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Staub

von werewolf

Kapitel 1

Kiar freute sich über die ersten wirklich warmen Sonnenstrahlen.
Zum Ende des Winters hin war er erneut krank geworden, wie so viele hier. Er vermutete, dass es wieder eine Lungenentzündung war, aber genau wusste auch keiner, welche Epidemien hier manchmal umgingen.
Jetzt, wo der schneidende Wind etwas von seiner Kälte verlor und die Schneefälle aufhörten, begann der Husten zu verschwinden, ebenso wie die Schmerzen beim Atmen.
Am meisten aber freute es ihn, dass er wieder schlafen konnte, ohne durch Erstickungsanfälle hochzuschrecken.
Ein weiterer Vorteil lag darin, dass die Wachposten in einer besseren Stimmung waren, wenn sie nicht die ganze Zeit lang im Schneeregen stehen mussten, sodass sie die Gefangenen weniger schikanierten und ihnen manchmal sogar mehr Pausen einräumten oder eine zusätzliche Nahrungsration.

An einem späten Nachmittag saß er auf dem Boden und ließ sich von der Sonne wärmen.
Die Wächter hatten sich sogar in ihren Bereich des Lagers zurückgezogen und nur manchmal sah einer von ihnen nach, ob sich etwas ereignet hatte.
Generell hatte er bemerkt, dass sich seit dem letzten Tausch des Personals Einiges verändert hatte.
Der Umgang mit den Gefangenen war weniger hart, es gab sogar manchmal ein paar freie Stunden oder gar einen Tag ohne Arbeit. Vielleicht war einer der Gründe, dass man jetzt an der Verhandlung mit Cardassia interessiert war und dementsprechend die ehemaligen Soldaten als Tauschmittel nutzen wollte gegen irgendetwas. Dazu mussten sie natürlich noch leben und auch in einem einigermaßen akzeptablen Zustand sein, was die Gesundheit anbelangte.
Oder aber diejenigen, die jetzt hier beschäftigt waren, waren nicht am Kampfgeschehen beteiligt gewesen und hegten dementsprechend weniger Hassgefühle gegen die Cardassianer.

Er war unbeabsichtigt in eine Art Halbschlaf gefallen und schreckte auf, als sich Schritte näherten.
Eine Bajoranerin mit Kind, vermutlich zusammengehörend.
Zu den Wachposten gehörten zwar neuerdings auch einige wenige Frauen, aber sie hatte er hier noch nie gesehen und überhaupt sah sie nicht danach aus, dass sie hier arbeitete.
Das Kind, ein Junge von vielleicht sechs Jahren, wenn die bajoranischen Kinder sich mit den cardassianischen vergleichen ließen, sah ihr zweifellos ähnlich.
Er vermutete, dass es sich bei den beiden Personen um die Familie eines Wachpostens handelte.

Eine nicht sehr günstige Situation. Wenn der dazugehörende Bajoraner ihn in der Nähe von dessen Familie sah, würde er schon Schwierigkeiten bekommen, schließlich traute man Cardassianern aus naheliegenden Gründen hier nicht.
Das Ganze wäre noch schlimmer, wenn der Junge oder insbesondere die Frau irgendetwas über ihn behauptete. Dass er sie bedroht oder angegriffen hatte. Hier würde man ihm nicht den Prozess machen. Er würde vermutlich unverzüglich erschossen und irgendwo begraben werden, ohne dass er die Möglichkeit hatte, etwas zu seiner Verteidigung zu sagen.
Und als Bedrohung konnte man eigentlich alles auslegen oder gar etwas erfinden.
Wenn er wegging, könnte es aussehen wie ein Fluchtversuch oder als wenn er sie in Sicherheit wiegen wollte, um dann irgendetwas zu tun.

Er entschied sich dafür, sitzen zu bleiben. Die Hände auf den Knien, damit es nicht den Anschein hatte, dass er etwas verbergen wollte. Den Blick senkte er halb, da man auch direktes Ansehen schon als Bedrohung deuten könnte.
Das Kind zögerte kurz, dann trat es auf ihn zu. Neugierig, wie so viele Kinder in diesem Alter. Ob Roja und Kidas auch so waren? Schon wieder dieser Gedanke.
Wieder wartete der Junge kurz, dann ging er noch einige Schritte, bis dieser vor ihm stand.
Vorsicht hin oder her, er hatte Kinder eigentlich schon immer gemocht und inzwischen seit über drei Jahren keines mehr gesehen. Und es konnte ohnehin alles verkehrt sein, was er tat.
Kiar streckte die Hand aus und lächelte so ehrlich, wie es ihm möglich war. „Hallo.“
Das Kind zögerte erneut, ergriff dann aber seine Hand und erwiderte den Gruß etwas zurückhaltend.
„Wie heißt du?“
„Rohan“, kam es eher leise zurück.
„Das ist aber ein schöner Name. Wie alt bist du denn?“
„Morgen werde ich sieben.“ Also hatte er richtig geschätzt.
Er warf kurz einen Blick zu der anzunehmenden Mutter. Sie wirkte deutlich besorgt, aber nicht so, als wenn sie sofort eingreifen wollte.
„Was machst du hier?“ Die Frage des Jungen beanspruchte seine Aufmerksamkeit wieder.
„Ich ruhe mich aus. Heute muss ich nicht arbeiten. Und du? Was machst du hier?“
„Meinen Papa besuchen.“ Das kam jetzt wirklich unerwartet. Wie konnte man nur sein Kind hierher mitnehmen?
„Da freut er sich bestimmt.“
„Hast du auch Kinder?“ Dieses Thema.
„Ja, zwei. Sie sind ungefähr so alt wie du.“
„Und wo sind sie?“ Das Kind sah sich um.
„Sie sind nicht hier, sondern müssen gerade zur Schule gehen. Hast du denn keinen Unterricht?“
Rohan schüttelte den Kopf. „Heute nicht.“
„Na, das hast du aber Glück. Da kannst du bei dem schönen Wetter ja draußen spielen.“
„Du bist nicht von hier, oder?“ Ein fliegender Themenwechsel, aber das hatte er schon bei einigen Kindern erlebt.
„Nein, ich komme von weit weg.“
„Woher denn? Aus einem anderen Land?“
„Sogar von einem anderen Planeten. Da ist es wärmer als hier, vor allem im Sommer, und der Frühling fängt auch schon viel eher an.“
„Sind deine Kinder da?“
„Ja.“
„Warum bist du dann hier?“ Das waren ja Fragen.
„Weil ich hier arbeiten muss. So ähnlich wie dein Papa. Der ist ja auch nicht immer zuhause.“ Die moderateste Antwort, die ihm so schnell eingefallen war. Kinder mussten noch nicht die ganze Wahrheit kennen.
„Und wann siehst du sie wieder?“
„Hoffentlich ganz bald. Ich vermisse sie sehr.“
„Rohan“, schaltete sich die Mutter ein, „geh doch schon mal vor. Du weißt ja, schön außen um das Haus herum und immer auf der richtigen Seite vom Zaun bleiben. Papa wartet bestimmt schon auf dich.“
„Tschüss“, verabschiedete sich der Junge eilig von ihm und verschwand dann zügig um die Gebäudeecke.
Die Frau wandte sich an ihn. „Ich…es tut mir leid, dass er Sie so viel gefragt hat.“
„Er hat mich nicht gestört.“ Auch wenn er wusste, dass das nicht klug war, konnte er eine Frage nicht unterlassen. „Warum nehmen Sie ihn hierher mit? Das ist kein guter Ort für ein Kind.“
„Sie haben Recht“, die Bajoranerin und wurde sichtlich nevös. „Ich lebe von seinem Vater getrennt und kann ihn um diese Zeit nicht immer beaufsichtigen. Und mein Exmann hat dann meistens Dienst, sodass ich ihn hierher bringen muss.“ Kurze Pause. „Ich danke Ihnen, dass Sie ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt haben. Wissen Sie, ich finde es nicht richtig, dass man Sie so schlecht behandelt. Und der Beruf von Rohans Vater war auch einer der Gründe für meine Trennung von ihm. Er hat Gefangene zwar nie selbst misshandelt, aber er hat es geduldet, dass das passiert, und tut es noch. So etwas darf man nicht einfach zulassen, finde ich.“
In diesem Moment wurde ihm erst richtig bewusst, was er für einen Eindruck machen musste.
Er saß auf dem matschigen Boden, die Kleidung abgetragen, dreckig und viel zu dünn für diese Temperaturen.
Damit die Seuchen etwas eingedämmt wurden, erlaubte man ihnen zwei bis vier Duschen im Monat. Je nach Stimmung der Wärter.
Ungeziefer war hier keine Seltenheit, im Moment hatte er keins, aber man konnte an seinen Armen noch Stiche von irgendwelchen kleinen Tieren sehen.
Die schlechte Versorgung mit Nahrungsmitteln und die häufigen Krankheiten hatten ihn abmagern lassen, seine Gesichtszüge waren eingefallen, die Haare glanzlos.
Von Arbeitsunfällen und gelegentlichen Drangsalierungen durch die Wachposten hatte er einige Narben davongetragen, eine davon unter dem Auge, und auch mehrere schlecht verheilende Verletzungen.
Die Haut an seinen Handgelenken war an zahlreichen Stellen aufgerissen oder abgescheuert, von den Gelegenheiten, wo man es für nötig hielt, die Gefangenen zu fesseln. In letzter Zeit hatte man das bei ihm nicht mehr gemacht, aber durch ständige Infektionen und die Beanspruchung der Hände und Arme ließ die Abheilung auf sich warten.
Obwohl er sagen musste, dass es ihn noch nicht allzu schlecht getroffen hatte. Man ließ sie hier nicht verhungern und auch nicht erfrieren, ein Mindestmaß an Hygiene war gegeben und Misshandlungen waren nicht so häufig. Und er lebte noch. Was er vielleicht nicht täte, wenn er weiterhin an der Front gewesen wäre.
„Weiß Rohan, was hier passiert?“ Eigentlich sollte er sich da nicht einmischen, aber er wollte zumindest versuchen zu verstehen, warum man einem Kind so etwas zumutete.
„Nein, nicht wirklich, zumindest noch nicht. Irgendwann wird er Fragen stellen, die man nicht mehr anders beantworten kann, und die Wahrheit herausfinden. Noch erzählen wir ihm, dass das hier ein Platz ist, wo verschiedene Leute arbeiten und die Einen aufpassen, dass die anderen keine Fehler machen.“
„Ihm muss doch auffallen, dass es den Einen dabei besser geht als den anderen.“ Er nutzte bewusst ihre Wortwahl.
„Ja, aber wir haben es ihm so erklärt, dass die Cardassianer ärmere Leute sind und sich deswegen nicht so gute Kleidung und so weiter leisten können.“
„Er glaubt das?“
„Ja. Jetzt zumindest noch.“
„Und die unschönen Szenen hier?“
„Die hat er noch nicht gesehen.“
„Ein Glück. Das sollte er auch noch nicht in seinem Alter.“
„Ich weiß, dass das auch nicht allzu lange gut gehen kann. Aber uns fällt nichts Besseres ein, wo wir ihn unterbringen können. Deswegen war ich auch froh, dass Sie ihm nicht die Wahrheit gesagt haben.“
„Lassen Sie ihn öfter mit Gefangenen sprechen?“
„Nein, sie sind der Erste, mit dem er geredet hat. Sonst sehe ich schon immer zu, es zu verhindern, und sein Vater sagt ihm immer, dass sie seine Sprache ohnehin nicht verstehen.“
Er konnte und wollte es dennoch nicht gutheißen, dass der Junge hier einen vermutlich größeren Teil von dessen Kindheit verbrachte. Wenn jemand den Wachposten erpressen wollte, hatte der durch das Kind die beste Möglichkeit dazu. Und überhaupt würde es nur eine Frage der Zeit sein, bis Rohan die Wahrheit herausfand.
Die Frau nahm einen Beutel mit Obst aus der Tasche. „Betrachten Sie das als Dank für Ihre Unterstützung. Vermutlich können Sie das ganz gut gebrauchen.“
Früher wäre er vielleicht zu stolz gewesen, um solche Spenden anzunehmen, aber das konnte er sich jetzt nicht mehr erlauben. Ebenso wenig wie seine Hilfsbereitschaft, manchmal.
Er bedankte sich und die Bajoranerin ging wieder.
Die Rationen enthielten selten etwas Frisches, sicherlich einer der Gründe für das nicht seltene Auftreten von Krankheiten, sodass das Geschenk für ihn einen hohen Wert hatte.

Mirja,

das ist wieder einer der Briefe, den ich nur in den Staub hinter der Unterkunft schreibe und der dich niemals erreichen wird. Wenn ich dir nur mitteilen könnte, dass ich noch lebe.
Es ist Frühling geworden und es geht mir wieder deutlich besser. Eine Lungenkrankheit, wer weiß welche, ging hier um, mich hat es auch erwischt. Aber die wärmere Witterung und das Obst, das mir eine Bajoranerin überlassen hat, haben dazu beigetragen, dass ich mich fast komplett davon erholt habe.
Für den Fall, dass du noch niemanden anderen kennen gelernt hast: die Bajoranerin ist kein Grund, eifersüchtig zu werden. Sie ist kürzlich mit ihrem Kind vorbei gekommen, weil dessen Vater hier arbeitet und darauf aufpassen sollte. Ein Kind im Gefangenenlager betreuen lassen, kannst du dir das vorstellen? Verrückt, finde ich. Leichtsinnig und keine geeignete Umgebung für einen Sechsjährigen.
Generell musst du dir keine Sorgen machen, dass ich mich hier anderweitig umsehe.
Inzwischen gibt es hier auch Frauen als Wachposten, warum auch immer, und tatsächlich haben sich unter den Gefangenen einige gefunden, die sich mit denen eingelassen haben. Vielleicht, weil sie sich einen Vorteil davon versprechen, ich weiß es nicht.
Auf jeden Fall kann ich sagen, dass ich das nicht machen werde. Für mich bist du die Einzige. Sterben kann man hier sowieso, und wenn, dann möchte ich das wenigstens als guter Ehemann. Dann habe zumindest ich noch Achtung vor mir, wenn das schon kein anderer hat.
Ich habe meinen dritten Winter im Gefangenenlager hinter mir, wer weiß, wie lange ich noch hierbleiben muss. Davor war ich im Einsatz, also werden wir uns jahrelang nicht gesehen haben, wenn ich jemals wieder zurückkommen sollte. Bei mir ist viel passiert in dieser Zeit, und es hat mich verändert. Sicher hast du auch Einiges erlebt, und ich weiß nicht, ob wir einander noch erkennen, wenn wir uns wiedersehen. Ich hoffe es sehr, dass es noch eine gemeinsame Zukunft für uns gibt, aber ich weiß es nicht. Leider.
Vielleicht wäre es noch nicht einmal schlecht, wenn ich nicht zurückkomme. Dann kannst du mich so in Erinnerung behalten, wie ich gewesen bin, bevor das alles passiert ist.
Ich hoffe, dir und den Kindern geht es gut.
Im Frühjahr sollen die Dinge ja eigentlich in einem positiven Licht erscheinen, aber ich kann nur um Entschuldigung bitten, dass es bei mir nicht so ist. Um nicht zu sagen, ich sehe die Dinge schlechter als je zuvor.
Im Licht der Sonne fällt der Schatten, den man wirft, mehr auf, wenn du verstehst, was ich meine. Je heller und länger die Tage werden, desto mehr sehe ich, dass ich die Wochen und Monate in der Dunkelheit verbringe.
Die Natur erwacht zu neuem Leben, aber ich befürchte immer mehr, dass dieser Zaun oder der Innenraum der baufälligen Hütte, in der sie uns zum Schlafen einschließen, das Letzte ist, was ich sehen werde.
Wie lange wird es dauern bis zur nächsten Epidemie, bis zum nächsten Unfall? Sie wollen uns hier nicht absichtlich töten, aber sie nehmen es in Kauf und helfen uns nicht, wenn sie es müssten.
Aber vielleicht ist es nicht eine Krankheit, die mich umbringt, der Hunger oder wenn ein Wärter doch mal zu fest zugeschlagen hat. Vielleicht liegt es dann daran, dass ich aufgegeben habe.
Wenn es so ist, hoffe ich, dass du mir verzeihen kannst. Ich wollte dich nie im Stich lassen und die Kinder auch nicht. Der Gedanke zerreißt mich.
Kiar

Fortsetzung ist in Arbeit.

Danke fürs Lesen, freue mich über Kommentare :)
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