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Über die Schwelle

von Gabi

Kapitel 1

Lieutenant Commander Avram Cerovic fuhr sich mit dem Rasierlaser langsam und penibel über Kinn und Wangen. Jeden Morgen der gleiche Ritus, angefangen beim linken Ohr, knapp einen Zentimeter oberhalb des unteren Endes des Ohrläppchens, dann in gleichmäßigen Zügen exakt orthogonal zur Kieferlinie bis er den äußeren Mundwinkel erreicht hatte. Der Bereich des Kinns wurde mit konzentrischen Kreisen von außen nach innen bearbeitet, nie anders herum. Beim rechten Mundwinkel erfolgte die spiegelbildliche Prozedur wie auf der linken Seite, bis er wieder präzise einen Zentimeter über dem recht Ohrläppchen endete. Am Schluss folgte der Bereich oberhalb der Oberlippe in korrekten horizontalen Linien. Deren unterschiedliche Länge war das einzige Zugeständnis, das der Sicherheitschef an die nicht geometrische Kontur seines Gesichts machte. Nichts außer einem massiven Angriff auf sein Schiff, die U.S.S.-Hekate, würde ihn dazu bewegen dieses Ritual zu unterbrechen oder, Gott bewahre, abzuändern.

 

Schließlich legte er beide Hände auf den Rand des Waschbeckens, beugte den bloßen Oberkörper ein wenig nach vorne und überprüfte sein Gesicht mit leichtem Hin- und Herdrehen des Kopfes, um jedes möglicherweise übersehene Härchen sofort dingfest machen zu können. Wie stets waren seine Wangen makellos enthaart. Zufrieden gab er ein paar Tropfen des Aftershaves auf seine Handfläche, verrieb es ein wenig und benetzte dann damit seine Kieferpartie.

 

Wie stets zu diesem Zeitpunkt öffnete sich die Badezimmertür. Er wusste nicht, ob sie es roch, oder ob es daran lag, dass man nach seinen Morgenritualen den Chronometer hätte kalibrieren können. Jedenfalls betrat Hekate jeden Morgen in dem Moment das kleine Badezimmer, wenn er das Aftershave auftrug.

 

Ein Lächeln, von dem die meisten Crewmitglieder Stein und Bein geschworen hätten, dass es sich überhaupt nicht im Repertoire des Sicherheitschefs befunden hätte, legte sich auf seine frischrasierten Züge in Erwartung der Berührung, die nun erfolgte.

 

Die Vertreterin der insektoiden Spezies der Mora stellte sich neben ihn ans Waschbecken. Ihr gegliederter Chitinkörper wirkte zierlich und zerbrechlich gegen die Gestalt des dunkelhaarigen Halbbetazoiden. Sie hob eines ihrer beiden Armpaare. Mit den langen Gliederfingern einer Hand strich sie behutsam über die frisch rasierte Wange des Mannes, die Finger der anderen Hand streckten sich zu seiner Schulter.

 

Wenn er nicht die Sternenflottenuniform trug, spürte er das Zittern wesentlich deutlicher, das Hekate jedes Mal durchlief, wenn sie sich berührten. Er wusste nicht genau, was es bedeutete, hatte nie gefragt, weil er ein Mann war, der Worte und Neugierde für etwas Überflüssiges hielt, hatte auch nie versucht, seine betazoidische Empathiefähigkeit einzusetzen. Was er wusste, war, dass bei Hekates Spezies Haut zu Haut Kontakte nicht üblich waren. Es war eine unwissende Handlung gewesen, dass er sie bei ihrer ersten Begegnung berührt hatte, um sie davon abzuhalten eine Dummheit zu begehen. Seitdem ließ sie seine Hand zu, jedoch niemandes anderen. Über die Implikation davon hatte er sich verboten tiefer nachzudenken. Dieses Wissen konnte womöglich eine funktionierende Beziehung unnötig komplizieren.

 

Hekates Volk war seit etwa tausend Jahren ausgestorben. Sie selbst war über ein temporales Missgeschick an Bord des Forschungsschiffs und in diese Zeit gekommen. Dass der Universalübersetzer ihren Namen genau so wiedergegeben hatte, wie auch das Schiff hieß, war der Hauptgrund dafür gewesen, dass der Sicherheitschef darauf bestanden hatte, sie durch den Zeitsprung aus der gefährlichen Lage zu retten, in der sie sich befunden hatte. Es war das einzige Mal in seiner gesamten Zeit auf der Hekate gewesen, dass sein Captain ihn an die Statuten der Sternenflotte hatte erinnern müssen, und nicht umgekehrt, wie es gewöhnlich der Fall war. Er hatte ihr versprochen, dass er sie beschützen würde, wenn sie alles, was sie jemals gekannt und geliebt hatte, hinter sich lassen würde. Und da er ein Mann war, der zu seinem Wort stand, hatte er nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als die Mora eine Stunde nach Zuweisung ihres eigenen Quartiers vor seiner Tür gestanden hatte. Sie war mit dem Alleinsein in dieser völlig fremden Umgebung und Zeit nicht zurecht gekommen. Wenn sie alleine war, hatte sie Muse darüber nachzudenken, was sie getan hatte, und dann stürzte die Angst wie eine schwappende Welle über ihr zusammen.

 

Seitdem teilten sie sich sein Quartier. Cerovic nahm es mit seiner gewöhnlichen stoischen Ruhe hin. Er hatte durch seine Handlung ihr Leben zerstört, da war es nur gerecht, dass sie seine Privatsphäre zerstörte. Anders als sein Captain praktizierte der Sicherheitschef ohnehin kein Privatleben, das man in irgendeiner Weise stören könnte. Zwar war ihm durchaus bewusst, dass er bei seinen Kolleginnen als gutaussehend galt, doch das interessierte ihn nicht. Jeder Versuch einer Annäherung, die über das rein Berufliche hinausging, wurde von seiner ruppigen Art im Keim erstickt. Seine Liebe galt seiner Sammlung exotischer Schusswaffen, das war weitaus entspannender als irgendwelches Gelaber über Gefühle.

 

Cerovic betrachtete ihrer beider Gestalten im Spiegel, während Hekate ihm über die rasierte Wange strich. Für die Mora war es faszinierend, dass manchen Humanoiden Haare im Gesicht wuchsen, die sie jeden Morgen pingelig entfernten. Ihre eigene Gestalt besaß eine plattenartigen Haut aus Chitin, die keine säugetierspezifische Haarfollikelbildung aufwies. Zwar fiel von ihrem Hinterkopf, hinter dem langen Fühlerpaar, eine Kaskade von reinweißen Fäden auf ihren Rücken, die man auf den ersten Blick für Haare hätte halten können. Doch es handelte sich um Sinnesfäden, die auf Berührung reagierten und ihre thermische Wahrnehmungsfähigkeit noch weiter erhöhten.

 

Beide blickten sie in den Spiegel. Hekate mit ihren großen Facettenaugen, die gut zwei Drittel ihres tropfenförmigen Gesichts ausmachten, Cerovic mit seinen nachtschwarzen, schmalen Betazoidenaugen. Abermals huschte das Lächeln, das er später in seinem Quartier zurücklassen würde, über seine frischrasierten Züge. Sie beide wirkten in der Tat exotisch. Die Crew der Hekate hatte sich rasch daran gewöhnt, dass die Mora die meiste Zeit an seiner Seite war, weil sie sich nur dort sicher fühlte. Doch seit das Forschungsschiff auf Deep Space Nine stationiert war, hatten die Blicke und das Getuschel wieder zugenommen. Ihm war es gleichgültig, wie ihm so viel Persönliches gleichgültig war. Was Hekate davon hielt, wusste er nicht, er hatte sie nie gefragt. Er war der Meinung, dass sie ihm das, was für ihn wichtig zu wissen wäre, schon mitteilen würde.

 

Hekate verharrt an seiner Seite. Normalerweise ging sie nach der Berührung seiner frisch rasierten Haut weiter zur Schalldusche. Ihre Spezies hasste Wasser und so hatte sie das Prinzip der Körperreinigung durch Ultraschall begeistert. Sie freute sich jeden Morgen auf die Prozedur und konnte normalerweise gar nicht rasch genug zur Schallkabine kommen.

 

Ihr Zögern irritierte den Betazoiden. Die Chitinstruktur ihres Gesichts ließ fast keine Mimik zu. Das Erfassen des individuellen Empfindens geschah bei ihrer Spezies nicht über den Ausdruck sondern über die Erfassung der Körperausstrahlung. Hekate konnte beispielsweise auch sofort erkennen, wenn jemand sie anlog.

 

Durchschnittliche Humanoide wie Betazoiden besaßen nicht die Möglichkeit der spezifischen thermischen Wahrnehmung. Da Cerovic sich standhaft weigerte, seine empathischen Fähigkeiten einzusetzen und persönliche Fragen für zu aufdringlich hielt, konnte er nur abwarten, ob Hekate sich ihm mit Worten anvertrauen würde. Er nahm den Blick von ihren Spiegelbildern und sah die Insektoide nun direkt an. Hekates Finger lagen immer noch auf seiner Schulter, die anderen drei Arme hingen locker neben ihrem grazilen Chitinkörper herab.

 

Auch sie blickte ihn an. Er konnte erkennen, dass sie nicht sprechen würde. Er erhielt den Eindruck, dass ihre Berührung ihm etwas mitteilen wollte. Es fühlte sich intensiver als sonst an. Doch das konnte auch daran liegen, dass er normalerweise angezogen war, wenn sie ihre Finger auf seinen Oberarm legte.

 

Eine geraume Weile standen sie sich in dem kleinen Badezimmer schweigend gegenüber.

 

Sie hatte etwas auf dem Herzen. Aus einem ihm unverständlichen Grund wollte sie es nicht deutlich aussprechen. Damit brachte sie ihn auf eine Beziehungsschiene, auf der er sich überhaupt nicht gerne aufhielt. Wäre es irgendjemand anderes gewesen, hätte er jetzt einfach das Badezimmer verlassen, darauf vertrauend, dass die wirklich wichtigen Dinge irgendwann sicherlich geäußert werden würden. Dann wiederum: wäre es jemand anderes gewesen, würde er mit dieser Person überhaupt nicht in seinem Badezimmer stehen. Doch sie war auf gewisse Weise sein Mündel, er ihr Schutzschild in dieser für sie völlig fremden Welt. Er konnte sie nicht stehen lassen.

 

Kurzzeitig senkte er den Blick. Als er ihn wieder hob, öffnete er gleichzeitig seine empathischen Sinne.

 

Mit dem folgenden Ansturm hatte er nicht gerechnet. Er taumelte zum Waschbecken zurück. Seine Hand streckte sich automatisch danach aus, damit er das Gleichgewicht wieder erlangte. Augenblicklich zog er seine betazoidischen Sinne zurück. Er hatte genug erfahren, mehr als genug.

 

„Du hast Angst.“ Ihm war klar, dass jetzt eine Reaktion von ihm gefordert war, doch er hatte keinerlei Ahnung, welche. So machte er das, von dem er wusste, dass es zumindest bei vielen Humanoiden in furchteinflößenden Situationen half. Er trat vor bis seine Haut ihre Chitinplatten berührte, so nah wie er Hekate bislang nicht gekommen war, dann hob er die Arme an und legte sie über ihre Schultern auf ihren Rücken. Selbst wenn diese Art des Trostspendens völlig unpassend bei ihrer Spezies sein mochte, wusste er, dass sie seiner Ausstrahlung entnehmen konnte, wie er es meinte. Sie reichte ihm bis knapp an den Hals. Ihre Stirnfühler hatten sich senkrecht aufgestellt, als Cerovic die flächige Berührung eingeleitet hatte, doch jetzt legten sie sich langsam an ihren Hinterkopf an, während ihre Stirn sein Schlüsselbein berührte. Automatisch hatte er erwartet ihren Herzschlag zu spüren. Doch die Funktion, die das Blut durch ihren Körper trieb, war an zahlreichen Stellen zu spüren, wie an einem Strang aufgereihter kleiner Pumpen, die sich über die Längsachse ihres Körpers hinzogen. Er spürte sie an seinem Bauch bis zu der Stelle hinunter, wo das um die Hüften geknotete Handtuch die Weiterleitung des feinen Pulsens unterband.

 

Zaghaft legte sie ihre vier Arme um seine Taille. Er zuckte leicht zusammen. Das Tasten ihrer langen Gliedmaßen kitzelte ihn. Sie spürte es augenblicklich und hielt die Finger still. Einen Moment standen sie so beieinander, völlig reglos.

 

Cerovic öffnete seine empathischen Sinne erneut. Der vorherige Ansturm war abgeebbt. Sie war immer noch aufgewühlt, doch bereits um einiges ruhiger und sicherer bei ihm. Den Grund ihrer Verstörung konnte er auf diesem Weg nicht herausfinden. Wahrscheinlich hätten ihm nicht einmal volltelepathische Fähigkeiten genutzt. Er zweifelte daran, dass das Gedankenmuster von Insektoiden demjenigen von Humanoiden ähnelte.

 

Schließlich stellte er endlich eine Frage: „Warum?“

 

„Ich habe ein Problem.“ Der Universalübersetzer konnte ihr hochfrequentes Sprachmuster nicht völlig überdecken, so dass stets ein hohes Zirpen die leicht mechanisch wirkenden Worte begleitete. „Ich stehe an einer Schwelle und habe Angst davor hinüber zu treten.“

 

Er seufzte auf. Mit Metaphern konnte er nichts anfangen. Gleichzeitig wurde ihm jedoch bewusst, dass Hekate seinen Unwillen deutlich spüren konnte. Er milderte den Effekt ab, indem er hinzufügte: „Lass uns reden. Aber nicht hier im Stehen.“ Er zögerte einen Moment, dann ging er mit einem inneren Schulterzucken leicht in die Knie, griff unter ihrem zweiten Armpaar hindurch, fasst sie behutsam um ihre dünne Taille und hob sie hoch. Ihr geringes Gewicht bot seinen trainierten Armen kaum Widerstand. Die empathischen Sinne hielt er weit offen, um frühzeitig zu registrieren, wenn er etwas tat, das für sie unpassend oder unangenehm war. Doch er spürte nur das tiefe Vertrauen, das sie in ihn setzte. Er hob sie auf seine Hüfte und trug sie in den angrenzenden Wohnraum hinüber. Dort ließ er sich mit ihr auf dem Sofa nieder. „Ich sag Bescheid, dass ich meinen Dienst heute später antrete. Dann sagst du mir, was los ist.“

 

Er setzte sie ab, ging hinüber, wo seine Uniform über einem Stuhl hing, aktivierte den Kommunikator und informierte seine Abteilung mit knappen Worten. Auf dem Weg zum Replikator entledigte er sich des Handtuchs, schlüpfte in die Sternenflottenstandardunterwäsche und kehrte schließlich in T-Shirt und Boxershort mit zwei Gläsern in der Hand zum Sofa zurück. Er reichte Hekate den Proteindrink, den sie so mochte. Nur einmal hatte er versuchsweise daran genippt und augenblicklich das Gefühl erhalten eine sämige Sauce verquirlter Maden auf der Zunge zu spüren. Hier hatte für ihn die Annäherung der Essgewohnheiten ihrer beiden Spezies geendet.

 

Er selbst hatte sich ein großes Glas Orangensaft repliziert. Er führte es an die Lippen, doch als er merkte, dass sie erneut zögerte, ließ er es sinken. „Ich beherrsche keine Telepathie. Du wirst mir sagen müssen, was los ist. Oder wir machen uns fertig und gehen zur Arbeit.“

 

Sie ließ ein hohes Zirpen vernehmen, was Cerovic in Richtung eines Seufzens einordnete. „Du hast deine Empathiesensoren verwendet. Dafür bin ich dir sehr dankbar, denn ich weiß, wie ungern du das machst.“

 

Er hob die Augenbrauen. „Das spürst du?“

 

Ihre Fühler zuckten ein wenig vor und zurück. Das hatte er früh gelernt richtig zu interpretieren, sie machte das jedes Mal, wenn sie verwirrt war. An manchen Tagen schienen die zierlichen Auswüchse gar nicht still zu stehen. „Andere nicht?“

 

„Nein.“

 

„Ah.“

 

Es folgte eine erneute Pause. Schließlich stellte Hekate ihr halb geleertes Glas auf den Couchtisch ab. „Du strahlst Ungeduld aus“, stellte sie dann fest.

 

Cerovic spiegelte ihre Gestik des Glasabstellens. Er legte die Unterarme auf seine Knie und beugte sich vor. „Ich helfe dir, wo immer ich kann. Das habe ich dir versprochen und das werde ich einhalten“, erklärte er ernst. „Aber ich erwarte von dir, dass du mir präzise und zeitnah mitteilst, welche Probleme du hast. Ich frage nicht, ich rate sicherlich nicht, und ich bin trotz meiner empathischen Fähigkeiten kein bisschen empathisch veranlagt.“

 

Das vermehrte Zucken ihrer Fühler ließ ihn aufseufzen. „Streich den letzten Teilsatz.“ Er schob die Unterarme ein wenig weiter nach vorne und ergriff zwei ihrer Hände. Sie presste ihre langen Finger gegen seine kürzeren, und machte damit deutlich, wie ungewohnt drängend sie seine körperliche Nähe suchte. Cerovic überlegte, ob er nervös werden sollte, verwarf den Denkansatz jedoch wieder. Er war ineffektiv. „Sprich mit mir. Nur das, was du in Worte fasst, kann mich auch erreichen.“ Seiner eigenen Aussage zum Trotz blieb er weiterhin empathisch offen.

 

„Ihr werdet als kleine Ausgaben von euch geboren“, begann sie endlich. „Und werdet dann durch Zellzuwachs größer.“

 

Er nickte.

 

„Wir nicht. Unsere Chitinhülle ist nicht dehnbar. Sie kann nicht wachsen.“

 

„Metamorphose.“

 

Sie legte den Kopf schräg. Er wusste, dass sie diese Eigenart von ihm übernommen hatte. Er machte das immer, wenn er seinem Gegenüber signalisierte, dass Weitersprechen für alle die gesündeste Vorgehensweise wäre. Kurzzeitig zuckten seine Mundwinkel.

 

„Unsere Planeten sind bevölkert von wenig entwickelten insektoiden Spezies, die alle mindestens ein Larvenstadium vor ihrem Adultstadium durchlaufen …“ Er betrachtete sie einen Moment, dann tat er ihr den Gefallen und stellte eine Frage: „In welchem Stadium bist du?“

 

„Letztes Juvenilstadium. Ich steh an der Schwelle zu …“ Beim nächsten Wort brauchte der Universalübersetzer einen Moment, wählte dann „erwachsen“ als beste Bedeutung aus.

 

Abermals empfing er steigende Unruhe von ihr. „Du hast Angst davor“, schloss er.

 

Ihre gesamte nervöse Ausstrahlung ließ momentan nur eine Reaktion zu. Er neigte den Oberkörper noch ein wenig weiter nach vorne, umfasste abermals ihren zerbrechlich wirkenden Rumpf und zog sie an sich. Wie willkommen diese Handlung war, konnte er auch ohne empathisches Scannen daran erkennen, wie bereitwillig sie sich an ihn schmiegte. Die Finger und Zehen aller sechs Gliedmaßen vollführten kleine Trommelwirbel wo sie auf seinem Körper lagen. Mit zusammengebissenen Zähnen ließ er es über sich ergehen, obwohl diese Berührung unangenehm kitzelig war. Hekates Verhalten passte überhaupt nicht zu der bisherigen Vorgabe, dass ihre Spezies direkten Hautkontakt mied. Er hoffte, dass ihn das nicht in eine Rolle drängte, die er nicht gewillt war auszufüllen.

 

„Ich habe riesige Angst davor“, begann sie endlich in seine Halsbeuge zu sprechen. „Ich bin alleine, Avram, da ist niemand außer mir. Wenn wir uns zur Metamorphose zurückziehen, dann ist normalerweise der ganze Stamm anwesend. Selbst in den Kokons spüren wir die anderen, wissen, dass wir nicht alleine sind, bei all dem, was der Körper an Veränderung durchmacht. Es ist erschreckend, wenn sich plötzlich alles in dir ändert. Du verlierst nur deshalb nicht den Verstand, weil du weißt, dass die anderen da sind, auf dich aufpassen, deine Gegenwart spüren und du die ihre. Ich habe solche Angst, dass ich durchdrehe. Doch ich kann den Schritt nicht aufhalten. Ich habe schon viel zu lange gezögert. Aber ich bin alleine, ich weiß nicht, wie ich das machen soll … Es wäre besser gewesen, ich wäre dort geblieben und hätte mich von den Shoren erschießen lassen.“

 

Er hatte Hekate noch nie so aufgewühlt erlebt. Seit sie in seine Zeit geraten war, hatte sie sich bewundernswert tapfer geschlagen, Interesse an allem gezeigt und von der sicheren Basis an seiner Seite aus ihre neue Umgebung erkundet und sich darin ein wenig eingerichtet. Wie wenig er die Person kannte, die unter dem Mantel der Tapferkeit ruhte, wurde ihm erst jetzt bewusst. Es war für ihn angenehm gewesen, dass Hekate sich so gefasst verhielt, denn es entband ihn bislang von dem schlechten Gewissen und der Verantwortung für ein anachronistisches Leben. Cerovic war kein Seelentröster, es interessierte ihn in den meisten Fällen nicht, was Personen um ihn herum fühlten, solange sie das taten, was er sagte. Aus diesem Grund mochte er auch seine betazoidische Seite nicht und verleugnete sie, wo es nur ging. Er wusste, dass Betazoiden bis zu einem gewissen Maß auch beruhigend auf andere Personen einwirken konnten, daher wählten verhältnismäßig viele seiner Landsleute, die in der Sternenflotte Karriere machten, einen sozialen Beruf wie Arzt oder Psychologe. Betazoiden in der Sicherheit, wo es auch einmal darum gehen konnte, ein Leben zu nehmen, um die Crew zu beschützen, waren ausgesprochen selten.

 

„Ich bin da.“ Wie er sie aktiv auf empathischem Weg beruhigen konnte, wusste er nicht. Er hatte es nie trainiert. Doch sie hatte gesagt, dass sie mit ihren feinen Sinnen auch diese Ausstrahlung wahrnehmen konnte, somit auch seine Ruhe.

 

„Du bist da“, wiederholte sie an seiner Schulter und er konnte genau spüren, wie viel ihr das bedeutete und welche Verantwortung er trug. Für einen kurzen Moment zuckte er zusammen, doch seine gesamte Ausbildung hatte ihn darauf vorbereitet Verantwortung zu tragen: für seinen Captain, für das Wohlergehen der Crew, für die Unversehrtheit des Schiffes, für das Gelingen eine Außenmission. Warum sollte er es nicht auch schaffen, für einen individuellen Zivilisten verantwortlich zu sein?

 

Weil es etwas anderes war, weil es persönlicher war, weil es tiefer ging  …

 

Er war noch nie vor einer Situation davongelaufen, er würde sicherlich nicht jetzt damit anfangen. „Was soll ich tun?“

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