TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Sturm 9.13 - Unter fremden Sternen

von Gabi

I - Förderung des Teamgeists ...

"Das ist jetzt nicht ihr Ernst!" Lieutenant Peter Gaheris, wissenschaftlicher Leiter von Deep Space Nine und erklärter Schöngeist starrte das PADD an, das Commander Benteen ihnen am Ende ihrer heutigen Trainingseinheit für wissenschaftliche Offiziere ausgehändigt hatte.

 

"Immerhin wird es auf die Dienstzeit angerechnet und wir müssen dafür nicht unsere freien Tage opfern." Lieutenant Ezri Dax, Stationspsychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin biss das nächste große Stück ihres Sandwichs ab und kaute nachdenklich.

 

"Ich habe wahrlich genug zu tun. Die Arbeit macht sich nicht von selbst, wenn ich drei Tage auf Vergnügungstour bin." Lieutenant Julian Bashir, Chefmediziner von Deep Space Nine, tunkte missmutig ein Croissant in seine Kaffeetasse.

 

"Vergnügungstour?" Zwei Paar blauer Augen starrten ihn empört an. "Wir sitzen höchstwahrscheinlich irgendwo in einem Sumpf, versuchen irgendwie ein Feuer zu machen, während irgendwelche Stechviecher uns das Leben versuchen auszusaugen", murmelte Gaheris.

 

Bashir ließ seinem Kollegen die Hand auf die Schulter fallen. "Jetzt sieh es nicht so düster, Peter. Der Planet ist weitestgehend erforscht, es gibt keine Anzeichen von größeren Raubtieren und in einer Entfernung von drei Tagen Fußmarsch befindet sich eine Forschungsstation, zu der wir uns durchschlagen sollen. Das klingt machbar. Mich stört nur das Timing."

 

"Mich stört der Sinn", beharrte Gaheris.

 

Dax tippte mit dem Finger auf den Einsatzbefehl. "Steht hier oben in Großbuchstaben: Förderung des Teamgeists und Erlangung der Kompetenzen zur Meisterung von Krisensituationen auf unbekanntem Terrain."

 

"Ich bin Wissenschaftler, kein Pfadfinder", beharrte Gaheris weiterhin auf seiner negativen Haltung. „Habt Ihr eigentlich eine Ahnung, wie wenige Probleme im Allgemeinen Raubtiere verursachen? Die größere Gefahr liegt in Stechviechern und anderen unscheinbaren Lebensformen.“

 

Dax legte den Kopf schief und machte ihm schöne Augen. "Warum bist du nochmal zur Sternenflotte gegangen, Peter?"

 

Sie kannte ihn zu gut. Natürlich konnte er nicht widerstehen. Ein zögerliches Lächeln zuckte um seine Mundwinkel, als er sie nun mit ebenfalls schräggelegtem Kopf über das PADD hinweg ansah. "Weil mir als Wissenschaftler hier wesentlich mehr Möglichkeiten offen stehen als im zivilen Bereich."

 

Die beiden hielten sich einen Moment länger mit den Augen fest, bis Bashir gespielt genervt aufseufzte. "Wenn ihr endlich mit dem Flirten fertig seid, könnten wir uns ans Packen machen."

 

Dax sah auf. Sie beugte sich zu ihm hinüber und küsste den Arzt auf den Mund. "Nicht eifersüchtig sein, Julian. Peter braucht etwas Aufmunterung, und er guckt doch so süß."

 

Gaheris' Augenbrauen zogen sich bei dieser Verniedlichung seiner Person strafend zusammen.

 

"Ich fürchte, das ist der Punkt, der uns überhaupt erst in diese Situation gebracht hat ...", bemerkte Bashir mit einer entschuldigenden Mimik zu Gaheris hinüber.

 

Die eben noch zusammengezogenen Augenbrauen kletterten nun in die Höhe. "Willst du etwa sagen, weil ich so harmlos wirke, müssen wir jetzt im Sumpf campen?"

 

Bashir sah zu Dax. Diese warf Gaheris einen entschuldigenden Blick zu und reagierte dann mit minimalem Kopfneigen auf Bashirs Aussage.

 

Der wissenschaftliche Leiter ließ seine Stirn auf die Tischplatte sinken. „Jetzt kommt“, murmelte er den Tisch an, „so fürchterlich stelle ich mich doch beim Nahkampftraining nicht an.“

 

„Frag mal Lieutenant Sito zu dem Thema.“

 

„Ach komm … lass mich bloß mit ihr in Frieden!“, seufzte Gaheris. „Ich möchte gerne wissen, warum Commander Benteen auf die Idee gekommen ist, diese Kampffurie auf uns loszulassen. Jedes Mal, wenn sie eine Einheit leitet, habe ich hinterher das Gefühl, ich müsste meine Knochen durchzählen, ob noch alle da sind.“

 

Bashir grinste zu Dax hinüber. „Ich hatte auch schon den Eindruck, dass sie sich auf dich eingeschossen hat.“

 

„Na, danke! Ich dachte, Bajoraner sind nett zu mir, weil ich mit Haz zusammen bin“, knurrte Gaheris in Erinnerung an die teilweise recht demütigenden Übungen, zu denen Lieutenant Sito verhältnismäßig oft ihn als Demonstrationspartner heranzog.

 

„Lieutenant Sito gehört zu den eher seltenen Bajoranern, die ihrer Religion den Rücken gekehrt haben. Ist dir nicht aufgefallen, dass sie keinen Ohrring trägt?“, informierte Dax ihn.

 

Gaheris seufzte. Er griff nach einem übriggebliebenen süßen Brötchen und stopfte es sich in den Mund. „Typisch mein Glück“, gab er mit vollen Backen zurück. Er erhob sich und spülte im Aufstehen den Rest des Brötchens mit dem Rest aus seinem Milchglas hinunter. „Ich zeichne noch eine Nachricht für Haz auf, damit er sich nicht wundert, wenn ich mich die nächsten Tage nicht melde.“

 

 

 

-------------

 

 

 

"In vier Tagen hole ich Sie auf der Basis wieder ab. Auf eine gute Teamarbeit!" Commander Benteen nickte den drei Offizieren zu, bevor sie den Transporter des Runabouts aktivierte.

 

Das Innere des Shuttles, sowie die spektakuläre Ansicht des Nebels lösten sich auf, um kurz darauf einer glücklicherweise sumpffreien bewaldeten Gegend Platz zu machen. Die dominierende Art hier war ein baumartiges Gewächs, welches in verschiedenen Größen, je nach Lichtverfügbarkeit, zu existieren schien. Das Verhältnis von Stammumfang zu Kronenhöhe war lediglich ein Drittel, was zu sehr breiten Stämmen mit einem Aufsatz von grünen, violett geäderten Blättern führte, und in erster Näherung Ähnlichkeit mit riesigen Lockenköpfen aufkommen ließ. Die drei Offiziere sahen sich untereinander um, um sicher zu gehen, dass sie alle angekommen waren. Dann gingen ihre Blicke automatisch zum Himmel hinauf. Auch hier unten auf der Planetenoberfläche waren noch die Farben des Nebels zu erkennen. Jetzt am Tag nur als leichte, pastellfarbene Tönung der ansonsten schwach violetten Atmosphäre. Doch in der Nacht würde das Schauspiel sicherlich grandios werden.

 

"Immerhin haben wir einen ausgesprochen interessanten Zeitpunkt zugewiesen bekommen", sprach Gaheris als erster. "Dieser Strahlungsausstoß im Nebel geschieht nur alle einhundervierundsiebzig Jahre für etwa zehn Tage, dann dauert es wieder über eineinhalb Jahrhunderte, bis die Moleküle erneut genügend Sonnenenergie gespeichert haben, um sich zu entladen." Er lächelte seine beiden Mitstreiter an. "Ich für meinen Teil, bin gar nicht mehr so unglücklich über das Training. Wenn wir uns zügig vorwärts bewegen, bleibt uns noch ein ganzer Tag, um mit den Wissenschaftlern auf der Basis zu sprechen und die Daten einzusehen. Ich gestehe, darauf freue ich mich." Er ging in die Hocke, um den neben ihm stehenden Rucksack zu inspizieren. "Die Nacht wird spektakulär werden. Ich übernehme schon einmal freiwillig die Wache."

 

Auch die anderen beiden hockten sich  erst einmal hin.

 

„Bis es Nacht wird, hat sich der Planet möglicherweise so weiter gedreht, dass der Nebel von unserem Standort aus nicht mehr zu sehen ist“, gab Dax zu bedenken.

 

„Ich denke nicht.“ Gaheris hatte einen Tricorder aus der Ausrüstung geholt. Er rief darauf die Daten ab, die ihnen für ihre Mission zur Verfügung gestellt worden waren. „Laut den Forschungsberichten hier, besitzt der Nebel ebenfalls eine Eigenbewegung. Die nächsten vier Tage nimmt er von dieser Hemisphäre aus gesehen eine nahezu orbitale Stellung ein.“ Er scrollte ein wenig weiter. „Ah, interessant. Die Bahn des Nebels bringt ihn tatsächlich alle einhundervierundsiebzig Jahre in die Nähe dieses Planeten.“ Er blickte auf. „Wenn es hier höher entwickelte Bewohner gäbe, wäre das garantiert die Quelle eines göttlichen Mythos geworden.“

 

Bashir lächelte. Er hatte den Inhalt seines Rucksacks in einer systematischen Reihe vor sich ausgelegt: Tricorder, Kommunikator, Notfall-Medkit, Buschmesser, isotherme Decke, leichte Jacke, Seile und Haken, Fernglas, Feldflasche und Notration. „Ich denke, dass Commander Benteen diesen Ort nicht von ungefähr ausgewählt hat. Sie ist ja kein Unmensch.“

 

Gaheris zuckte mit den Schultern, um anzudeuten, dass über dieses Verdikt noch nicht das letzte Wort gesprochen war.

 

„Lasst uns erst einmal Inventur machen, was uns zur Verfügung steht“, schlug der Mediziner vor. „Dann planen wir die Route und legen Rastpunkte fest.“

 

Auch die anderen beiden gingen nun ihr Inventar durch. Der Inhalt entsprach demjenigen von Bashirs Rucksack.

 

„Voll funktionsfähige Tricorder.“ Gaheris hob sein Exemplar hoch. „Das ist schon einmal ein großes Plus. Ich verspüre wenig Lust, Essbares durch Feldversuche an mir selbst zu identifizieren.“

 

Dax nahm das kleine Sternenflottendelta in die Finger. „Benteen hat gesagt, dass die Reichweite der Kommunikatoren auf einen Kilometer eingeschränkt worden ist.“

 

„Ganz prima“, murrte Gaheris, der die Notrationen begutachtete. „Wenn wir in der Tinte stecken, können wir nicht mal Hilfe organisieren.“

 

Bashir schüttelte den Kopf. „Für den unwahrscheinlichen Fall, dass alle Stricke reißen, habe ich noch einen voll funktionsfähigen Kommunikator in den Tiefen meiner Vorräte.“

 

Die beiden anderen blickten von ihren Rucksäcken auf. „Wieso du?“

 

Bashir zuckte mit den Schultern. „Vielleicht war Benteen der Meinung, dass es mir am ehesten zuzutrauen ist, dass ich ihn auch wirklich nur in einer Notsituation verwende, und nicht dazu, mir aus der Forschungsstation eine Pizza kommen zu lassen“, vermutete er grinsend.

 

„Sehr witzig!“ Dax verzog den Mund. „Aber immerhin gut zu wissen, dass wir nicht völlig ausgesetzt sind.

 

„Nun kommt.“ Auch Bashir hatte die vorhandenen Notrationen jetzt vor sich aufgestapelt. „Das hier packen wir mit Links. Mit dem Zeug kommen wir einen ganzen Tag aus, ohne uns etwas suchen zu müssen. Wenn wir genügsam sind, sogar die Hälfte der veranschlagten Route.“

 

„Ich mag deine positive Einstellung“, lächelte Dax. Sie blickte zu Gaheris hinüber, der tiefer in seinem Rucksack wühlte. „Was meinst du, Peter? Ich wäre dafür, dass wir die Missionsleitung an Julian übergeben.“

 

Der Wissenschaftler blickte kurzzeitig auf. „Klar, da bin ich einverstanden.“ Dann wühlte er weiter.

 

„Julian?“

 

Der Mediziner deutete eine Verneigung seinen beiden Kollegen gegenüber an. „Es wäre mir eine Ehre. Ich werde mich bemühen, das in mich gesetzte Vertrauen nicht zu enttäuschen.“ Sein Lächeln ging in ein Stirnrunzeln über, als er Gaheris beobachtete. „Peter, alles in Ordnung bei dir?“

 

Abermals hob sich der Kopf des Wissenschaftlers. Dieses Mal lag ein angedeutetes Stirnrunzeln auf seinen Zügen. „Hat einer von euch einen Phaser?“

 

Die beiden anderen prüften ihre Ausrüstung, dann schüttelten beide die Köpfe.

 

„Benteen muss sich ziemlich sicher sein, dass wir hier auf keine Lebensformen treffen, die uns gefährlich werden könnten.“ Dax packte ihren Rucksack wieder zusammen. Die Tricordertasche befestigte sie an ihrer Hüfte.

 

„Ich weiß nicht, ob mir das behagt.“ Auch Gaheris räumte seine Sachen wieder ein. Den Tricorder behielt er in der Hand und begann einen langsamen dreihundertsechzig Grad Scan ihrer Umgebung.

 

Bashir schulterte sein Gepäck. „Wir haben alle die Berichte der Forschungsstation gelesen. Es gibt hier keine räuberische Lebensform, welche die Größe von dreißig Zentimetern überragt. Lediglich zwei Reptilienarten können aggressiv werden, wenn man sie in die Enge treibt.“ Er schenkte seinen beiden Begleitern ein aufmunterndes Lächeln. „Es geht Benteen nur darum, dass wir einmal aus unserer vollklimatisierten Luxusumgebung herausgerissen werden und ihr beweisen, dass wir sehr wohl im Stande sind, ohne großen Einsatz der gewohnten Annehmlichkeiten unseren Weg in einer uns unbekannten Umgebung finden. Und das kriegen wir doch wohl hin?“

 

Dax nickte bekräftigend. „Zeigen wir ihr, dass wir keine verweichlichten Labor-Wissenschaftler sind!“

 

Gaheris seufzte. „Also gut, zeigen wir es ihr eben.“

 

„Peter! Mehr Begeisterung, wenn ich bitten darf!“

 

Der Wissenschaftsoffizier warf seinem medizinischen Kollegen einen misstrauischen Blick zu. „Soll ich ein Wanderlied anstimmen, oder was?“

 

„Gar keine so üble Idee“, freute sich Dax. „Das würde zumindest potentiell gefährliche Tiere aus unserer Reichweite halten.“

 

„Sehr witzig!“

 

 

 

Die ersten zwei Stunden brachten sie in zügigem Tempo hinter sich. Sie waren ausgeruht und, mit gewissen Abstrichen bei Gaheris, motiviert. Bashir hatte den Tricorder auf eine direkte Route auf die Koordinaten der Forschungsstation hin programmiert, und führte ihre kleine Gruppe an. Dax und Gaheris folgten im Gänsemarsch, beide zu jeweils einer Seite nach Wasser scannend. Trinkwasser war das Erste, das ihnen ausgehen würde, und besaß somit oberste Priorität in der Beschaffung.

 

Den Wald der Lockenköpfe, wie sie ihn für sich tituliert hatten, hatten sie hinter sich gelassen. Der Bewuchs war in ein Grasland mit teils waldsteppenartigen Inseln übergegangen. Die bildgebende Art war ein bläulich schimmerndes Süßgras, das den Offizieren in der Höhe stellenweise bis zu den Ellbogen reichte. Ein schwacher Wind, der über die offene Fläche wehte, drückte die flachen Halme immer wieder in einen derartigen Winkel zu den einfallenden Sonnenstrahlen, dass in der Reflexion ein türkisblaues Glitzern auf den Flächen aufleuchtete. Die drei Offiziere ertappten sich dabei, dass sie immer öfter in ihrem Schritt innehielten und ihre Umgebung bewunderten.

 

„Wunderschön“, flüsterte Gaheris, der seit Austritt auf das Grasland völlig vergessen hatte, dass er sich eigentlich von Commander Benteen ungerecht behandelt fühlen wollte.

 

Erneut strich ein Windhauch über die Ebene, erneut glitzerten die Grashalme auf.

 

„Das hat beinahe etwas therapeutisches“, pflichtete Dax ihm bei. Sie blickte zu Bashir. „Julian, haben wir Zeit für einen kurzen Stopp hier? Ich würde zu gerne ein paar Aufnahmen hiervon machen, um zu sehen, ob ich das später in einer Behandlung einsetzen kann.“ In Erwartung einer positiven Antwort begann sie bereits, die Aufnahmefunktion des Tricorders zu aktivieren.

 

Bashir enttäuschte seine Freundin nicht. „Natürlich haben wir Zeit.“ Er konsultierte seinen eigenen Tricorder. „Wir haben bereits ein gutes Stück Weges zurückgelegt und die Sonne geht nach den Angaben hier erst in vier Stunden unter.“

 

Während Dax ihren Rucksack absetzte und sich daran machte, mit leichtem Schwenk der Tricorderkamera die Bewegungen der Halme einzufangen, gingen die beiden Männer noch ein Stückchen weiter.

 

Auf einer Breite von circa vier Metern wurde das ansonsten unberührte Grasland nahezu orthogonal zu ihrer Marschrichtung unterbrochen. Es war, als ob man aus dem Randbewuchs auf eine Straße hinaustrat. Die Halme lagen umgeknickt und zermalmt am Boden. Ein paar Meter weiter erhob sich abermals die intakte Armee des blaugrünen Grases. Bashir und Gaheris traten auf die Straße hinaus. Sie erstreckte sich nach links und rechts soweit ihre Augen blicken konnten. Bashir ging in die Hocke und befühlte den Untergrund. „Was hier wohl durchgekommen ist?“ Er nahm einen der umgeknickten Halme auf. Der einst runde mit regelmäßigen Knotensegmenten durchzogene Stängel war plattgedrückt, als ob ein großes Gewicht auf ihn eingewirkt hätte. „Vielleicht ein Fahrzeug der Forschungsstation?“

 

Gaheris war stehen geblieben. Er reckte sich ein wenig, um möglichst weit die Straße zu beiden Seiten hinunterblicken zu können. „Ich würde eher auf Herdentiere tippen“, bemerkte er mit einem Unterton in der Stimme, der Bashir verwundert aufblicken ließ.

 

„Wie kommst du darauf?“

 

Der andere Mann deutete nach rechts den Pfad hinauf. Bashir erhob sich und folgte mit den Augen dem ausgestreckten Finger. „Ich sehe, was du meinst.“ Er wandte sich um, wo die Trill ein paar Meter tiefer im Grasland immer noch ihre ruhigen Tricorderkreise zog. „Ezri, wir bekommen Besuch!“

 

Die junge Frau blickte auf, während ihre Handbewegung den angefangenen Halbkreis beendete. „Was für …?“ Dann erkannte auch sie, was die Männer entdeckt hatten. „Oh!“

 

Bashir und Gaheris taten ein paar Schritte rückwärts in das Grasfeld in Richtung Dax zurück, während sich von der rechten Seite eine rötlich reflektierende Lawine in deutlichem Kontrast zum bläulichen Schimmern des bislang friedlich wirkenden Graslands näherte. Mittlerweile war auch das Geräusch der trampelnden Hufen zu vernehmen.

 

„Ich dachte, hier gäbe es nichts über dreißig Zentimetern Höhe?“, bemerkte Dax unsicher. Sie steckte rasch den Tricorder in seine Halterung zurück, um die Hände frei zu haben – für was auch immer.

 

„Keine Raubtiere“, korrigierte Bashir ihre Einschätzung.

 

„Ich glaube, ich habe lieber ein Dreißig-Zentimeter-Wiesel am Stiefel hängen, als von einer Masse friedlicher Grasfresser umgerannt zu werden. Das Schicksal scheint mir in zweitem Fall endgültiger zu sein“, beschied die Trill.

 

„Wir bleiben einfach ganz ruhig stehen und erschrecken sie nicht. Dann sollten sie friedlich weiterziehen“, empfahl Gaheris. Auch er steckte den Tricorder weg. „Keine raschen Bewegungen, das ist das Wichtigste.“

 

Die Herde näherte sich mit forschem Tempo. Es war nun zu erkennen, dass es sich um felltragende Tiere handelte, die Gaheris ohne nähere Untersuchung in die Kategorie der Säuger einordnen würde. Die Köpfe der huftragenden Vierbeiner waren massig, sie waren beim Gehen gesenkt und maßen über die Hälfte der gesamten Höhe der Tiere. Der Schädelbereich von den Augen abwärts lief auf eine dunkle Schnauze mit großen Nüstern zu. Der Stirnbereich, der die Hälfte des Kopfes ausmachte thronte in doppelter Breite darüber, die großen Ohren standen waagrecht zur Seite ab. Das Stockmaß betrug gut und gerne zwei Meter, der Durchmesser der Brust sicherlich einen Meter. Das gelockte Fell war von einem wunderschönen rötlich braunen Ton und glänzte dermaßen, dass auf einen hohen Stellenwert der Fellpflege geschlossen werden konnte. Doch diesen Umstand zu bewundern, genehmigte sich momentan keiner der Wissenschaftler. Je näher die Tiere ihrem Standort kamen, desto größer wurde die Anspannung. Es handelte sich um gut und gerne fünfzig Tiere, welche die Sternenflottenoffiziere mit Leichtigkeit tot trampeln konnten, sollten sie in Panik verfallen.

 

„Ziehen die wirklich einfach so an uns vorbei?“, fragte Bashir aus dem Mundwinkel. Er wagte es momentan nicht, den Kopf zu wenden, aus Furcht, dass diese Bewegung eventuell schon als Bedrohung ausgelegt werden könnte.

 

„Ich hoffe es“, gab Gaheris zurück. Er versuchte ein aufmunterndes Lächeln, das jedoch keiner seiner beiden Kollegen bemerkte, da sich alle auf die Herde konzentrierte, deren erste Tiere nun nur noch zehn Meter von ihrem Standort entfernt war. „In der Regel reagieren in Herden lebende Großsäuger besonnen, wenn sie nicht erschreckt werden. Wir sind für sie von Weitem sichtbar, sie können sich darauf einstellen, dass hier unbekannte Wesen stehen. Meine Vermutung ist, dass sie in einem weiten Bogen um uns herum in das dahinterliegende Feld ausweichen werden.“

 

„Dann sollten sie damit mal langsam anfangen.“ Dax‘ Stimme hatte einen nervösen Unterton angenommen.

 

Das Marschtempo der Tiere wurde langsamer. Sie hatten die drei Humanoiden im Feld entdeckt. Der große Kopf des vorangehenden Tieres hob sich und ließ das Geschöpf noch stattlicher, und gleichzeitig bedrohlicher, wirken. Da half es auch nichts, dass die dunklen Augen von langen Wimpern begrenzt waren, die dem Wesen einen ausgesprochen hübschen Ausdruck verliehen.

 

Entgegen Gaheris‘ Annahme änderte die Herde ihren Weg nicht. Nun langsamen Schrittes trotteten sie den niedergetretenen Pfad entlang. Alle Köpfe zur Seite auf die Humanoiden gewandt.

 

„Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich fühle mich beobachtet“, bemerkte Bashir. Er tat unwillkürlich einen Schritt zurück, was die Herde sofort mit einem Hochzucken der Köpfe quittierte.

 

„Besser wir bleiben völlig ruhig stehen“, ermahnte Gaheris noch einmal.

 

Leider war das auch die Vorgehensweise, für die sich offensichtlich die Tiere entschieden. Als das Leittier sich auf Höhe der Sternenflottenoffiziere befand, stoppte es. Den Kopf leicht schräg gelegt, um die Fremden im vollen Sichtfeld der seitlich angeordneten Augen zu behalten, verharrte es.

 

Nach wenigen Sekunden, die den Offizieren wie lange Minuten vorkamen, warf es den Kopf nach oben und schnaubte. Das Geräusch klang aus dieser Nähe wie ein Donnern am Horizont. In die nachfolgenden Tiere kam daraufhin Bewegung, die sich jedoch nicht in dem Aufnehmen einer Richtung manifestierte, sondern in Scharren und Schütteln.

 

„Was machen die?“, flüsterte Bashir.

 

„Ich weiß es nicht“, gestand Gaheris. „Interplanetarer Sozialmustervergleich unterschiedlicher herdenbildender Großsäuger war jetzt nicht unbedingt ein Schwerpunkt meiner Ausbildung.“

 

„Du gibst aber rechtzeitig Bescheid, wenn wir wegrennen sollten, okay?“, stellte Dax klar.

 

Gaheris ließ ein hilfloses, leises Lachen erklingen. „Wenn wir in eine solche Situation geraten sollten, haben wir ohnehin verloren. Die sind um einiges schneller als wir.“

 

Das Leittier stampfte einmal auf, dann wandte es den Körper, leider nicht in die erhoffte Richtung. Gemächlichen Schritts verließ es den ausgetrampelten Pfad und bewegte sich auf die Offiziere zu.

 

„So ein Mist“, fluchte Bashir mit angehaltenem Atem, und ohne sich dabei zu bewegen, „die sind nicht ängstlich, die sind neugierig.“

 

„Das ist doch gut, oder?“, mutmaßte Dax, die ein paar Schritte hinter Bashir stand und daher den Arzt als Sicherheit vorgaukelnde Barriere zwischen sich und dem rotbraunen Fellungetüm hatte.

 

„Peter!“, zischte Bashir weiter. „Ich warte auf einen hilfreichen Einwurf.“

 

Der einen halben Schritt neben und hinter ihm stehende Naturwissenschaftler zuckte mit den Schultern. „Wie erwähnt ist Sozialverhalten nicht mein Spezialgebiet. Im Zweifelsfall gesunden Menschenverstand anwenden.“

 

„Und der wäre?“ Bashirs Stimme war nun nur noch ein Wispern. Das Leittier stand mittlerweile genau vor ihm, den Kopf leicht gedreht, um das sonderbare Wesen zu beobachten. Der massige Körper, der die Offiziere in Höhe und Breite um einiges überragte, kam auf diese kurze Entfernung unangenehm deutlich zur Geltung.

 

Abermals schnaubte das Tier und es kostete Bashir seine gesamte Willensanstrengung, um nicht zurück zu springen. Dann hob es den Kopf soweit, bis die pulsierenden, feuchten Nüstern sich auf Höhe mit dem Gesicht des Mediziners befanden. Der warme Atem roch nach eine Mischung aus Maische und Heu.

 

Was dann geschah, ließ Dax ihre Disziplin vergessen. Die Hand der Trill schoss nach oben vor ihren Mund, um irgendwie das Kichern zu unterdrücken, dass sich Luft machen wollte, als eine breite, graue Zunge dem Arzt einmal genüsslich vom Kinn bis zur Stirn hinauf über das Gesicht fuhr.

 

Auch Gaheris hatte sichtlich mit der Fassung zu ringen, während Bashir einen empörten Laut ausstieß, der das Tier einen erschrockenen Satz nach hinten machen ließ. Möglichst langsam hob Bashir den Arm und rieb mit dem Ärmelstoff über sein Gesicht. „Das ist eklig!“

 

„Ich glaube, es mag dich“, warf Dax wenig hilfreich ein.

 

Gaheris hob vorsichtig den Arm und streckte dem Tier die Hand entgegen. „Na komm, wir tun dir nichts. Komm.“ Dabei machte er schnalzende Geräusche.

 

Das Wesen wiegte den Kopf von Seite zu Seite, um sich alle drei Humanoiden genau anzusehen. Es wirkte durch Bashirs Ausbruch ein wenig irritiert, doch schließlich entschied es sich, Gaheris‘ Schnalzen nachzukommen.

 

Dax überwand die Distanz, die sie bislang von Bashir getrennt hatte. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. „Die scheinen gar nicht so schlimm zu sein“, bemerkte sie leise.

 

Bashir wandte den Kopf und schenkte ihr ein schiefes Grinsen. „Wo warst du, als ich Hilfe brauchte?“

 

Sie grinste zurück. „Ich hab’s nicht so mit großen Tieren. Die waren mir schon immer unheimlich.“

 

Mittlerweile beschnupperte das Tier die ausgestreckte Hand des Wissenschaftsoffiziers. Vorsichtig hob Gaheris auch den anderen Arm und berührte den massigen Kopf an der Wange. Ein kurzes Zurückzucken, dann trat das Tier wieder vor und ließ sich kraulen.

 

Gaheris sah zu den anderen Offizieren hinüber. „Es ist total weich“, erklärte er begeistert.

 

Dann senkte das Tier den Kopf, machte noch einen Schritt nach vorne und stupste den Mann an. Gaheris fand sich einen Meter weiter hinten auf dem Hosenboden wieder.

 

Dieses  Mal waren es Bashir und Dax, die krampfhaft ein Lachen unterdrücken mussten.

 

„Ich glaube, er oder sie wollte dich auch gerne kraulen“, kicherte die Trill, während Gaheris sich, den verlängerten Rücken reibend, wieder aufrappelte.

 

„Sieht so aus“, gestand Gaheris etwas linkisch ein. Er streckte nun beide Hände nach vorne aus. „Langsam, mein Liebes, ich bin nicht halb so standfest wie du.“

 

Das Tier kam abermals auf ihn zu, abermals senkte es den Kopf.

 

„Vielleicht möchte es mich aber auch nur höflich dazu auffordern, sein Revier zu verlassen“, mutmaßte der Wissenschaftler, während er eine halbe Drehung zur Seite machte, um dem erneuten Ansturm auszuweichen. „Ich versuch mal etwas anderes.“ Dieses Mal vollführte er wedelnde Bewegungen mit den Händen.

 

Das Tier zuckte mit dem Kopf und trat einen Schritt zurück. Es wirkte misstrauisch.

 

„Komm, zieht eures Weges. Wir wollen euch nichts tun, wir wollen sicherlich nicht euer Gras beanspruchen, wir wollen diese Ebene lediglich queren“, erklärte Gaheris völlig überflüssigerweise. Der Drang, ein unverständiges Tier zu vermenschlichen, war in diesen Situationen groß.

 

Es blieb stehen und starrte ihn an.

 

Gaheris atmete einmal durch, dann klatschte er in die Hände. Der Effekt war sowohl bei den großen Säugern als auch bei seinen unvorbereiteten Offizierskollegen derselbe. Sie alle zuckten zusammen und wichen erschrocken zurück.

 

„Tschuldigung“, murmelte Gaheris zu Bashir und Dax hinüber. Dann klatschte er noch einmal.

 

Das Leittier tänzelte nach hinten. Das Geräusch oder die damit einhergehende Handbewegung schien es zu verunsichern.

 

„Kommt, ab, zieht weiter.“

 

Bashir und Dax fielen vorsichtig mit ein. Auch sie klatschten nun beide sanft in die Hände.

 

Das Leittier tat einen weiteren Satz zurück, bis es sich wieder auf dem Trampelpfad befand. Ein neuerliches Schnauben erfüllte die Luft. Es wurde von ein paar weiter hinten stehenden Tieren aufgenommen. Der Blick, den das große Tier nun den Offizieren zuwarf, wirkte beinahe beleidigt. Dann nahm es die Bewegung auf dem Trampelpfad wieder auf, langsam und gemächlich, so als wolle es deutlich machen, dass es nur deswegen weiterzog, weil es das ohnehin vorgehabt hatte. Die Herde folgte ihm.

 

Schweigend beobachteten die drei Offiziere, wie die Tiere in wenigen Metern Abstand an ihnen vorüber zogen. Es war ein majestätischer Anblick. Vor allem, wenn man sich deutlich machte, dass die Herde sie mühelos überrennen konnte.

 

„Tolle Tiere“, ließ Gaheris sich vernehmen. „Der Marsch hat sich für mich auf jeden Fall schon gelohnt.“ Er wandte sich zu den anderen beiden um. „Wir sollten so etwas vielleicht öfter machen?“

 

Bashir hob die Augenbrauen. „War da vor ein paar Stunden nicht noch ein Wissenschaftsoffizier, der gemault und gemotzt hat, dass er ungerechter Weise hierher verbannt worden sei?“

 

„Geschenkt!“ Gaheris grinste. „Ich nehm’s ja zurück – aber sagt das bloß nicht Benteen!“

 

Sie blickten dem letzten Tier noch eine Weile hinterher, dann hakte Bashir mit entschlossener Geste die Daumen unter die Schultergurte des Rucksacks und trat auf den Trampelpfad hinaus. „Lasst uns weiter gehen. Höchste Priorität hat jetzt das Auffinden einer Wasserquelle. Ich muss unbedingt mein Gesicht waschen. Der Speichel fängt schon an zu riechen.“

 

Die beiden anderen Offiziere taten demonstrativ einen Schritt von ihm fort, als sie ihre Tricorder wieder zückten. Bashir quittierte das mit einer Grimasse und konsultierte sein eigenes Gerät. Den linken Arm gerade nach vorne gestreckt, gab er die Richtung an, in welcher sie weiterhin das Grasland durchqueren mussten.

 

Nach einer weiteren Stunde ereignislosen Marschs durch hüfthohes Gras, hob Dax ihren Tricorder. „Ich habe eine Anzeige.“ Sie blieb einen Moment stehen und schwenkte den Scanner in einem leichten Bogen. „Scheint genau in unserer Marschrichtung zu liegen.“

 

Gaheris, auf der anderen Seite, bestätigte ihre Messung. „Frei fließendes Wasser.“

 

„Okay, Leute, legen wir einen Zahn zu. So allmählich beginnt mir dieses Gras hier auf’s Gemüt zu schlagen“, wies Bashir die anderen beiden an. „Ein idyllischer See oder ein Bachlauf wären nicht verkehrt.“ Er hielt die Umgebung vor sich im Blick, während die Augen von Dax und Gaheris auf die Tricorderanzeigen gerichtet waren.

 

„Das sieht eher nach breitem Fluss aus …“ Dax‘ Bewegung wurde jäh von einem Arm in Magenhöhe gestoppt. Auf der anderen Seite erging es Gaheris genauso.

 

Bashir war stehengeblieben und hatte seine Arme zu beiden Seiten hoch gerissen. Seine Kollegen nahmen den Blick von den Anzeigen und starrten auf das Nichts, das sich vor ihnen ausbreitete.

 

Die Graskante fiel ohne Vorwarnung ab. Nicht sanft, sondern so abrupt, dass ein unbedachter Wanderer unwillkürlich in die Tiefe gestürzt wäre.

 

„Mann, oh Mann!“ Gaheris steckte den Tricorder weg und schob sich vorsichtig an die Abbruchkante heran. „Das nenn ich mal eine gut getarnte Fallgrube.“

 

Grube ist gut.“ Als Bashir sicher war, dass seine Kollegen keinem unaufmerksamen Fehltritt zum Opfer fallen würden, nahm er die Arme wieder herunter. Seite an Seite standen sie am Rand einer Schlucht, die sich in einem stumpfen Winkel zu ihrem bisherigen Marschweg dahinzog. Die gegenüberliegende Schluchtwand war gut und gerne fünfzig Meter entfernt, der Grund schätzungsweise über hundert. Er wurde von einem rasch fließenden Fluss durchzogen.

 

„Naja, immerhin haben wir hier unser Wasser.“

Rezensionen