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A Decade of Storm: Kapitel 8 - Die Schlacht von Caleb IV

von Markus Brunner

Kapitel 1

Dampf stieg aus der Tasse auf. George sog ihn genüsslich mit der Nase ein und erfreute sich am kräftigen Aroma des Kaffees. George Kirk schätzte dieses Getränk nicht wegen seiner Eigenschaft, ihn lange Arbeitstage durchhalten zu lassen oder ihn in aller Herrgottsfrühe schlagartig wach zu machen. Viel mehr mochte er den aromatischen Duft. Nur an der heißen Flüssigkeit zu schnuppern würde ihm wahrscheinlich schon genügend Genuss bereiten, doch war der Anblick der dunkelbraunen Flüssigkeit einfach zu verlockend, um nicht doch einen Schluck zu wagen. Und noch einen und dann noch einen.
Noch hielt sich George zurück. Er begnügte sich vorerst mit dem Einatmen des wohlriechenden Dampfs und genoss die Wärme des Getränks, die durch die Wände der weißen Porzellantasse drang und seine Hände wärmte.
So verharrte er vor dem Küchenfenster und sah über den Hof der Kirk-Ranch hinweg zu den Feldern und wartete auf den Sonnenaufgang. George war nicht der einzige auf der Farm, der bereits wach war. Als er ins Parterre heruntergekommen war, hatte er die Richardsons im Aufenthaltsraum beim Kartenspielen vorgefunden. Inzwischen waren die beiden Frauen aber zu den Ställen hinübergegangen.
George war allein in der großen Küche, bis sich die zarten Arme von Winona von hinten an seiner Taille hervorschoben und schließlich auf seiner Brust verharrten, während sie sich gegen seinen Rücken schmiegte. „Guten Morgen“, sagte sie schläfrig.
„Guten Morgen, Darling“, erwiderte George und löste eine Hand von seiner Kaffeetasse und legte sie auf Winonas linke Hand, die über seinem Herzen lag.
„Schön warm“, stellte sie fest. Der Herbst brach an und es wurde in der Nacht wieder kälter, was Winona gar nicht gefiel. Sie fror sehr leicht, aber nicht nur deshalb hieß sie jede Nacht willkommen, in der es George möglich war, mit ihr das Bett zu teilen. Dank des Postens, den Admiral Archer ihm verschafft hatte, ergab sich diese Möglichkeit alle paar Tage. Während Winona auf der Erde war, auf der Farm der Familie Kirk arbeitete und gleichzeitig Sam großzog, war George im Auftrag der Sternenflotte im Weltall. Aber nie so weit entfernt von der Erde, als dass er nicht alle paar Tage zu seiner Frau und seinem Sohn zurückkehren konnte. Es war im Grunde ein Schreibtischjob. Nicht gerade das, weswegen er sich zum Dienst im All gemeldet hatte. Aber er hatte seine Vorzüge.
„Warum bist du schon aufgestanden?“, fragte George. „Du klingst doch noch ganz verschlafen?“
„Ohne dich war das Bett nicht mehr warm genug“, erklärte sie. „Und wenn ich friere kann ich nicht mehr einschlafen.“
„Dann gehen wir wieder rauf, oder?“, schlug George vor, doch Winona winkte ab und löste sich von seinem Rücken. Er drehte sich zu ihr um, so dass er ihr Gesicht sehen konnte. Es war das Gesicht einer schlafenden Schönheit, auf einem Körper, der zwanghaft versuchte, aufrecht zu stehen. „Hier, trink das. Der ist ziemlich stark“, bot er ihr seine Tasse an. Winona nahm sie nur zögerlich entgegen.
„Sicher? Ich weiß, wie sehr du deinen Kaffee liebst.“
„Ich kann mir jederzeit eine weitere Tasse einschenken. Außerdem könnte das Aroma ruhig noch etwas stärker sein.“
Winona zuckte kurz zurück, als sie den ersten Schluck getrunken hatte. „Noch stärker?“, fragte sie verwundert.
„Ich gebe es ungern zu, aber ich vermisse Raktajino.“
„Den klingonischen Kaffee?“
„Ja. Als ich auf Kors Schiff gefangen gehalten wurde, hat mir einer der Zellenwärter immer Raktajino gebracht. Da bin ich auf den Geschmack gekommen. Auch wenn ich gut auf den Alkohol darin verzichten könnte. Naja, ich bin auch kein Fan von Irish Coffee.“
„Obwohl Whiskey enthalten ist, hat Irish Coffee nicht viel mit Raktajino gemeinsam“, sagte Winona. George sah ihr an, dass sie sich zurückhielt, am liebsten laut losgelacht hätte. „Raktajino hat mehr Ähnlichkeit mit …“ Sie unterbrach sich kurz und gab ein ersticktes Lachen von sich, ehe sie weitersprach: „… mehr Ähnlichkeit mit Kopi Luwak.“
Kopi Luwak? Das war George ein Begriff, aber er musste ein paar Sekunden nachdenken, ehe ihm wieder einfiel, was das Besondere an dieser indonesischen Kaffeesorte war. Als es ihm dämmerte, was Winona meinte, musste er einmal schwer Schlucken und wünschte sich, er hätte vor fünfeinhalb Jahren nicht geschluckt. „Verdammt! Katzenkaffee?“
Winona, die nun munter war, nickte kichernd. „Ja. Nur dass bei den Klingonen nicht Katzen sondern die sogenannten Raktajino-Targs die Kaffeebohnen fressen und ausscheiden. Und aus diesen ausgeschiedenen Bohnen machen die Klingonen ihren Kaffee.“
„Igitt!“
„Dir hat er doch geschmeckt.“
„Das war, bevor ich wusste, dass Raktajino aus Targ-Scheiße gemacht wird. Musstest du mich unbedingt aufklären? Ich kann in meinem Leben wahrscheinlich nie mehr einen Kaffee trinken, ohne an das Hinterteil eines Targs zu denken. Wäh!“
Das Gespräch über die Herstellung von Raktajino endete in ausgelassenem Gelächter. Dieses gegenseitige Aufziehen um dann gemeinsam darüber zu lachen, war einfach die Art der Kirks. Dennoch merkte sich George vor, bei nächster Gelegenheit im Lexikon nachzulesen, ob Raktajino wirklich genauso wie Kopi Luwak hergestellt wurde.
„Aber mal ganz ehrlich: Ich denke in letzter Zeit oft an die Klingonen. Nicht im Allgemeinen, sondern an jene Klingonen, die ich persönlich kenne. Ich frage mich, was aus ihnen geworden ist.“
„Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass so ziemlich jeder Klingone, dem du begegnet bist, versucht hat, dich umzubringen. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sie dich nicht leiden können“, meinte Winona augenzwinkernd.
„Schlimm ist, dass ich es einigen gar nicht verdenken kann. Zum Beispiel Kor. Der hatte wirklich allen Grund, sauer auf mich zu sein. Was er jetzt wohl macht? Laut den letzten Berichten war er noch Captain eines D5-Kreuzers, der aber seit fast einem Jahr nicht mehr auf den Sensorschirmen eines unserer Schiffe aufgetaucht ist.“
Winona leerte die Kaffeetasse und stellte sie ab, ehe sie die Arme verschränkte und misstrauisch feststellte: „Du hältst dich auf dem Laufenden, nicht wahr? Okay, ich gebe selbst zu, dass ich regelmäßig die Nachrichtenseiten nach unseren Freunden und Kollegen von der Kelvin und vom Sarathong-Außenposten durchforste. Aber das sind Offiziere der Sternenflotte, nicht der Imperialen Flotte.“
„Das liegt bei mir einzig daran, dass ich auf mehr Informationen Zugriff habe“, erklärte George. Sein neuer Posten ermöglichte es ihm, in Akten und Berichte höchster Geheimstufe Einsicht zu nehmen. Diese Berichte zu durchforsten und ein Auge darauf zu haben, wer sich wann und wo im Laurentianischen Graben so rumtrieb, war ein kleiner Ausgleich dafür, nicht selbst am Brennpunkt zu sein.
Es war ihm natürlich verboten, mit Winona über diese Geheimnisse zu sprechen. Als Mitglied der Sternenflottenreserve hatte sie lediglich auf Informationen der untersten Zugangsstufe Zugriff. Zugangsstufe! Man nannte es nicht einmal „Geheimhaltungsstufe“!
Trotzdem scheute sich George nicht davor, hin und wieder mit Winona über die Arbeit zu sprechen. Sie waren seit zwei Jahren verheiratet, insgesamt seit über fünfeinhalb Jahren ein Paar. Natürlich vertraute er ihr bedingungslos. Und manches, das er in seiner Position erfahren hatte, musste er einfach mit jemandem besprechen. Zu aufwühlend und belastend waren manche Informationen, die über seinen Schreitisch liefen. Dazu gehörte das Mysterium um die Zerstörung des künstlichen Mondes über Tagus III. Der Zwischenfall auf Caleb IV. Die Erkenntnisse über die Beschaffenheit des Universums. Und Lori O’Shannon.
„Was Lori wohl gerade macht“, fragte er sich. „Ich kann noch immer nicht fassen, dass sie zu den Klingonen übergelaufen ist.“
„Sie ist eine Klingonin“, stellte Winona schlicht fest, als wäre es Erklärung genug. „Und sie ist bereits vorher zu uns übergelaufen. Das Wechseln der Seite war für sie also nichts Neues mehr.“
„Schon“, gab George zu. Aber es ergab für ihn keinen Sinn. Bei ihrer Flucht hatte sie einen Frachter der Sternenflotte mit vielen Zivilisten an Bord in Gefahr gebracht. Außerdem hatte sie Lieutenant Lin niedergeschlagen. Das mochte einfach nicht zu jener Lori O’Shannon passen, die Kirk vor sieben Jahren in einem Korridor an Bord der Inferna-Station kennengelernt hatte.
Weiß der Teufel, was sie bei dieser Aktion geritten hat, dachte George. Ich hoffe für sie, dass sie jetzt zumindest ihren Platz gefunden hat und dort glücklich wird.

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Eine Uniform. Früher einmal hatte Lori geglaubt, dies wäre alles, was sie zu ihrem Glück brauchen würde. Sie hatte getrauert, als man ihr das Recht abgesprochen hatte, jemals wieder eine Uniform der Sternenflotte zu tragen. Zuerst hatte sie es nicht wahrhaben wollen, hatte trotzig weiter auf ihr Ziel hingearbeitet, wieder dieses Recht zu erlangen. Notfalls, so hatte sie einst gedacht, würde sie eben wieder eine klingonische Uniform tragen.
Das tat sie nun auch. Und dieser Umstand machte sie alles andere als glücklich. Noch bevor sie von Lin Tianyu gezwungen worden war, abermals die Seiten zu wechseln, hatte Lori schon längst erkannt, dass sich ihr Glück nicht auf ein Stück Stoff am Leibe reduzieren ließ. Wichtiger war, für was diese Uniform stand. Für Gemeinschaft, Zusammenhalt, Akzeptanz. Sie hatte keine Uniform angestrebt, war ihr klar geworden. In Wahrheit war es ihr darum gegangen, ein Teil einer Gruppe zu sein. Ihren Platz in dieser Gruppe, in ihrem Leben und im Leben aller Menschen, die sie beeinflusste, zu finden. Und einen Platz im Herzen von Richard Robau. Sie hatte dieses Ziel längst erreicht gehabt. Und Lin hatte alles kaputtgemacht.
Sie mochte nun die Uniform einer Kriegerin der Imperialen Flotte tragen, aber sie würde von den Klingonen nie die Anerkennung erfahren, die sie bei den Menschen erfahren hatte. In den Augen der Klingonen war sie nichts weiter als ein Mensch in einem Kostüm.
Sie hätte ja nicht nur das Geheimnis von Caleb IV verraten können. Mit ihrem gesammelten Wissen konnte sie den Klingonen vielleicht sogar die Vorherrschaft in der gesamten Galaxie verschaffen. Und all dem zum Trotz: Ihr Ansehen unter den Klingonen würde nicht steigen. Sie würde immer nur die vermenschlichte Klingonin mit ihrem Kostüm bleiben.
„Ihr Körper ist hier, aber Ihre Gedanken sind Lichtjahre entfernt“, sagte eine ruhige Stimme.
Es verwunderte Lori, dass Chardin das bemerkte. Während seiner morgendlichen Andachtsstunde wirkte der ehemalige Patriarch von Tagus III selbst, als habe sich sein Geist von seinem Körper gelöst. Die Augen geschlossen, die Hände flach auf den Tisch gelegt und unbewegt in sitzender Position verharrend wirkte Chardin für eine Stunden an jedem Tag eher wie ein Gegenstand und weniger wie ein empfindungsfähiges Wesen.
Der Tagusianer entschied, seine Andachtsstunde heute etwas zu verkürzen. Wie jeden Tag hob er am Ende seines stillen Gebets die Hände, formte mit ihnen ein Dach, als würde er sie auf einen unsichtbaren, dreieckigen Gegenstand legen. Dann zog er die Hände wieder zurück in seinen Schoß, seine Schultern entspannten sich und er öffnete langsam die Augen, die sich sofort auf die am Ende des langen Tisches sitzende Lori O’Shannon richteten. „Guten Morgen, Lori.“
Sie erwiderte den Gruß. Wenn sie morgens das Studierzimmer des Tagusianers betrat, befand er sich meistens noch in einem meditativen Zustand. Es störte ihn nicht, wenn sie dann den Raum betrat. Sie hatten nur ausgemacht, dass sie sich ruhig verhalten sollte, während er zu den Ahnen betete.
Chardin und Lori waren sich sehr ähnlich. Er war der einzige verwandte Geist, dem sie während des monatelangen Fluges auf dem Schlachtkreuzer Klothos begegnet war. Chardin war ein gebürtiger Tagusianer, der zu den Klingonen übergelaufen war, weil er erkannt hatte, dass er dadurch seinen Zielen und Ambitionen näher kommen konnte. Diese Geschichte war jener von Lori nicht unähnlich. Sie war eine Klingonin, die zur Föderation gewechselt war, weil auch sie dort Möglichkeiten vorgefunden hatte, die sie für sich nutzbar machen wollte. Im Gegensatz zu Chardin war Lori aber wieder zurückgekehrt. Nicht freiwillig, wohlgemerkt.
Und auch der Tagusianer hatte zuerst den Eindruck erweckt, als würde er nur unter Zwang in Erwägung ziehen, nach Tagus III zurückzukehren. Nach einer halbjährigen Reise auf demselben Schiff wusste sie es aber besser: Chardin hielt nur die Hoffnung hier. Die Hoffnung nach Erkenntnissen, die ihm auf seiner Heimatwelt verwehrt geblieben wären. Eine Hoffnung, die nach dem Erfolg der bevorstehenden Mission der Klothos Erfüllung finden sollte.
„Meine Gedanken sind am richtigen Ort, mein Körper aber nicht“, sagte sie schließlich und ging auf Chardins zuvor geäußerte Feststellung ein. „Wie sieht es mit Ihnen aus?“
„Ich bin vollständig anwesend“, erwiderte er gütig lächelnd. „Mein morgendliches Gebet hilft mir dabei, mich zu sammeln, mich zu fokussieren. Vielleicht sollten Sie es auch einmal versuchen.“
Auf diesen Vorschlag wollte Lori nicht eingehen. Stattdessen fragte sie: „Ich verstehe nicht, warum Sie noch immer zu den Ahnen beten. Sie erreichen sie damit nicht, es sind nur Wesen aus Fleisch und Blut und abgesehen von zwei Ausnahmen seit einer Milliarde Jahren tot.“
„Wir Tagusianer beten nicht zu den Ahnen. Wir beten zu den Seelen der Ahnen, um ihr Vermächtnis zu ehren. Wenn auch ich den Weg alles Sterblichen gegangen bin, hoffe ich darauf, dass meine Seele von jenen der Ahnen mit Wohlwollen im Jenseits empfangen wird, weil ich ihr Andenken geehrt und mit Respekt behandelt habe.“
„Tun Sie das?“, fragte Lori provokant.
Wenn sich Chardin an ihrem herausfordernden Ton störte, ließ er es sich nicht anmerken. Er erwiderte gelassen: „Es stimmt, dass in meinem Volk die meisten glauben, dass das Vermächtnis der Ahnen am besten geehrt wird, indem es unberührt bleibt. Eine hohe Mauer und ein kilometerweites Ödland trennt unsere Hauptstadt vom größten Vermächtnis der Ahnen. Von der der Stätte der Träume. Erkennen Sie den Widerspruch darin? Unser wichtigstes Bevölkerungs- und Wirtschaftszentrum haben wir rund um die Ahnenstadt errichtet, um ihr nahe zu sein. Und gleichzeitig mit dem Grundstein der Hauptstadt wurde auch die Barrikade errichtet, die uns vom Vermächtnis der Ahnen trennt. Als Patriarch der Tagusianer musste ich diese lange vor meiner Zeit getroffene Entscheidung mittragen, weil der Großteil des Volkes ihr zustimmte. Aber als Chardin, als ein einfacher Mann, konnte ich diese Doktrin durchbrechen. Ich ehre das Vermächtnis auf jene Art, die mir – und nur mir allein – vernünftig erscheint.“ Lori wollte etwas dazu anmerken, aber der Tagusianer erkannte schon, welches Argument sie vorbringen würde: „Bevor Sie fragen: Die Beteiligung der Klingonen schränkt mich als einfachen, nach Erkenntnissen suchenden Mann natürlich ein. Aber sie ist ein notwendiges Übel.“
„Und da unterscheiden wir uns wohl“, sagte Lori schließlich. „Die Föderation war für mich nie ein notwendiges Übel. Ich wollte seit meinem Eintritt in die Sternenflotte dort sein. Die Föderation ist meine Heimat. Nicht das Imperium.“
„Vielleicht erhalten Sie auf Caleb IV ja eine Möglichkeit, nach Hause zurückzukehren.“
Lori sah Chardin verblüfft an. Als dieser ihren Gesichtsausdruck bemerkte, winkte er beiläufig ab: „Ach was. Ich bin nur ein alter Mann, der laut denkt. Beachten Sie mich gar nicht.“
„Ich muss ohnehin zum Rapport. Danke für das Gespräch, Chardin.“
„Es war wie immer ein Vergnügen.“
Der Rapport bei Captain Kor war reine Schikane. Ein Instrument um ihr den vagen Eindruck zu vermitteln, dass sie unter steter Beobachtung stand und nur weil sie die Uniform eines klingonischen Unteroffiziers trug noch lange nicht Teil der Imperialen Flotte war. Lori nahm es hin. Sie brauchte den Rapport nicht, um sich daran zu erinnern, dass sie nicht hierhergehörte.
Als sie durch die Gänge des D5-Kreuzers schritt, wich sie immer ganz an den Rand des Korridors, wenn ihr jemand entgegenkam. Nach der ersten Woche an Bord waren ihre Schultern ganz blau gewesen. Die Klingonen an Bord hatten jede Gelegenheit genutzt, sie anzurempeln. Danach hatte Kor zwar ein Machtwort gesprochen, aber Lori ging trotzdem immer noch auf Nummer sicher und wich so gut es ging aus. Das machte es den Klingonen, denen sie in den Gängen begegnete, auch leichter, sie zu ignorieren.
Um die Begegnungen mit klingonischen Kriegern auf ein Minimum zu reduzieren hatte sie einen recht umständlichen Weg durch das Innere der Klothos gewählt, aber schließlich gelangte sie doch zum roterleuchteten Korridor und betrat den daran angeschlossenen Planungsraum. Hinter dem großen Kartentisch standen Kor, Manja und zu Loris Überraschung auch Captain Kang. Die auf dem Kartentisch entrollten Papierkarten interessierten die drei nicht, ihre Blicke galten allein dem großen Bildschirm an der entfernten Wand. Er zeigte den Kurs, dem die kleine Flotte unter dem gemeinsamen Kommando von Kang und Kor im letzten halben Jahr gefolgt war.
Der festgelegte Kurs war so absurd, dass er schon fast wieder genial war.
Dabei wäre Caleb IV relativ leicht erreichbar. Bequem auf dem Subraum-Highway ein paar Tage verbringen, irgendwo auf Höhe von Vulkan oder der Erde den Highway verlassen und innerhalb weniger Tage auf hoher Warpgeschwindigkeit wäre man da.
Das funktionierte aber nicht mit einer klingonischen Armada. Mal ganz abgesehen vom Minenfeld: Innerhalb des Föderationsterritoriums, so nahe an den beiden Zentralwelten Erde und Vulkan, würden zwei klingonische Angriffsstaffeln auffallen wie ein Elefant im Porzellanladen.
Statt innerhalb von Tagen von Kronos nach Caleb IV zu fliegen, folgten Kors und Kangs Angriffsstaffeln einem Kurs voller Umwege. Sie waren das Föderationsterritorium weiträumig umflogen, hatten die stärker frequentierten Schiffsrouten gemieden, jedes Versteck ausgenutzt und sich langsam an Caleb IV herangepirscht.
Lori hätte nicht gedacht, dass Klingonen die nötige Geduld für einen so langfristigen Plan aufbringen konnten, aber dann hatte sie sich an Brigadier Korrds Taktik im Azure-Nebel erinnert. Sie hatte zuerst angenommen, der klingonische Meisterstratege stecke auch hinter diesem Kurs und hatte Kor gegenüber ihre Verwunderung geäußert, dass er offenbar nicht an dieser Mission teilnahm. Doch Kor hatte Lori überrascht. Der junge Captain hatte den Kurs selbst bestimmt. Korrd musste ihm ein guter Lehrer gewesen sein. Ein Lehrer, der sich ganz offen gegen den Angriff auf Caleb IV ausgesprochen hatte, wie Kor vertraulich anmerkte.
Allgemein konnte sich Lori nicht über ihren Captain beschweren. Ja, der Rapport war lästig, aber wohl von den oberen Rängen in der Imperialen Flotte befohlen worden. Ansonsten schien er sehr bemüht darum zu sein, dass ihr Aufenthalt an Bord der Klothos nicht allzu unangenehm ausfiel.
Kang und Manja sahen dies nicht so gern. Der andere junge Captain schien an Lori interessiert. Es passte ihm gar nicht, dass sie offiziell der Klothos zugeteilt worden war und er interpretierte Kors Höflichkeit als Konkurrenzgehabe. Dabei war offensichtlich, dass Manja, die Sensoroffizierin der Klothos, Kor nicht nur auf der Brücke sondern auch im Bett gute Dienste erwies. Als Lori den Planungsraum betrat, wurde sie von Manja daher mit einem besonders feindseligen Blick begrüßt. Auch sie interpretierte Kors Freundlichkeit als Interesse und sah in Lori eine Konkurrentin. Nicht selten hatten Manjas Befehle während des letzten halben Jahres dazu geführt, Loris Aufenthalt auf der Klothos unangenehmer als notwendig zu gestalten. Aber seit dem einen Tag, an dem Lori der Müllverwertungsanlage zugeiteilt worden war, war schon viel Zeit vergangen. Lori konnte nur vermuten, dass Kor auch in diesem Fall für sie Partei ergriffen hatte.
„Bekk vierter Klasse Lori O’Shannon meldet sich zum Dienst“, sagte Lori vorschriftsmäßig und salutierte vor den drei Offizieren.
„Stehen Sie bequem, O’Shannon“, sagte Kor ohne Strenge. Andere Klingonen spien ihren Namen normalerweise wie einen Fluch aus, Kor und Kang hingegen respektierten ihren Wunsch, weiterhin mit ihrem menschlichen Decknamen angesprochen zu werden. Kang um sich bei ihr einzuschleimen, Kor um einfach nur freundlich zu sein.
„Bekk, Sie werden heute der Wartungseinheit 2 zugewiesen. Melden Sie sich sofort bei Lieutenant Talka. Er erwartet Sie bereits. Wegtreten!“
Talkas Einheit arbeitete bei den Kühlmitteltanks. Ihm zugeteilt zu werden bedeutete, mit einem Tricorder in der Hand den halben Tag zwischen einem Dutzend großer Tankbehälter herumzuwandern und Lecks zu melden. Lecks traten nur äußerst selten auf, also war dies wieder einmal eine äußerst sinnlose Aufgabe. Aber immerhin nicht die sinnloseste, die ihr bislang zugeteilt worden war. Und auch nicht die schmutzigste.

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Den Legenden nach konnten die alten Schamanen des Qam-Chee-Ordens mit Blicken töten. Kor hoffte, dass Manja mit keinem der Schamanen blutsverwandt war, sonst würde es ihm ihn nächster Zeit nicht gut ergehen. Ihr starrender Blick aus ihren grünen Augen war reines Gift. Kor hielt ihm nicht lange stand und wandte sich wieder der Sternenkarte zu. O’Shannons Rapport hatte die Lagebesprechung unterbrochen. „Unser Aufklärer hat zwischen unserer gegenwärtigen Position und dem Caleb-System keine weiteren Föderationsschiffe geortet. Der Weg ist frei.“
„Gut. Es wird auch langsam Zeit“, sagte Kang. Der Captain des Warbirds war normalerweise ein sehr zurückhalternder Mann, aber ein halbes Jahr Tatenlosigkeit hatte seine Spuren hinterlassen. Je näher die beiden Angriffsgeschwader dem Zielplaneten Caleb IV gekommen waren, desto stärker war Kangs Blutdurst geworden. Kor hoffte, dass sich Kang zügeln würde. Kors Angriffsplan bestand aus drei Phasen und würde scheitern, wenn Kang – der in den Phasen 2 und 3 die entscheidende Rolle spielte – zu ungestüm und überhastet agierte. „Was werden wir im Caleb-System vorfinden?“, fragte Kang.
Manja übernahm die Beantwortung der Frage: „Der Aufklärer hat zwei Schiffe der Sternenflotte registriert. Ein Kreuzer der Saladin-Klasse gibt vor, in der Nähe von Caleb IV einen kleinen Ionensturm zu untersuchen. Ein kleineres Schiff der Oberth-Klasse patrouilliert am Rande des Systems. Es entspricht nicht der Standardkonfiguration. Zusätzliche Torpedorampen wurden festgestellt.“
„Für ein angebliches Solarobservatorium ist Caleb IV ganz schön gut bewacht“, höhnte Kang. Dank O’Shannon wussten sie inzwischen, dass auf diesem Planeten nicht nur die effiziente Gewinnung von Solarenergie erforscht wurde, sondern auch alle möglichen anderen experimentellen Formen der Energiegewinnung. Auch die Gewinnung von Energie aus einem Ahnen-Artefakt, das schlicht als „Batterie“ bezeichnet wurde. Kor hatte das Artefakt im Inneren des Ahnen-Schiffes auf Kronos schon einmal gesehen, aber angenommen, dass es vor drei Jahren zusammen mit dem Ahnen-Schiff zerstört worden war. In Wahrheit war es von Lori O’Shannon und George Kirk gestohlen worden. „Hindernisse für die Navigation?“
„Dieser Ionensturm, den ich bereits erwähnte“, antwortete Manja auf Kangs Frage. „Und vierzig mehrere Kilometer durchmessende Solarsegel ungefähr auf halber Strecke zwischen Caleb IV und der Sonne des Systems. Beides spielt bei unserem Angriff keine Rolle.
Und unser Aufklärer wurde sicher nicht entdeckt?“
„Es gab keine Hinweise. Der Bird of Prey hatte während seines Flugs durch das System nur die allernötigsten Systeme aktiviert und ist nach Verlassen des Sonnensystems noch fünf Tage mit Impulsgeschwindigkeit geflogen, ehe er auf Warp ging.“
„Es war unnötig riskant“, stellte Kang fest. Kor wusste, was jetzt kommen würde und er wurde nicht enttäuscht: Kang wiederholte wieder einmal seinen Vorschlag: „Sie hätten die Tarnvorrichtung in den Bird of Prey einbauen sollen.“
„Es war nicht nötig“, entgegnete Kor. „Außerdem hat es lange genug gedauert, bis die Tarnvorrichtung auf der Klothos gelaufen ist. Eine funktionierende Tarnvorrichtung hat uns der Kanzler versprochen? Von wegen! Es hatte schon seine Gründe, warum Guroth darauf verzichtet hatte, dieses Gerät in seinen Warbird einzubauen.“
Die Tarnvorrichtung war schon ein gefinkeltes Stück Technologie. Selbst Spezialisten auf Kronos, die seit Jahrzehnten erbeutete Raumschiffe der Romulaner untersuchten, hatten so etwas noch nicht gesehen. Sie unterschied sich stark von jenen Tarnungen, die die Romulaner vor dem Vorkado IX-Zwischenfall eingesetzt hatten. Früher hatten die Romulaner einfach eine holografische Camouflage über ihre Schiffe gelegt. In Kombination mit einem Störsender war das vor über 70 Jahren noch ein wirksamer Schutz gewesen.
Doch die von Guroth erbeutete Tarnvorrichtung funktionierte nach einem ganz anderen Prinzip. Sie leitete das Licht genauso wie Sensorstrahlen um das zu tarnende Raumschiff herum. Egal aus welcher Perspektive man es betrachtete, man sah immer das, was hinter dem Schiff lag.
Die neue Tarnvorrichtung mit den klingonischen Schutzschildemittern zu verbinden war noch relativ einfach gewesen. Es hatte sich aber herausgestellt, dass es mehrere Probleme mit dieser Technologie gab. Zum einen konnte sie kein so großes Schiff wie den Warbird tarnen. Der Tarnschirm konnte einfach nicht weit genug ausgedehnt werden. Ein D5-Kreuzer war das größte klingonische Raumschiff, das unter den Tarnschirm passte.
Das zweite Problem ergab sich daraus, dass die Tarnvorrichtung mit den Schutzschilden gekoppelt war. Wurde die Tarnung aktiviert, funktionierten die Schutzschilde nicht und umgekehrt.
Das dritte Problem betraf die Tarnvorrichtung selbst. Es war ein seltsamer Apparat, der nun im Maschinenraum der Klothos stand und er hatte die Eigenschaft, schnell heiß zu laufen. Maximal zehn Minuten konnte die Tarnung aktiviert bleiben, dann musste sie wieder für ein paar Minuten deaktiviert werden, in denen die Klothos für jedes Schiff in Sensorreichweite sichtbar war.
Und die vierte und gravierendste Einschränkung bestand darin, dass die Tarnvorrichtung ein wahrer Stromfresser war. Alle möglichen Versuche waren unternommen worden, um auch ausreichend Energie für die Waffensysteme aufzubringen, aber solange die Tarnvorrichtung arbeitete, stand kaum genug Energie für die notwendigsten Systeme zur Verfügung.
Es war nur ein schwacher Trost der Ingenieure auf Kronos gewesen, dass das Gerät bei den Romulanern auch mit denselben Macken lief. So sehr es Kor auch missfallen war, hatte er rund um die Unzulänglichkeiten der Tarnvorrichtung einen Angriffsplan ersonnen und nun trennten ihn nur noch zwei Tage von seiner Ausführung. Es würde seine Bewährungsprobe sein. Mit einem Erfolg konnte er sich gleichzeitig seinem Förderer Korrd als auch dem Kanzler beweisen. Selbst wenn die beiden nicht immer der gleichen Meinung waren.
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