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Alles was bleibt

von werewolf

Kapitel 1

Es regnete in Strömen, als sich eine Gruppe Bajoraner auf dem sonst eher stillen Platz einfand. Andere folgten, und nach einiger Zeit war das Denkmal von zahlreichen Personen umgeben.
Heute war Gedenktag. Man erinnerte sich an die Toten der Besatzung. Auf ganz Bajor fand sich die Bevölkerung zusammen, hielt Schweigeminuten ab, besuchte Denkmäler und einige Politiker hielten Reden. Sie redeten über Recht und Unrecht, richtig und falsch und über das Vergessen. Sie sprachen von Krieg und Frieden, Freiheit und Unterdrückung.
„Auf der Erde haben sie heute auch einen Gedenktag“, meinte ein Anwesender zu seinem Nachbarn, „da geht es um eine vor Jahrhunderten zu Ende gegangene Diktatur.“
„Genau heute?“
„Ja. Ein komischer Zufall, oder? Der Kontinent, auf dem das passiert ist, hieß Europa, glaube ich.“
„Stimmt, davon habe ich schon mal gehört. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie es nicht geschafft hätten, das zu stoppen.“

Gerade als der andere Bajoraner etwas erwidern wollte, trat ein Vedek nach vorne. Der Geistliche strahlte eine Autorität aus, die sofort alle Gespräche verstummen ließ.
„Mögen die Propheten mit allen Anwesenden sein. Wir sind heute zusammengekommen, um denen zu gedenken, die dem Unrecht zum Opfer fielen…“


Auch auf einem dritten Planeten wurde heute den Toten gedacht. Auf Cardassia. Denkmäler gab es zwar auch hier, aber eine Cardassianerin entschied sich dazu, allein ins Gebirge zu gehen. Ihre zwei Kinder betreute eine gute Freundin von ihr, die mit ihnen eine der offiziellen Veranstaltungen besuchte. So sehr sie ihre Kinder auch liebte und so gern sie sich um sie kümmerte, heute brauchte sie Zeit für sich.

Unbewusst hatten ihre Füße sie dorthin gelenkt, wo sie sich kennen gelernt hatten. Er und sie. Fünf Jahre war es jetzt her, und sie vermisste ihn noch immer so sehr. Etwas, das sich wohl nie ändern würde. Sie setzte sich auf den Boden und ließ den Blick schweifen.



Der Bajoraner konnte sich vorstellen, dass auch die Cardassianer heute ihren Toten gedachten. Auf der einen Seite hielt sich sein Mitgefühl in Grenzen. Sie waren Täter gewesen. Deren Regierung hätte sich vorher überlegen müssen, wie viel Blut sie vergießen wollte. Aber auf der anderen Seite hatten auch sie wohl Kinder gehabt, die an dem allen unschuldig waren und jetzt darunter leiden mussten, ohne Vater aufzuwachsen.

Ob die Bajoraner wohl auch heute an Denkmälern zusammenkamen? Sie wusste es nicht. Tote hatte es jedenfalls genug gegeben. Auf beiden Seiten. Sie wusste nicht, was sie darüber denken sollte, dass möglicherweise genau jetzt ein paar Lichtjahre entfernt jemand wie sie mit den gleichen Gefühlen an einem Denkmal saß. Ob es sie interessieren sollte oder nicht.
Sie wusste es wirklich nicht.
Er war noch immer präsent in ihrem Leben, seit fünf Jahren tot und nicht vergessen. Im restlichen Jahr schaffte sie es, die Trauer um ihn auf ein Minimum zu reduzieren, schon wegen den Kindern, aber nicht heute.



Zur gleichen Zeit redete der Vedek auf Bajor, stand die Menge um das Denkmal und wehte der Wind durch die Bäume. Die Sonne schien und wärmte mit ihren Strahlen die Anwesenden, was im deutlichen Gegensatz sowohl zu dem kühlen Wind als auch zu dem Anlass des Gedenktages stand.

Der Bajoraner, der vorhin mit seinem Nachbarn gesprochen hatte, zog seine Jacke etwas fester zu. Es war noch früh im Jahr.
Inzwischen war ein anderer Redner an der Reihe. Kein Geistlicher dieses Mal, sondern ein einfacher Mann, der eigentlich die Öffentlichkeit mied. Heute allerdings machte er eine Ausnahme. Er redete über seine Frau, die während der Besatzung ums Leben gekommen war.

„Ein schwerer Verlust…“
…schmerzvoller als alles andere.
„Ich habe sie sehr geliebt.“
Er war der Mann meines Lebens.
„Wir wollten lange Jahre zusammen verbringen…“
…und wurden viel zu früh getrennt.
„Mehr als ein halbes Leben lag noch vor ihr…“
…und er hätte noch achtzig Jahre leben können.
„Ich vermisse sie…“
…mehr als ich sagen kann.
„Wir hatten eine Familie gründen wollen.“
Wir…ich habe zwei Kinder von ihm. Sieben und neun Jahre.
„Als sie mir die Nachricht überbracht haben…ich hatte es nicht wahrhaben wollen. Nicht glauben wollen, was ich gehört hatte. Die es mir gesagt hatten…für sie war es nur eine Meldung wie alle anderen auch. Aber für mich ist eine Welt zusammengebrochen.“
Eines Tages kam die gefürchtete Meldung. Der blaue Zettel. Besser als der braune, aber er ist jetzt seit fünf Jahren vermisst. Er wird nicht wiederkommen. Die ersten Stunden waren Schockstarre, und man weiß ja, dass solche Meldungen erst verschickt werden, wenn sich die Verantwortlichen sicher sind.
„Zuhause erinnert mich noch alles an sie.“
Unser Hochzeitsbild hängt noch immer im Flur. Kann mich nicht überwinden, es abzunehmen.
„Ihr Tod war so sinnlos.“
Es passierte zwei Tage, bevor die Truppen abgezogen wurden. Zwei Tage.

Der Bajoraner sah zu dem Redner, der das Pult verließ. Er selbst hatte zum Glück niemanden verloren, aber er wusste, dass viele seiner Landsleute wirklich gelitten hatten. Seine Frau lebte noch und ihr gemeinsamer Sohn ebenfalls. Ein Grund, dankbar zu sein, und ein Grund, sich um diejenigen zu kümmern, die nicht so viel Glück hatten.
Es gab immer Sonnenseiten und Schattenseiten. Manchmal überwog das Licht und manchmal der Schatten. Aber Hoffnung gab es immer.


Sie betrachtete nachdenklich den Sonnenuntergang. So hatten sie auch hier gesessen, damals. Und nun wuchsen ihre Kinder ohne Vater auf. Er würde nur eine vage Erinnerung für sie sein. Sie wussten, dass er der Mann auf dem Foto war, aber konnten sich vermutlich nicht deutlich an ihn erinnern. Dafür waren sie zu jung gewesen, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatten. Eine Ahnung war wohl alles, was blieb.


Der Bajoraner las die Namen auf dem Denkmal. Tote Männer, Frauen und Kinder aus dem näheren Umfeld. Es waren viele, sehr viele sogar. Aber er las nur die Namen, und wusste nichts über sie. Er kannte sie nicht, aber erahnte, was ihr Verlust für die Angehörigen bedeuten musste. Manchmal war alles, was blieb, das Leid.


Sie dachte an ihre Hochzeit zurück. ‚Ein Leben lang‘ hatten sie sich geschworen und es so gemeint. Wer hätte geahnt, dass diese Zeit so kurz wäre? Nun war der Schmerz alles, was blieb.


Der Bajoraner kehrte nach Hause zurück. Seine Familie war noch nicht wieder von der Gedenkveranstaltung zurück, aber sie würde wiederkehren. Er betrachtete die Fotos an der Wand, die von glücklichen Zeiten zeugten. Nur selten war die Dankbarkeit alles, was blieb.

Sobald sie ihre Kinder abholte, war die Trauer wieder sorgfältig verborgen. „Wie machst du das eigentlich?“, hatte ihre Freundin sie einmal gefragt, und sie hatte keine Antwort gewusst.
Im Flur fiel ihr Blick auf das Hochzeitsbild. Wenn sie nur wüsste, was mit ihm geschehen war. Ob es wenigstens schnell gegangen war. Dann könnte sie vielleicht einfacher damit abschließen. Zu oft war die Ungewissheit alles, was blieb.



Auf Bajor wurde es langsam dunkel. Er saß mit seiner Familie im Wohnzimmer. Sie redeten über Alltagsdinge, aber heute war es nicht wie immer. Heute wusste er es umso mehr zu schätzen.
„Wart ihr schon im Tempel?“, wechselte er das Thema.
„Nein, noch nicht. Und du?“
„Auch nicht. Heute Nacht findet noch eine Andacht statt, mit einem anderen Vedek. Wenn die Nacht am dunkelsten ist, beginnt sie und endet mit der Morgendämmerung. Wollen wir hingehen?“
„Eine schöne Idee. So voller Hoffnung.“


Wie jedes Jahr überlegte sie an diesem Tag, ob sie ihren Kindern das Fotoalbum zeigen sollte, und wie jedes Jahr entschied sie sich dagegen und nahm es erst aus der Schublade, als sie alleine war.
Dieses grüne, einundfünfzig Seiten starke und aus altmodischem Papier bestehende Buch enthielt sämtliche Fotos von ihnen als Familie. Angefangen mit einem Bild, das sie beide zeigte, als sie sich gerade kennen gelernt hatten, zeigte es sowohl Alltagsmomente als auch besondere Anlässe, erst sie allein, später mit ihrem Sohn, dann auch mit ihrer Tochter sowie mit beiden zusammen.
Sie zögerte, bevor sie die einundfünfzigste Seite aufschlug. Dort befand sich das letzte Bild von ihm. Es war kurz vor dem Einsatz aufgenommen wurde, von dem er nicht mehr zurückgekehrt war. Im Hintergrund die cardassianische Wüste, im Vordergrund er, den Rucksack auf dem Rücken und das Gewehr geschultert, den Gesichtsausdruck sorgenvoll und angespannt. Er hatte den Krieg nie gewollt und auch nie als gerechtfertigt gesehen.
Zu ihrem großen Bedauern war die Erinnerung alles, was blieb.



Der Bajoraner betrat den Tempel. Es war deutlich, dass er zu den Wenigen gehörte, die niemanden verloren hatten.
Der Geistliche eröffnete die Andacht und er war fasziniert von dessen einfühlsamer und Trost spendender Rede.
Eine innere Ruhe breitete sich in ihm aus, als er den Worten des Vedeks zuhörte.


Sie schreckte aus ihren Gedanken auf, als es an der Tür klopfte. Sich einen Moment lang sammelnd, erhob sie sich und schritt den dunklen Flur entlang, um nachzusehen, wer am späten Abend noch hierher kam.

Zwei Soldaten standen vor der Tür. Ein Umstand, der ihre Gemütslage noch weiter verschlechterte.
„Entschuldigung, dass wir sie zu so später Stunde noch stören müssen“, begann der Eine, „aber es ist wichtig.“
Sie straffte die Schultern. „Worum geht es?"
Der Zweite reichte ihr ein PADD. „Können Sie uns sagen, um wen es sich bei dieser Person handelt?“
Sie warf einen Blick auf das Bild und konnte es nicht glauben.
„Mein Mann“, antwortete sie, nachdem sie das Foto noch einmal betrachtet hatte, um eine Täuschung auszuschließen.
„Sind Sie sicher?“
„Ja. Absolut.“ Sie sammelte sich kurz, ehe sie weitersprach. „Er ist…noch am Leben?“
„In der Tat. Wie es aussieht, hat er als Gefangener überlebt. Die Verhandlungen über seine Freilassung laufen gerade und wir sind zuversichtlich, dass er bald zurückkehren wird.“

Jetzt war die Hoffnung alles, was blieb.


Vielen Dank fürs Lesen :) freue mich wie immer über Reviews.
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