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Im Auge des Sturms

von Gabi , Persephone

Prolog

Von Gabi verfasst
Sapia hob den Kopf von den Schriften, die sie studierte. Die Mykerianerin, Ratsvorsitzende ihrer kleinen Gemeinde hier am Rande der Legayen, fuhr sich gedankenverloren durch das lockige Haar, während ihr Blick aus dem Fenster über den großen Zentralplatz ihrer Siedlung schweifte. Wie bei allen Angehörigen ihrer Spezies bedeckte die üppige Haarpracht nur die hintere Hälfte ihres Schädels, was die Stirn der Frau für menschliche Verhältnisse ungewöhnlich hoch und leer erscheinen ließ.

„Shayett ist wieder alleine unterwegs“, bemerkte sie scheinbar zusammenhanglos. Ihre Beobachtung galt einem kleinen Mädchen, das sich hüpfend auf dem Mosaik des Platzes bewegte. Augenscheinlich durfte es in seinem Spiel nur die schwarzen Steine berühren. Sapia verfolgte seinen Weg eine Weile, bis das Mädchen ins Stocken geriet, weil sich in ihrem Umfeld nur noch graue, weiße oder violette Mosaikelemente befanden. Die Ratsvorsitzende lächelte vor sich hin. Auch ohne das Gesicht der Kleinen zu sehen, konnte sie sich lebhaft vorstellen, wie sich nun die steile Mittelfalte auf ihrer Stirn bildete in dem angestrengten Versuch, eine zufriedenstellende Lösung für das aufgetretene Problem zu finden.

„Ihre Mutter war erst gestern bei mir“, sprach der Mann, der nun neben sie ans Fenster trat. Merrick, Hüter der Schriften ihrer Heiligen, hatte sich zur täglichen Besprechung im Ratshaus eingefunden. Gemeinsam versuchten die beiden Führer der geistlichen und weltlichen Belange im Moment eine Antwort auf die sich immer weiter zuspitzende Situation zu finden. Und da es das war, was ihnen seit Generationen beigebracht worden war, suchten sie die Lösung in den sakralen Texten. „Shayett wagt sich viel zu weit von der Siedlung fort. Erst vor zwei Tagen hat sie die Legayen durchquert und sich beinahe bis zum Kristallwald begeben.“ Er schüttelte das Haupt, wobei sein dunkelgrünes Haar die Bewegung mit leichter Verzögerung nachahmte. „Sie nimmt auch die Heiligenverehrung nicht ernst genug und stellt viele Fragen. Ich hoffe, wir verlieren sie nicht an die Anderen, wenn sie älter wird.“

„Das hoffe ich auch.“ Das Mädchen hatte sich jetzt mit einem großen Satz nach vorne geworfen, so dass wenigstens ihre eine Hand den nächsten schwarzen Stein berührte. Nun tat sie so, als würde sie sich auf dem Bauch liegend durch Wasser an diesen Stein heranziehen, bis sie ihre Füße wieder darauf setzte und mit dem Hüpfen fortfuhr. „Sie hat so einen wachen Geist.“

„Hinter den Legayen ist es zu gefährlich“, bestimmte Merrick mit fester Stimme.

Sapia nickte. „Die Übergriffe der Anderen werden immer dreister. Vor zwei Tagen ist Marrag nicht mehr zurückgekehrt. Ich habe Angst um unsere Gemeinschaft.“ Sie kehrte mit ihrer Aufmerksamkeit wieder zu den Texten zurück, die zwischen ihr und Merrick ausgebreitet lagen.

Unten hatte das Mädchen den Rand des Platzes erreicht, ohne noch einmal einen gefährlichen imaginären Fluss überqueren zu müssen, und hüpfte weiter in Richtung der die Siedlung abschließenden Seenplatte, den Legayen.

„Die Bewahrerin wird uns nicht im Stich lassen.“ Merrick setzte sich ebenfalls wieder. „So steht es geschrieben!“

„So steht es geschrieben“, murmelte Sapia als Automatismus auf die traditionellen Worte. „Aber wann wird unser Leidensdruck hoch genug sein, dass die Heilige wieder erscheint?“

Merrick betrachtete sie rügend, so wie er ein Kind in der Schriftenschule angesehen hätte. „Wir müssen uns in Geduld üben, Vorsitzende. Vielleicht in einigen Sturmperioden, vielleicht in mehreren Nachtzyklen, vielleicht in vielen Generationen – es ist nicht an uns, ungeduldig zu werden. Wenn die Zeit kommt, kommt die Zeit.“ Mit diesen Worten vertiefte er sich wieder in die Texte auf der Suche nach einem Hinweis, wie sie sich in diesen Tagen der Prüfung verhalten sollten.

Auf Sapias Stirn bildete sich eine steile Falte. Sie wusste, dass Merrick recht hatte, doch das änderte nichts daran, dass sie sich jetzt Führung wünschte. So viele Leben hatte ihre Gemeinschaft hier in Eintracht verbracht, geschützt durch die Lehren ihrer Heiligen, behütet vor dem Zorn der alten Götter. Warum musste sich das unbedingt zu ihrer Amtszeit ändern?

Sie wollte sich ebenfalls wieder den Schriften widmen, als ein kurzzeitiges Aufleuchten des Himmels ihre Aufmerksamkeit wieder nach draußen lenkte. Die Wolken, welche ihre Welt zu jeder Zeit wie eine Decke umgaben, waren hell. Keine Gewitterfront war zu erkennen. Es musste ein zorniger Blitz weiter oben gewesen sein. Doch sie wusste, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis die Götter ihren Zwist wieder hier unten bei ihnen austrugen – wie sie das so oft taten. „Bitte komm auf den Blitzen zu uns, Bewahrerin“, flüsterte sie so leise, dass Merrick es nicht mitbekam.
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