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Papier

von werewolf

Kapitel 1

Mirja Dokar betrat den Vorraum der Kommunikationsabteilung in der Kaserne.
Der Wind pfiff eisig und schien sie davon abhalten zu wollen, hierher zu gehen.
Eilig schloss sie die Tür.
Sie dachte an Kiar. Sie wusste nicht, wo er war, keiner wusste das, und ob er überhaupt noch lebte.
Offiziell vermisst seit nun drei Jahren, einem Monat und zweiundzwanzig Tagen.
Aber sie glaubte nicht, dass er tot war. Solange sie es nicht sicher wusste, ging sie davon aus, dass er noch irgendwo auf Bajor war. In der Kälte und dem Schnee und Regen ausgesetzt. Wenn er irgendwo gefangen war, würde man sich sicher keine Mühe geben, ihn vor der so feindlichen Witterung zu schützen.
Auf Cardassia gab es dieses Jahr einen besonders strengen Winter, aber der auf Bajor sollte noch um Einiges heftiger sein.

Der Niederrangige, der für diesen Bereich zuständig war, kannte sie inzwischen bereits.
„Sie geben wohl nicht auf, oder?“
„Nein. Solange es noch eine minimale Chance gibt, dass er die Briefe erhält, schicke ich ihm auch welche.“
Der Cardassianer nahm die Schriftstücke entgegen und lächelte ehrlich. „Ich glaube, eine Frau wie Sie hätte jeder gerne.“
Das mochte sein, sie wusste es nicht. Aber eines war ihr klar. Sie wollte nur einen zurück.

Wieder zuhause angekommen, kümmerte sie sich um die Kinder, machte den Haushalt und versorgte den Reithund. Die Tatsache, dass ihre letzte Doppelschicht sie ziemlich geschafft hatte, kam ihr ganz gelegen. Das hielt sie immerhin vom zu vielen Nachdenken ab.

Meistens schaffte sie es, den Schmerz zu verdrängen. Ihren Alltag zu bewältigen, eine halbwegs gute Mutter zu sein und so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre.
Aber auch nicht immer.
Wenn sie die Briefe abgab, schaffte sie es manchmal nicht. Wenn sich die Kolleginnen über nichtige Konflikte mit ihren Partnern unterhielten und es ihr sehnlichster Wunsch wurde, wieder mit Kiar zu streiten, weil er dann überhaupt wieder da wäre. Wenn sie sich bei dem Wunsch ertappte, ihm etwas erzählen zu wollen, das sie erlebt oder wovon sie gehört hatte.
Wenn Kidas ihm einfach so ähnlich sah.

Und manchmal lag sie nachts wach und überlegte, was mit ihm passiert war.
War er dem bajoranischen Winter zum Opfer gefallen? Dieser unheilvolle Brief, der sie in ein Nichts hatte stürzen lassen, war in der kalten Jahreszeit angekommen. War er erfroren und irgendwer, der auch nicht mehr erzählen konnte, hatte ihn begraben? Hatten ihn die wilden Tiere gefressen oder war er von der Strömung eines Flusses davongetragen worden?
Wahrscheinlicher war es, dass ihn ein Feind getötet hatte. War es wenigstens schnell gegangen oder hatte er sich quälen müssen?
Sie hatte einmal Berichte gehört über Sklavenhändler, die für Cardassianer viel Geld verlangen konnten. War er gefangengenommen und dorthin verkauft worden? Vielleicht die schlimmste Option.
War er in einem Gefangenenlager? Wo man ihn hungern und frieren ließ, ihn zu viel zu harter Arbeit zwang und darauf wartete, dass er irgendwann zugrunde ging, um seine Leiche dann in einem Massengrab zu verscharren?
Die Möglichkeit, die ihr am liebsten war, bestand darin, dass er auf Bajor eine andere Frau kennen gelernt und sich für diese entschieden hatte. Manchmal schien das vorzukommen, wenn man gewissen Berichten Vertrauen schenkte.
Es würde sie verletzen, dass er sie verlassen hatte, natürlich, und auch der Umstand, dass er sich auf diese Art und Weise aus ihrem gemeinsamen Leben gestohlen hatte, aber immerhin würde es bedeuten, dass er noch lebte.

Und dann hatte sie wieder diesen Traum, von dem sie einfach nicht wusste, was er ihr sagen sollte.
Sie stand auf einem bajoranischen Friedhof und ging zwischen den Gräbern umher, auf denen nur Namen standen, die sie nicht lesen konnte.
Dann traf sie auf einen Geistlichen, der einem cardassianischen Toten den Segen gab.
Jedes Mal versuchte sie zu erkennen, wer es war, der beerdigt werden sollte, aber aus irgendwelchen Gründen schaffte sie es nicht. Die Uniform und Stiefel machten aber stets deutlich, dass es sich um einen Soldaten handelte.
Dann wechselte die Szene und sie fand sich auf einer verschneiten Ebene wieder, in der Ferne die Ruine irgendeines Gebäudes.
Einige Schritte von ihr entfernt stand Kiar an ebendiesem Grab, offenbar in Gedanken versunken, in der Kriegsrüstung und mit dem Gewehr über der Schulter.
Sie fragte ihn dann stets, ob es ein gefallener Kamerad war, dem er gedachte, und er sah sie nur mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck an, bevor er sich umwandte und ging.

Dieses Mal setzte sich der Traum aber noch fort.
‚Du solltest nicht hier sein. ‘ Diese Worte richtete er an sie.
Sie sah sich um und stellte fest, dass sie in einer Art Gefangenenlager waren. Verfallende Hütten, Zäune und Bewacher, die die erschöpften Insassen immer weiter antrieben, zu einem Marsch ins Nirgendwo.
‚Wir sollten beide nicht hier sein.‘
‚Das müssen wir auch nicht. Nicht jetzt.‘
Im nächsten Moment fand sie sich in der Eingangshalle des Theaters wieder, das sie oft gemeinsam besucht hatten.
Er forderte sie zum Tanzen auf und sie nahm an.
‚Wo bist du wirklich?‘
Er antwortete nicht. Als sie die Frage noch einmal stellen wollte, sagte er doch etwas. ‚Im Winter kann man niemanden begraben.‘

Und dann endete der Traum.

Verwirrt setzte sie sich auf.
Sie fragte sich noch immer, was der bajoranische Vedek an dieser Stelle zu bedeuten hatte und weshalb Kiar fortging, ohne mit ihr zu sprechen und was er ihr eigentlich sagen wollte.
Die Szene im Gefangenenlager machte Sinn, schließlich befürchtete sie, dass er dort war, und der Schwenk in das Theater war zwar an der Stelle merkwürdig, aber dahingehend nachvollziehbar, dass sie so häufig gemeinsam dort gewesen waren.
Das Tanzen konnte in seiner Bedeutung die Leichtigkeit des Lebens genauso verkörpern wie ihre Beziehung, aber der Schlusssatz schien recht eindeutig zu sein.
Er war noch am Leben.

Wenn sie nur wüsste, ob das ihr Wunschdenken war oder ob ihr dieser Traum wirklich etwas sagen sollte.


Am nächsten Tag saß sie am Küchentisch, während Roja Hausaufgaben machte.
Ihre Gedanken schweiften ab zu dem Brief, der Kiars Vermisstenstatus bekanntgegeben hatte.
Ein Stück Papier war es gewesen, das ihre bisherigen Hoffnungen fast zunichte gemacht hatte.
Das sie den Rest des Tages in einer Art Schockstarre hatte durchleben lassen.
Das mit wenigen Zeilen eine schreckliche Wahrheit bekannt gegeben hatte und der Schmerz, den es vermittelt hatte, hatte sie für den Moment fast um den Verstand gebracht.





Einige Wochen später




Kiar hatte sich trotz der Kälte auf den Boden gesetzt und an die Rückwand einer baufälligen Unterkunft gelehnt.
Die Pausen, die die Bewacher ihnen gönnten, waren kurz und mussten zur Erholung genutzt werden.
Es war inzwischen der dritte Winter in dem Gefangenenlager. Er hatte sich in sein Schicksal ergeben, war sogar irgendwie froh darüber, denn so musste er nicht mehr in den Krieg ziehen.
Trotz einiger weniger Gelegenheiten hatte er noch nie einen Fluchtversuch unternommen. Ein hohes Risiko, die Strafen waren hart, und der Erfolg selten. Selbst wenn er es schaffen würde…wohin sollte er gehen?
Natürlich war es hier nicht einfach, aber er hatte es bis jetzt geschafft, durchzukommen.
Die Arbeit war zwar hart, aber wenn sie dann abends zurück in die Quartiere geschickt wurden, schlief er oft sofort ein und musste so nicht allzu häufig an sie denken.
Er hoffte, dass es ihr und den Kindern gut ging. Auch wenn ihn der Gedanke schmerzte, fragte er sich, ob sie inzwischen jemanden kennen gelernt hatte. Sicher würde sie nicht lange suchen müssen, wenn sie beschloss, sich neu zu binden. Eine Frau wie sie fand vermutlich schnell jemanden.
Natürlich würde es ihm nicht leichtfallen, wenn er zurückkehren sollte und sie einen anderen Partner gefunden hatte.
Da aber die Wahrscheinlichkeit, dass er Cardassia nicht mehr wiedersah, nicht gerade gering war, wäre es vielleicht besser so. Er wünschte es ihr nicht, für den Rest ihres Lebens allein zu bleiben, und er hatte sie ja auch schon fast dazu aufgefordert, sich anderweitig umzusehen, wenn er nicht zurückkommen würde.
Wenn er ihr nur mitteilen könnte, dass er noch lebte. Dann müsste sie nicht um ihn trauern.

Einer der Wachposten, den er auf Mitte Fünfzig schätzte, ging relativ dicht an ihm vorüber und ließ einen Zettel fallen. „Eigentlich sollte ich das nicht tun“, meinte der Bajoraner in der hier üblichen Mischung aus bajoranisch und Kardasi, bevor dieser um die nächste Ecke verschwand.
Er hob das Stück Papier eilig auf, bevor es im Dreck durchweichte und auch, bevor eine andere Person mitbekam, dass er etwas Interessantes bekommen hatte, das ihn erpressbar machte. Das war weder bei den Bajoranern noch bei den anderen Gefangenen vorteilhaft.
Kiar ließ das Blatt in seinem rechten Stiefel verschwinden. Eine gute Möglichkeit, etwas zu verstecken, wie er inzwischen festgestellt hatte. Näher ansehen würde er es dann, wenn die anderen schliefen. Es versprach eine klare Winternacht zu werden und der Mond spendete dann genug Licht.

Nachts öffnete er leise die Tür der Unterkunft und trat nach draußen. Natürlich war diese eigentlich verschlossen, aber er wusste, wie man die veraltete Verriegelung umgehen konnte, und hatte das schon manchmal genutzt, wenn er das Bedürfnis verspürt hatte, einfach für eine kurze Zeit alleine zu sein. Diese kurzen Momente der Privatsphäre halfen ihm, zumindest einen Teil seiner Würde zu behalten.
Er fror noch mehr als im Inneren der Hütte, deren undichte Wände zumindest etwas von dem eisigen Wind abhielten. Aber er musste einfach erfahren, was auf diesem seltsamen Zettel stand.

Ein Brief. Von ihr. Ihre Handschrift erkannte er sofort, auch wenn er sie seit Jahren nicht gesehen hatte.

Kiar,

so lange habe ich schon nichts mehr von dir gehört. Sie sagen, du bist vermisst, aber ich hoffe dennoch, dass du einen meiner Briefe bekommst, irgendwie.
Mach dir um uns keine Sorgen. Hier ist alles in Ordnung, abgesehen davon, dass du nicht da bist. Ich vermisse dich, jeden Tag mehr. Und ich warte noch auf deine Rückkehr. Einen anderen Mann ziehe ich nicht in Betracht.
Ich mache mir Gedanken darum, wo du bist. Es ist Winter, auch auf Bajor, und dort soll er schlimm sein, wie ich immer wieder höre. Ich hoffe, dass du zumindest einigermaßen geschützt bist vor der Kälte und vor dem Sturm, dass du nicht hungern musst und nicht krank bist.
Denk daran, ich bin immer bei dir, egal, wo du bist und wie es dir geht. Du bist nie alleine.

Mirja



Dieser Brief gab ihm Hoffnung. Wieder etwas von ihr zu hören, war mehr, als er sich erhofft hätte und er war erleichtert, dass es ihr und den Kindern offenbar gut ging.
Und er fühlte sich weniger allein. Fühlte den kalten Wind nicht mehr so stark und auch die Kopfschmerzen, die er von einem Schlag mit dem Gewehrkolben zurückbehalten hatte, schienen nicht mehr so schlimm zu sein.
Fast erschien es ihm, als ob dieses Stück Papier so etwas war wie ein Feuer in einer endlosen kalten Winternacht.

Danke fürs Lesen. Freue mich wie immer über Kommentare. :)
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