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Fremde Augen

von Gabi

Kapitel 1

Schon eine geraume Zeit saß sie auf der kleinen Anhöhe und beobachtete das scheinbare Emporsteigen des riesigen Himmelskörpers. Diese Planetenseite hatte sich mittlerweile weit genug von der Sonne fort gedreht, um auch den letzten Rest deren wärmenden Einflusses zu verlieren. Ein kühler Wind kam auf und ließ die Haut an den Stellen, an welchen sie nicht von der regulierenden Uniform bedeckt war, erschaudern. Sevens einzige Reaktion darauf war eine kaum merkliche Bewegung der Schulterpartie. Ihre Sinne waren gänzlich damit beschäftigt, die Veränderung des Farbtons in der Ebene vor ihr zu analysieren. Das rötliche Grün, das im Sonnenlicht vorgeherrscht hatte, war mit dem immer flacher werdenden Einfallswinkel der Sonne und der damit einhergehenden Veränderung in der Lichtqualität nach Blau verschoben worden. Nun, im fahlen Licht des massigen Mondes erhielten die Gewächse an der Horizontlinie eine farblose, transzendente Qualität.

 

            Seven fragte sich, ob dieser Anblick von einem leidenschaftlich getriebenen Menschen als ästhetisch oder vielleicht sogar romantisch bezeichnet werden würde, oder als monoton.

 

            Sie selbst registrierte zwar den Umstand, dass die chemische Zusammensetzung des Blattwerks sich von vielen der von ihnen bereits besuchten Welten unterscheiden musste, um diesen Effekt hervorzurufen, legte diese Erkenntnis jedoch unter irrelevant ab, da sie keinen mittelbaren Nutzen für die Steigerung der Lebensqualität der Voyager-Crew hatte oder eine Hilfe für deren Weg nach Hause darstellte. Vielleicht würde sie dem MHN davon erzählen, vielleicht würde er Gefallen daran finden, wie er so oft seine Zeit mit Nichtigkeiten verbrachte.

 

            Die junge Frau wandte den Kopf. Ein nicht näher definierbares Gefühl hatte die feinen Härchen in ihrem Nacken aufgestellt. Eine rasche innere Analyse erbrachte, dass dies kein Effekt der kühler werdenden Nachtluft war. Seven versuchte das sie umgebende Blattwerk mit ihren Blicken zu durchdringen. Sie hatte kein Geräusch gehört, nur den Eindruck erhalten, beobachtet zu werden. Wer immer es war, seine Tarnung war exzellent. Die Stämme waren zu locker, als dass sich dahinter ein allzu massiger Körper hätte verbergen können. Lediglich im Geäst war Geraschel zu vernehmen, wo sich wahrscheinlich vogelähnliche Tiere zur Nacht begaben, oder ihr Dämmerungsdasein starteten. Ihr Blick glitt nach oben zu dem nahezu waagerecht gewachsenen Ast, dessen äußere Umhüllung ebenfalls im Mondlicht die Farbe zu verlieren begann. Ein geflügeltes Tier von der Größe ihrer Hand saß darauf, entfernt ähnelte es einem orangeroten Vogel. Während Seven den seltsam intelligent wirkenden Blick erwiderte, mit dem das Tier sie zu mustern schien, speicherte sie für sich die Erkenntnis, dass die Fauna offensichtlich, wie auf so vielen anderen Planeten auch, lediglich dunkler wurde, wenn das Sonnenlicht schwand.

 

            Sie wusste nicht warum, und hätte es sicherlich auch nicht getan, wenn sie aktiv darüber nachgedacht hätte, doch sie öffnete ihren Mund und sprach das Tier an. „Du beobachtest mich, nicht wahr?“

 

            Als die Worte die bislang ungestörte Stille brachen, klangen sie albern in ihrem Kopf. Natürlich beobachtete das Tier sie. Wie es wahrscheinlich unzählige andere Tiere noch taten, die sie nicht im Gebüsch ausmachen konnte. Sie war ein Fremdkörper in der an anderen Abenden wahrscheinlich leeren Landschaft.

 

            „Mit wem sprichst du?“ Chakotay näherte sich ihrem Aufenthaltsort über den kleinen Pfad am Waldrand. Das Gesicht des Ersten Offiziers strahlte Zufriedenheit aus. Unwillkürlich erhellte sich auch Sevens Gemüt. Der ausgeglichene Mann war diejenige Person an Bord der Voyager, in deren Gegenwart sie sich am wohlsten fühlte. Von Chakotay ging meist eine Ruhe und Selbstsicherheit aus, die ansteckend war.

 

            Während sie jedem anderen wahrscheinlich entgegnet hätte, dass sie sich lediglich geräuspert hätte, um ihre im Prinzip kindische Reaktion zu vertuschen, antwortete sie ihm ehrlich: „Ich habe mich von einem flugfähigen Kleintier beobachtet gefühlt und wollte es zur Rede stellen.“

 

            Chakotays Augenbrauen schossen amüsiert in die Höhe. Als er nahe genug an Sevens Ruheplatz herangekommen war, beugte er sich hinunter und küsste sie auf die Stirn. „Und? Was hat das Tier zur Verteidigung zu sagen gehabt?“

 

            Sie legte den Kopf schief. „Dein Auftauchen hat es verscheucht, bevor wir über den Status einer flüchtigen Bekanntschaft hinaus gelangen konnten.“

 

            Mit leisem Lachen ließ sich der erste Offizier neben ihr nieder. Er legte ihr den Arm um die Schultern und blickte nun ebenfalls über die Ebene hinaus. „Wunderschön, nicht?“

 

            Diese Reaktion beantwortete Sevens anfängliche Frage über die Perzeption der dämmerungsbedingten Farbänderung des Blattgrüns. „Ja“, antwortete sie und legte Lichtbedingungen und die adäquate zugehörige Empfindung für spätere Referenzen in ihrem Gedächtnis ab. „Seid ihr mit dem Verladen der Vorräte fertig?“

 

            Chakotay nickte. Der Planet Generha hatte sich beim orbitalen Scan als sehr fruchtbar und reichhaltig an pflanzlichen Lebensmitteln erwiesen, und die Bevölkerung der Generhaner hatte sich als ausgesprochen großzügig auf die entsprechende Anfrage der Voyager gezeigt. Als die kleine Gruppe unter dem Kommando von Commander Chakotay hier angekommen war, hatten die Generhaner bereits einen ansehnlichen Berg von Kisten und Säcken aufgeschichtet, dessen Inhalt den Speiseplan der Voyager-Crew für ein paar Monate bereichern würde. Während Chakotay die Verladung beaufsichtigt hatte, hatte Seven sich ihrer inquisitorischen Neugierde hingegeben und war ein wenig durch die ländliche Umgebung der kleinen Stadt gewandert.

 

            „Ja, das sind wir. Ich glaube, im Frachtraum ist kein Zentimeter mehr frei. Wir können zur Voyager zurückkehren.“ Er betrachtete weiterhin die Ebene. „Der Ratsvorsitzende schien auch bedacht darauf zu sein, dass wir zum Ende der Dämmerung nicht mehr hier sind. Er meinte, nachts sei es viel zu gefährlich außerhalb der Gebäude.“

 

            Sevens Augenbraue und Okularimplantat hoben sich, als sie den Blick ihrem Partner zuwandte. „Zu gefährlich?“, wiederholte sie ungläubig. „Die Scanner haben in weitem Umkreis nichts oberhalb der Entwicklungsstufe von Kleinsäugern festgestellt. Gibt es hier eine nachtaktive giftige Spezies?“

 

            Chakotay hob die Schultern. „Er hat sich nicht näher darüber ausgelassen.“ Dann huschte ein freches Grinsen über seine Züge. „Vielleicht verwandeln sich die Generhaner des nachts in Zombies und terrorisieren ihre Umgebung.“

 

            Seven schenkte ihm einen missbilligend inquisitorischen Blick, der ihn aufforderte eine Erklärung für seine abstruse Theorie zu liefern – und zwar eine gute.

 

            Chakotay schüttelte immer noch grinsend den Kopf. „Zombies sind Untote aus der irdischen Mythologie … es war nur als Scherz gedacht.“

 

            „A-ha“, machte Seven gedehnt und damit gleichzeitig deutlich, was sie von derlei Scherzen hielt.

 

            „Aber weißt du was?“ Chakotay hob die Hand und strich ihr über die Schläfe. Wie stets gelang es ihm, mit dieser Geste ihren missbilligenden Ausdruck durch einen wesentlich weicheren zu ersetzen. „Mich hat diese Bemerkung neugierig gemacht.“

 

            Abermals hob sich die Augenbraue. Dieses Mal lächelte Seven jedoch. „Du willst noch hier bleiben und herausbekommen, was hinter dieser Warnung steckt?“, mutmaßte sie.

 

            „Du kennst mich zu gut.“ Er lächelte entschuldigend. „Bleibst du auch?“

 

            „Natürlich.“ Seven legte ihm die Hand auf den Oberschenkel. Es war noch nicht lange her, dass sie beide sich entschlossen hatten, eine intimere Beziehung einzugehen, doch sie hatte in dieser kurzen Zeit bereits festgestellt, dass die Nähe zu dem ruhigen, ausgeglichenen Ersten Offizier ihr gut tat. Er hielt keine Lektionen für sie bereit, keine Moralpredigten über das Menschsein, ebenfalls keine falsche Scheu aufgrund ihrer kurvenreichen Erscheinung. Bei ihm fühlte sie sich gleichberechtigt.

 

            „Das freut mich.“ Chakotay aktivierte seinen Kommunikator und instruierte erst den Rest des Landetrupps zur Voyager zurückzukehren, dann kontaktierte er den Brückendienst auf der Voyager selbst, dass er und Seven noch ein paar Stunden hier bleiben würden, und sich dann zurückbeamen lassen würden.

 

            „Und nun?“, wollte Seven wissen, als er die Verbindung wieder geschlossen hatte. „Bleiben wir hier sitzen und warten darauf, ob uns ein Zombie überfällt?“

 

            Chakotay drückte ihre Schulter. „Ich liebe deinen Humor.“

 

            „Ich besitze keinen Humor!“, konterte sie ausdruckslos.

 

            „Lass dir das bloß nicht einreden.“

 

            Sie machte Anstalten sich zu erheben. Aus der Umhängetasche, die sie über die Schulter geschlungen hatte, beförderte sie einen Tricorder zutage. „Nun gut, dann wäre mein Vorschlag, dass wir diesen kleinen Weg hier weiter entlang gehen und dabei Wald und Ebene scannen. Vom Shuttle aus habe ich gesehen, dass er in einem weiten Bogen um diese Seite der Stadt führt. Oder“, sie blickte auf, „wir gehen zurück und verlangen vom Ratsvorsitzenden eine aufschlussreichere Erklärung.“

 

            Chakotay schüttelte den Kopf. Er stand nun ebenfalls auf und aktivierte sein eigenes Gerät. „Er war sehr ausweichend. Er wird nichts weiter zu dem Thema verraten.“

 

            Seven gab die Richtung vor und machte sich auf den Weg. Chakotay folgte ihr. „Vielleicht war diese Aussage auch lediglich als Maßnahme gedacht, dass wir die Generhaner alleine lassen. Vielleicht steht eine Aktivität der Einheimischen an, bei welcher sie alleine sein wollen.“ Sie blickte über die Schulter zu dem hinter ihr gehenden Chakotay. „Was übrigens ihr gutes Recht ist.“

 

            „Ja, natürlich“, gab der Erste Offizier zu. „Es ist nur so …“

 

            „Dass du neugierig bist.“ Seven versuchte sich in dem Seufzen, das sie so oft bei ihren Kollegen erlebt hatte. Gänzlich gelang es ihr nicht. „Dann lass uns eine Runde machen, die armen Leute ausspionieren und dann zurückkehren.“

 

            Sie konnte sein leises Lachen in ihrem Nacken spüren, als er sein Gesicht in die Nähe ihrer Schulter brachte. „Mehr möchte ich doch …“

 

            „Pst!“ Ohne sich umzusehen, reichte Seven mit ihrer freien Hand über die Schulter zurück und verschoss zielsicher Chakotays Mund. Ihre Aufmerksamkeit war auf einen Baum schräg vor ihnen am Waldrand gerichtet.

 

            Der Mann folgte ihrem Blick. Auf einem nahezu waagrecht gewachsenen Ast saß ein kleines vogelähnliches Tier. Das Licht reichte nicht mehr aus, um die Farbe genau zu erkennen, doch es schien orangerotes Gefieder zu besitzen. Und es beobachtete sie.

 

            Chakotays Stimme war leise an ihrem Ohr zu vernehmen. „Ist das dein kleiner Freund von vorhin?“

 

            Seven nickte. Sie konzentrierte sich auf das Tier. Sie glaubte ein unterschwelliges Murmeln zu vernehmen, knapp außerhalb ihrer Erfassungsgrenze. Für einen Moment schien es in ein Wettstarren zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Lebensformen hinauszulaufen, dann wurde das kaum wahrnehmbare Murmeln durch ein leises Singen in der Luft verdrängt, wie es durch den raschen Schlag eines kleinen Flügels hervorgerufen wurde. Ein zweites Exemplar des flugfähigen Tieres ließ sich auf dem Ast nieder. Der Kopf des Neuankömmlings zuckte kurzzeitig in Richtung der fremden Beobachter, doch sie schienen keines zweiten Blicks würdig erachtet zu werden, denn das Tier hüpfte auf dem Ast auf seinen Artgenossen zu. Es senkte den Kopf und stieß eine Reihe heller Laute aus, während es das Gewicht rasch von einem Bein auf das andere verlagerte.

 

            Das erste Tier beobachtete weiterhin die beiden Mitglieder der Voyager.

 

            „Ich sehe, was du meinst“, hob Chakotay erneut an, jedoch nur gehaucht, um den Moment nicht zu stören.

 

            Seven wandte den Kopf in Richtung ihrer Schulter, um ihrem Partner ebenso leise antworten zu können, ohne jedoch den Blick von dem Ast zu nehmen. „Das Verhalten des rechten Exemplars würde ich aufgrund von Querreferenzen mit zahlreichen anderen physisch ähnlich entwickelten Spezies als normal werten“, flüsterte sie. „Die Kontaktaufnahme mit einem Artgenossen erfüllt die gesamte Aufmerksamkeitsspanne. Wir sind Kuriositäten am Rande, die nicht in das lebenswichtige Schema Fressen, Überleben und Nachwuchszeugen passen und daher eher als uninteressant angesehen werden. Wohingegen das linke Exemplar …“

 

            „… sich eher für uns als für Seinesgleichen interessiert.“ Sie spürte sein Nicken mehr, als dass sie es sah. „Der linke … Vogel, oder wie immer wir das Tier nennen wollen … wirkt intelligent.“

 

            „Ich muss gestehen, dass mir ebenfalls der Eindruck gekommen ist.“ Seven hob die Hand mit dem Tricorder, um den Scanner auf das Tier zu richten.

 

            Der Kopf des rechten Vogels ruckte augenblicklich in die Höhe, der Kehle entglitt ein beinahe empört zu nennender Laut und er flatterte in die Sicherheit des Dickichts zurück. Der andere hob ebenfalls den kleinen Kopf, er wandte ihn ein wenig zur Seite, um die beiden Menschen noch einmal mit einem schwarzen Knopfauge zu fixieren, dann breitete auch er die Flügel aus und erhob sich von seinem Beobachtungsposten.

 

            Seven und Chakotay blickten ihm nach, als er sich in gemächlichen Kreisen auf die Ebene hinaus entfernte. Die Frau nahm als erste die Aufmerksamkeit wieder fort und las das Wenige im Tricorderdisplay ab, was der Scanner hatte aufnehmen können.

 

            „Den Daten nach gibt es keinen Unterschied zwischen den beiden Exemplaren“, verkündete sie unberührt von der Faszination, welche Chakotay immer noch in die mondlichtbeschienene Weite blicken ließ. „Doch für den Nachweis einer differenzierten Bewusstseinsentwicklung hätte ich Zeit für tiefergehende Gehirnscans benötigt …“ Sie hob den Kopf.

 

            Chakotay blickte immer noch auf die Ebene hinaus. „Vielleicht handelt sich bei dem kleinen Gesellen um einen Wächter, dessen Aufgabe es ist, eine mögliche Kolonie nach außen zu schützen und vor Gefahren zu warnen.“

 

            Seven nickte unberührt. „So etwas in der Art wird es sein.“ Sie hob noch einmal die Schultern, dann nahm sie wieder ihren vorherigen Weg entlang des Waldrandes auf. Sie blickte sich nicht um, ob Chakotay ihr folgte, doch nach einiger Zeit vernahm sie den Laut seiner Schritte hinter sich. Eine geraume Weile gingen sie schweigend weiter, ihre Tricorder hin und her schwenkend um die nächtliche Fauna des Planeten aufzunehmen. Nichts weiter Ungewöhnliches ereignete sich, doch Seven ertappte sich dabei, dass sie immer wieder den Blick in die Zweige hinauf gleiten ließ. In einem dieser Momente, in welchem sie kurzzeitig nicht auf den vor sich liegenden Weg achtete, kreuzte ein Tier ihre Bahn. Als sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Weg schenkte, war es nur noch einen Schritt weit entfernt. Mehr aus Überraschung denn aus Schrecken sog sie scharf die Luft ein und blieb stehen. Dies geschah ohne Vorwarnung, so dass Chakotay hinter ihr seinen Schritt nicht rechtzeitig verlangsamen konnte und mit dem Oberarm gegen ihr Schulterblatt stieß. Automatisch legte er die Hände zu ihrer beider Stabilisierung auf ihre Schultern. „Was …?“, setzte er leise an, dann jedoch hatte er offensichtlich den Grund ihres Stillstands erkannt, denn der Rest des Satzes blieb ungesagt.

 

            Das Tier, einem raschen Tricorderscan nach zu urteilen ein kleiner Säuger, zeigte keinerlei Scheu. Es saß inmitten ihres gewählten Wegs und blickte sie unverwandt an. Wollten sie ihren Weg fortsetzen, hätten sie einen Schritt auf die Wiese hinaus treten müssen. Doch weder Seven noch Chakotay bewegten sich.

 

            „Sie beobachtet uns“, flüsterte der Erste Offizier das Offensichtliche.

 

            „Sie?“ Seven wandte ihren Blick nicht vom Weg ab. Behutsam, um das Tier nicht zu verscheuchen, sammelte sie weitere Sensordaten.

 

            Sie konnte das leise Lachen des Mannes an ihrem ungeschützten Nacken spüren. „Sie.“

 

            Seven brauchte ihre nächste Frage nicht formulieren, Chakotay fuhr auch so fort: „Sie strahlt Weiblichkeit für mich aus.“

 

            Das Heben ihres Okularimplantats konnte der Mann nicht sehen. „Der Tricorder gibt mir nach Kreuzvergleichen mit ähnlichen Spezies tatsächlich eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein weibliches Exemplar an.“ Nun wandte sie doch den Blick soweit über die Schulter zurück, bis sie ihn in der Peripherie ihrer Sicht erkennen konnte. Seine Mundwinkel waren zu diesem fast süffisant zu nennenden Lächeln verzogen, das ihr stets den Eindruck vermittelte, dass Chakotay den tieferen Zusammenhang alles Lebendigen besser verstand als ihre Datenbanken.

 

            „Ich erhalte auch hier den Eindruck einer gewissen gerichteten Intelligenz“, sprach sie immer noch an ihn gewandt. „Was sollen wir tun?“

 

            „Fühlst du dich bedroht?“

 

            Sie schüttelte den Kopf. „Unbehaglich, ja, doch bedroht nicht.“

 

            „Dann lass mich.“ Er schob sich sanft an ihr vorbei. „Ich habe ein gutes Gespür für den Geist von Tieren.“

 

            Seven enthielt sich des Kommentars, dass Tiere ihrer Analysen nach nicht das besaßen, was Chakotay so euphemistisch als Geist bezeichnete. In der Zeit, die sie den Ersten Offizier nun schon kannte, hatte sie des Öfteren die Erfahrung machen können, dass er der Natur weit emotionaler gegenüberstand als die meisten anderen Voyager-Crewmitglieder. Fast schien dies hier die passendere Umgebung für den Mann zu sein als die Sterilität eines Raumschiffs.

 

            Sie beobachtete, wie Chakotay vorsichtig in die Hocke ging und seine Hände gut sichtbar, jedoch aktionslos auf den Boden legte.

 

            Das Tier ließ ihn nicht aus den Augen. Kurzzeitig schien sich ein Fluchtimpuls in der nicht zu Gefühlsausdrücken fähigen Mimik manifestieren zu wollen, doch er wurde rasch von einer Bestimmtheit überlagert, die für Tiere ungewöhnlich war.

 

            „Bist du die Bedrohung, wegen welcher der Ratsvorsitzende sich nachts nicht außerhalb der Stadtmauern wagt?“

 

            Die Worte verursachten keine Veränderung in dem kleinen Wesen. Nach wie vor betrachtete es den vor ihm kauernden Mann, als hätte dieser nichts gesagt. Seven runzelte die Stirn. Sie fragte sich, was Chakotay damit bezweckte, mit einem Tier zu sprechen, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keiner Sprache mächtig war. Fast so, als hätte er ihre Gedanken erraten, wandte Chakotay den Kopf, so dass sie sein Profil sehen konnte. „Ich glaube, es reagiert auf meine Stimme.“

 

            Seven war anderer Meinung, behielt dies jedoch für sich.

 

            Chakotay hob eine seiner Hände ein paar Zentimeter an und schob sie ein wenig nach vorne. Abermals erfolgte keine sichtbare Reaktion. Das Tier schien lediglich Interesse am Gesicht seines Gegenübers zu zeigen. Es ruckte den Kopf zur Seite, so dass es nun auch die hinter dem Mann stehende Frau betrachten konnte.

 

            Wie zuvor schon machte sich in Seven ein unbehagliches Gefühl breit. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie auf eine gewisse Weise gescannt wurde, in ihre Privatsphäre eingedrungen wurde. Sie schüttelte energisch den Kopf über derlei Gedanken. Das da vorne auf dem Weg war ein Kleinsäuger, wahrscheinlich zutraulich, weil ihm von den Bewohnern hier nichts getan wurde, oder er mit noch keinem von ihnen zusammengetroffen war.

 

            Mittlerweile hatte Chakotay die Hand soweit nach vorne geschoben, dass seine Fingerspitzen das Fell an einem kleinen Vorderlauf berührten. Augenblicklich flackerte der Blick und das Tier sprang mit einem Satz in die Büsche.

 

            „Das mag sie offensichtlich nicht“, bemerkte Chakotay, als er sich wieder erhob. Er lächelte Seven an, so als ob er sich bei ihr für das Verscheuchen entschuldigen wollte.

 

            „Lass uns einfach weitergehen“, bat sie ihn, sie verspürte den Wunsch, wieder in die vertrauten Wände des Schiffes zurückzukehren.

 

            Chakotays Ansinnen etwas Abenteuerliches zu entdecken, wo wahrscheinlich lediglich eine Urangst vor der Dunkelheit und dem Unbekannten dahinter steckte, erschien ihr als Zeitverschwendung. Zumindest begründete sie ihren plötzlichen Drang zum Aufbruch vor sich auf diese Weise. Chakotay erhob sich mit dem ihm eigenen enigmatischen Lächeln, das ihr wortlos deutlich machte, dass er ihre wahren Beweggründe durchschaute.

 

            Sie schenkte ihm lediglich ein Heben ihres Okularimplantats und strebte dann den Weg weiter. Mittlerweile hatte sich der Mond weit über die Horizontlinie erhoben und die Nacht war vollends eingebrochen. Mithilfe einer Stablampe verhinderte sie ein unliebsames Stolpern über Wurzelstränge oder ausgewaschene Gesteinsbrocken. Immer wieder kreuzte einheimische Fauna ihren Weg. Ein schnelles Huschen hier, ein leiser Flügelschlag dort. Manches Tier verharrte für einen Moment, um die beiden unbekannten Wesen zu mustern, doch diese Bestimmtheit, die Seven so irritiert hatte, begegnete ihnen nur noch ein einziges Mal.

 

            Als der Tricorder ein leises Signal von sich gab, verspürte die Frau fast schon Dankbarkeit für die Unterbrechung. Sie hielt inne, wandte sich halb um, und zeigte Chakotay die Anzeige.

 

            „Da ist jemand“, fasste der Erste Offizier die Werte in Worte. „Ich dachte die Generhaner wagen sich nicht aus den Stadtgrenzen bei Nacht.“ Er veränderte Parameter an seinem eigenen Gerät, um eine Standortbestimmung durchzuführen. „Wir sind mehrere Kilometer von der Siedlung entfernt.“

 

            Seven schüttelte den Kopf, jedoch nicht um Chakotays Ortsbestimmung anzuzweifeln. „Das ist kein Generhaner. Die Stoffwechsel- und Gehirnstrom-Werte, die ich erhalte, sind zu verschieden. Vor allem sind sie jedoch stark gedämpft, nahezu an der Basislinie.“

 

            „Schläft hier jemand mitten im Wald?“ Chakotay hob die Augenbrauen.

 

            „Oder dieser jemand ist schwer verletzt und das System hat daher die Werte zurückgefahren“, fügte Seven neutral hinzu.

 

            „Dann müssen wir nachsehen, ob unsere Hilfe gebraucht wird.“ Chakotay richtete seinen Tricorder nun ebenfalls auf den Wald aus, um Sevens Ortung zu übernehmen.

 

            „Hältst du das für ratsam?“ Sie runzelte die Stirn. „Es ist kein Generhaner und wir sollten gar nicht hier sein.“

 

            Chakotay bedachte sie mit einem Blick, der keinen Widerspruch zuließ. „Wenn jemand unsere Hilfe braucht, dann werden wir sie der Person anbieten.“

 

            „Weil es menschlich ist?“, mutmaßte Seven mit einem kaum hörbaren Seufzen, das ihr nun schon besser gelang.

 

            „Weil es menschlich ist!“ Der Erste Offizier übernahm die Führung und bahnte ihnen den Weg durch das teils unwegsame Dickicht, immer der Tricorderanzeige folgend.

 

            „Die Sensorauswertung der Voyager hat außer den Generhanern keine intelligente Lebensform auf dem Planeten geortet“, bemerkte Seven, als sie Chakotay dichtauf folgte, so dass die von ihm zur Seite gebogenen Äste erst hinter ihr wieder zusammenschlugen.

 

            „Das irritiert mich auch“, gestand er ein. Dann stoppte er ohne Vorwarnung. Dieses Mal war es an Seven an seinen Rücken zu stoßen. Sie griff automatisch nach seinem Arm, um sich zu stützen und auch, um an ihm vorbei auf das Szenario zu blicken, das Chakotays Stablampe erhellte. Das Gebüsch öffnete sich in einen kleinen Bereich, in welchem die Bäume locker versetzt standen und der Untergrund von niedrigem, moosartigem Bewuchs bedeckt war. Auf einem langen flachen Stein lag wie auf einem Nachtlager eine Gestalt. Auch ohne Tricorder war deutlich, dass sie keinen Generhaner vor sich hatten. Das Wesen war nahezu farblos mit transparent scheinender Haut an den dünnen Gliedmaßen. Das ebenfalls farblos transparente Material, welches den Körper umfloss, konnte gleichermaßen Kleidung als auch ein Teil der Haut selbst sein, es war nicht auszumachen.

 

            Seven nahm erneut eine Sondierung mit dem Tricorder vor.

 

            „Wie ist das möglich?“, stellte sie die Frage mehr sich selbst. „Das sind klar von den Generhanern differenzierte Biozeichen. Die Voyager hätte dies bei ihrem Orbitalscan erfassen müssen.“

 

            Chakotay betrachtete den reglosen Körper. Er hatte seinen eigenen Tricorder weggesteckt und nutzte lediglich seine menschlichen Sinne. „Vielleicht ist diese Person die einzige ihrer Art, dann wären ihre Daten leicht untergegangen.“

 

            „Vielleicht“, gestand Seven nicht völlig überzeugt ein. Nachdem ihr die Tricorderanzeige nichts Neues mitteilte, hob sie den Kopf. „Und jetzt?“

 

            Chakotay schulterte seine Tasche und bewegte sich langsam auf das steinerne Ruhekissen zu. „Jetzt versichern wir uns, ob unsere Hilfe vonnöten ist.“

 

            „Und wie willst du das ohne Kenntnisse der Physiologie dieses Wesens herausfinden?“ Die Missbilligung menschlicher Unüberlegtheit war deutlich aus Sevens Worten herauszuhören. „Der Tricorder kann Atmung feststellen, wenn auch auf sehr niedrigem Level, das kann alles bedeuten – vor allem, dass es einfach schläft. Ansonsten kann ich mit den Werten nichts anfangen, da mir die Referenz zu einem durchschnittlich gesunden Individuum dieser Spezies fehlt.“ Sie steckte nun ebenfalls ihren Tricorder fort und ließ ein für sie untypisches Seufzen vernehmen. „Chakotay, lass uns auf die Voyager zurückbeamen. Der einzige Grund, warum wir noch hier sind, ist deine Neugierde.“

 

            Der Commander hatte sich neben dem Stein auf ein Knie niedergelassen. Er warf ihr über die Schulter einen Blick zu, den man nur noch entwaffnend nennen konnte. „Ich halte das für einen sehr guten Grund.“ Als sich ihre Miene nicht erweichen ließ, fügte er hinzu. „Seven, du kannst dich jederzeit zurückbeamen lassen, wenn du möchtest. Du musst nicht mit mir durch den Wald streifen.“

 

            Dieses Mal war ihr Seufzen lauter. „Ein Außenteam hat zu Sicherheitszwecken aus mindestens zwei Personen zu bestehen“, zitierte sie die Vorschriften. „Jemand muss auf dich aufpassen ...“

 

            Bevor Chakotay etwas darauf entgegnen konnte, hob sie alarmiert den Kopf und lenkte seine Aufmerksamkeit dadurch auf den Rand der kleinen Lichtung. Das Licht der beiden Stablampen erhellte diesen Bereich nur marginal, doch es reichte aus, um auf den Netzhäuten der nachtsehenden Tiere zu reflektieren. Die Augenpaare schienen überall zu sein. Sie konnten sie unter den Blättern aufblitzen sehen und im Geäst der höheren Sträucher, abwartend, beobachtend, ohne Angst.

 

            „Das ist kein normales tierisches Verhalten“, flüsterte Seven.

 

            „Nein, das ist es nicht“, bestätigte Chakotay. Er verharrte in seiner gekauerten Stellung und schob lediglich den Arm in Richtung des bewegungslosen Körpers.

 

            Die Augenpaare kamen näher.

 

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