TrekNation

Das ultimative Archiv deutscher Star Trek Fanfiction!

Bis an der Erde steinern Herz, Band 3

von MaLi

Silberstreif

„Ayel, mach das bitte nie wieder!“, schimpfte Komra eher väterlich als verärgert und legte ihm alle verfügbaren Decken der Zelle um die Schultern. „Bei den Elementen: Zieh eine rote Krawatte an und du gehst glatt als Thermometer durch …“
„Jetzt übertreib’s nicht“, behauptete der Angesprochene, obwohl er ganz genau wusste, dass das noch eine dezente Umschreibung seines Körpers gewesen war. Noch immer Haut und Knochen, war er wirklich auf die Masse seines Skelettes beschränkt. 
„Ayel …“
„Ja, ich weiss.“
Der Huther nickte gehorsam, streifte die Stiefel ab und zog die Füsse in den Deckenhügel. Ein kleiner, brauner Schneemann mit kahlem Kopf.

„Also“, begann Komra dann ganz Counselor, „was macht dir so zu schaffen?“
„Dass du nicht mehr mit Livis redest“, gab der gleich ohne Umschweife zu. Komra schien nicht überrascht.
„Das … Ich wusste, dass das irgendwann kommt.“
„Ja?“, hakte er nach, als von seinem Gegenüber nichts mehr kam. Der seufzte tief.
„Ayel, ich … Du weisst nicht, wie das ist, einen Sohn zu haben.“
„Stimmt“, nickte der, „aber was hat das mit Livis zu tun?“
Der Counselor seufzte noch einmal und wandte den Blick von ihm ab.
„In diesen bald vier Jahren hier bist du mir ein Sohn geworden. Die Liebe eines Vaters für seine Kinder kannst du nicht mit Freundschaft vergleichen. Nicht einmal mit tiefer. Ich … Du bedeutest mir alles, Ayel! Dich leiden zu sehen setzt mir zu. Ich kann nicht verstehen, warum Livis sich so ziert.“
„Aber du kennst doch ihre Vergangenheit“, warf er vorsichtig ein. „Ich meine, sie hat ja das Gleiche erlebt wie du. Sie hat auch ein Kind verloren.“
„Genau deshalb begreife ich doch ihre Reaktion nicht! Sie weiss, wie sich das anfühlt und trotzdem lässt sie zu, dass ich Gefahr laufe, das noch einmal durchmachen zu müssen. Ich verstehe sie Ayel, ich verstehe ihren Schmerz, aber wir können uns hier keinen Egoismus leisten! Überall, aber nicht hier.“
„Ich will nicht, dass es Livis schlecht geht, verstehst du?“
„Und ich will nicht, dass es dir schlecht geht. Ich verstehe sie und ich weiss, warum sie so reagiert, aber das geht nicht. Wenn Aurel nicht stark genug ist, um dich zu tragen, MUSS sie helfen. Ich werde nicht noch ein Kind verlieren!“

Ayel nickte nur und blickte auf seine Knie, die sich als scharfe Winkel unter den Decken abzeichneten. So dünn war er noch nie gewesen. Darum ging es also. Es ehrte und bedrückte ihn zugleich, den allerersten Platz in Komras Herzen bekommen zu haben. Den Platz des Sohnes. In dem Moment wurde Ayel klar, dass der Counselor niemals von seiner Meinung abrücken würde. Entweder solle sich Livis ihm ganz zuwenden, oder sich dann konsequent von ihm fern halten. Letzteres machte ihm solche Angst, dass er einen schmerzhaften Stich im Herzen spürte.

„Es geht mir ja nicht schlecht, wenn sie da ist, sondern wenn sie NICHT da ist“, warf er vorsichtig ein.
„Und wenn sie da ist, geht es dir schlecht, weil sie deine Liebe nicht erwidert, ist es nicht so?“ Ayel zuckte den Mund und schwieg dazu. „Du musst lernen, sie loszulassen, Ayel. Dieses ganze Werben bringt dir nichts. Du kannst sie nicht überzeugen oder überreden gar. Lass sie los.“
„Es ist so schwer“, hauchte Ayel kaum hörbar. Seine Kehle brannte. Livis loslassen? Sie aufgeben? Die Hoffnung aufgeben? „Es ist so schwer, Komra!“ 
„Ich weiss“, gestand der ihm zu und zog ihn an sich.

Ayel genoss die Wärme der Umarmung, denn das Gefühl der Verlustangst, das ihn gerade überfuhr, hinterliess einen unangenehm kalten Film auf seiner Haut. Sein Herz tat so weh, dass jeder Schlag schmerzte. Ohne Livis war er nichts, eine leere Hülle ohne Sinn und Zweck. Seit bald zehn Jahren war sie Ziel und Wunsch seines Daseins, sein Lebenstraum, seine Zukunft. Was würde aus ihm werden, wenn er sie aufgab? Woran sollte er sich als nächstes hängen? Womit die Leere füllen? Er verspürte kein Verlangen nach einem männlichen Gefährten, gab er Livis auf, hätte er vielleicht erst in Jahren, Jahrzehnten oder vielleicht sogar nie mehr die Chance auf eine Frau. Ein trostloses Leben ohne die Hoffnung auf sein grösstes Glück würde vor ihm liegen. Eine qualvolle Zukunft, in der nur die Einsamkeit auf ihn wartete. Ayel spürte, wie er ins Depressive kippte, in Selbstzweifel und Hoffnungslosigkeit. Er wollte nicht weinen. Nicht wegen Komra, sondern weil er sich dann eingestand, dass jener recht hatte, dass er bereit war, sich von Livis zu lösen. Das war er nicht. Niemals! Obwohl … Er war nie vermessen genug gewesen, sich selbst als tollen Hecht zu bezeichnen. Im Gegenteil. Je mehr man ihm bestätigte, was für ein umgänglicher Kerl er sei, umso weniger glaubte er daran. Die leise Stimme, die Komra recht gab, wurde lauter in ihm.

„Obwohl“, begann er in ihrem Klang zu versinken und löste sich aus Komras Arm, um sich zu einem Päckchen aus Trübsal zu formen, „wieso sollte Livis überhaupt etwas von mir wollen. Ich meine, ich kann nichts, ich bin nichts und … Es gibt so viel tollere Kerle, die was erreicht haben und so.“
„Du bist immerhin der Hutmann dieser Crew“, schmunzelte Komra und schenkte seinem Selbstmitleid einen tadelnden Blick. „Und du hast es geschafft, innerhalb eines einzigen Jahres in den Kern der Mannschaft zu kommen, Hauer zu werden und wurdest von Orens Familie aufgenommen. Ausserdem bist du der Haupterbe von Orens Firma, und das ist einiges mehr, als die meisten hier in ihrem Leben erreichen werden.“
„Wie meinst du das, Haupterbe? Das steht doch der Familie zu. Woher weisst du das überhaupt?“
„Ich bin seit vielen Jahren Orens Arzt und Psychologe, wie du weisst. Sein Testament ist bei mir verwahrt. Er hat das mit seiner Familie besprochen. Sollte ihm im Berg etwas zustossen, würdest du die Narada bekommen und somit seine Firma.“
„Und die haben einfach so Ja gesagt!?“

Während Ayel mehr als nur verblüfft aus der Wäsche guckte, trat ein breites Lächeln auf Komras Gesicht.

„Ja, sie haben einfach so Ja gesagt. Ayel, ich glaube, dir ist nicht klar, wie viel du den Leuten in deinem Umfeld bedeutest. Du bist ein absolut wundervoller Geselle, herzensgut, aufgestellt, treu, … Alle die dich kennenlernen haben dich sofort gern. Ist dir bewusst, dass das nur den allerwenigsten Leuten passiert? Du fällst bei uns unter den Tisch und einen Monat später hast du ein Schiff voller Freunde, eine neue Familie und eine Festanstellung auf einem der begehrtesten Minenschiffe. Bei jedem anderen würdest du es für ein Märchen halten, oder?“
Ayel nickte langsam.
„Das tu ich heute noch“, gab er etwas nachdenklich zu.
Kazlaa kam ihm in den Sinn, der seine Anstellung riskiert hatte, um ihn freizulassen. Iura und Selur, die ihn sofort angenommen hatten und unterstützten, anstatt seine Schwäche auszunutzen und ihm das nicht nur sprichwörtliche letzte Hemd zu stehlen. O’Malley, Mirka und die Caitianer. Tatsächlich schien man ihn sofort sympathisch zu finden, obwohl er seiner Meinung nach gar nichts tat, ausser sich selbst zu sein. War es das, was Komra meinte?
„Na siehst du?“, sprach der Counselor weiter. „Und ausserdem war Livis noch nie eine Frau, die auf Äusserlichkeiten geachtet hat. Sie hat sich in Orens Wesen verliebt, genau so wie du dich in ihres. Oder glaubst du, wenn ich Prätor werden und reich sein würde, würde sie sich plötzlich in mich verlieben?“ Er knuffte seinen Nebenmann, welcher verlegen grinste und den Kopf schüttelte. „Du machst dir Sorgen um nichts. Sei stolz auf das, was du bist und was du erreicht hast. Livis’ Einstellung zu dir kann nur sie selber ändern, DU kannst da nichts mehr drehen. Du hast alles in deiner Macht stehende getan und das reicht auch fürs Erste. Sie kennt jetzt deine Einstellung und was du für sie zu tun bereit bist. Sie zweifelt nicht an deiner Liebe! Vielleicht wartest du auf die Ihre vergebens, aber falls die Elemente doch Pläne für euch Beide haben, kannst du dich nur in Geduld üben und ihr die Zeit geben, die sie braucht. Mit deinem Drängeln legst du dir mehr Steine in den Weg, als dass du weg räumst. Gib ihr etwas Zeit, hab Geduld. Ob für Livis oder für eine andere, es wird sich lohnen! Weisst du, viele Dinge kommen erst zu uns, wenn wir die Wünsche losgelassen haben.“

Ayel seufzte tief und nickte dann lange. Der Counselor hatte recht mit dem, was er sagte. Doch es tat weh. Noch länger warten, noch mehr Geduld haben, noch mehr hoffen und bangen. Und loslassen. Die Hoffnung, darin Frieden finden zu können und die Angst, sie dann endgültig zu verlieren waren gleichermassen stark in ihm.

„Danke, Komra!“
„Ja. Bis zum nächsten Mal, wo ich dir das schon wieder sagen muss. Zum gefühlt achthundertzweiundsiebzigsten Mal!“
Er drückte Ayel erneut an sich und schüttelte ihn leicht. Der lachte verlegen. Er hatte den genau gleichen Text wirklich schon oft gehört und noch immer hatte er Zweifel.
„Komra?“
„Hm?“
„Wenn … Also wenn ich sie losgelassen habe, redest du dann wieder mit ihr?“
Komra schwieg erst. Vermutlich blinzelte er und dachte über eine Antwort nach.
„Natürlich“, versprach er dann leise.

***

Die nächsten Wochen verbrachte Ayel gehorsam und kräfteschonend im Zellenblock. Piri und Aurel, der tatsächlich bei ihm eingezogen war, teilten sich abwechselnd die Tagwache für ihn, damit er nicht alleine war und in düsteren Grübeleien versinken konnte, oder gar auf dumme Gedanken kam und sich erneut in eine Gruppe schlich. Die Aufgabe, Livis loszulassen und einen bald zehnjährigen Lebenstraum aufzugeben, beutelte ihn mehr als er zugeben mochte. Wissend, dass Komra recht hatte, versuchte er tapfer, ihr aus dem Weg zu gehen und so wenig wie möglich zu ihr hin zu blicken. Doch es half nicht. Wie in der Industrie 3 fühlte er sie näher bei sich, je bewusster er sie weg stiess. Hatte er abends den Kopf auf dem Kissen glaubte er, überdeutlich ihren Duft wahrzunehmen, überall hörte er ihre Stimme, fühlte ihre zupfenden Finger an seinem Ohr, auch wenn sie weit weg an einem anderen Arbeitsplatz war. Als heimlichen Trost hatte er begonnen, akribisch jede Haarsträhne von ihr einzusammeln, die wo auch immer von ihrem Knoten abgebrochen war. Wie ein Dieb stellte er sich unauffällig dazu, wenn Kim’tal ihr alle vierzehn Tage die nachgewachsenen Haare neu flocht und liess die heraus gefallenen Strähnen unbemerkt in seiner Hand verschwinden.
Süchtig, wurde ihm bewusst. Er war schlicht und ergreifend süchtig nach dieser Frau. So wie Tiran seine Steine, Piri und Torre ihre Nähe und Komra seine Gespräche hatte, fand Ayel seinen inneren Frieden darin, in unbeobachteten Momenten die bald zahllosen Haare nach Länge zu ordnen, sie in Büscheln zu Zöpfchen zu flechten und sie dann wieder unter der Matratze zu verstecken. Er traute Aurel nicht. Er bedeutete dem jungen Lehrhauer mittlerweile so viel, dass der bestimmt gleich zu Komra rennen würde, sollte er Ayels geheimes Suchtversteck entdecken. Aurel meinte es nur gut mit ihm, das wusste er, doch tief gefangen in seinem Verlangen war er nicht bereit, dieses heimliche Hobby aufzugeben.

Da er ihn nicht wiegen konnte, nahm Komra mit Schnüren an ihm Mass. Jeden Freitagmorgen kam der Arzt in seine Zelle und prüfte, ob er schon genug an Umfang zugelegt hatte, um wieder an der Arbeit teilzunehmen. Die drei Extralöcher, die in seinen Gürtel hatten gestanzt werden müssen, wanderten nur sehr langsam zurück zu jenem, das üblicherweise verwendet wurde und entsprechend verbraucht wirkte. Nach einem Monat zumindest hatte der Huther erfreut feststellen können, dass er wieder sichtbar den Bauch einziehen konnte. Davor hatte es lange nichts gegeben, das er hätte einziehen können. Seine Aufgabe, faul sein und fett zu werden trug endlich sichtbare Früchte.
Ayel vermisste es, eine Aufgabe zu haben, blieben ihm während der Zeit doch nur die Gespräche mit seinem Tagespartner, Schlafen und Essen. Sein Sättigungsgefühl war nach der langen Hungerzeit noch immer gestört. Kreisten seine Gedanken nicht gerade um Livis, nahmen ihn der Wunsch nach Nahrungsmittel und Leckereien gefangen. Er übernahm sich regelmässig an den Portionen, so dass Komra angefangen hatte, Ayels Mahlzeiten zu rationieren. Das, was die Brüder ihm von ihrem Essen abgaben, damit er so schnell wie möglich Fett ansetzen konnte, wurde eingesammelt und vom Tagespartner verwaltet. Machte sich der Huther hungrig auf die Suche nach Essen, bestimmte sein Begleiter anhand der Vorschläge des Arztes, wieviel Ayel auf einmal bekam. So behielt er die Nahrung bei sich und bekam trotzdem genug zu Essen.

Erst als der Frühling kam und das vierte Jahr auf Rura Penthe endete, befand ihn Komra für gesund genug, um wieder zu arbeiten. Ayel begrüsste das, würde es doch wieder gewaltig Abwechslung in seinen Alltag bringen.

„Langsam gefällst du mir wieder“, nickte Komra an diesem Freitagmorgen und wickelte die Schnüre auf. „Deine Haut sieht gut aus und die Augen glänzen schön.“ Prüfend zog er ihm ein unteres Augenlid nach unten. „Durchblutung ist auch gut, die Farbe schön dunkel. Zähne? Hm, das Zahnfleisch ist noch immer hell und ziemlich weit zurück … Hast du Schmerzen? Etwas. Kälte und Hitze vermutlich, hm? Da können wir nur abwarten. Nun gut, dann … Bist du bereit?“
„Und wie!“, bestätigte der Huther und nickte begeistert.
„Gut, dann gebe ich dich ab morgen wieder frei für die Arbeit“, bestimmte der Arzt und nahm Ayels Jauchzen mit einem Lachen zur Kenntnis. „Pass bitte einfach gut auf dich auf und übernimm dich nicht, ja? Dir sind noch immer enge Grenzen gesetzt. Mach Pause, wenn du nicht mehr kannst und- …“
„Jaaaah, Komra!“, lachte der Glückliche und nahm dessen Hände von seinen Schultern. „Ich tu alles, was du mir sagst.“
„Dann ist ja gut“, meinte der beschwichtigt.
„Darf ich jetzt Oren besuchen?“, wollte Ayel dann hoffnungsvoll wissen. „Ich habe ihn seit Monaten nicht mehr gesehen …“
Komra seufzte tief.
„Bist du denn stark genug?“, fragte er und seine Stimme offenbarte den Zweifel daran.
„Das bin ich“, bestätigte sein Gegenüber, doch ein Zucken um den Mund überführten ihn der Lüge.

Ayel wusste, dass er noch nicht bereit für die Begegnung war. Er hatte in den letzten Monaten zwar an Gewicht zugelegt, seine Psyche hatte er aber nur ungenügend wieder aufbauen können. Er hatte es geschafft, aus dem Loch des Liebeskummers zu krabbeln. Die Risse und Kratzer zu verspachteln, die der Kummer in seiner Seele hinterlassen hatte, hatte er aber noch nicht vermocht. Er war noch immer labil, wechselte mehrmals pro Tag zwischen guter Laune und Depression, Heimweh und Aggressivität, was ihn psychisch sehr anstrengte. Nur eine einzige Begegnung mit Nero, die beharrliche Standfestigkeit verlangte, würde ihn masslos überfordern. Würde er trotzdem bestehen und zu Oren vorgelassen werden, würde er diesem ohne zu zögern den ganzen Rest seiner Kraft schenken, und seinen eigenen Heilungsprozess um Monate zurück werfen. Komra wusste das und Ayel wusste es selbst, trotzdem wurde das Verlangen nach seinem besten Freund immer drängender, schmerzhafter und bald unerträglich.

***

Fast beschwingt sprang er an diesem ersten Morgen aus dem Bett, kaum dass das Weckhorn verklungen war. Aurel, müde und mit schmalen Augen musterte ihn nur kopfschüttelnd.

„Du bist bestimmt nicht normal …“, behauptete der Lehrhauer und Ayel musste lachen.
„Hab ich auch nie behauptet!“
„Das musst du auch gar nicht“, gähnte er überzeugt und rieb sich die Augen. „Das merken wir auch so.“ 
„Gammel du mal monatelang hier rum“, empfahl ihm Ayel einen Perspektivenwechsel und stellte sich vor den Eimer, „und dann sag mir erneut dass es verrückt ist, sich über die Arbeit zu freuen …“
„Schon gut“, gluckste der Lehrhauer und kämpfte sich aus den Decken, „hast gewonnen. Rück mal n’ Stück, ich muss auch …“

„Heeeey!!“ Piri flog fast auf ihn zu, als er Ayel auf dem Flur erblickte. „Na du? Geht’s wieder los?“
„Jap!“, freute sich der Huther und strahlte.
„Du kommst doch in meine Gruppe, ja?“
Piri überbordete fast vor Freude und Ayel erwischte sich dabei, wie er hoffte, von jenem hoch gehoben und im Kreis gedreht zu werden. Das war die Geste, die ihn als Kind immer am glücklichsten gemacht hatte … Der Hauer erkannte seinen stummen Wunsch nicht und beschränkte sich darauf, kurz seinen Kopf in dessen kräftigen Hände zu nehmen und Stirn auf Stirn zu drücken.
„Wenn Komra nichts dagegen hat?“, grinste der Huther und verbarg seine leise Enttäuschung. 
„Hat er nicht“, beantwortete der Arzt die Frage gleich selbst, schob aber ernst nach, „vorausgesetzt, du kümmerst dich gut um ihn!“
„Das werde ich“, versprach der Hauer mit der Intensität eines Schwurs und klopfte Ayel nur ganz leicht auf die Schulter um zu zeigen, dass er sehr wohl um dessen Zerbrechlichkeit wusste.

Der wachhabende Klingone war nicht so leicht zu überzeugen. Der hatte Ayel in Ygnars Gruppe mit Kim’tal, Sa’et und Livis beim Kohlenflöz einteilen wollen, weil dort noch einer fehlte. Den Freudenschrei gekonnt zu einem leisen Piepsen erstickt, hatte der Erste Offizier hoffnungsvoll zu Komra geblickt. Der aber kam auf den Plan Piri zurück und intervenierte beim Schichtmeister, welcher knurrend einwilligte, Ayel mit Piri, Vek, Arda, Boknar und Xandr an der bisher ersten entdeckten Ganglagerstätte einzusetzen. Einen erneuten Einwand Komras hatte der Klingone ärgerlich abgeschmettert.
So wusste der Huther für einmal nicht, ob er sich über seine Gruppe freuen oder enttäuscht sein sollte. Er konnte mit Piri zusammen arbeiten, allerdings verstand er Komras Sorge wegen des Arbeitsplatzes. So selten sie auch waren, stellten die kurzen Ganglagerstätten doch häufig einen Transportweg für Fluide dar. Mittlerweile war das Bergwerk unter der Industrie 59 so tief, dass die Bewetterung nur mehr schlecht als recht funktionierte. Würde nun unbemerkt Kohlenmonoxyd oder ein anderes Gas austreten, würden die Männer ersticken, ohne es rechtzeitig zum Beförderungskäfig zu schaffen.

„Ich passe auf ihn auf, Komra!“, versprach Piri ernst und legte dem Arzt unterstreichend seine Hand auf die Schulter. „Er wird in der Strecke arbeiten, nicht an der Ortsbrust, okay?“
Den Mund zu einem schmalen Strich verkniffen nickte der Counselor nur. Die Sorge um die Mannschaft und vor allem Ayel war ihm deutlich anzusehen. Noch immer mager und vor allem klein, hatte der am wenigsten Blut von allen und würde als erster einer Gasvergiftung erliegen.
„Piri“, Ygnar trat zu der kleinen Gruppe, die sich mittlerweile um den Huther gebildet hatte, „hier, nehmt ihr die mit!“
„Danke!“

Komra entspannte sich merklich etwas, als der Hauer von Ygnar ihre einzige Grubenlampe entgegen nahm. Es war keine Richtige, nur ein aus einer Essschale, Lehm, Butter und Stoff improvisiertes Talglicht, das entfernt einem Grubengeleucht Marke „Frosch“ ähnlich sah. Doch sie tat zuverlässig ihren Dienst und hatte bereits das eine oder andere Leben gerettet.

***

„Du hast mir noch gar nicht gesagt, woraus diese Ganglagerstätte besteht“, fiel Ayel auf dem Weg zur untersten Kaverne ein und lief fast beschwingt neben Piri her.
Nach monatelangem Zellenhütedienst freute er sich namenlos auf die Arbeit.
„Zink-Silber“, schmunzelte der Hauer und zog ihn am Pullover wieder ein Stück zurück. „Hey, warte auf uns!“
„Zink-Silber“, wiederholte der Huther beglückt. „Ich mag Silber! Mehr als Gold. Ich mag lieber Weiss als Gelb. Hey, denkst du, es würde auffallen, wenn ich mir davon etwas abzweige und daraus was schmieden würde?“
Piri lachte laut und auch die anderen vier machten mit.
„Krümel“, neckte ihn Xandr und schlug ihm aufs Schulterblatt, „Livis will keinen Armreif von dir! Weder aus Silber noch aus Stroh geflochten.“
„Woher willst du wissen, dass- …“
Ayel brach ab, als der die Blicke seiner Kumpel sah und schmollte gespielt. Er war einfach zu leicht zu durchschauen.    

Stumm aber verhalten grinsend fuhren sie im letzten Beförderungskäfig, dem Schachtlift, nach unten zur Strecke, wo die kleine Lagerstätte sie erwartete. Das Ankommen der Männer aktivierte automatisch das Licht und offenbarte einen langen, in Felsen gehauenen Flur. Boknar und Arda zogen je einen Hunt hinter sich her, während sich die kleine Gruppe auf den Weg zur Ortsbrust machten. Prüfend musterte Ayel jeden Türstock an dem sie vorbeikamen. Nach seinem Erlebnis in der Industrie 3 sah er lieber einmal zu viel als einmal zu wenig hin. Der Anblick beruhigte ihn. Gutes, stabiles Holz war verzimmert worden.
Vor der Ortsbrust blieb er fasziniert stehen, denn im Schein der Grubenbeleuchtung glitzerte ihm tatsächlich eine Wand aus Silber entgegen. Obwohl Piri und Vek beide deutliche Schlupflider und damit relativ schmale Augen hatten, spiegelte sich das Silber auch in ihnen wunderbar. Ayel spürte beglückt, wie warm es in ihm wurde und angelte beschwingt nach der erst besten Spitzhacke.

„Na, na, na!“, kam ihm Piri zuvor und entzog ihm das Werkzeug wieder. „Versprochen ist versprochen! Wir hauen und du förderst, klar? Dort ist die Schaufel.“
„Ich will aber Silber sehen“, maulte der Huther nicht ganz seinem Alter gemäss und brachte Piri erneut zum Lachen.
„Du Spinner! Du wirst bald einen ganzen Hunt voller Silber haben“, versprach ihm der Hauer und schenkte Ayels Seufzer ein Schulterklopfen.
Der murrte leise und fügte sich dann. Zum Hauen war er vermutlich ohnehin noch nicht fit genug.

Während Piri, Boknar und Xandr die Lagerstätte abbauten, schaufelten Arda und Ayel die Brocken in die Hunte. Der Huther mochte den dunkelhäutigen Hauer sehr gerne, auch wenn der vermehrt nur noch mit Adnak rumhing, mit welchem Ayel überhaupt nicht mehr grün war. Arda und er selbst hatten oft im gleichen Team gespielt, wenn die noch leeren Laderäume der Narada Platz dafür geboten hatten. Ausserdem war er ausgesprochen zuverlässig, erledigte immer tadellose Arbeit und war auch sonst sehr umgänglich. Ayel vermisste die Gesellschaft des jungen Hauers, doch er verstand auch, dass jener nun zu Adnak hielt, welcher sich zurückzog und für sich alleine blieb.

„Wetten“, versuchte er den älteren zu einem Wettstreit herauszufordern, „dass mein Hunt schneller voll ist als deiner?“
Arda lachte und stützte sich vergnügt auf seiner Schaufel ab.
„Du pfeifst doch jetzt schon aus dem letzten Loch!“, behauptete er.

„Gar nicht wahr!“, wehrte sich Ayel, musste gleich darauf aber feststellen, dass er schwindelte.
„Hey …“, sofort griff der Hauer nach seinem Arm.
„Es geht, danke!“, beruhigte ihn der Erste Offizier, suchte sich einen Stein und setze sich.

Dankbar nickte er Ardas aufmunterndes Schulterklopfen ab und nahm die Wasserflasche von ihm entgegen. Für ihn war erst einmal Pause angesagt. Er war die schwere Arbeit nicht mehr gewohnt und befürchtete zu Recht, morgen früh von einem herzzerreissend miauenden Muskelkater begrüsst zu werden. Also ruhte er sich aus, trank gehorsam auch das Wasser der Anderen und sah dabei seinen Brüdern zu, wie sie eifrig Zink und Silber abbauten und Piri alle paar Pickelschläge mit der Grubenlampe prüfte, ob irgendwo gefährliche Gase austraten. 

Kurz vor Mittag hatten er und Arda bereits wieder zwei Hunte gefüllt und wollten sie gerade zum Beförderungskäfig schieben, als ein Schrei die Gruppe erstarren liess.
„RAAAAAAAAAUS!!!“
Ayel drehte sich nur für eine Sekunde nach Xandr um. Der erfahrene Hauer und Markscheider hatte offenbar eine verborgene Wasserader angehauen, welche jetzt in hohem Bogen ihren Inhalt in die Grube ergoss. Der Huther verwarf seinen Kumpeln gleich sein Arbeitsgerät und sprintete die lange Strecke zurück zum Beförderungskäfig. Je nachdem, wie viele Kubikmeter die Ader fasste und wie schnell sie sich einen Weg durch die Wand fressen würde, hatten sie Minuten oder Sekunden, um ihr Leben zu retten. Er spürte, wie Piri ihn einholte, nach seiner Hand griff und ihn zu ziehen begann. Ayels schwache Beine hielten nicht mit den anderen mit. Vek, Arda, Boknar und Xandr überholten sie bereits und nur Sekunden später erreichte das erste Wasser seine Füsse. Mit lautem Donnern brach die Wand hinter ihnen. 

Ayel holte das Letzte aus seinen brennenden Lungen. Vor ihnen lag sichtbar und beleuchtet der Beförderungskäfig, der sie vor den Wassermassen retten und nach oben bringen würde.  Piri zerrte ihn vorwärts, denn sie lagen zurück. Der junge Bergmann hörte nur noch das Donnern und Rauschen hinter sich, dann riss ihn die erste Welle von den Füssen. Er entglitt Piris Hand, hörte dessen Schreie, schluckte schmutziges Wasser und geriet in Panik. In Todesangst griff er um sich, bekam in der Flut lose Steine zu fassen, wurde gegen die Wand geschlagen und schrammte mit den Knien über den Boden. Die Wellen, die ihn herumwirbelten und mitrissen, raubten ihm beinahe die Sinne. Er hustete und schluckte noch mehr Wasser, als er nach Luft schnappte. Schon wieder war sein Kopf unter Wasser. Dann endlich kam er frei, keuchte, hustete und atmete. Er war im Käfig, Boknar und Xandr hielten ihn fest, Arda und Vek stützten den keuchenden Piri. Rumpelnd bewegte sich das Gefährt und trat seinen Weg nach oben an. Doch nicht für lange. Als die Flut den Sicherungskasten erreicht hatte, stoben Funken aus den Kabeln und der Käfig blieb stehen. Das Licht im Schacht erlosch. Sie sassen fest. Ein gurgelndes Geräusch aus dem Dunkeln offenbarte ihnen, dass sich die Strecke gefüllt hatte und nun begann, sich im Schacht nach oben zu arbeiten. Während Boknar um Hilfe schrie und Vek vergeblich versuchte, den Beförderungskäfig wieder zum Laufen zu kriegen, drang bereits das erste Wasser durch den Maschengitterboden und erreichte ihre Füsse.

Piri und Ayel, die erschöpft auf jenem gekauert hatten, sprangen hoch. Vek rüttelte am Schalter und schlug gegen den Kasten, doch der Käfig rührte sich nicht. Unaufhörlich stieg das Wasser an und versetzte die Männer in Todesangst und Entsetzen. Allesamt schrieen sie nun um Hilfe, die nur noch von aussen kommen konnte, denn aus diesem massiven Stahlkäfig war ein Entrinnen unmöglich. Anders als bei einem Lift, gab es keine Luke in der Decke und da er nur für eine kleine Gruppe Kumpel gebaut worden war, fehlten die Aufbauten für weitere Stockwerke. Um Hilfe zu schreien war alles, was den Männern noch blieb. Nur wenige Meter über ihnen war die rettende Kaverne, doch niemand kam und blickte zu den Verzweifelten hinab. Als das Wasser Ayels Hals erreichte, sprang er zur Decke hoch, krallte sich verzweifelt an den Stangen fest und steckte die Nase zwischen die Streben. Kurz darauf folgten die anderen fünf. Ein letztes Mal noch schnappte er nach so viel Luft wie er konnte, dann schwappte die dunkelbraune Flut über ihm zusammen.

Panik, Todesangst, Hoffnungslosigkeit. Die Finger noch immer um die Metallstangen gekrallt kämpfte er gegen den Drang, Luft zu holen. Seine Lungen begannen zu brennen, während der Druck auf seine Brust immer stärker wurde, seine verkrampften Arme schmerzten, die Augen. Jemand trat ihn versehentlich in seinem Todeskampf. Auch Ayel begann unkontrolliert zu zucken. Eine Hand krallte sich an seinen Arm. Er schaffte es nicht mehr, der Schmerz war unerträglich. Sein letzter Gedanke galt seiner Livis, dann leerte er die Lungen und atmete ein.

Rezensionen