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Leben

von werewolf

Kapitel 1

Wind.
Kiar brauchte einen Moment, um dessen Geräusche einzuordnen.
Das Rascheln im Laub der wenigen Bäume. Die fast schon geisterhaften Töne, wenn dieser um die Felsen strich und durch das Gras.
Fast überdeutlich nahm er das wahr.

Er musste hier weg. Und zwar unverzüglich.
Mühsam richtete er sich etwas auf und versuchte, sich zu orientieren.
Die Sonne zeigte, dass es später am Nachmittag war. Auch wenn er sie durch die Wolken fast nicht sehen konnte.
Der Kampf hatte im Morgengrauen stattgefunden. Das bedeutete, er hatte lange hier gelegen.
Wie sehr er sich nach der Sonne in seiner Heimat sehnte. Er hatte nie nach Bajor gewollt und wollte dieser Welt, die für ihn nur Kämpfen und Töten bedeutete, den Rücken kehren. Er sehnte sich nach seiner Familie.

Er spürte einen stechenden Schmerz an der Schläfe. Fahrig wischte er sich die mit Schmutz völlig überdeckte Hand an der Hose ab, was aber auch nicht viel nützte, und fasste an die Stelle, von der die Schmerzen auszugehen schienen.
Blut. Die Berührung verursachte zusätzlich noch ein Brennen, und er erinnerte sich wieder. Ein Streifschuss, den er wohl nur mit Glück überlebt hatte.

Gerade schienen keine Feinde in der Nähe zu sein, aber er durfte nicht hierbleiben. Man würde ihn töten.
Er schaffte es, aufzustehen, und musste sich kurz an einem Gesteinsbrocken festhalten. Ihm war schwarz vor Augen, und das hatte nicht nur etwas mit der Verletzung zu tun. Er war auch psychisch zu sehr beansprucht.

Man würde jetzt von ihm erwarten, eine Deckung aufzusuchen, die Ausrüstung zu kontrollieren, nach Feinden Ausschau zu halten, nach Verletzten zu suchen und zum Stützpunkt zurückzukehren.
Wie es ein richtiger Soldat tun sollte.

Tatsächlich stand er nur da, ein leichtes Ziel, und versuchte, sich einigermaßen zu sammeln. Wenn jetzt ein Gegner auftauchte, hätte derjenige leichtes Spiel. Aber ihm fehlte einfach die Kraft.

Irgendwann schaffte er es, sich auf den Weg zu machen.
Offenbar waren noch keine weiteren Truppen eingetroffen. Tote von beiden Seiten lagen auf der Fläche, aber es traf ihn schon längst nicht mehr. Er hatte sich an den Anblick gewöhnt, irgendwie.

Er hatte überprüft, ob noch einer von ihnen am Leben war, aber ohne ein positives Ergebnis.
Nach einer Schätzung lag etwa die Hälfte seiner Kameraden hier.
Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis es ihm auch so ging.

Stolpernd überwand Kiar einen eher flachen Abhang. Aber er war so entkräftet, dass ihn das vor eine Herausforderung stellte.
Der Gegenwind strengte ihn beim Gehen zusätzlich an und er hatte mehrere recht heftige Hustenanfälle. Nun würde er wohl auch krank werden. Immerhin hatte er mit der von Dreck, Regen und wohl auch Blut durchnässten Kleidung stundenlang in der Kälte gelegen.
Manchmal fragte er sich, ob er seine Rückkehr nach Cardassia miterleben oder ob man nur seine Leiche heimbringen würde. Er wusste die Antwort nicht, aber glaubte inzwischen, dass Letzteres der Fall sein würde.
Plötzlich blieb er stehen. Aus dem Augenwinkel hatte er eine Bewegung wahrgenommen.
Keine Deckung in der Nähe außer ein paar kümmerliche Sträucher. Dorthin hatte sich sein Gegner wohl gerettet.
Er ging davon aus, dass es einer war.
Eine weitere Bewegung.
Alarmiert griff er nach der Disruptorpistole und zielte in die Richtung, in der er den Feind vermutete.
Sein instinktiver Lebenswille trat wieder in den Vordergrund. Dass es den überhaupt noch gab.

Ein metallisches Klicken ließ ihn aufhorchen. Sein Gegner stand einige Meter von der vermuteten Position entfernt. Und hatte bereits auf ihn angelegt.
Er war so gut wie tot.
Mit einer raschen Wendung, die ihn fast das Gleichgewicht verlieren ließ, richtete er die Waffe auf den Bajoraner. So einfach würde er es ihm nicht machen.

Für einige scheinbar stundenlange Momente standen sie so da, den Finger am Abzug und die Augen nicht vom Gegner lassend.
Über den Disruptorlauf betrachtete er sein Gegenüber. Sie sahen beide wohl ähnlich aus, dreckverschmiert, erschöpft und verwundet. Warum nur erkannte er in den Augen des Bajoraners den gleichen Ausdruck, den er selbst zeigen musste? Diese Leere, die nicht einmal mehr Raum für Elend und Schmerz ließ. Die alles andere verschlang. Nichts blieb zurück. Erst recht nicht die Person, die man einmal gewesen war.

Seine Hände zitterten. Erst nur leicht, dann immer stärker. Sein Gegenüber musste es auch sehen.
Zögernd ließ er die Waffe sinken. Wenn der Bajoraner ihn erschießen wollte, dann sollte er das tun. Vielleicht kam er so endlich nach Hause.
Kiar ließ den Disruptor fallen. Sollte das Schicksal entscheiden, ob er leben würde oder nicht.
Das Schicksal. Seinen Glauben hatte er schon vor einiger Zeit verloren. Man konnte ihn irgendwo auf den Schlachtfeldern Bajors suchen. Vielleicht fand ihn ja jemand und würde ihn ihm zurückgeben.
Als er den Kämpfer bewusst wieder ansah, stellte er fest, dass dieser das Gewehr wieder über der Schulter trug.
Und es dämmerte ihm.
Der Bajoraner hatte ihn nicht töten wollen. Er läge schon als Leiche hier, hätte dieser die Absicht gehabt. Er selbst hatte noch in die falsche Richtung gezielt, während das Fadenkreuz vermutlich schon bei ihm auf der Schläfe gewesen war, ohne, dass er es gleich bemerkt hatte.
Der Andere wollte das Gleiche wie er. Ruhe. Frieden. Und zurück in die Heimat.

Sie nickten sich zu, und sein Gegenüber zog wieder seiner Wege, während er noch dastand und versuchte, sich wieder zu sammeln.
Die einzige richtige Begegnung mit einem Bajoraner, die er jemals gehabt hatte. Sie hatten immer zu ihm gesagt, dieses Volk sei böse und ohne Skrupel. Wirklich geglaubt hatte er es nie, aber nun wusste er sicher, dass es falsch war.
Umgekehrt war es wohl genauso. Ihre Völker standen sich unerbittlich und unversöhnlich gegenüber, und Blut tränkte den Boden zwischen ihnen.
Die Cardassianer galten als Schlächter ohne Gnade.
Weil die jeweilige Regierung es so wollte, standen sie sich mit der Waffe gegenüber. Vielleicht wären dieser Bajoraner und er Freunde geworden, wären die Umstände anders.
Wie viele Familien hatte er selbst zerstört? Er dachte an die Kriegswaisen auf Cardassia. Es war egal, von welcher Seite man die Sache betrachtete, der Krieg blieb ein Unrecht.
Er wusste nicht, ob er später von dieser Begegnung erzählen würde oder ob er sie für den Rest seines Lebens verleugnen sollte.
Das Einzige, was ihn irgendwie aufrechterhielt, war die Annahme, dass er eine Gefahr von seinem Volk, von seiner Familie abwendete. Aber wie sollten Personen, die ihren Planeten nicht verlassen wollten, seine Kinder bedrohen? Er wusste keine Antwort und er wusste ganz genau, dass das der Punkt war, an dem er niemals hatte ankommen wollen.
Er konnte sein Tun nicht mehr rechtfertigen. Überhaupt nicht mehr.
An dieser Stelle würden Manche vielleicht die Waffe gegen sich selbst erheben, aber er nicht. Kiar wollte lebend nach Hause.
Und er würde es schaffen. Egal wie.
Dieser Planet würde nicht sein Grab werden.

Kiar hatte es tatsächlich geschafft, sich zur weiter entfernten Kaserne zurück zu schleppen. Er wurde in das Lazarett gebracht, weil er schon Blut gehustet hatte und an die nächsten Wochen konnte er sich nicht mehr wirklich erinnern, nur an verschwommene Eindrücke.
Später hatte man ihn zurückschicken wollen, weil er rasend vor blinder Wut einen Kameraden angegriffen hatte. Zumindest war es das, was sie sagten. In Wirklichkeit hatte er nur nicht mehr gewusst, wer sein Freund und wer sein Feind war. Der Arzt stellte die Diagnose einer so starken psychischen Belastung, dass ein weiterer Einsatz unverantwortlich wäre. Eine längere Beurlaubung wurde vorgeschlagen, vielleicht würde es ihm dann ja wieder besser gehen, ansonsten vielleicht eine andere Tätigkeit, die ihn vom Schlachtfeld fernhielt.
Dazu kam es aber nicht.
Er wurde gefangengenommen, verbrachte den Rest des Krieges bei dem Volk, das er eigentlich töten sollte und wurde am Ende freigelassen, als Cardassia mit Bajor verhandelte. Etwas, das man schon viel eher hätte tun sollen. Wie viel hätte man beiden Völkern ersparen können, hätten die Entscheidungsträger einmal miteinander geredet, anstatt gleich die Waffen sprechen zu lassen. Vermutlich wussten sie gar nicht, was der Krieg wirklich bedeutete. Dass einem alles genommen wurde, sogar die Fähigkeit, zu leiden. Er vermisste es, dass es ihm schlecht ging. Alles war besser als diese Leere.
Er vermutete, dass er dem Bajoraner dankbar sein musste und er war es auch, aber nur auf einer rationalen Ebene. Dieser war ein Risiko eingegangen damit und jetzt vielleicht wieder zurück in der Heimat. Er hoffte es.
Irgendwann fragte er sich, ob seine Frau wohl noch an seine Rückkehr glaubte. Und ob ihr Hochzeitsbild noch im Flur hing.
Es war so lange her.
Noch später wurde er zu einem Frachter in Richtung Cardassia gebracht. Der Bajoraner, der kontrollierte, wer an Bord ging, setzte zu der Frage an, ob er Soldat war, unterbrach sich aber und hakte den Punkt auf der Liste ab, nachdem dieser ihm in die Augen gesehen hatte.
Kiar betrat den Frachter und ließ diesen Planeten hinter sich. Der Bajoraner damals, er hatte wohl seinen Glauben gefunden, irgendwo, und ihm zurückgegeben. Aber der Rest seiner Seele war und blieb hier. Irgendwo zwischen Leichenbergen und brennenden Dörfern.
Auf dem Rückflug sah er nur nach draußen ins All, schwieg und unternahm nichts zur Zerstreuung.
Und er kam zurück nach Hause. Lebend.






Danke fürs Lesen. Kommentare sind wie immer erwünscht :)
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