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Taking the Bull by the Horns

von Julian Wangler

Prolog - Die Klingonen kommen

Klappentext:

2372 beginnt das Klingonische Reich unvermittelt einen militärischen Feldzug gegen die Cardassianische Union – angeblich um den Alpha-Quadranten vor den Gründern zu schützen. Während sich seine Invasionsflotten tief in cardassianisches Territorium graben, nimmt Kanzler Gowron die Gefahr eines Zweifrontenkriegs in Kauf, da die Föderation den nicht provozierten Angriff aufs Schärfste verurteilt.

Die Dinge überschlagen sich: Nur wenige Tage später greift die Sternenflotte in den Konflikt ein, indem sie die Mitglieder der neuen cardassianischen Zivilregierung in Sicherheit bringt. Gowron bläst zum Sturm auf die Raumstation Deep Space Nine – der Beginn eines erneuten Kriegs mit der Föderation, wie es ihn seit über hundert Jahren nicht mehr gegeben hat.

Die Frage, wie es soweit kommen konnte, wurde bislang nicht beantwortet. Was bewegte Gowron dazu, am Vorabend einer möglichen Invasion des Dominion einen beispiellosen Krieg gegen eine andere Großmacht zu entfachen? War es tatsächlich die Sorge, Formwandler könnten auf Cardassia Prime die Kontrolle an sich gerissen haben, oder war das nur ein Vorwand, steckten nicht in Wahrheit ganz andere Motive dahinter? Und welche Rolle spielte jener Gründer dabei, der General Martok ersetzte? Mit welchen Argumenten wurde Gowron dafür empfänglich, die seit dem Khitomer-Abkommen bestehende Ordnung im Quadrantengefüge aufzukündigen?




Ich glaube, der rechte Weg, ins Paradies
einzugehen, würde sein, den Weg zur
Hölle kennenzulernen, um ihn zu meiden.

– Niccoló Machiavelli (1469 - 1527),
italienischer Staatsmann und Schriftsteller



Geschichte wird von Siegern geschrieben.

– Gowron zu Benjamin Sisko
in Der Weg des Kriegers, Teil I




Frühjahr 2372

Lieutenant Drex, Einsatzoffizier an Bord des klingonischen Flaggschiffs Negh’Var, schaute zu Martok, der den Kommandosessel im Zentrum der Brücke besetzte. Während er ihn betrachtete, war er von Stolz durchdrungen. Dieser Mann – der Martok von heute – war der Vater, den er sich stets gewünscht hatte. Jahrelang hatten beide sich erbittert gestritten, hatten sich beinahe im Konflikt um die zukünftige Rolle des Reichs im Quadrantengefüge verloren. Doch jetzt waren sie vereint und dabei, einer Bestimmung im Namen aller Klingonen zu folgen.

Es war wie die Wahrwerdung eines Traums für Drex. So etwas hätte er nicht mehr für möglich gehalten. Doch dann war sein Vater ein neuer Mann geworden. Drex wusste nicht genau, wie und warum es geschehen war, aber Martok hatte einen tiefen Sinneswandel erfahren. Er war nicht mehr der Mann, der für eine defensive Politik des Reichs plädierte und die Allianz mit der Föderation sowie den Frieden im Quadranten über das Wohl seines eigenen Volkes stellte. Nein, heute war er aus ganzer Inbrunst bereit, dem Schrei des Kriegers zu folgen und den Alpha-Quadranten das Fürchten zu lehren. Klingonen würden wieder Klingonen sein, nicht länger die Schoßhunde der Föderation. Sie würden unter Beweis stellen, dass sie nach wie vor in der Lage und willens waren, das All zum Erzittern zu bringen.

Drex wandte sich vom Anblick seines Vaters ab und schaute zum Hauptschirm im vorderen Teil der Brücke. Soeben war die Flotte im bajoranischen System unter Warp gegangen. Drex schaute mit einer Zufriedenheit, die ihm sonst nur ein guter Blutwein verschaffte, auf das einsame Gebilde im Weltraum, das sich seit einiger Zeit Deep Space Nine nannte. Es gab keine äußeren Anzeichen, dass es sich bei dieser Station um einen Außenposten der Föderation handelte. Wenn man nach dem stumpfen Grau der Hülle und den düsteren Schatten urteilte, hätte sie genauso gut immer noch den Cardassianern gehören können.

Eine seltsame Konstruktion, diese Station., dachte Drex. Es existierten nur wenige dieses Typs, und dies war die erste, die er mit eigenen Augen sah. Falls es noch weitere davon gab, mussten sie sich im Gebiet der Cardassianer befinden – wohin sie früher oder später ohnehin aufbrachen. Das krallenbewehrte Monstrum hatte ein ansprechendes Design, aber erst auf den zweiten Blick. Drei gekrümmte Andockmasten hingen vom äußeren Ring wie die Beine eines Insekts in Ruhestellung herab, und drei weitere streckten sich nach oben – wie ein totes Insekt.

In Gedanken sah Drex die Gesichter der Sternenflotten-Besatzung vor sich und malte sich aus, wie sie auf den Anblick der Negh’Var und ihrer eindrucksvollen Streitmacht reagieren würden, sobald sie sich preisgab. Auch, wenn sie zurzeit Verbündete waren, hatten die Klingonen keineswegs ihre Zähne verloren. Vor nicht allzu langer Zeit hätte eine solche Begegnung den baldigen Tod aller beteiligten Sternenflotten-Angehörigen bedeutet.

„Geben Sie mir Commander Kaybok.“, sagte Martok zum KOM-Offizier, der ihn prompt zum Kommandanten der M’Char durchstellte. Drex mochte Kaybok nicht; dieser Kerl war für seinen Geschmack viel zu bedächtig und grüblerisch. Ein Wunder, dass er es bis zu einem eigenen Kommando gebracht hatte. „Kaybok, ich gebe Ihnen neue Einsatzbefehle, die gelten, sobald wir enttarnt sind. Kein Schiff darf diesen Raumsektor verlassen, auch kein ziviles Schiff. Alle Schiffe, die in Richtung des cardassianischen Raums aufbrechen, werden angehalten und durchsucht.“

[General], ertönte Kayboks verunsicherte Stimme im Interkom, [ich weiß nicht, wonach ich suchen soll.]

„Wonach schon, Sie Idiot? Nach Formwandlern, Kaybok.“

[Aber… Ein Gestaltwandler kann alles Mögliche sein. Ein Fußboden, ein Stiefel, eine Tasse…]

„Verflucht richtig.“, sagte Martok. „Zum ersten Mal können wir nicht sicher sein, wer unsere Feinde sind. Man weiß nie, welche Form ein Gründer gerade angenommen hat. Mit einem solchen Teufel von einem Feind hatten wir es noch nie zu tun. Kaybok, Sie werden Ihre Anweisung befolgen. Vielleicht wird inzwischen sogar die Station von Gestaltwandlern kontrolliert. Seien Sie wachsam.“

Kayboks Stimme wirkte nicht sehr glücklich, als er erwiderte: [Zu Befehl, General.]

„General,“, hob Drex nun die Stimme, „die Station beantwortet unseren Ruf. Soll ich dem Rest der Flotte das Signal geben, sich zu enttarnen?“

„Nein, noch nicht. Stell eine Verbindung zur Station her.“

- - -

„Captain Sisko, ich überbringe Ihnen Grüße von Ihren Verbündeten aus dem Klingonischen Reich.“

„Deep Space Nine heißt Sie willkommen, General.“, erwiderte Captain Benjamin Sisko automatisch und überlegte sich seine nächsten Worte. Er wollte höflich auf die angeblichen Grüße antworten, sich aber nicht zu naiv verhalten. Falls Martoks unangekündigtes Auftreten eine versteckte Botschaft enthalten sollte, dann musste sie auf angemessene Weise erwidert werden. „Können wir etwas für Sie tun?“

„Wir haben eine lange Reise hinter uns.“, erwiderte der hochrangige General der Verteidigungsstreitmacht. „Meine Leute benötigen Landurlaub.“

Sisko bemerkte, dass sich Jadzia Dax neben ihm gerührt hatte – ein subtiler Hinweis darauf, dass auch sie misstrauisch war. Am verdächtigsten war die Tatsache, dass der Klingone zwar die lange Reise erwähnte, jedoch keine Erklärung abgab, zu welchem Zweck er eine so lange Reise unternommen hatte? Um die Sehenswürdigkeiten von DS9 oder den Denorios-Gürtel zu bewundern? Sicher nicht. Was suchte das klingonische Flaggschiff so weit abseits des Klingonischen Reichs? Das hier waren die Tiefen des Alpha-Quadranten.

„Natürlich.“, sagte er beherrscht. „Sie können jederzeit an Bord kommen.“

„Gut.“, antwortete Martok. Er bellte jemandem, der nicht auf dem Bildschirm zu sehen war, einen Befehl auf Klingonisch zu. Sisko kannte das Wort zufällig – enttarnen. Das ergab allerdings keinen Sinn, da sein Schiff ja bereits enttarnt war.

Die Lösung dieses Rätsels war nicht gerade erfreulich, denn einen Augenblick später starrten Sisko und Dax auf den Hauptschirm der Ops, der jetzt nicht länger nur ein Schiff zeigte, auch nicht zwei oder drei, sondern eine riesige klingonische Kampfflotte, die wie eine wabernde Wolke aus der Tarnung auftauchte und DS9 umzingelte.

- - -

[einige Tage später]

Sisko stand vor seinem Büro und blickte auf das Operationszentrum herab. Als er beobachtete, wie Worf Handphaser und Halfter an Kira, O’Brien und Dax austeilte, hatte er ein unangenehmes Gefühl und wünschte sich, er könnte es dadurch verdrängen, dass er einfach aus diesem Albtraum erwachte. Deep Space Nine war schließlich zu dem geworden, wovor er sich stets gefürchtet hatte, was jedoch bisher nie eingetreten war: zu einer Festung zwischen einer anstürmenden Armee und dem Frieden, der mehrere Generationen lang gehalten hatte. Er kam sich vor wie Major Anderson in Fort Sumter, welcher sich verzweifelt darum bemühte, nicht als der Mann in die Geschichte einzugehen, der den amerikanischen Bürgerkrieg auslöste.

Dieser Krieg schien genauso unvermeidlich. Gab es denn wirklich nichts, was den Verlauf der Ereignisse noch aufhalten konnte? Hatte er mit jedem gesprochen, mit dem er sprechen konnte? Wusste er wirklich kein Argument mehr, das Gowron nicht doch zum Einlenken bewegen konnte? War es wirklich schon zu spät?

Soviel stand fest: Die Klingonen hatten einen Krieg begonnen und verfolgten das Ziel der Eroberung Cardassias. Aber war es am Ende Angst vor den Gründern (jene Krankheit, die dieser Tage häufiger ausbrach und als Invasionsparanoia diagnostiziert wurde) oder Habgier und Kampflust?

War es Freiwilligkeit oder Zugzwang, der sie auf den Kriegspfad getrieben hatte? Darüber war bei Sisko – trotz Worfs investigativem Einsatz – bislang nur ein sehr fragmentarisches und höchst widersprüchliches Bild entstanden. Auch fragte er sich, ob Gowron tatsächlich als großer Führer, als der er sich andauernd zelebrierte, handelte, oder ob er nicht vielmehr Getriebener eines innenpolitischen Drucks war. Was ging derzeit in der Politik auf Qo’noS vor sich?

Was hatte dazu geführt, dass Gowron sich so auffallend anders verhielt als in früheren Jahren? Sisko musste zugeben, dass er den klingonischen Kanzler nicht besonders gut kannte, doch das Dossier, das er über ihn gelesen hatte, stellte ihn nicht unbedingt als irrlichternden Kriegstreiber da. Was war mit Gowron geschehen?

All das, erkannte Sisko, waren Theorien, Spekulationen und noch mehr Fragen, die keine Klarheit bringen würden, und die letzten Sekunden liefen unwiederbringlich ab. Eine Tür schloss sich gerade. Er hatte tatsächlich gehofft, er könnte den Zug noch stoppen, doch er raste mit Volldampf auf ihn und seine Offiziere zu.

„Wir empfangen eine Übertragung von General Martok.“

Dax‘ Meldung riss Sisko aus dem Nebel der Möglichkeiten, in dem er überhaupt nichts mehr erkennen konnte. „Stellen Sie ihn durch.“

Er stieg zur Hauptebene des Operationszentrums herunter, als auf dem Projektionsfeld ein überlebensgroßes Bild von Martok entstand – die Verkörperung von Wut und Enttäuschung. Wahrscheinlich ärgerte es ihn nicht nur, dass Sisko ihm die Mithilfe verweigert hatte, sondern dass er sich zudem unter aktiver Gewaltanwendung gegen ihn gestellt hatte. Seit sehr, sehr langer Zeit waren die Klingonen von der Sternenflotte nicht mehr eine so aggressive Handlungsweise gewohnt. Andererseits traf auch der umgekehrte Fall zu, und Sisko hatte sich wahrlich nicht als derjenige empfunden, der versessen darauf war, mit der Defiant auf klingonische Kampfschiffe zu feuern. Nein, die Verantwortung für diese beispiellose Eskalationsspirale lag eindeutig nicht aufseiten der Sternenflotte.

„Captain!“ Martok richtete sich auf, als würde er einen Fleischbrocken verschlucken. „Ich fordere Sie auf, sofort die cardassianischen Ratsmitglieder an uns auszuliefern!“

„Es sind keine Gründer, Martok.“, sagte Sisko mit beherrschter Entschiedenheit. „Wir haben sie getestet. Sie haben sich geirrt, General.“

Eine zweite Gestalt entstieg den Schatten auf der Brücke der Negh’Var – Gowron. „Das spielt überhaupt keine Rolle.“, entgegnete der Kanzler eisig. „Es geht nur darum, dass der Alpha-Quadrant sicherer sein wird, wenn das Klingonische Reich Cardassia unter seiner Kontrolle hat.“

Endlich lässt Du Dein Leichentuch fallen., dachte Sisko. Was Gowron soeben von sich gegeben hatte, drohte ihn als jemanden zu entlarven, der lediglich einen Vorwand gesucht hatte, um seine Kriegspläne zu realisieren und zu rechtfertigen. Hatte Sisko zu Anfang noch geglaubt, es gehe den Klingonen mit ihren wahnwitzigen Eroberungszielen um einen präventiven Schlag gegen das Dominion, der womöglich einem Gefühl des Ausgeliefertseins entsprang, kam jetzt dahinter blanke Gier nach Macht und Ruhm zum Vorschein. Sie glänzte in Gowrons weit aufgerissenen Augen. Wie hatte Worf es ausgedrückt? Das war der Weg des Kriegers. Für Sisko war es hingegen kaltblütiges Kalkül, das bereits die Leben von Tausenden Cardassianern gefordert hatte.

„Jetzt liefern Sie uns die Ratsmitglieder aus!“, stierte Gowron. „Andernfalls zwingen Sie uns dazu, sie mit Gewalt zu holen.“

Sisko beschloss, die letzte Karte zu zücken, die Gowron eine Reaktion entlocken musste, sei sie nun gut oder schlecht. „Und dafür sind Sie sogar bereit, einen totalen Krieg mit der Föderation zu riskieren?!“

Gowrons Augen weiteten sich erneut, als er sich vorbeugte. „Wenn hier ein Krieg beginnt, dann wird es Ihre Schuld sein.“, fauchte er.

„Ich bezweifle, dass die Geschichte das gutheißen wird.“

„Geschichte wird von Siegern geschrieben.“

„Denken Sie über die Konsequenzen nach.“, knüpfte Martok an. „Das Leben aller, die auf Ihrer Station sind, ist in Gefahr.“

„Dessen bin ich mir bewusst.“, gab Sisko zurück. „Aber vielleicht wissen Sie nicht, welches Risiko Sie eingehen. Wir hatten ein Jahr Zeit, diese Station auf einen Angriff durch das Dominion vorzubereiten. Ich versichere Ihnen: Wir können uns verteidigen.“ Vielleicht hätte er auf diese faire Warnung verzichten sollen, aber er musste es einfach sagen – allein schon wegen der Genugtuung, die ihm die folgenden Ereignisse verschaffen würden.

Gowron lachte lauthals, als hätte Sisko nur geblufft. „Sie sind wie eine zahnlose, alte Grishnar-Katze, die versucht, uns mit ihrem Gebrüll zu erschrecken.“

„Ich kann Ihnen versichern, dass diese alte Katze keineswegs so zahnlos ist, wie Sie denken.“, nahm Sisko den Ball auf. „In diesem Augenblick sind fünftausend Photonen-Torpedos geladen und abschussbereit. Wenn Sie mir nicht glauben, können Sie die Station gerne scannen.“

Auf dem Bildschirm war zu sehen, wie Martok sich zu einem seiner Brückenoffiziere umdrehte. Anhand seiner Reaktion nahm Sisko an, dass dieser ihm die Authentizität der Aussage anhand einer Abtastung bestätigt hatte. Dann aber wandte sich Martok, durchströmt von neuer, grimmiger Entschlossenheit, an seinen Kanzler. „Es ist ein Trick. Eine Illusion, erzeugt durch Duraniumschatten und Thoronenfelder.“

„Es ist kein Trick.“, widersprach Sisko beschwörend. Inzwischen spürte er, wie ihn neue Ruhe durchfloss. War dies die Akzeptanz des Unausweichlichen?

Gowron entblößte ein schakalhaftes Lächeln. „Wir werden sehen. ChegHchu djajVam djajKak!“

Die Übertragung wurde unvermittelt unterbrochen, sodass Gowrons wilde, weiß umrandete Augen das Letzte waren, was die auf der Ops versammelten Offiziere sahen, ehe wieder die Außenansicht der sich neu formierenden klingonische Flotte dargeboten wurde. Als sich Sisko aus seiner Erstarrung löste, wandte er sich – genauso wie alle anderen – instinktiv Worf zu. Unbehagen breitete sich aus, weil sie alle sich blind darauf verließen, dass Worf ihnen erklären würde, was sie am Verhalten seiner Artgenossen, die jeden Moment mit dem Angriff beginnen würden, nicht verstanden.

Worf seufzte leise und übersetzte: „Heute ist ein guter Tag zum Sterben.“
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