie ins Licht um nach Kratzern zu sehen. Einen heiseren Schrei ausstoßend verwarf er das Glasplättchen ins Nirgendwo, stieß das Stativ um und rannte kopflos zum Dom, wo McCoy den Captain wusste.

Fast gleichzeitig kamen sie bei Selbigem an.
„Keptin, ich will chier weg! Jetzt! Ich will chier weg! Sofort! Sie sind chier! Sie sind chier …“
„Ist er das jetzt?“, wandte sich Kirk besorgt erst an McCoy, der entschuldigend den hysterischen Chekov von dessen Schultern löste. „Der Moment?“
„Ja. Ich weiß nicht ob oder was er gesehen hat, aber ich schließe mich seiner Meinung an.“
„Gut. Das war’s. Pille, bring ihn zu meinem Shuttle, bevor er die anderen mit der Panik ansteckt! Bring ihn auf die Krankenstation und versuch, ein Mittel gegen diese Gase zu finden. Ich bleibe hier und helfe beim Zusammenpacken. Wartet nicht auf uns!“
„In Ordnung. Danke! Chekov, kommen Sie, wir gehen nach Hause!“

So schnell und unauffällig wie möglich zog er den aufgelösten Navigator mit sich zum Shuttle des Captains. Er fragte nicht nach, was jener wohl durch die Linse gesehen hatte oder glaubte, gesehen zu haben. Die Panik hatte ihn längst selbst ergriffen und er fühlte sich so beobachtet und verfolgt wie nie zuvor. Kein Gefühl der Erleichterung machte sich breit, als er mit Chekov ins leere Shuttle sprang, den Piloten zum sofortigen Start aufforderte und sich die Tür hinter ihm schloss. Im Gegenteil. Eisiger Frost setzte sich auf seiner Haut ab und gab ihm das Gefühl, sich gerade selbst und die anderen mit einem unheimlichen Monster eingesperrt zu haben.

McCoy blieb das Herz stehen als er sah, wie mit einem Mal alle Farbe aus Chekovs Gesicht wich. Dessen Körper versteifte, die Augen wurden größer und größer, wanderten schließlich nach rechts, als versuche er, starr vor Angst und ohne den Kopf zu drehen über die Schulter zu spähen. Eis und Feuer tanzten über Leonards Haut, während sich an den Armen und im Nacken die Haare aufstellten. Hätte er nicht gewusst, dass nur Paranoia ihm dieses Grausen beibrachte, hätte er Stein und Bein geschworen, dass etwas auch hinter ihm stand und ihm direkt ins Genick atmete. Warme, rhythmische Wellen aus Luft streiften seine Haut. Er hörte es sogar.

Ein Ruck ging durch das Shuttle, als es abhob. McCoy taumelte und stützte sich mit der Hand an der Wand ab. Doch da war schon eine! Schuppig und rau. Er gefror zu Eis, als sich eine zweite auf seine Schulter legte. Chekovs flehender Blick verschwamm vor seinen Augen. Heißer Atem streifte seinen Nacken, als sich Finger in seine Schulter gruben …

ENDE

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