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Weißkittelphobie

von Emony

Kapitel 1

Es war nicht ungewöhnlich für Leonard McCoy, am Heiligen Abend Dienst zu haben. In der Vergangenheit hatte er sich teilweise sogar freiwillig einteilen lassen, um dem Weihnachtsfest mit den ungeliebten Schwiegereltern zu entgehen, die nicht viel von ihm hielten. Sie hatten ihm oft vorgeworfen, lieber im Krankenhaus zu arbeiten und Fremden zu helfen, anstatt sich um seine Frau zu kümmern. Jocelyn war ihr Ein und Alles und so nahmen sie es Leonard übel, dass er Mediziner geworden war und nicht etwa so etwas wie … Anwalt. Jocelyn war Anwältin geworden, so wie ihre Eltern und natürlich wäre es diesen daher sehr viel lieber gewesen, ihre Tochter hätte sich ebenfalls in einen Juristen verliebt.

Letztendlich spielte es keine Rolle mehr. Vor nicht ganz einem Jahr hatte Jocelyn sich in ihren langjährigen Arbeitskollegen verliebt und Leonard zu seinem Geburtstag mit Scheidungspapieren anstelle eines Geschenkes überrascht. Seit diesem Tag hatte Leonard sich geschworen, sein Herz niemals wieder einer Frau zu schenken. Überhaupt wollte er sich gar nicht mehr verlieben. Zum Teufel mit Liebe und Romantik! Er hatte seine Medizin und konnte täglich mehrere Leben retten. Was brauchte er mehr?

Am Vorabend zu Weihnachten ging kurz vor Schichtende noch ein Notruf in der Zentrale ein. Leonard war nur wenige Blocks entfernt und nahm den Fall an, wenn gleich seine Schicht in weniger als fünfzehn Minuten vorbei wäre und er im Grunde zu seinen Eltern fahren wollte, die ihn zum Abendessen eingeladen hatten. Sie würden es verstehen, wenn er sich verspätete, um ein weiteres Leben zu retten. Sie waren stolz auf ihn und seine Arbeit – im Gegensatz zu seiner Exfrau.

Mit Blaulicht und Sirene heizte er durch die Straßen Atlantas und erreichte schließlich sein Ziel. Der Rettungswagen war bereits vor Ort, die Sanitäter startklar und schienen nur auf ihn zu warten. Ein Patient mit anaphylaktischem Schock war auf einer Firmenfeierlichkeit zusammengebrochen. Leonard schnappte sich seinen Arztkoffer, der im Fußraum des Beifahrersitzes stand und eilte den Sanis hinterher in das riesige Gebäude.

Bereits im Atrium kamen ihnen einige aufgeregte Leute entgegen, die den drei Rettungskräften allerhand nützliche, aber auch teilweise unnötige Informationen zuriefen. Sie sprachen allesamt durcheinander, was es Leonard oft erschwerte, die wirklich relevanten Informationen herauszuhören. Junger Mann, Mitte zwanzig, klagte über Atemnot und brach dann bewusstlos zusammen.

„Weiß jemand was über seine medizinische Vorgeschichte? Hat er auf ein Lebensmittel reagiert?“, wollte er von den zwei Frauen und dem einen Mann wissen, die ihn bereits mit Halbwissen versorgt hatten.

„Er arbeitet erst seit sechs Wochen für uns“, erwiderte eine der Frauen.

Die Information war für Leonard recht irrelevant.

„Er sagte, er verträgt keine Nüsse. Ich bin für das Buffet zuständig“, erklärte ihm die andere Frau, deren Augen offenbar vom Weinen verquollen waren. Augenscheinlich machte sie sich Vorwürfe. „Der Cateringservice wusste Bescheid. Alles mit Nüssen war entsprechend markiert.“

Leonard nickte grimmig und folgte den dreien weiter Richtung der Fahrstühle. Wenn der Patient in einem der oberen Stockwerke war und der Aufzug zu klein für die Trage der Sanis, hatten sie ein Problem. Er konnte jedoch durchatmen, als sie die beiden Fahrstuhltüren passierten und dem Gang weiter nach hinten folgten. Und dort, endlich, erreichten sie den großen Saal, in dem eine Weihnachtsfeier stattgefunden hatte. Aktuell standen jedoch sämtliche Gäste wie erstarrt und bildeten einen Kreis um den Bewusstlosen.

Eine junge Frau, sicherlich nicht älter als Anfang zwanzig, bemühte sich als Einzige um eine Reanimation. Leonard schob die Menschenmasse grob beiseite, die Sanitäter mit der Trage im Rücken. Er fand den Patienten, dessen Haut deutlich gerötet und dessen Gesicht angeschwollen war. Die junge Frau machte sofort den Profis Platz und ließ sich auf einen nahen Stuhl dirigieren.

„Wie heißt er?“, fragte er niemand bestimmtes.

„Jim“, kam die Antwort von irgendwo hinter ihm.

„Hey, Jim“, sprach Leonard seinen Patienten an, „kannst du mich hören? Ich bin Notarzt und kümmere mich jetzt um dich. Du wirst bald wieder atmen können.“

Die Sanitäter bereiteten alles für den Transport vor, während Leonard seinem Patienten einen Zugang in der linken Armbeuge legte und ihm einen Medikamentencocktail verabreichte, der die allergische Reaktion stoppen würde. Währenddessen legte einer der Sanitäter Jim eine Atemmaske auf und versorgte ihn mit Sauerstoff. Leonards Blick huschte zum Monitor, der eine Bradykardie anzeigte. Die Sauerstoffsättigung war ebenfalls deutlich zu niedrig, stieg aber allmählich an. Ein Zeichen dafür, dass die Medikamente bereits erfolgreich in Jims System zirkulierten und die Histaminüberproduktion seines Körpers stoppten.

„Wird er wieder gesund?“

Leonard sah auf und der verweinten Angestellten von vorhin ins Gesicht. Er nickte wortlos, leuchtete seinem Patienten in die Augen und überprüfte dann dessen Pupillenreflexe. „Sieht so aus“, brummte er schließlich. „Ich würde den Cateringservice wechseln.“

Sobald ihr Patient stabilisiert und außer akuter Gefahr war, hievten die beiden jungen Sanitäter ihn auf die Trage und schoben in Richtung Ausgang. Leonard packte seine Tasche wieder zusammen und folgte seinen Kollegen nach draußen. Gerade im richtigen Moment, wie er feststellte. Kaum waren sie an der frischen Luft, kam Jim zu sich und versuchte sich die Sauerstoffmaske vom Gesicht zu ziehen.

„Hey, langsam Sportsfreund“, rief Leonard ihm zu und war im Nu neben der Trage, um ihm die Maske wieder richtig aufzusetzen. „Jim, Sie sind auf der Party zusammengebrochen. Wissen Sie das noch?“

Jim verdrehte die Augen und deutete völlig ermattet ein Kopfschütteln an. „Nussallergie“, murmelte er dann.

Damit rang er Leonard den Hauch eines Lächelns ab. „Eine recht heftige sogar. Sie sollten zur Sicherheit immer Notfallmedikamente bei sich tragen.“

„Liegen zuhause.“

Leonard schüttelte fassungslos den Kopf. „Da liegen sie gut. Das hätte schlimm ausgehen können. Ihr Kreislauf war beinahe zusammengebrochen. Ein paar Minuten länger und Sie wären erstickt.“

Jim schluckte sichtbar und schloss für einen Moment die Augen. „Fühl mich schon besser.“

„Das glaub ich gern. Nach dem Cocktail, den ich Ihnen verabreicht habe. Das Herzrasen, das Sie vermutlich verspüren, kommt übrigens vom Adrenalin, das ich Ihnen zusätzlich verabreicht habe.“

„Fühl mich prima“, nuschelte Jim kaum hörbar in die Atemmaske, die sich bei jedem Atemausstoß beschlug.

„Die Kollegen bringen Sie trotzdem in die nächste Klinik. Sie müssen ein paar Stunden stationär überwacht werden.“

Kaum hatte Leonard ausgesprochen, versuchte sein Patient erneut sich von der Maske zu befreien und von der Trage zu flüchten. Die beiden Sanitäter hatten alle Mühe ihn festzuhalten, damit er sich nicht versehentlich die Venenkanüle aus dem Arm riss oder sich am Schlauch der Sauerstoffzufuhr strangulierte.

„Was soll das werden?“, herrschte ihn Leonard wenig einfühlsam an. „Du bist gerade beinahe gestorben. Bleib gefälligst liegen!“

Es musste etwas in Leonards Stimme sein, denn plötzlich fixierte Jim ihn erschrocken und ließ sich anschließend auch wieder auf die Trage zurückbefördern.

„Hör mal, ich weiß, dass es scheiße ist, am Heilig Abend im Krankenhaus zu liegen, aber du solltest dankbar sein, dass du noch lebst. Das hätte auch dein letzter Abend auf Erden sein können.“ Leonard bemühte sich wieder um einen ruhigeren Ton, auch wenn ihm die Sturheit seines Patienten gehörig auf den Zeiger ging. Schließlich machte er seinetwegen Überstunden!

Jim starrte ihn immer noch an.

Etwas war an seinem Blick. Leonard erwiderte den Augenkontakt. Er sah regelrechte Panik in Jims Augen. „Du magst Ärzte nicht besonders, oder?“ Erneut deutete Jim ein Kopfschütteln an. Der Versuch aufzustehen und sich loszureißen, hatte ihn einmal mehr geschwächt. Selbst wenn er gewollt hätte, er war nicht in der Verfassung, irgendwohin zu gehen. Nicht an diesem Abend, nicht in diesem Zustand.

„Wir sollten los“, erinnerte ihn einer der Sanitäter und Ungeduld schwang in seiner Stimme mit. Wahrscheinlich war auch ihr Dienst für heute vorbei und sie wollten schleunigst zu ihren Familien.

Jim griff nach Leonards Handgelenk. Leonard hielt seinen Blick nach wie vor fest. Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er kannte Jim! Es war einige Monate her, da hatte er den Jungspund nach einer Kneipenschlägerei in der Notaufnahme behandelt! Jim litt unter einer Art Weißkittelphobie und war schon damals nur schwer zu beruhigen gewesen.

„Würdest du dich besser fühlen, wenn ich dich in der Klinik behandle, Jim?“

Langsam nickte Jim. „Bones?“

Diesen vollkommen blöden Spitznamen hatte Jim ihm verpasst, nachdem Leonard ihm das Schultergelenk reponiert hatte. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass er einen Patienten ein zweites Mal zu sehen bekam?

„Ja, Jim.“

Ein kleines Lächeln erschien auf dessen erschöpften Zügen.

„Sollten mal ausgehen“, murmelte Jim in die Atemmaske.

Leonard schnaubte durch die Nase und winkte ab. „Ladet ihn ein. Ich fahre euch nach“, sagte er zu den Sanis. „Und du, benimm dich! Wir sehen uns in ein paar Minuten in der Klinik wieder.“ Sein strenger Blick galt Jim, als die Sanitäter endlich die Trage in den Rettungswagen hievten.

* * *

Keine zehn Minuten später fand Leonard seinen Patienten in der Notaufnahme der hiesigen Klinik wieder, in der er arbeitete. Schwester Christine Chapel sah ihn mit erhobener Augenbraue an. „Hast du heute nicht den Notarztwagendienst?“

„Jep“, erwiderte Leonard. „Und eigentlich ist der seit … “, er blickte auf die Uhr, „… einer Stunde um.“

„Was machst du dann hier?“

„Frag lieber nicht“, winkte Leonard ab. „Wo hast du Jim Kirk untergebracht?“

Schwester Christine deutete auf einen der hinteren Räume. „War der nicht schon mal bei uns?“

Leonard nickte und brummte. „Allerdings. Und da ich weiß, was für ein sturer Trottel das ist, bleib ich zur Sicherheit bei ihm. Sonst haut er uns noch ab und klappt irgendwo auf der Straße zusammen.“

***

Der Monitor über Jims Liege gab ein Alarmsignal von sich, kaum dass Leonard den Vorhang beiseiteschob und sich mit einem Stuhl zu ihm setzte. „Immer noch Herzrasen?“

Jims grinste. „Deine Schuld, Bones.“

„Die Wirkung des Adrenalins müsste längst nachgelassen haben.“ So viel hatte er ihm schließlich nicht verabreicht. Allerdings war Jims Ruhepuls eindeutig zu hoch, wenn auch noch nicht unbedingt besorgniserregend.

„Liegt nicht am Adrenalin“, nuschelte Jim. „Sondern an dir.“

„Dabei hab ich meinen Kittel extra nicht angezogen.“ Da Leonard inzwischen Feierabend hatte, saß er in seiner Alltagskleidung an Jims Bett.

„Tut mir leid, dass ich dir Weihnachten versaut hab.“

Leonard machte eine wegwerfende Geste. „Halb so wild. Hatte eh nicht wirklich was vor.“

„Bist also noch zu haben?“

War das Hoffnung in Jims Augen? „Flirtest du etwa mit mir?“

„Möglich.“ Ein viel zu jungenhaftes Grinsen erschien auf Jims Gesicht, dessen Färbung wieder einen normalen Ton angenommen hatte. „Hast du morgen schon was vor?“

Leonard lag ein ‚Ja‘ auf der Zunge, allerdings wäre dies einer Lüge gleichgekommen. In der Tat hatte er nichts vor. „Was schlägst du vor?“

Jim schien einen Moment nachzudenken, dann winkte er Leonard näher zu sich, um ihm etwas ins Ohr flüstern zu können. Jims Vorschlag ließ ihn erröten. Er sah sich um, um sicher zu gehen, dass niemand ihr Gespräch mitbekam. Als er sicher war, dass sie ungestört waren, nickte er. „Hört sich perfekt an“, stimmte er dann lächelnd zu.


E N D E
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