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Der Fluch der guten Tat

von Gabi

Vertrauenssache

„Okay! Was soll das?!“ Die Tür hatte sich kaum hinter ihnen geschlossen, als Stamets der Geduldsfaden platzte. Er nahm den Rucksack von den Schultern und warf ihn achtlos in Richtung eines Stuhls, den er prompt verfehlte. Mit der Hand wedelte er zu dem Mädchen, das in der viel zu großen Jacke reichlich verloren wirkte. Es zog sich augenblicklich an Culbers Seite zurück.

„Warum geben wir sie nicht unten an der Rezeption ab, damit die sich darum kümmern? Das ist deren Job!“ Die Wanderstiefel folgten dem Rucksack – auch sie verfehlten den Stuhl.

Das Mädchen hatte sich nun völlig hinter Culber verborgen. Der Kopf zuckte immer wieder in Richtung Tür, was nur durch die raschelnde Bewegung der Kapuze zu erkennen war. Der Mediziner streckte vorsichtig eine Hand nach hinten aus, um es zu berühren. Doch es sprang mit einem erschrockenen Ausruf zur Seite, so dass er den Arm wieder nach vorne nahm.

„Deswegen.“ Culber wandte sich langsam um, bedacht darauf, keine hastige Bewegung zu machen. Er lächelte das Mädchen an, während seine Worte weiterhin Stamets galten. „Weil sie Angst hat.“ Er ging in die Hocke, um mit der Kleinen auf Augenhöhe sprechen zu können. Nach terranischen Maßstäben belief sich ihr Alter vermutlich auf dreizehn oder vierzehn Jahre. „Du kannst uns vertrauen, wir werden nichts unternehmen, ohne es vorher mit dir besprochen zu haben. Wir möchten deine Geschichte hören …“

Das gemurmelte „Sprich für dich“ Stamets‘ ignorierte er. Stattdessen streckte er einen Arm nach hinten in Richtung seines Partners aus und gestikulierte ihm, dass er zu ihm kommen sollte.

Stamets kam näher, seine Miene mit dem Ausdruck deutlichen Widerwillens, was jedoch an Culber verloren war, da der immer noch damit beschäftigt war, das Mädchen anzulächeln. Er ergriff die ausgestreckte Hand, ging jedoch nicht in die Hocke.

„Ich bin Hugh, das hier ist Paul.“ Culber deutete auf sich und dann auf Stamets. „Wie heißt du?“

Der misstrauische Blick des Mädchens konzentrierte sich nun gänzlich auf Stamets, so als ob es die ersten Anzeichen eines Verrats von dieser Seite nicht verpassen wollte. Culber schien es als vertrauenswürdig eingestuft zu haben, denn dieses Mal duldete es die Berührung seines Arms.

„Auch er wird nichts tun, was wir nicht zuvor mit dir besprochen haben“, versicherte der Mediziner auf das Zögern des Mädchens hin. „Dafür liebt er mich viel zu sehr“, setzte er nach, um Stamets klar zu machen, womit der es im Ernstfall zu tun bekam.

Sie zog die Brauen noch einmal in Richtung des Wissenschaftlers zusammen, dann schenkte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem lächelnden Gesicht auf Augenhöhe. „Melpin.“

„Ich freue mich, dich kennenzulernen, Melpin.“ Er klopfte ihr einmal aufmunternd auf den Oberarm, dann deutete er zu der kleinen Kommunikationseinheit neben der Tür. „Sollen wir etwas zu essen kommen lassen?“

Das Nicken fiel heftig aus.

„Ich kann mir vorstellen, dass du Hunger hast.“ Culber richtete sich wieder auf. Sein Blick traf denjenigen Stamets‘. Er schüttelte leicht den Kopf auf all die verständnislosen Fragen, die er darin las. „Wir sprechen später, lass mich das bitte machen.“

„Ich hoffe, du weißt, was du tust“, murmelte der Wissenschaftler, während sein Handdruck versicherte, dass er seinem Partner die Zügel überließ.

„Danke.“ Im Vorbeigehen hauchte der ihm einen Kuss auf die Lippen. Dann begann er an der internen Kommunikation die Speisekarte einmal rauf und runter zu bestellen.

Als der Zimmerservice kam, hielt Melpin sich sicherheitshalber außerhalb der Sichtweite der Tür auf. Sie hatte mittlerweile die Wanderjacke ausgezogen und stand nun in einfachem und ziemlich dreckigen Shirt und Hose hinter dem Durchgang zum Badezimmer. Während Culber die Bestellung entgegennahm, beobachtete Stamets das Mädchen von der anderen Seite des Raums aus. Er konnte schon verstehen, warum Hugh das Gefühl hatte, er müsse dem Kind helfen. Es lag in der Natur des Mediziners, überall das Gute in anderen zu sehen, anders wäre er überhaupt nicht auf die Idee verfallen, sich in jemanden wie Paul Stamets zu verlieben. Doch Stamets konnte nichts daran ändern, dass er die Welt von der exakt entgegengesetzten Warte aus betrachtete. Er hatte ein ungutes Gefühl bei dem Mädchen und er würde erst wieder erleichtert sein, wenn es ihr Zimmer verlassen hatte. Was hoffentlich nach dem üppigen Essen der Fall sein würde.

Culber schob den Servierwagen in den Raum und zum Esstisch hinüber. Die Bestellung war übertrieben und reichte höchstwahrscheinlich für zehn Personen, doch die Präsentation war überaus verlockend. Das Küchenpersonal hier im Resort machte sich große Mühe, das musste sogar Stamets eingestehen.

Während Melpin keine Aufforderung brauchte, um sich mit großen Augen an den Tisch zu setzen, näherte Stamets sich zögernd. Er wartete, bis Culber Augenkontakt aufnahm, dann nickte er mit dem Kinn zum Sofa hinüber. „Wenn es dir nichts ausmacht, nehme ich mir einen Teller und stelle etwas Vernünftiges mit meiner Zeit an.“

Ein sanftes Lächeln huschte über Culbers Züge. Er richtete kleine Happen verschiedener Speisen auf einem Teller an, zog eine dunkelrote, schwach duftende Blüte aus dem Bouquet, das den Servierwagen schmückte, und dekortierte damit die Auswahl. „Natürlich, Paul.“ Er reichte ihm den Teller.

Stamets schüttelte den Kopf, konnte aber nicht verhindern, dass auch er zu lächeln begann. Womit hatte er bloß diesen Menschen verdient?

Auf dem Weg zum Sofa griff er das Datenpadd, das er am Morgen auf der Kommode abgelegt hatte, warf sich in die Kissen, und begann zu essen, während er die neuste Ausgabe von „Anwendungen der Biophysik“ aktivierte.

Culber blickte ihm noch einen Moment nach, dann wandte er seine Aufmerksamkeit dem Mädchen zu. Melpin hatte sich eine ansehnliche Menge verschiedenster Speisen auf den Teller getürmt. Der Aufbau begann bereits gefährlich zu schwanken.

„Du kannst dir jederzeit einen Nachschlag nehmen“, sprach er sie sanft an. „Es ist mehr da, als wir verdrücken können … zumindest Paul und ich“, korrigierte er seine Aussage, als er sah, mit welchem Heißhunger das Mädchen zu essen begann. Was immer dem Kind widerfahren war, vom Schicksal verwöhnt war es sicherlich nicht.

Melpin nickte lediglich und konzentrierte sich völlig auf den Teller. Eine Zeit lang beobachtete Culber sie, verglich instinktiv Haut- und Haarbeschaffenheit, Färbung, Atmung und den allgemeinen Zustand mit demjenigen eines gesunden Menschen, musste sich aber eingestehen, dass er ohne einen Scanner keine Aussage treffen konnte, solange er nicht ihre Spezies in der Datenbank als Referenz aufrief. Er hoffte, dass sie es nachher zulassen würde, dass er sie einer groben medizinischen Untersuchung unterzog. Ein Blick über die Schulter, versicherte ihm, dass Paul einigermaßen zufrieden mit seiner Lektüre war, und so nahm er sich schließlich ebenfalls etwas vom Servierwagen.

„Magst du mir erzählen, warum dich die Männer gesucht haben?“, fragte er nach ein paar Bissen.

Melpin stockte kurzzeitig, blickte auf, erneutes Misstrauen in den Augen. Doch Culbers Miene schien sie zu beruhigen. Sie widmete sich weiter dem Essen. „Bin ihnen weggelaufen.“

Er musste sich anstrengen, sie zu verstehen, da sie den Mund beim Sprechen nicht leerte. „Und was haben sie mit dir zu tun? Ihr stammt nicht vom selben Planeten, oder?“ Er versuchte, den Anblick des halbgekauten Stücks Kartoffel zu verdrängen, das beim heftigen Kopfschütteln des Mädchens über den Tisch segelte. Ein paar Spritzer Sauce folgten, als Melpin mit der Gabel auf den Teller einstach.

„Mit denen hab ich nichts zu tun.“

„Und was wollen sie von dir?“, hakte der Mediziner nach. Es war faszinierend zu beobachten, was alles in einen so schmalen Körper hinein passte. Ein teigumhüllter Pilz verschwand zur Gänze zwischen den grünblauen Lippen. „Gemb.“

„Wie bitte?“ Culber seufzte. „Könntest du bitte erst schlucken, bevor du sprichst?“

Das Mädchen kaute heftig und schluckte dann fast trotzig. „Sie wollen Geld.“

„Von dir?“

„Durch mich.“ Die Hand mit der Gabel schwebte bereits wieder über dem nächsten essbaren Stück, das unter Garantie nicht zur deutlichen Verständigung beitragen würde.

Culber legte ihr vorsichtig die Hand auf den Unterarm. „Kannst du dich bitte erst erklären? Es ist ein wenig umständlich, dich zu verstehen, während du isst.“

„Ich hab Hunger!“

„Ich weiß, und ich lass dich auch gleich in Ruhe – großes Ehrenwort.“ Er schenkte ihr ein schräges Lächeln, von dem er wusste, dass es zumindest bei Erwachsenen beiderlei Geschlechts Wirkung zeigte.

Melpin zuckte mit den Schultern, so als müsse sie sich in ein unliebsames Schicksal ergeben. Den Blick sehnsüchtig auf das nächste Pilzstück gerichtet, erklärte sie: „Die wollen mich verkaufen. Meine Eltern brauchten das Geld. Aber ich wette die machen hier ein viel besseres Geschäft für mich und haben meine Eltern bloß über den Tisch gezogen.“ Die faktische Art, mit der Melpin gesprochen hatte, schockierte Culber. Er zog die Hand zurück und starrte das Mädchen an. Das nutzte die Chance augenblicklich, um sich den Mund vollzustopfen.

„Das ist Sklaverei! Das ist in der Föderation verboten.“ Culber konnte spüren, wie Stamets in seinem Rücken den Kopf hob.

Melpin zuckte mit den Schultern, während sie weiterkaute. „Shtonkan is nich in der Föderation.“

Das Datenpadd wurde hörbar auf das Sofa geworfen. Schritte näherten sich. Stamets trat hinter seinen Partner und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Aber Vandura III ist, wir können sofort die Behörden …“

Das Mädchen starrte Stamets an. Erneut flackerte Furcht in den Augen auf.

„Leider nicht.“ Culber legte die eigene Hand auf seine Schulter, um dort die Finger des anderen Manns zu berühren. „Vandura ist kein Mitglied der Föderation.“ Er wandte den Kopf zu Stamets um. „Um auch für nichtföderierte Welten als Urlaubsplanet interessant zu bleiben, ist Vandura III bislang neutral geblieben.“ Er streichelte gedankenverloren über die Finger. „Ich muss mich morgen bei den Behörden über die Abkommen schlau machen, bevor wir einen falschen Schritt unternehmen.“

„Morgen?“ Stamets zog seine Hand unter derjenigen Culbers hervor und packte dessen Finger. Seine Augen verengten sich. „Was wird solange mit ihr?“

Melpin hatte den Wissenschaftler nicht aus den Augen gelassen. Ihr Blick spiegelte denjenigen des blonden Mannes wider. Ihr Körper war angespannt, sprungbereit, fluchtbereit.

Culber drehte den Oberkörper in Richtung Stamets, um dem Zug an seinem Arm entgegenzuwirken. „Melpin kann heute Nacht hier bei uns schlafen …“

Der nächste Ruck zwang Culber zum Aufstehen. „Unter vier Augen!“ Stamets funkelte ihn an.

Der Mediziner wandte sich dem Mädchen zu. Dessen Blick tanzte zwischen den beiden Männern hin und her, sichtlich im Unklaren darüber, was die beiden zu tun gedachten, oder wie es sich selbst verhalten sollte. „Melpin, du bist völlig sicher hier“, versicherte Culber abermals. Seine ruhige Stimme schaffte es, die Haltung des Kindes ein kleines wenig zu entspannen. „Nimm dir noch so viel, wie du möchtest. Ich geh mit Paul kurz rüber ins Bad und rede mit ihm, okay? Ich bin gleich wieder da.“ Er schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Ich lasse dich nicht im Stich – wir lassen dich nicht im Stich“, fügte er mit einem mahnenden Blick auf seinen Partner hinzu. „Vertrau mir.“

Sie betrachtete ihn einen Augenblick regungslos, dann nickte sie langsam. „Okay, ich vertrau dir.“

„Dafür bin ich dir dankbar.“ Er lächelte ihr noch einmal zu, dann packte er Stamets‘ Ellbogen und schob ihn ins Badezimmer hinüber.

„Nicht mit mir!“, zischte Stamets, sobald sich die Türe geschlossen hatte. „Sie übernachtet nicht in unserem Zimmer!“

Culber setzte sich auf den Wannenrand und stützte die Hände ab. „Wo soll sie denn hin?“ Er sah ihn an.

„Wir übergeben sie dem Hotelpersonal. Das ist nicht unser Problem!“

„Es ist unser Problem geworden, als ich ihr Hilfe angeboten habe.“

„Es ist dein Problem geworden!“

Culber erwiderte nichts. Er blickte seinen Lebenspartner lediglich an. Ruhig, nachdenklich, fragend. Stamets‘ zornige Augen hielten dem warmen Blick für einen Moment stand, doch der Moment zog sich in die Länge. Und wie so oft in ihrer Partnerschaft waren es die blauen Augen, die zuerst den Kontakt brachen. Mit tiefem Seufzen ließ Stamets sich ebenfalls auf dem Wannenrand nieder. Ohne ihn direkt anzusehen, griff er nach der Hand des anderen.

„Es ist unser Problem“, erklärte er leise. „Hugh …“ Er machte eine Pause.  „Warum können wir das Problem nicht einfach an die Hotelverwaltung abgeben? Sie haben hier geschulte Leute, die es gewohnt sind, sich mit den Behörden auseinanderzusetzen.“ Er wandte nun doch den Kopf. In Culbers Augen war kein Vorwurf zu erkennen, lediglich die Aufmerksamkeit, die er dort immer vorfand.

„Weil ich nicht weiß, wer hier auf wessen Seite steht, und ich mit Sicherheit nicht so etwas Wertvolles wie das Wohlergehen eines Kindes in die Hände von Leuten lege, die ich nicht näher kenne.“ Culber hob die Hand, um Stamets über die Schläfe zu streichen. „Paul, ich will erst ganz genau wissen, woran ich bin, bevor ich Melpin jemandem anvertraue. Ich denke, das verstehst du auch – ganz gleich, wie sehr es dir zuwider läuft.“

Stamets atmete einmal tief durch und verzog dann den linken Mundwinkel zu einem halbseitigen Lächeln. „Erinnere mich bitte daran, dass ich mich das nächste Mal in einen selbstbezogenen Egozentriker verliebe.“

Culber lachte auf. „Noch so einen wie dich? Ihr würdet keine fünf Minuten miteinander aushalten.“ Er beugte sich vor. Der weiche Kuss machte Stamets einmal mehr klar, dass er sich in diesem Leben überhaupt nicht mehr verlieben würde. Als sie sich wieder voneinander lösten, stand Culber auf und zog ihn mit sich hoch. „Wenn wir das geregelt haben, mache ich es wieder gut, ich versprech es dir.“

„Und was ist mit der gebuchten Massage?“ Stamets berührte den Türsensor.

„Verlegen wir …“

Die sich öffnende Tür gab den Blick auf den leeren Tisch frei. Der Platz, an dem Melpin zuvor gesessen hatte, bot sich als eine Platte bunter Klekse und verschmierter Essensreste dar, aber von dem Mädchen war nichts zu sehen.

„Melpin?“ Culber machte zwei hastige Schritte in den Raum hinein. Er erwartete, sie irgendwo stehen oder sitzen zu sehen. Der Wohnbereich war ebenfalls leer.

Stamets ging zum Schlafzimmer hinüber. „Hier ist auch niemand.“

„Verdammt.“ Culber öffnete die Quartiertür. Doch auf dem Korridor war niemand zu sehen. „Sie muss es mit der Angst zu tun bekommen haben, dass wir sie ausliefern wollten. Verdammt!“

„Immerhin hat sie vorgesorgt.“ Stamets‘ Stimme klang weniger besorgt als verärgert.

„Was?“ Culber wirbelte herum. Bei ihm überwog eindeutig die Sorge.

Stamets stand neben dem leeren Sofa und deutete anklagend auf das Polster. „Mein Datenpadd. Sie hat es mitgehen lassen.“

Culbers Augen wurden groß, er kehrte ins Zimmer zurück und eilte an Stamets‘ Seite. „Waren sensible Daten drauf?“

Der Wissenschaftler schüttelte den Kopf. „Lediglich wissenschaftliche Artikel, die von jeder Bibliothek aus zugänglich sind. Damit kann sie überhaupt rein gar nichts anfangen. Ich schätze, sie wird versuchen, das PADD zu Geld zu machen.“

„Wir müssen sie finden“, bestimmte Culber. Er befand sich wieder auf dem Weg zur Tür. „Wir müssen sichergehen, dass ihr nichts geschieht.“

Stamets schlüpfte in seine Stiefel und folgte ihm seufzend. „Wir müssen sie finden, um das Sternenflotteneigentum zurück zu bekommen.“

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