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Der Fluch der guten Tat

von Gabi

Unglueckliche Begegnung

„Nur noch zwei Meter, dann hast du es geschafft!“

Stamets konnte die Stimme zwar hören, doch sie klang nicht nach zwei Metern Entfernung, sondern nach zwanzig. Das Blut in seinen Ohren rauschte von der Anstrengung so stark, dass er Probleme hatte, irgendetwas auszumachen. Seit ein paar Minuten spürte er den Puls in seinem Augapfel pochen, was ihn beinahe zum Wahnsinn trieb. Er konnte die Hände nicht fortnehmen, um sich im Gesicht zu reiben. Er wollte gar nicht daran denken, was passierte, wenn er den Halt seiner Finger lockerte.

Schließlich spürte er sich am Handgelenk gepackt. Es war das wunderbarste Gefühl seit langem. Er mobilisierte noch einmal seine gesamte Kraft und stemmte sich über die Kante. Ein weiterer Griff an seiner Schulter half ihm in Sicherheit. Reichlich unelegant rollte er sich auf den Rücken, schloss die Augen vor der mittäglichen Sonne und beschäftigte sich voll und ganz damit, seine Lungen zum Luftholen zu zwingen.

„Gut gemacht“, hörte er durch das Rauschen in seinen Ohren. „Kannst du das Gefühl von persönlichem Triumph verspüren?“

„Ich spüre überhaupt nichts“, keuchte Stamets mit immer noch geschlossenen Augen. „Meine Beine nicht, … meine Arme nicht, … und sicherlich keinerlei … irgendwie geartetes … Hochgefühl.“ Er spürte, wie eine Wasserflasche in seine Hand gedrückt wurde und winkelte den Arm dankbar an. Eine gelinde Erleichterung, dass diese Bewegung überhaupt noch möglich war, durchströmte ihn, während er die Hälfte des Wassers über sein Kinn verteilte, bevor seine Lippen die Flaschenöffnung zu packen bekamen.

Ein leises  Surren irritierte ihn. Er kniff die Augen zusammen und öffnete sie einen winzigen Spalt weit. Gerade weit genug, um den medizinischen Tricorder als schwarze Silhouette gegen die Sonne auszumachen. „Was machst du da?“ Irritiert stellte er die Flasche ab und versuchte, den Oberkörper zu heben. Es fiel ihm schwerer als gedacht.

„Ich stelle nur sicher, dass der Aufstieg nicht zu viel für Deinen Kreislauf war.“ Culber steckte sein Gerät mit zufriedenem Nicken weg. „Alles okay.“ Er streckte Stamets die Hand entgegen, um ihm in eine sitzende Position aufzuhelfen.

Die Augen des Wissenschaftlers beobachteten misstrauisch den Rucksack, in welchem der Tricorder soeben verschwunden war. „Nimmst du das Ding überall hin mit?“

„Natürlich!“ Culber hob überrascht die Augenbrauen. „Ich bin Arzt, ich muss jederzeit in einem Notfall Erste Hilfe leisten können. Ich gehe nirgends ohne eine Notfallausrüstung hin.“

„Gut zu wissen … denke ich.“ Stamets schenkte dem Rucksack noch einen irritierten Blick, dann schlang er die Arme um seine Knie und konzentrierte sich in sitzender Stellung weiter auf seinen Atem. Er konnte seinen Puls immer noch viel zu rasch und kräftig im Hals schlagen spüren, aber immerhin war das Pochen im Augapfel verschwunden. Ein rascher Seitenblick auf seinen Partner zeigte ihm einen überaus entspannt wirkenden Mann, der mit zufriedenem Lächeln in die Ferne blickte. „Warum schwitzt du nicht einmal?“, wollte er schließlich vorwurfsvoll wissen.

Culber wandte ihm den Kopf zu, das verträumte Lächeln blieb, dieses Mal gehörte es nicht der Aussicht, sondern gänzlich dem blonden Wissenschaftler. „Weil ich eine weitaus bessere Kondition als du habe, weil ich regelmäßig Sport treibe und mich auch um einiges gesünder ernähre.“

Stamets verzog den Mund. „So genau wollte ich es nicht wissen.“ Er rutschte etwas näher an seinen Partner heran. So nah am Abgrund fühlte er sich nicht besonders wohl. Er war einigermaßen schwindelfrei, aber ab einer gewissen Höhe spielte ihm sein Kreislauf dann doch Streiche. Der Blick in die Weite über die unter ihnen liegenden Baumwipfel war wohltuend für das Auge, doch er durfte ihn nicht tiefer sinken lassen. „Da runter komm ich aber nicht mehr. Das sag ich dir gleich.“

„Musst du auch nicht“, versicherte Culber. Er streichelte Stamets‘ Oberarm und legte schließlich den Arm um dessen Schulter. „Es gibt einen Fußweg hinunter zum Resort.“

Der Wissenschaftler lehnte dankbar den Kopf an seinen Partner. „Ich wiederhole mich, aber was spricht gegen einen Tag auf dem Sofa?“

Culber lachte leise. „Du verbringst deinen gesamten Arbeitstag mit Kopfgeburten. Da dachte ich mir, dass ein paar Tage für deinen Körper willkommen wären.“

„Falsch gedacht“, murmelte Stamets. Er lehnte den Oberkörper noch weiter zu Culber hin.

Der nahm seinen Arm weg, beugte sich ein wenig nach hinten und ermöglichte es seinem Partner somit, an seiner Brust entlang in eine horizontale Position zu rutschen. Schließlich lag Stamets, den Kopf in Culbers Schoß gebettet, auf dem Rücken. Der Gesichtsausdruck des Astromykologen ähnelte nun demjenigen einer zufriedenen Katze. Culber lachte auf. Er strich ihm durch die Haare. „Du bist so ein Kuschler, wenn du dich unbeobachtet fühlst.“

Ein anklagender Blick traf ihn. „Wehe du lässt davon ein Wort auf der Discovery durchsickern!“

„Bin ich verrückt?“ Culber tat so, als ob ein Schuss sein Herz getroffen hätte. „Ich geh doch nicht das Risiko ein, dass du die Scheidung einreichst.“

„Blödmann!“, brummte Stamets. Er rieb die Schläfe zufrieden an Culbers Hand.

„Das höre ich in letzter Zeit des Öfteren von dir“, rügte sein Partner. „Solange ich ‚dein‘ Blödmann bin, lasse ich das noch durchgehen.“

Jetzt war es an Stamets, leise zu lachen. „Du bist ‚mein‘ Blödmann.“ Er blickte auf. „Ich habe Hunger.“

„Aha.“ Culber hob die Augenbrauen. „Und die Möglichkeit, dass du dich aufrichtest, deine Hände zu Hilfe nimmst, und dir etwas aus dem Rucksack holst, existiert nicht?“

„Nein. Ich bin im Urlaub, mein Arzt hat mir Entspannung verordnet.“

„Oh, gegen deinen Arzt werde ich natürlich nichts sagen.“ Culber beugte sich zu seinem Rucksack hinüber und holte die Box mit den belegten Broten heraus. „Das ist bestimmt ein extrem intelligenter, feinfühliger und attraktiver Mensch.“

„Naja … wie man es so …“ Der Rest des Satzes wurde von einem Käse-Gurken-Auberginen belegten Sandwich erstickt, das auf seine Lippen gepresst wurde.

„Iss!“

Stamets griff danach, während er ein paar Brotkrümel nieste, die ihm in die Nase gekommen waren. Er rappelte sich auf, blieb jedoch mit Körperkontakt zu Culber sitzen. Er boxte ihm in den Oberarm. „Ich wechsle meinen Hausarzt, weil mein alter versucht, mich umzubringen.“

Ihre Rast verbrachten sie kauend und sich gegenseitig aufziehend. Stamets ließ sich immer mehr von Culbers guter Laune anstecken. Als die Sonne begann unterzugehen, musste er sich eingestehen, dass er die letzten Stunden tatsächlich keinen Gedanken an seinen Sporenantrieb verschwendet hatte. Innerlich sandte er einen stummen Dank an seinen Partner, dass dieser ihn immer wieder so beharrlich aus seiner Reserve lockte. Laut würde er es ihm nicht sagen, man musste den Arzt ja nicht übermütig machen …

Als sie sich schließlich an den weitaus gemütlicheren Rückweg machten, konnte Stamets seine Beine wieder bewegen ohne dass ihm alles weh tat. Der Abstieg verlief in leichtem Gefälle und führte von dem grasbewachsenen Hochplateau, auf dem die Kletterwand geendet hatte, nach ein paar Höhenmetern durch einen lichten Laubwald. Die Luft war angenehm warm, die Gerüche von Erde, Harz und allerlei Blüten vermischten sich zu einer Wohltat für die Lungen.

„Für heute Abend habe ich uns eine Massage gebucht“, verkündete Culber. Die Hand, mit der er die Finger seines Partners gefasst hielt, schwang im Takt der Schritte.

„Ich will niemanden anderes als dich an meiner Haut“, murrte Stamets, doch seinem Ton fehlte die gewohnte Bissigkeit.

„Das wird uns beiden guttun. Vor allem nach dem Aufstieg heute sind bei dir Muskeln beansprucht worden, die normalerweise wenig zu tun bekommen. Du wirst sehen, eine professionelle Massage wirkt da Wunder.“

„Du könntest …“

„Könnte ich schon“, unterbrach Culber ihn lachend. „Aber ich möchte gerne ebenfalls eine ordentliche Rückenmassage haben. Und bevor ich mich in deine ungeschickten Hände begebe …“

„Na vielen Dank für das Vertrauen!“ Stamets warf dem immer noch lachenden Mann einen betont beleidigten Blick zu. Im Angesicht der guten Laune konnte er seinen Unmut jedoch nicht lange aufrecht erhalten. Er musste sich eingestehen, dass ihm schon ein besonderes Glück hold gewesen war, als Hugh ihm über den Weg gelaufen war. Ihm war noch nie jemand begegnet, der bereit war, ihn so kompromisslos zu lieben – seine Mutter vielleicht ausgenommen.

Die privaten Überlegungen lenkten seine Aufmerksamkeit viel mehr auf den Mann an seiner Seite, denn auf den Weg, so dass er das Mädchen nicht rechtzeitig bemerkte, das ihnen nach der nächsten Wegbiegung bergauf entgegen gespurtet kam.

Erschrocken ließ er Culbers Hand los, als der Teenager ihm ungebremst gegen den Arm lief.

„Verdammt, was …?!“ Stamets wirbelte herum.

Das Mädchen drängte sich an ihm vorbei und wollte weiter hetzen, ohne auf den Kollateralschaden, den es verursacht hatte, einzugehen.

Stamets schaffte es, den Arm zu packen. „Bleibst du Göre wohl stehen?!“, fauchte er.

Als es merkte, dass es sich nicht losreißen konnte, wirbelte das Mädchen herum und holte noch im Schwung mit dem Bein aus. Das Knie traf zielsicher.

Stamets schossen Tränen in die Augen, als er sich vornüber krümmte. „Verdammte Sch…!“

Das Mädchen riss sich los und hechtete vom Weg herunter ins Unterholz. Culber machte einen Satz nach vorne, um den Wissenschaftler zu stützen, der in Zeitlupe in die Knie ging. „Langsam, langsam. Ich hab dich …“

„Erwisch. Die. Verdammte. Göre!“, presste Stamets zwischen den Zähnen hervor, als er sich auf den Boden kauerte.

Culber hielt ihn mit der einen Hand, während er mit der anderen einen Injektor aus seinem Rucksack kramte. Ebenfalls einhändig lud er eine kleine Ampulle mit Schmerzmittel. „Ich kümmer mich erst einmal um dich.“

Für den Moment war Stamets abgelenkt, als er fasziniert beobachtete, wie mühelos der Arzt diese eigentlich für zwei Hände gedachte Tätigkeit aussehen ließ. Er spürte die Entladung im Oberschenkel und fast augenblicklich ebbte der stechende Schmerz ab. Erleichtert setzte er sich auf den steinigen Weg.

Der unvermeidliche medizinische Tricorder surrte bereits wieder über seine Körpermitte. „Ich schau es mir im Hotelzimmer genauer an. Für den Rückweg bist du okay.“

Stamets gestikulierte mit der Hand in Richtung des Unterholzes.  „Könntest du jetzt vielleicht dieses Miststück verfolgen?“

Culber schüttelte den Kopf. „Paul, sie wirkte sehr erschrocken und ängstlich. Sie wollte dir nichts tun, sie ist in Panik geraten, als du sie festgehalten hast.“

„Du verteidigst sie auch noch?!“ Er wollte sich hochstemmen, ließ sich jedoch nach ein paar Zentimetern wieder zurückfallen. Es zog noch zu sehr. „Du kannst dir dein Mitleid sonstwohin …“ Der ernste Blick des Arztes, der schräg an seinem linken Ohr vorbei ging, ließ ihn irritiert abbrechen. Er wandte den Kopf, um zu sehen, was Culbers Aufmerksamkeit erregt und ihn zu der Miene bewogen hatte, die sonst für uneinsichtige Patienten vorgesehen war.

Zwei Männer waren um die Wegbiegung erschienen. Sie wirkten gehetzt, so als ob sie den Berg hinauf gerannt waren, doch ihre körperliche Erscheinung sprach deutlich davon, dass sie solche Anstrengungen gewohnt waren. Stamets konnte die Spezies nicht zuordnen, doch er sortierte sie instinktiv in die Schublade derjenigen Bekanntschaften, die er lieber nicht machen wollte. Alles an den beiden Männern buchstabierte Ärger. Lockere Steine spritzten unter den Sohlen der festen Stiefel nach hinten, als sie sich mit weitausgreifenden Schritten näherten.

„Haben Sie ein Mädchen gesehen?“, hielt sich der erste nicht mit irgendwelchen Höflichkeiten auf.

Der zweite blieb daneben stehen, stützte die Hände in die Hüfte und blockierte mit seiner breiten Gestalt die Abendsonne. „So groß.“ Die eine Hand wischte auf Rippenhöhe durch die Luft. „Grünes Haar.“

„Oh, diese blöde Göre ist vorhin …“ weiter kam Stamets nicht. Die Kante des medizinischen Trikorders traf ihn mit empfindlicher Präzision am Schienbein. Luftschnappend traten ihm zum zweiten Mal an diesem Abend Tränen in die Augen. „Sch…!“ Er umfasste das Bein und krümmte den Rücken.

Culber bewegte den Tricorder unbeirrt weiter, so als ob der Schlag lediglich Teil seiner Untersuchung gewesen wäre. „Sie hat uns vorhin angegriffen“, erklärte er in einem so ruhigen Tonfall, dass Stamets ihm am liebsten einen Kinnhaken gegeben hätte, hätte er sich denn imstande gefühlt, mit dem Arm auszuholen. „Ich bin gerade dabei, meinen Partner medizinisch zu versorgen.“ Er steckte den Scanner weg und holte den Injektor mit einer weiteren Ampulle Schmerzmittel hervor. Ohne von seiner Arbeit aufzusehen deutete er mit der freien Hand über seine Schulter, den Weg hinauf, den sie heruntergekommen waren. „Sie ist dorthin weiter gestürmt.“

Ohne ein weiteres Wort verfielen die beiden fremden Männer wieder in leichten Trab und rannten an den beiden am Boden kauernden Männern vorbei. Aufspritzender Splitt traf den hangwärts sitzenden Culber im Rücken.

„Gern geschehen“, murmelte er. Dann wandte er sich wieder zu seinem Partner um. Augenblicklich änderte sich der abweisende Gesichtsausdruck, machte um Entschuldigung heischender Sorge Platz. „Es tut mir so leid, Paul.“ Er streckte beide Arme nach dem in Mitleidenschaft gezogenen Bein des blonden Wissenschaftlers aus.

Stamets zog es zurück und bedachte ihn stattdessen mit einem tödlichen Blick. „Spinnst du?!“

Culber griff nach und bekam den Unterschenkel zu packen. Er bettete ihn auf seinem Knie und machte sich daran, Stamets‘ Hosenbein aufzurollen. „Es tut mir wirklich leid.“ Er betastete vorsichtig Schien- und Wadenbein. „Ich musste verhindern, dass du den Typen sagst, wohin das Mädchen gerannt ist.“ Er griff nach dem medizinischen Scanner und überprüfte das Bein damit. Die Daten sagten auch nichts anderes aus, als seine Finger bereits in Erfahrung gebracht hatten. Er nickte zufrieden. „Nur eine kleine Prellung.“

„Nur eine …!“ Stamets versuchte das Bein wegzuziehen, aber Culbers Griff blieb fest. Der Wissenschaftler schnaubte verächtlich. „Und warum sollte ich sie nicht der Göre hinterher schicken?“

Die tastenden Finger waren nun zu sanft streichelnden geworden. Culbers dunkle Augen drückten ernsthafte Reue aus. Er beugte den Oberkörper vor, um Stamets versuchsweise auf die senkrechte Falte zwischen den farblosen Brauen zu küssen. Der Wissenschaftler murmelte zwar noch einen Fluch, zog den Kopf jedoch nicht zurück. Erleichtert platzierte Culber noch einen weiteren Kuss auf dem Nasenrücken und schließlich auf dem Mund seines Liebhabers.

Als er sich schließlich wieder von ihm löste, blickten Stamets‘ Augen zwar immer noch gelinde verstimmt, doch der Rest des Gesichts hatte sich bereits wieder zusehends geglättet. „Weil ich mir nicht sicher sein kann, dass sie dem Kind nicht etwas Böses wollen“, erklärte Culber. Er legte das Bein seines Partners behutsam auf dem Boden ab und erhob sich. „Sie gehörten einer anderen Spezies an, womit ich irgendwelche Familienzwistigkeiten ausschließen kann.“ Er reichte Stamets die Hand, um ihm aufzuhelfen.

„Das ist mir nicht aufgefallen.“ Stamets richtete sich mit der Hilfestellung schwerfällig auf. Im Stehen prüfte er mit mehreren Gewichtsverlagerungen das Gefühl in Bein und Becken.

„Es hätte mich gewundert, wenn es das wäre.“ Culber beobachtete die Bewegungen prüfend und nickte dann zufrieden. Er schulterte seinen Rucksack. „Dafür, dass du einen so wachen Intellekt besitzt, setzt du ihn für überraschend wenige Details außerhalb deiner Forschung ein.“ Er streckte die Hand aus und fischte nach Stamets‘ Fingern.

Der schenkte ihm einen Blick unter zusammengezogenen Brauen und verschränkte die Arme. „Ich bin mir nicht sicher, ob es nicht ungefährlicher ist, wenn ich für mich bleibe. Nicht, dass du noch auf die Idee kommst, dass mir ein kleine Schulterwurf zwischendurch ganz gut tun würde.“

„Paul.“ Culber quetschte seine Hand zwischen den verschränkten Unterarmen hindurch, packte die bleichen Finger und hielt sie schließlich sicher an seiner Seite. „Es tut mir wirklich, wirklich leid! Ich mache es heute abend wieder gut, versprochen.“

„Wie denn?“ Stamets schob die Unterlippe vor. Er fiel in Gleichschritt mit seinem Partner. Das Schmerzmittel tat seine Wirkung: Weder Bein noch Becken taten ihm weh. „Die blöde Göre hat meinen Penis zerquetscht.“

Culber schenkte ihm das Lächeln, das Steine – und eisige Wissenschaftler – schmelzen lassen konnte. „Den richte ich dir nachher wieder. Lass nur …“ Er stockte. „Hast du das gehört?“

Stamets nickte. Im hangwärtigen Unterholz war ein schwaches Rascheln zu vernehmen. Es verstummte, wenn sie stehen blieben und ertönte, wenn sie sich wieder in Bewegung setzten. „Gibt es hier Tierarten, die Menschen gefährlich werden können?“, erkundigte er sich leise, während sie erneut ihren Weg aufnahmen.

„Nein.“ Culber schüttelte den Kopf. „Eine scheue Primatenart ist das Größte, das in den Wäldern um das Resort lebt. Sie erreicht höchstens Kniehöhe.“

„Das klingt größer.“

Nach der nächsten Wegbiegung konnten sie bereits die Gebäude der Ferienanlage vor sich im Tal sehen. Die Abendsonne tauchte die Dächer in ein warmes, dunkelviolettes Licht und sorgte für ein heimeliges Gefühl des Nachhausekommens. Stamets wollte sich nach rechts wenden, wo der Wanderweg den Wald verließ und in direktem Gefälle auf das Resort zuhielt. Doch Culber blieb stehen. Da er immer noch seine Hand hielt, stoppte er damit auch den Wissenschaftler in seiner Bewegung.

„Warte einen Moment.“ Der Mediziner hob die freie Hand und führte sie an Stamets‘ Lippen ohne dabei den Blick vom Waldrand abzuwenden.

Der blonde Mann wunderte sich über die blinde Präzision, noch mehr jedoch über die begleitenden Worte. „Überlass das bitte mir und versuch, den Mund zu halten.“

„Wa…?“ Der Finger drückte etwas stärker und Stamets schloss den Mund wieder.

„Wir tun dir nichts.“ Culber hatte die Stimme erhoben. Die Worte waren nicht an seinen Partner gerichtet. Immer noch blickte er unverwandt den Waldrand an. Das Rascheln hatte aufgehört. Die Natur schien zu lauschen.

Stamets verkniff sich die Frage danach, wem sie nichts tun würden. Wenn Culber ernst wurde, dann war es besser, wenn man sich erst einmal anhörte, was der besonnene Mann zu sagen hatte, anstatt ihm vorschnell dazwischen zu reden.

„Es wird bald dunkel und es wäre mir lieber, wenn ich dich im Schutz der Häuser wüsste als hier draußen.“ Der Arzt blickte den Weg entlang, den sie hinunter gekommen waren. „Und ich fürchte, die Männer kehren bald wieder zurück.“

„Du sprichst mit dieser Göre?“, zischte Stamets, was ihm ein strenges „Shhh!“ von Culber einbrachte.

„Du hast gesehen, dass wir dich nicht verraten haben“, fuhr der Arzt unbeirrt fort. „Ich möchte mit dir reden, ich möchte wissen, was los ist. Du kannst mir vertrauen.“

Der Wald antwortete ihm mit noch mehr Schweigen.

„Wir gehen jetzt langsam zum Resort zurück.“ Culber wandte sich vom Unterholz fort. Er wurde von einem Blick empfangen, der ihn zu fragen schien, ob er noch alle Tassen im Schrank hatte. Der Arzt schüttelte kaum merklich den Kopf, um Stamets anzudeuten, dass dieser weiterhin schweigen solle. Er nahm ihn an der Hand und setzte langsam den Weg den Hang hinab fort.

„Was sollte das?“, zischte Stamets irritiert.

„Shhh ….“

Kullernde Steinchen verursachten das leiseste Geräusch hinter ihnen. Stamets wollte sich umdrehen, doch Culbers Griff führte ihn demonstrativ weiter. Schließlich bewegte sich ein Schatten an der freien Seite des Arztes.

„Warum haben Sie die Typen auf den falschen Weg geschickt?“, ertönte eine flüsternde Stimme.

Culber behielt sein Tempo bei. „Weil ich erst deine Version der Geschichte hören wollte“, erklärte er ruhig.

„Und wenn sie Ihnen nicht gefällt?“ Schatten und Stimme kamen näher.

„Dann ist das eben so.“

Eine Zeitlang herrschte Stille. Doch die leichten Schritte bewegten sich immer noch an Culbers Seite. Sie hatten nun das erste Gebäude des Resort-Geländes erreicht, eine große Sporthalle. Der Weg verlor hier sein Gefälle und schlängelte sich in sanftem Bogen um das Gebäude herum, vorbei an Außenanlagen zum Bogenschießen.

Die Schritte blieben stehen. Nun tat dies auch Culber und mit ihm sein Partner.

„Liefern Sie mich dann den Typen aus?“ Jetzt erst drehten sich die beiden Männer zu dem Mädchen um. Es hatte die Arme vor der schmalen Brust verschränkt, betrachtete sie mit einem Blick, der zwar Trotz vorschützte, aber nicht die unterliegende Unsicherheit verbergen konnte. Das schulterlange Haar, das zerzaust vom Kopf abstand, besaß einen schwach grünen Ton. Gesicht und der unbekleidete Teil der Arme wiesen ein blaugrünes Schuppenband auf.

„Nein.“

„Hugh, du kannst doch nicht …“

„Paul!“

Stamets schwieg, doch sein Blick buchstabierte „Wir sprechen uns später“ in Kapitalen. In ihrer gemeinsamen Zeit hatte er gelernt, dass er Culber mit seinem Leben trauen konnte. Daher hielt er für den Moment still.

Das Mädchen betrachtete sie abwägend. Der Blick tanzte von einem Mann zum anderen, dann wieder den Weg zurück, den sie gekommen waren, und hinüber zum Resort. Schließlich schien es zu einer Entscheidung gelangt zu sein. „Haben Sie etwas zu essen?“

Culber nickte lächelnd. „Wir können uns so viel, wie du möchtest, aufs Zimmer kommen lassen.“

„Wir nehmen sie aufs …“ Stamets hob die freie Hand, als Culbers Blick ihn traf.

„Okay“, befand das Mädchen schließlich. „Aber wenn Sie mich verpfeifen, wird es Ihnen leid tun.“

Culbers Lächeln strahlte nach wie vor die beruhigende Zuversicht aus, die Stamets hier unangebracht fand. „Ich werde es im Hinterkopf behalten. Komm, lass uns etwas essen und reden.“ Er nahm den Rucksack ab, zog die leichte Wanderjacke aus und reichte sie dem Mädchen. „Hier, zieh das an und die Kapuze über. Ich schätze, es ist besser, wenn niemand sagen kann, dass er dich gesehen hätte.“

Sie nickte.

Stamets starrte die unwillkommene Begegnung mit den grünen Haaren und seinen mitfühlenden, viel zu weichherzigen Partner an und hoffte, dass sie bald auf dem Zimmer waren. Er wusste nicht, wie lange er noch den Mund halten konnte.

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