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STD 01 - Böses Erwachen

von Adriana

Am Rand der Vernichtung

Die junge Frau in der gelben Starfleet-Uniform kauerte hinter ihrer Deckung - ein bizarres Kon-glomerat aus eingeschmolzenem Glas und Metall, das einmal die taktische Konsole gewesen war. Ihr langer, kastanienbrauner Zopf hing ihr halb aufgelöst über die Schulter. Fast jeder Mus-kel ihres Körpers war angespannt und die Menge an Adrenalin, die durch ihre Adern kreiste, war womöglich schon gesundheitsschädlich. Vor ihrem geistigen Auge flimmerten Bilder von monst-rösen Borg-Kuben und brennenden, explodierenden Sternenflottenschiffen. Und von Captain Jean-Luc Picard, der - halb Mensch, halb Maschine, die eigene Persönlichkeit abgewürgt von Implantaten, Kabeln und Schaltkreisen, ein Gesicht von grauer, cardassianischer Blässe - mit blecherner, monotoner Stimme ständig die Worte „Ich bin Locutus von Borg. Sie werden assimi-liert werden. Widerstand ist zwecklos!“ wiederholte.
Als Locutus zum ersten Mal auf dem Hauptbildschirm der U.S.S. PRETORIA erschienen war, hatte die junge Starfleet-Offizierin nicht gewusst, was sie entsetzlicher finden sollte: Die Tatsa-che, dass die Föderation kurz vor ihrer Vernichtung stand oder das Schicksal Captain Picards, eines Mannes, dem früher nichts wichtiger gewesen war, als seine Crew und die Werte der Föde-ration zu beschützen. Nun war dieser Mann nichts weiter als eine Marionette der Borg, ein Werk-zeug gegen all das, was ihm einst so viel bedeutet hatte. Die junge Frau in der gelben Uniform war ziemlich froh, dass der Monitor nicht mehr funktionierte.
Mit ihren Händen umklammerte sie eine antike bajoranische Waffe: eine handliche kleine Jagdarmbrust, die einst ihrem Vater gehört hatte. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht: Papa, der passionierte Bastler ... Man hätte ihm eine Drahtspule und einen Schraubenzieher in die Hand drücken können, und er hätte damit vielleicht sogar den Schiffscomputer repariert. Auch diese Armbrust hatte er selbst gebaut. Als seine Tochter zur bajoranischen Resistance ge-gangen war, hatte er ihr die Waffe feierlich überreicht. „Hier, meine Kleine! Damit kannst du den verdammten Cardis die Hinterteile perforieren, falls ihr keine Energie für eure Phaser mehr habt!“ In der Tat hatte ihr die Armbrust im Kampf gegen die Cardassianer gute Dienste geleistet und im Laufe der Jahre gewann sie immer mehr Bedeutung als Talisman.
Als auf dem Schiff der Rote Alarm ertönt war, hatte die junge Bajoranerin ganz instinktiv da-nach gegriffen.
„Commander Lairis ...“ eine Männerstimme, seltsam verzerrt und heiser, aber dennoch vertraut. „Commander ... Lairis, he... helfen Sie mir!“
Die Augen des Mannes blickten starr und glasig, als er auf die junge Frau zu wankte. Plötzlich schien sich jede Ader an seinem Hals aufzublähen und grau zu verfärben, so als würde ein Heer anthrazitgrauer Würmer unter seiner Haut entlang kriechen. Die hässlichen, dunkelgrauen Linien wanderten weiter zu seinem Gesicht, um daraus den letzten Rest von Menschlichkeit zu tilgen. Voller Entsetzen wich Lairis vor ihm zurück. Ohne nachzudenken, legte sie die Armbrust weg, zog ihren Phaser und feuerte eine Energiesalve auf ihn ab. Er brach zusammen. Sein Gesichts-ausdruck war der eines eingefrorenen Fisches.
Ihr nächster Schuss traf den Borg, der hinter dem Mann gestanden und ihm vor wenigen Se-kunden seine Assimilationsröhrchen in den Hals gebohrt hatte.
Lairis spürte, wie sich ihre Eingeweide zusammenzogen, und sie kämpfte gegen den Drang, unkontrolliert zu schluchzen. Natürlich weinte sie der Borgdrohne keine Träne nach - doch der Tote zu ihren Füßen, der Tote mit dem blutleeren, von Nanosonden zerfressenen Gesicht, war einmal Commander Cliff Darrel gewesen, der Erste Offizier der U.S.S. PRETORIA, eines der vie-len Sternenflottenschiffe, die sich in der Schlacht bei WOLF 359 den Borg entgegenstellten.
Ich habe Commander Darrel erschossen, ich habe Commander Darrel erschossen ...
Sie verspürte Brechreiz, ihre Augen wurden feucht, aber sie musste sich zusammenreißen. Sie hatte keine andere Wahl, denn die Last des Kommandos lag jetzt auf ihren Schultern. Captain Layton wurde seit gut vier Stunden auf der Krankenstation operiert. Die Decke war eingestürzt und hatte ihn unter sich begraben. Wenn ihn seine inneren Verletzungen nicht umbringen, tun es wahrscheinlich die Borg, dachte Lairis fatalistisch.
Commander Darrels Tod schmerzte sie viel mehr. Weil sie Darrel gemocht hatte: seine Offen-heit, sein Lächeln, seinen Humor ... das ganze Gegenteil von Layton.
„Ich fasse es nicht – die kommen wohl zur Beerdigung!“ rief in diesem Moment Lieutenant Wagner, der Steuermann, der dicht neben Lairis in Deckung gegangen war. Schweißperlen ran-nen über sein Gesicht und er hielt ein Phasergewehr, dessen Lauf so lang war wie sein Arm. Kur-ze, abgehackte Atemzüge verwirbelten den Staub in der Luft.
Dann kamen sie. Sechs - nein, sieben - Borgdrohnen materialisierten sich auf der Brücke. Mit schweren, mechanischen Schritten kamen sie näher und näher. Die roten Lämpchen an ihren Okular-Implantaten sandten scharfe Strahlen aus, die sich durch die Dunkelheit schnitten - und durch den Dampf, der aus verschiedenen kaputten Leitungen quoll. Es war ein faszinierender Anblick, der Lairis kalte Schauer über den Rücken jagte.
„Feuer!“ befahl sie schlicht und drei Borgdrohnen fielen unter den Schüssen der Crew. Doch die restlichen vier passten ihre Schutzschilde an. Das Phaserfeuer berührte sie nicht mehr.
„He, ihr wollt uns doch nicht etwa assimilieren, ihr Zombies?!“ Lairis versuchte, witzig und tapfer zu sein, doch ihre Stimme klang dünn und verloren, fast wie die eines kleinen Mädchens.
Da kam ihr eine Idee ... Die Borg mochten zwar gegen Energiewaffen resistent sein – doch was war mit Materie? Sie griff nach ihrer Armbrust, spannte die Sehne - und ein etwa dreißig Zenti-meter langer Metallpfeil sauste durch die Luft. Er bohrte sich tief in den Hals eines Borg. Die Drohne gab ein merkwürdiges Röcheln von sich und wirkte für einen Augenblick desorientiert. Doch als einer der Brückenoffiziere die Gelegenheit nutzte, um zu feuern, zeigte sich, dass die Schilde des Borg noch immer funktionierten. Lairis zielte erneut - und dieses Mal traf der Pfeil ins Auge. Der Borg fiel um wie eine Statue, der man einen heftigen Tritt versetzt hatte. Dann löste er sich auf. Lairis stieß einen kurzen Jubelschrei aus und Wagner grinste euphorisch. In der Lade-vorrichtung von Lairis’ Armbrust befanden sich noch vier Pfeile. Vier Pfeile, drei Borg - Sie muss-te gut zielen!
Normalerweise war das kein Problem für sie. Sie hatte viel Übung im Umgang mit Waffen aller Art und es gelang ihr bei Gefechten immer, irgendwie die Ruhe zu bewahren.
Doch dieser Kampfeinsatz unterschied sich von allen anderen. Dieser Feind war gefährlicher und furchteinflößender als jeder, dem sie früher gegenübergestanden hatte.
Er verwandelte aufrechte Männer und Frauen in Monster.
Sie versuchte, die Waffe, so gut es ging, ruhig zu halten. Kalter Schweiß ließ ihre Finger glit-schig werden. Der erste Pfeil bohrte sich in die Wange des nächsten Borg, erst der zweite traf das Auge. Die nächsten beiden Schüsse würden auf Anhieb sitzen müssen... Lairis erledigte Drohne Nummer drei, doch Nummer vier schmetterte den letzten Pfeil mit ihrem Arm ab.
Lairis kämpfte erfolglos gegen das Zittern ihrer Hände. Der Borg war jetzt weniger als zwei Me-ter von ihr entfernt. Die Phaserschüsse, die die anderen Crewmitglieder auf ihn abfeuerten, wa-ren lediglich ein Ausdruck der Verzweiflung, denn sie verfehlten ihre Wirkung völlig. Lairis saß in der Falle. Die Wege rechts und links waren durch Trümmer verbaut. Schritt für Schritt wich sie vor dem unheimlichen Wesen zurück, bis sie im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Rücken an der Wand stand.
Sie war machtlos gegen ihre Fantasie ... stellte sich vor, wie aus dem metallenen Exoskelett an der Hand des Borg gleich zwei Assimilationsröhrchen fahren und sich in ihren Hals bohren wür-den. Wie Nanosonden sich durch ihre Blutgefäße fraßen, Borg-Implantate in ihr wuchsen und sich den Weg durch ihr Fleisch bahnten ... Wie ihre Individualität, ihre Persönlichkeit, ihr gesam-tes Wesen vom Kollektiv gefressen wurde ...
„Wagner, verdammt, tun Sie endlich was!“ schrie sie.
Der junge Lieutenant hatte bisher wie versteinert daneben gestanden. Nun löste er sich aus sei-ne Erstarrung und packte sein Phasergewehr - jedoch nicht, um damit zu schießen ...
Er ließ es mit voller Wucht auf den Schädel des Borg niedersausen.
Die Drohne drehte orientierungslos den Kopf hin und her. Ihr Maschinenarm zuckte unkontrol-liert. Diese Gelegenheit nutzte Lairis, um die Kabel und Schläuche, die dem Borg aus dem Hals ragten, die das Lebewesen mit der Maschine verbanden, zu packen und herauszureißen. Die Drohne löste sich augenblicklich auf.
Mit einem Seufzen der Erleichterung sank Lairis gegen die Wand.
Der Kommunikationsoffizier vergewisserte sich, dass keine weiteren Drohnen an Bord waren.
„Befehle, Commander?“ fragte eine müde Stimme. Sie gehörte dem Waffenoffizier, einem Bo-lianer, dessen blaue Glatze vor Schweiß glänzte. Neben ihm stand Fähnrich Beldan, eine junge Betazoidin mit großen, angsterfüllten Augen.


Lairis strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn, was einen breiten Streifen von Dreck auf ih-rem fast klassisch schönen Gesicht hinterließ. „Bringen wir uns in Sicherheit, solange wir noch können.“ Sie kam sich feige und schäbig vor, als sie das sagte, doch sie wußte, dass die PRETO-RIA keinen weiteren Kampf überstehen konnte. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind auf diesem Schiff würde getötet oder assimiliert werden! Ihre zehnjährige Tochter Julianna war an Bord, musste zusammen mit den anderen Zivilisten in einem „sicheren“ Bereich ausharren ... Hoffent-lich ist sie vor Angst nicht schon verrückt geworden, dachte Lairis besorgt.
Der Bolianer räusperte sich. „Bei allem Respekt, aber ... Die Flotte im Stich lassen?“
„Ihr Kampfgeist in allen Ehren, aber wir haben keine Waffen und keinen Warpkern mehr. Selbst wenn wir Kamikaze fliegen, gibt das nicht mal eine Delle im Kubus. Wir können den Borg keinen Schaden mehr zufügen – im Gegenteil: Wenn wir hier bleiben, liefern wir ihnen zweihundert Drohnen auf dem silbernen Tablett. Also nichts wie weg hier!“
Für Julianna! fügte sie in Gedanken hinzu. Für jedes lebende Individuum auf diesem Schiff.
Den Rest der Schlacht verbrachte die PRETORIA angekuschelt an kahlen Felsboden im Krater eines Mondes. Wagner hatte wahre Glanzleistungen der Flugkunst vollbracht, um dorthin zu ge-langen, Phaserblitzen und Photonentorpedos auszuweichen und dabei die Aufmerksamkeit der Borg nicht zu erregen.
Layton hätte es verstanden, wenn er dabei gewesen wäre ... Doch er hatte die weniger glorrei-che Hälfte der Schlacht auf der Krankenstation verschlafen. Es war ein gehässiger Gedanke, der sich Lairis immer wieder aufdrängte, wenn sie ihren Captain auf seinen Krücken durchs Schiff humpeln sah. Sie verstand genug von der Sternenflottenmedizin, um zu wissen, dass der Kno-chenregenerator ganze Arbeit geleistet hatte und die Verletzungen nach drei Wochen längst aus-geheilt sein mussten ... aber Layton liebte diese martialische Kriegsveteranenpose viel zu sehr. Er wäre so gern ein Held geworden – jetzt war er nur ein Überlebender.
„Zum Teufel, Ihre Pflicht war es, die Stellung zu halten und die Föderation zu verteidigen – nicht, Katz und Maus mit den Borg zu spielen!“ schrie er seinen taktischen Offizier an.
„Wir sind doch nicht desertiert! Wir haben gekämpft, so gut wir konnten!“ verteidigte sich Lairis. „Wenn wir mit der PRETORIA noch irgendeine winzige Chance gehabt hätten, den Feind ...“
„Sie wollen mir doch nicht weismachen, Sie hätten keine Chance gehabt! Das Schiff war im-merhin flugfähig und nicht etwa kurz vorm explodieren!“
„Bei allem Respekt, aber mit aussichtslosem Heldenmut wäre ich beim bajoranischen Unter-grund nicht sehr weit gekommen!“
„Sie sind jedoch nicht mehr im bajoranischen Busch, sondern in der Sternenflotte. Also gewöh-nen Sie sich besser an die Befehlshierarchie!“
„Fast alle Leute, die in dieser Befehlshierarchie über Ihnen stehen, sind auf meiner Seite“, erwi-derte sie nüchtern. „Es gab keinen Befehl, um jeden Preis die Stellung zu halten – also können Sie mich auch nicht vors Kriegsgericht bringen, weil ich die Crew gerettet habe!“
„Ich weiß, Sie wurden für Ihr feiges Fluchtmanöver sogar befördert. Weil die PRETORIA dank Ihnen noch in einem Stück ist. Trotzdem will ich Sie nicht als Ersten Offizier. Hier ist Ihre Verset-zungsurkunde – melden Sie sich übermorgen auf der U.S.S. CASABLANCA.“
„Verstanden, Sir.“ Lairis nahm das Datenpad entgegen. Zur Überraschung ihres Captains lä-chelte sie. „Kann ich offen sprechen?“
„Nur zu, Commander!“
„Sie sind lebendig, Sie sind gesund und Sie schleppen keinen Borgpanzer mit sich herum. Be-trachten Sie es als Geschenk, Sir! Oder stört es Sie, dass jemand anderes als Sie die Lorbeeren einheimst?“ War ihm seine Profilneurose wichtiger als sein Leben?
„Das reicht. Wegtreten, Commander. Ich will Sie nie wiedersehen.“
Lairis ahnte tief im Inneren, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen würde.
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