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Wie macht man eigentlich Musik?

von Wolf

Kapitel 1

2256, Sternenflotten Akademie San Francisco, Erde

Es war schon spät, als Joan von der Arbeit, die sie im Rahmen der Ausbildung absolvieren musste, nachhause kam. Heute hatte sie zu allem Überfluss eine Spiralfraktur kurz vor Dienstschluss zugeteilt bekommen und hatte damit etwa zwei Stunden länger im Saal gestanden als vorgesehen.
Gähnend tippte sie den Code in das Schaltpanel neben der Tür. Diese öffnete sich mit einem Zischen.
“Joan?! Joan?”, ertönte Alphas Stimme aus dem Bad.
“Joan, du musst mir helfen.”
Joan ließ die Jacke auf den Boden fallen und schnappte sich das Erste Hilfe Set, das immer neben der Tür auf dem Schrank lag.
“Was ist passiert?”, rief Joan. Sie beeilte sich ins Badezimmer zu kommen. Doch Alpha schien es gut zu gehen, sie stand vor dem Spiegel und schminkte sich ab. Joan verdrehte die Augen und ging zurück in den Wohnraum, um sich die Schuhe auszuziehen und ließ sich auf das Bett fallen.
“Joan?”, verlange Alpha erneut.
“Was?”
“Du musst mir helfen!”
“Ja, das habe ich schon verstanden. Bei was soll ich dir helfen?” Joan roch an ihren Händen, die immer noch nach Arbeit rochen.
Sie stand wieder auf, um sich etwas nach Jasmin duftende Handcreme aus dem Spender zu nehmen.
Alpha kam wieder aus dem Bad: “Ich habe einen neuen Dozenten in Geschichte, der immer auf Kumpeltyp mach.” Sie ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen. “Er hat jetzt Arbeiten zum Kulturgut der Erde verteilt und rate mal, was ich gezogen habe.”
Joan sah sich Alpha und die ihre Haltung an. “Königin Victoria?”
“Nein. Wie kommst du darauf? Ich muss etwas über Rockmusiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausarbeiten.”
“Und?”
“Und du hörst doch sowas ständig.”
“Ich wusste, dass es dir irgendwann nützlich sein würde. Was willst du wissen?” Alpha hatte sie damit aufgezogen, dass sie immer diese ‘eingestaubte Musik’ hörte. Aber neben den Beastie Boys, einer Gruppe aus den 1990er, die wieder im Kommen waren, gab es kaum jemanden, der überhaupt so etwas mochte.
“Alles.”
“Wer will das nicht… Ich würde sagen, du fängst mit Elvis Presley an. Der war damals der König des Rock’n’Roll.”
“Hast du was von ihm da?”
I got a hound dog, cryin’ all the time”, sang Joan.
“Nicht so, ich meine richtig.”
“Ja klar, ich habe alles auf meinem Music-Player, was es damals so gab…” Der Sarkasmus war kaum zu überhören.
„Aber ich weiß doch, dass du etwas von damals auf dem Player hast. Bruce Springschwein oder so…”
Joan zog die Augenbrauen zusammen. “Dieser Mann hieß Bruce Springsteen und ich glaube, er zählte wohl nicht zu den Größen seiner Zeit.”
“Ich mag ihn. Ich meine, wer heißt schon Springschwein?” Alpha blieb vollkommen ernst.
Joan drehte sich im Bett von ihr weg und ignorierte alle weiteren Konversationsbemühungen.

Als Joan am nächsten Tag von den Vorlesungen ins Zimmer kam, war Alpha schon da. In Zivil, zur Abwechslung nicht overdressed und ungeschminkt.
“Was ist denn mit dir los?”
“Ich hatte gehofft, du kommst mit mir in die Stadt.”
Joan dachte kurz nach, was es nicht hier auf dem Gelände gab und für was man in die Stadt musste.
“Könntest du mich bitte einweihen oder muss ich dir alles aus der Nase ziehen?”
“Ich war heute im Archiv, habe mir etwas Elvis angehört. Komm, ich erkläre es dir auf dem Weg.” So lautete die Antwort. Sehr strategisch von Alpha, da Joan so schwerer Nein sagen konnte.

“Also, ich habe dir nicht alles gesagt,” begann Alpha, als die beiden den Campus verlassen hatten und bereits Tief in der Stadt von San Francisco waren. “Bei der Arbeit muss auch ein Eigenprodukt herauskommen. Ich würde gerne einen Song im Stil von damals herstellen. Eigentlich wollte ich es komplett digital machen...”
“Und was machen wir dann hier? Nur so, ich wollte nur anmerken, dass das dann nicht so klingt, als würden es richtige Leute spielen. Die kleinen Fehler machen Musik perfekt.”
“Das dachte ich mir auch. Deshalb brauchen wir ja Instrumente und Equipment, das auch nach damals klingt. Mein Dad hat seine Beziehungen spielen lassen. Hier wohnt er.” Alpha stoppte vor einem vierstöckigen Haus und klingelte an der Tür.
“Ein Sammler, der uns die Sachen zur Verfügung stellt, solange wir sie benötigen,” fuhr Alpha fort.
Die Tür wurde elektronisch geöffnet und beiden jungen Frauen betraten das alte Treppenhaus.
“Ich hoffe, du kannst neben der Violine auch noch Gitarre spielen”, meinte Joan mit einem Seufzer.
“Ich dachte, du könntest es”, entgegnete Alpha nebenbei.
“Wie kommst du drauf?”
“In deinem Lebenslauf steht, du warst an der Belvedere in Weimar.”
Die beiden begannen die Treppen hinauf zu steigen.
“Ich hatte klassischen Klavierunterricht. Acht Jahre lang. Und überhaupt, wie kamst du an meinen Lebenslauf?”
“Na, bei deinem Lernvermögen und der Handaugenkoordination sollte das ja auch kein Problem werden.“ Alpha wich der Frage aus und Joan hatte nicht die Chance nachzuhaken, denn da wartet schon ein Mann am Geländer und begrüßte Alpha. Auf was hatte sie sich da schon wieder eingelassen?
“Miss Paris, Doctor Weiss. Nett Ihre Bekanntschaft zu machen.”
Sie schüttelten Hände und er führte die beiden in seine Räumlichkeiten.
“Hier sind die geforderten Instrumente, Miss Paris. Ich hoffe, es entspricht Ihren Wünschen.”
Alpha nickte.
Joan stand hinter ihr und versuchte ihre Verwirrung zu verbergen.
“Alles hier wurde vor 2000 hergestellt, alles, bis auf die elektronische Gitarre. Die ist Baujahr 2006.” Er zuckte mit den Schultern.
In der Ecke standen Boxen voll Kabeln und schwarze Schaltpulte mit Knöpfe und Reglern. Eine Gitarre, ein Bass und ein Kasten mit Klaviertasten, für den Joan der Name entfallen war. Die Instrumente kannte Joan von Fotos, in echt hatte sie noch keine gesehen.
Sie räusperte sich, nur um Alpha an das weiterhin existente Problem zu erinnern.
“Ähm, hätten Sie vielleicht noch ein Heft mit Gitarrengriffen?”

“Mann, Alpha, ob das was wird.” Joan setzte sich aufs Bett mit der Gitarre auf dem Schoß und zupfte zärtlich die Saiten mit der linken Hand, während sie zwischen den neu erlernten Griffen Am und Em hin und her wechselte. Als die beiden das Zeug ins Zimmer gebracht hatten, hatte Joan bemerkt, dass die Gitarre für Linkshänder war. Aber da sie eh nicht spielen konnte, war das egal. Die Feinmotorik mit Links zu schulen, würde gewiss nicht schaden. Hatte sie eine Wahl?
Bevor sie ihr eindeutiges “Ja” zu dieser Unternehmung gegeben hatte, hatte sie eine Liste mit Bedingung eingereicht, auf der Dinge wie ‘Keine Riffs für die Gitarre’ und ‘kein Text über Liebe’ standen.
“Das schaffen wir schon.” Alpha saß am Schreibtisch über mehreren PADDs. “Hier steht, dass in der Rockmusik eine sogenannter Rock-Beat vom Schlagzeug gespielt wurde.”
Joan versuchte weiterhin, die Seiten so anzuschlagen, dass es nach etwas klang. Ohne Verstärker klang die E-Gitarre eher wie eine vulkanische Harfe.
“Das Bass spielte entweder Walkingbass nach dem Jazzmuster oder zuerst den Grundton und dann die Quinte dazu.” Sie begann, im Violinschlüssel die Töne zu notieren, die sie sich vorstellte. Sie sah zu Joan, die aufgehört hatte zu spielen.
“Was ist?”, fragte Alpha.
“Es ist bloß merkwürdig. Diese Dinge hier gehören in ein Museum und wir können einfach drauf spielen. Das ist so verdammt cool! Das Fangirl in mir ist kaum noch in Schach zu halten.”
Alpha grinste. “Ist schon ok.”
“Achso, bevor du schreibst, solltest du dich vielleicht auf einen Stil einschießen“, warf Joan ein.
Alpha sah auf und löschte die bisherigen Noten. “Ich glaube, ich will in die Richtung des Springschweins gehen.”
“Dann solltest du alles bis auf die Drums erst einmal aufschieben und der Bass ist bei ihm glaube ich meistens im Quintenmuster. Der Walkingbass ist eher typisch für den Rock'n'Roll, auch wenn Springsteen ein paar Songs in der Richtung geschrieben hat. Ich kann dir eine Liste von Liedern geben, die, wie ich finde, seinen Stil gut treffen.”
“Das klingt gut und bis dahin kann ich herausfinden, wie ich meine Geigen-Skills auf dem Bass anwenden kann,” grinste die blonde.
Unglaublich, dachte Joan.

Die Wochen vergingen und die beiden bewegten sich so sehr auf den Spuren des ‘Springschweins’, dass die beiden förmlich Eins mit ihm und seiner Truppe wurden.
Kurz vor der Abgabe der gesamten Arbeit hatten die beiden den Song vollendet.
Joan musste auf der Gitarre nur A, E und ab und zu Mal ein D greifen. Und das Keyboard für das Klavier war auch mit wenigen Akkorden und der Hookline, die eigentlich mit der Mundharmonika gespielt werden sollte, recht einfach gestrickt.
Der Bass und Vocals würde Alpha einspielen und das Schlagzeug kam aus dem Computer. Nun war es Zeit, den Plan in die Tat umsetzen. Nach der Vorlesung am Dienstag saßen beide im Quartier und begannen mit den Vorbereitungen. Alpha, die zu dem Prozess ein V-Log führen musste, startete die Aufnahme.
Joan, die das Zimmer halbwegs aufgeräumt hatte, saß im Schneidersitz auf dem Bett. Die Uniform hatte sie gegen eine zerrissene, wohl antike Jeans und ein weißes Top getauscht.
Auch Alpha trug den ‘Springsteen Rebellen Look’.
“Kommen wir zur Praxis.” Sobald Alpha begann mit der Kamera zu sprechen, war es, als wäre eine dritte Person im Raum.
“Das Schlagzeug spielt einen einfachen Rock-Beat. Mit der Kick auf eins und drei und der Snare auf 2 und 4 und die Highheat schwingt in Achteln mit.”
Sie drehte die Kamera zum Bildschirm und spielte vier Takte ab. Dann stoppte sie die Aufnahme und machte sich bereit, um den Bass einzuspielen. Dabei bemerkte sie etwas, dass sich als Problem herausstellen sollte.
“Fuck, wir haben ein Problem” Alpha hielt den Stecker des Kabels in der Hand.
Während Joan aufstand, fuhr sie fort: “Der Stecker passt nicht in die Buchse des Computers.”
Demonstrative versuchte sie den Stecker einzustecken, der aber viel zu groß war.
“Ja, ich sehe es. Was machen wir? Hat der Typ, von dem wir die Instrumente haben, vielleicht einen Adapter?”
“Oh. Der ist seit einer Woche auf Proxima Centauri und kommt auch nicht vor Dezember wieder. Was ist mit deinem Tüftler-Freund?”
Joan konnte sich nicht verkneifen, auf den Spruch eine Reaktion zu zeigen. “Für dich: Fähnrich Wolf. Er ist Antriebsingenieur.”
“Meinte ich ja.”
Joan verdrehte die Augen und versuchte gleich, ihn zu erreichen
“Joan, ich darf dich daran erinnern, dass für diese Spielereien meine Mittagspause drauf geht”, sagte Logan, der über den Videofeat auf Joans PADD zu sehen war.
“Aye, deshalb bin ich dir ja auch dankbar.”
“Also, zeig her.”
Joan drehte das PADD um, damit Logan den Schreibtisch, auf dem das Kabel lag, sehen konnte.
“Der Einfachheit halber würde ich es löten”, meinte er und trank einen Schluck Kaffee.
“Ich würde versuchen, einfach einen neuen Stecker an das alte Kabel zu löten. Du weißt doch, wie das geht?”
Joan seufzte. Unfassbar. Aber es schien, als wäre es die einzige schnelle Lösung.
“Man wird es nicht glauben, aber vor ‘42 habe ich fast nichts anderes gemacht.” Joan lachte auf, eigentlich um den Schwall von Trauer zu übertönen. “Du weißt schon, damals zu Friedenszeiten.”
“Da bin ich beruhigt. Ich melde mich nach meiner Schicht nochmal. Dann erwarte ich einen Bericht, Kadett.” Logan zwinkerte Joan zu und beendete die Übertragung.
Joan legte das PADD auf ihr Bett und drehte sich zu Alpha.
“Alles soweit mitbekommen?”, fragte sie dann.
“Jap. Ich rufe mal Tamara an, ihr Prof hat bestimmt Löt-Schnickschnack rumkullern”, antwortet Alpha und ging zum Telefonieren ins Bad.
“Okay, ich geh rüber in Gebäude H, das Zeug holen. ETA so 30 Minuten.”
“Klar. Verquatsch dich nicht.”
“Aye Ma’am.” Alpha nahm ein Jäckchen vom Haken und verließ das Zimmer.
Joan ging noch einen Schritt, um sich durch die geöffnete Badezimmertür im Spiegel zu betrachten.
Sie zerzauste ihre Haare und knurrte vor sich hin.
Das Loch in ihrem Herz war wieder spürbar und es war fast, als wäre der Anruf erst gerade gekommen. 'Tut mir leid Frau Weiss, aber wir könnten nichts mehr für ihn tun’ hatte der Mann gesagt und das mit dem teilnahmslosesten Tonfall, den Joan je in ihrem Leben gehört hatte. Ihren Vater hatte man dann später in der Ostsee verstreut.
Jesus Christ”, grummelte sie und ließ sich auf das Bett fallen, um ins Kissen zu heulen und einmal richtig zu schreien.
Sie hatte mit dem “Tüftler-Kram” mitsamt allem modernen Zeugs abgeschworen, wollte nichts mehr mit all dem Zeug zutun haben und jetzt, wo Hamburg und Weimar tausende Kilometer weit weg waren, war sie dazu gekommen, etwas zu löten. Warum? Sie hatte sich entschieden, Humanoide statt Maschinen zu reparieren. Dieses Musikprojekt hatte sie in eine Lage gebrachte, die sie schon seit Jahren versuchte zu vermeiden.
Sie vermisste ihren Vater und die gemeinsamen Aktivitäten, die zwar selten aber nicht weniger spaßig waren. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie es riechen, den Geruch von Lötzinn und Maschinenöl.
Was wäre aus ihr geworden, wenn ihr Vater noch am Leben wäre? Wo wäre sie jetzt? Das Interesse für Medizin und Ingenieurwesen war damals etwa gleich stark in ihr gewesen, nur dass man als Kind nur Letzteres bereits 'praktizieren' konnte. Und nur der Tod ihres Vaters bei seiner Arbeit und der dadurch vermehrte Einfluss auf sie, ihre Mum, die sie dann abends lieber Schädelknochen beschriften ließ, war das Zünglein an der Waage gewesen. Joan hatte sich für die Medizin entschieden und bis gerade hatte sie sich niemals gefragt, wie ihr Leben sonst aussehen würde. Niemals.
Was würde er jetzt sagen, wenn er sie so sehen könnte?
Vermutlich würde er nicht wollen, dass sie wegen ihm weinte. Doch er war weg und das konnte sie nicht ändern. Akzeptanz war laut der letzten Vorlesung in Psychologie die letzte aber auch die wichtigste Trauerphase.
Moment, analysierte sie sich gerade selbst?
Sie erhob den Kopf aus dem nass geweinten Kissen und ging ins Badezimmer, um sich das Gesicht mit kaltem Wasser zu waschen.
Sie fragte sich: War sie zufrieden mit ihrer jetzigen Situation? Nein, aber vermutlich war sie einfacher überarbeitet und ihr System geflutet mit Koffein; nicht der beste Zustand, um auf seine eigenen Bedürfnisse einzugehen.
Was war mit Alpha? Eine zufriedene Alpha Paris, war eine weniger nervige Alpha Paris und Joan durch die angesammelten Steine im Brett wenigstens von Alphas Clique akzeptiert wurde. Das Jahr hielt auf die Feiertage zu und diese komplett alleine zu verbringen, war keine tolle Aussicht.

Mit einem Zischen öffnete sich die Zimmertür und Alpha betrat das Quartier mit einer großen roten Kunststoffkiste. Die Uhr zeigte an, dass es gleich Abendbrotzeit war.
Alpha stellte die Kiste auf den Schreibtisch.
“Willst du Essen gehen?”, fragte Joan und begann den Inhalt der Kiste zu begutachten. “Ich frage nur, weil ich es vorziehe, allein zu arbeiten. Bitte nicht persönlich nehmen.”
“Ja, wollte ohnehin fragen, ob ich dir was mitbringen soll.”
“Das wäre hervorragend.”
Kaum hatte Joan weiter gedacht, war Alpha wieder verschwunden.
Wow, die hatte sie schnell los bekommen.

Joan seufzte und ließ sich auf den gepolsterten Schreibtischstuhl sinken.
Auf in den Kampf, dachte sie sich und begann, die Gegenstände auf dem Tisch aufzubauen. Soweit sie bis jetzt sehen konnte, fehlte nichts und sie stellte sich mental auf diese Zeitreise ein.
Sie legt Papiertücher auf dem Schreibtisch aus, nur für alle Fälle. Lötzinn war schwer vom Tisch zu entfernen. Dann begann sie, die Isolierung beider Kabel zu entfernen, um die Drähte freizulegen. Dem Erbauer sei Dank, stimmten die Farbcodes überein, sodass das wieder Zusammenfügen kein Problem werden sollte.
“So”, murmelte sie. “Stell dir einfach vor, es wären Nervenenden.”
Bis Alpha zurück war, würde es mindestens eine Stunde dauern, so hatte sie reichlich Zeit und absolute Ruhe. Sie überwand ihren inneren Schweinehund und stecke den Stecker des Lötkolbens in die Steckdose. Das Lötzinn, das in dünnen Streifen auf eine Rolle gewickelt war, wickelte sie so ab, dass sie etwa fünf Zentimeter zum Arbeiten hatte.
Warten, dass der Kolben heiß wurde. Einen kleinen Tupfer an den Kolben und dann an den abisolierten grünen Draht befördern. Um den Nulleiter wäre es nicht allzu wild, würde sie hier pfuschen.
Der emotionale Schmerz blieb aus. “Was solls.”
“Computer?!”, sagte sie mit fester Stimme in Richtung ihres noch aufgeklappten Laptops. Ein elektronischer Klang teilte ihr mit, dass ihr die Maschine zuhörte. “Spiele Playlist ’Marcus’.”
“Spiele Playlist ‘Marcus’,” antwortet die Frauenstimme und ein Rocksong aus den 2010ern erklang und füllte den Raum mit “Werkstatt-Atmosphäre”.
“Siehste, ist doch gar nicht so wild,” meinte Joan zu sich selbst und begann laut mitzusingen.
Die Tränen, die sie während dieser Arbeit weinte, waren Tränen der Melancholie sowie der Freude über einen zeitlosen Augenblick.
So, zwei Mal war sie abgerutscht und hatte sich ein paar hübsche, stecknadelgroße Flecken auf den Daumen gebrannt, kurz hatte sie “Autsch” gesagt, aber dann noch ein “Thanks, Daddy.” hinzugefügt. Ein Jahr hier lag noch vor ihr.
Dann kam aber eines der Lieder, die etwas zu viel des Guten waren.
“Wenn man so will, bist du das Ziel einer langen Reise...”, begann der junge Frontsänger zu singen, begleitet von typisch deutscher Rockmusik dieser Zeit.
“Computer. Musik stoppen.”
Mit dem elektrischen Ton war Ruhe.
“Computer?!”, setze sie erneut an. “Spiele Bruce Springsteen.”
Dürfte Joan im OP Musik hören, wäre es diese Musik. Sauberer, einwandfreier Rock aus alten Zeiten.
Auch hier ließ sie sich das Mitsingen nicht nehmen.
Einige Zeit später hatte sie alle Stellen doppelt und dreifach geprüft und suchte jetzt das Isolierband in dem Chaos auf dem Schreibtisch und nach fünf Minuten Gewickel war das neue Kabel fertig.
Jetzt konnte sie nur hoffen, dass ihr und Alpha nachher nicht die Bude um die Ohren flog, weil sie irgendeinen dummen Felher gemacht hatte.
Sie rollte das Kabel auf und legte es weit weg. Dann trennte sie den Kolben vom Stromnetz, damit er abkühlen konnte.
Als Alpha zurück ins Zimmer kam, hatte Joan fast noch gar nichts aufgeräumt, die Musik lief noch lautstark und es roch noch nach Werkstatt.
“Oh Gott. Mach mal ein Fenster auf,” waren Alphas ersten Worte, natürlich im Befehlston.
Joan erhob sich von Stuhl und kippte das Fenster.
“Richtig auf.”
“Okay, immer mit der Ruhe.” Joan machte das Fenster ’richtig auf’. “Was ist los?”
“Geht dich nichts an,” zischte Alpha und knallte die Kunstoffbox, die sich bei sich gehabt hatte auf den Schreibtisch. “Da, lass es dir schmecken.”
Alpha verschwand mit dem Pyjama unterm Arm im Bad. Nur Augenblicke später klingelte es an der Tür.
“Herein?”
Es war eine von Alphas Freundinnen, die große Andorianerin. Die Bodenständingste und eigentlich auch freundlichste Genossin der Truppe.
“Guten Abend, Doctor Weiss. Ist Alpha schon da?”
Unauffällig machte Joan einen Schritt nach rechts um die Essensbox, die Alpha ja mitgebracht hatte, zu verdecken.
“Nein. Aber, wenn Sie mir sagen, warum Sie sie sprechen möchten, würde ich es ihr ausrichten, wenn sie wieder hier ist.”
“Ja, sagen Sie ihr einfach, sie soll mal zu Commander Shramm. Sie weiß dann schon warum.”
“Klar doch.”
“Gut, danke Ihnen.” Sie verließ den Raum.
Joan hoffte, dass Alpha nichts mitbekommen wollten und machte sich wieder ans Aufräumen. “Computer?”
“Academy Homepage aufrufen.”
Kurze Pause.
“Suche: Commander Shramm”
Sogleich poppte ein Bild eines Herren mittleren Alters auf. Joan drehte sich um, um sich die Seite durchzulesen. Shramm schien ein Historiker zu sein.
Joan schloss die Seite und räumte den Rest der Utensilien zurück in die Kiste. Dann entsorge sie die Papierdecke des Tisches, die mit Lötzinn bekleckert war. Was für eine Verschwendung.
Im Bad hörte sie jetzt Wasser rauschen.
Joan zuckte mit den Schultern und begann sich über das Essen her zu machen. Alpha hatte ihr einen Salat mitgebracht, mit einem Brötchen und einem Napf Dressing, welches aber fast immer ungenießbar war, daher sah sie davon ab, es über das Gemüse zu gießen.
Bei Salat konnte man ja nichts falsch machen und er war gut für die Figur.

Aber als Joan mit essen fertig war, lief das Wasser im Bad immer noch. Sie stand auf.
“Alpha?”
Sie wartete. Keine Antwort.
“Alpha, sprich mit mir. Was war los?”
Nichts außer dem Rauschen der Duschbrause.
“Alpha!” Joan wurde lauter.
Sie wartete eine Minute, in der auch keine Reaktion kam.
“Wenn du mir nicht antwortest, komme ich rein.”
In Joans Kopf spielten sich Bilder ab, zu viele Bilder. Was war, wenn sie ausgerutscht war?
Joan zögerte noch kurz und drückte dann die Taste zum Entriegeln und die Tür schob sich auf.
Der Spiegel war beschlagen und die Luft war feucht. Alpha stand unter der Dusche, mit dem Rücken zu Joan.
Joan drehte das Wasser ab, da der Geräuschpegel ein Gespräch erschwerte.
Zu ihrem Erstaunen erhob Alpha keine Widerworte.
“Alpha. Ich kann dir nicht helfen, wenn du nicht redest.”
Alpha drehte sich um. Total verheult. Joan nahm ein Handtuch und gab es Alpha.

“Also. Sprich.”
Alpha hatte bis jetzt kein Wort geredet und weinte immer noch.
Die beiden saßen nebeneinander auf Alphas Bett, an die Wand gelehnt.
“Die Abgabe für die Arbeit war heute, ich hatte mir das falsche Datum notiert. Ich werde durchfallen,” sie schluchzte, “Wenn das meine Eltern mitbekommen. Ich habe sie enttäuscht. Ich hätte es gar nicht bemerkt, hätte Newman nicht über seine Arbeit beim Essen erzählt.”
“Vielleicht kannst du sie am Montag nachreichen und dein Referendar drückt ein Auge zu? Du sagtest doch selbst, dass er ein Kumpeltyp ist.“
“Glaub ich nicht, er mag mich nicht.”
“Das glaub’ ich schon. Deine Freundin, die Andorianerin, wie hieß sie doch gleich?”
“Thelli.”
“Thelli. War vorhin da. Sie sagt, dass er mit dir reden möchte. Morgen gehst du zu ihm und erklärst ihm die Situation. Sag einfach die Wahrheit, keine Ausflüchte. Keine Halbwahrheiten. Und Alpha, erwähne auf keinen Fall deine Eltern.”
“Okay. Kannst du mitkommen?”
“Alpha, du bist kein Kind mehr, dass mit seiner Mum irgendwohin geht. Du bist Kadettin, das heißt, dass du selbst auch Verantwortung übernehmen musst.”

Ja, ich habe den Titel von Marti Fischers gutem Musikformat geklaut, das mir auch hierfür sehr viel geholfen hat. Ich selbst habe sogar bei der Recherche viel Neues gelernt und ein Rocksong geschrieben. Viel Dank für's Lesen.
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