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Zum Wohle des Kindes

von Xella Sky

Kapitel 3 - 25. Dezember

 

 

 


25. Dezember

 

Miral erwachte mit einem Kribbeln im Bauch. Die Erwachsenen hatten am vergangenen Abend noch viele seltsame Andeutungen gemacht und das hatte Miral den Schlaf geraubt. Irgendetwas Besonderes sollte heute stattfinden. Wie konnte sie da länger im Bett bleiben? Kurz sah sie zu Tante Kathy, die neben ihr schlief, dann schlug sie ihre Decke zurück und glitt leise aus dem Bett. Auf Zehenspitzen schlich sie sich aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Das Haus war noch in Dämmerlicht getaucht, der Baum im Wohnzimmer war jedoch noch immer erleuchtet. Miral war so fasziniert wie am Abend zuvor. Sie verschob jedoch ihre Neugierde, denn man hatte ihr gestern erklärt, dass es ihre Pflicht sei, zuerst die Socke in der falschen Größe zu durchsuchen. Sie ging daher zum Kamin und zerrte so lange an dem Ding, das sich heute tatsächlich mehr ausbeulte als am Vortag, bis sie es samt Haken und Lacksplittern in der Hand hielt. Ohne viel Federlesens hielt sie die Socke verkehrt herum, so dass deren Inhalt auf den Boden stürzte. Eine Orange, einige Nüsse und ein kleiner Plüschteddybär kamen hervor.

Und deswegen hatten die Erwachsenen so ein Aufhebens gemacht? Miral war enttäuscht.

Gut, das Essen war ja ganz nützlich. Damit konnte sie gut die Zeit bis zum Frühstück überbrücken, aber der Teddy? Sie war doch kein Baby mehr! Die Sechsjährige hatte sich schon gestern gedacht, dass mit diesem ominösen Weihnachtsmann etwas nicht stimmte. Woher sollte der ihr vollkommen Unbekannte wissen, was ihr gefiel? Er kannte sie ja gar nicht. Auf dem Mars war sie ihm noch nie begegnet. Wie auch immer, da er zum Glück nicht anwesend war, brauchte sie auch keine Höflichkeitslügen loszuwerden.

Miral ließ alles wie es war auf dem Boden liegen und schritt dann, mit der Socke in der Hand zu dem wesentlich interessanteren Weihnachtsbaum. Die Lichter gefielen ihr, aber am schönsten fand sie die Kugeln. Ein Gedanke blitzte in ihrem Kopf auf. Würde es auffallen, wenn…? Nein, das würde es bestimmt nicht. Es gab ja so viele!

Das Mädchen begann, sich die schönsten Christbaumkugeln auszusuchen, sie vom Baum zu nehmen und sie in der Socke zu verstauen. So war das unförmige Teil doch noch zu etwas nützlich, stellte sie zufrieden fest.

 

 

„Guten Morgen, Miral“, begrüßte sie einige Zeit später ihre Tante Kathy. Diese war in einen Morgenmantel gekleidet und hielt eine Tasse Kaffee in der Hand. „Du kannst es wohl nicht mehr erwarten?“

„Ja, warum dauert das so lange? Ich hab Hunger!“

Ihre Tante lächelte und setzte sich zu ihr aufs Sofa, auf dem sie es sich gemütlich gemacht hatte, um den Baum besser betrachten zu können.

„Ich spreche nicht vom Frühstück, ich spreche von den Geschenken.“

„Geschenke? Welche Geschenke?“ Miral richtete sich interessiert auf dem Sofa auf.

„An Weihnachten erhält man Geschenke. Wusstest du das nicht?“

Miral grübelte. Sollte sie das wissen? Und vor allem, sollte sie ihre Unwissenheit zugeben?

Ihre Überlegungen waren zu langsam, denn noch bevor sie sich eine passende Antwort ausgedacht hatte, zeigte Tante Kathy auf den Boden unter dem Baum. Miral war überrascht. Sie hatte die Päckchen zwar wahrgenommen, sie jedoch für einen Teil der Dekoration gehalten.

„Die sind echt?“, flüsterte sie daher beinahe andächtig. „So viele?“

„Ja, sie sind echt. Natürlich sind nicht alle für dich. Jeder bekommt an Weihnachten Geschenke, aber du kannst ja mal suchen, ob irgendwo dein Name draufsteht.“

Miral kam dem sofort nach und hoffte, dass es von jemand stammte, der ihre Wünsche besser kannte als dieser merkwürdige Weihnachtsmann, doch noch bevor sie das Papier von dem schnell gefundenen Geschenk wegzerren konnte, gesellte sich ein weiterer Hausbewohner zu ihnen.

„Hey ihr beiden, ihr fangt doch wohl nicht ohne mich an!“, meinte Phoebe und rieb sich unauffällig ein wenig Schlaf aus den Augen.

„Das würden wir nie wagen“, meinte Tante Kathy gut gelaunt und mit einem Zwinkern in Mirals Richtung.

Phoebe schlurfte gemütlich heran und setzte sich dann auf den Boden neben Miral, um nach Geschenken für sich zu suchen.

 

„Das darf ja wohl nicht wahr sein!“, meinte kurz darauf eine empörte weibliche Stimme.

Miral drehte sich zu ihr um. Es war Tante Kathys Mum, die ihre Hände genauso in die Hüften gestemmt hatte, wie sie es von ihrer Tante gewohnt war.

„Hört sofort auf damit! Zuerst wird gefrühstückt!“, forderte sie und klang dabei genauso streng wie die Sternenflottencaptains und –admirals, die Miral kannte.

Phoebe wagte zwar zu widersprechen – „Mum, das haben wir immer so gemacht. Ein Geschenk noch vor dem Frühstück.“ –, doch das schien Gretchen Janeway nicht zu beeindrucken.

„Papperlapapp, dieses Jahr ist es anders.“

Miral verdrehte genervt die Augen. Es gab so viele Vorschriften bei diesem Fest. Entweder man schenkte etwas und durfte es sich dann auch ansehen, oder man ließ es bleiben. Das hier war einfach nur ätzend.

Sie wäre sitzen geblieben, doch Phoebe, die bisher immer so freundlich zu ihr gewesen war, streckte ihr die Hand entgegen, damit sie gemeinsam in die Küche gehen konnten. Da konnte Miral schlecht ablehnen.

 

Das Frühstück verlief in merkwürdigem Schweigen, aber das war Miral nur recht, denn so ging es schneller. Ein Klopfen an der Tür war durch die Stille allerdings überdeutlich zu hören. Die Erwachsenen schraken auf, Miral sah allerdings keinen Grund, warum sie das kümmern sollte.

„Erwartest du Besuch, Mum?“, wollte Tante Kathy wissen.

„Hm, ich gehe schon“, war die wenig aussagekräftige Antwort von Gretchen.

Im Flur war kurz darauf Stimmengemurmel zu vernehmen.

„Wo ist das Kind?“, wollte eine männliche Stimme wissen.

„In der Küche“, hörte man Gretchen antworten.

 

„Seht mal, wer gekommen ist“, bat Gretchens plötzlich aufgekratzt klingende Stimme um Aufmerksamkeit.

Miral sah hoch. Zwei alte Menschen kamen herein, ein Mann und eine Frau und irgendwie kamen sie ihr bekannt vor.

„Deine Großeltern sind da, Schätzchen“, half Gretchen ihr auf die Sprünge.

Jetzt erkannte auch Miral sie. Es waren die Eltern ihres Dads – Owen und Julia. Er nannte sie allerdings immer ‚der Admiral‘ und ‚Mutter‘ und betonte das ganz seltsam. Ihre Mum hatte sie schon mehrfach als ‚falsche Schlange‘ und ‚widerlichen Arsch‘ bezeichnet, aber immer nur dann, wenn sie glaubte, dass Miral es nicht mitbekam. Durch ihre Lauschaktionen wusste sie allerdings, dass die beiden ‚das Böse‘ schlechthin waren. Augenblicklich verging ihr der Appetit.

An ihre letzte persönliche Begegnung mit den Großeltern konnte sich Miral gar nicht mehr erinnern. Die wenigen Male, als sie die beiden in den letzten Jahren zu Gesicht bekommen hatte, waren immer über ein Bildschirmterminal gewesen.

Noch bevor sie wusste, wie sie angemessen reagieren sollte, wurde ihr von Gretchen der Stuhl weggezogen und sie wurde reichlich unsanft in deren Richtung geschubst. Ihre Großmutter Julia nahm sie augenblicklich in Beschlag und presste sie so fest an sich, dass Miral kaum noch Luft bekam.

„Du bist aber groß geworden“, meinte derweil Owen Paris und tätschelte ihren Kopf.

Miral hätte geschrien, wenn sie noch genügend Luft dafür gehabt hätte.

Es war schließlich ihre Tante Kathy, die sie rettete, indem sie die beiden mit einem Handschlag begrüßte und sie dadurch zwang, von Miral abzulassen.

 

„Lasst uns ins Wohnzimmer gehen“, forderte Gretchen die Anwesenden auf. Miral versuchte, unauffällig den Rückzug anzutreten, doch es gelang ihr nicht. Das Interesse zu vieler Erwachsener ruhte auf ihr.

Im Wohnzimmer angelangt, strebte sie dem einzigen Sessel zu, damit sie nicht gezwungen war, sich neben die ihr fremden Großeltern zu setzen, doch Gretchen erkannte leider ihren Plan und verhinderte ihn. Sie ergriff sie an den Schultern und dirigierte sie auf den Platz neben ihrem Großvater. Seine starke Präsenz und sein aufmerksamer Blick fesselten Mirals Gedanken, daher bekam sie nur am Rande mit, wie Tante Kathy und deren Schwester Phoebe die letzten freien Plätze auf dem Sofa einnahmen. Sehr zum Missfallen Gretchens, doch die Janeway-Töchter schienen ihre unauffälligen Signale nicht zu bemerken.

Gretchen blieb nichts anderes übrig, als Mirals Großmutter den Sessel anzubieten, auf dem Miral gerne gesessen hätte. Julia genoss den begehrten Platz jedoch nur kurz. Kaum hatte sie sich gesetzt und ein wenig zurückgelehnt, da fuhr sie auch schon mit einem Schmerzensschrei wieder hoch und begann, sich hektisch über den Hintern zu wischen. Verwirrung, Besorgnis und Hilfsangebote wurde von den Erwachsenen geäußert. Julia war jedoch zu sehr mit sich selbst befasst, um darauf zu reagieren. Sie drehte sich fortwährend im Kreis und versuchte, ihre Rückseite zu begutachten, was ihr allerdings nicht gelang. Miral versuchte mühsam, ein Glucksen zu unterdrücken. Gretchen hob auf der Suche nach der Quelle des Übels das Kissen an, das als Rückenstütze auf dem Sessel gelegen hatte. Hervor kam Mirals Weihnachtssocke mit den nun zersplitterten Glaskugeln. Ein undefinierbarer Blick traf sie, der sie stark an Tante Kathys Jetzt-gibt-es-Ärger-Blick erinnerte. Miral war sich bewusst, dass sie angemessen schuldig dreinschauen sollte. Ihr Diebstahl war entdeckt worden und Großmutter Julia hatte vermutlich Splitter im Hintern, doch die Situation war einfach zu absurd. Das Mädchen wurde von einem Lachanfall überwältigt. Sie lachte, bis sie kaum noch Luft bekam und Tränen ihren Blick verschleierten. Vermutlich hätte sie es ohne Hilfe nicht geschafft, wieder damit aufzuhören, doch diese wurde ihr auf eine Art gewährt, mit der sie nicht gerechnet hätte. Sie hörte ein Klatschen und im selben Moment begann ihre Wange zu brennen. Ihr Lachen brach abrupt ab und ihr Mund öffnete sich vor Überraschung. Großmutter Julia hatte ihr eine Ohrfeige gegeben.

Als wäre dies nicht schon schlimm genug, wurde sie von ihr auch noch als „Unverschämtes Kind!“ bezeichnet.

Miral war empört. Wie konnte sie es wagen? Sie setzte zu einer Protestformel an, doch Tante Kathy schlang im selben Moment einen Arm um sie und hielt ihr mit ihrer flachen Hand den Mund zu. Einer der Finger wurde zudem vorsorglich unter ihr Kinn geklemmt, so dass sie keine Chance hatte, etwas zu sagen.

Hatte sich denn alle Welt gegen sie verschworen?, fragte sich Miral.

Ein heftiger Wortwechsel zwischen den Erwachsenen entstand. Stumm musste das Mädchen mitverfolgen, wie ihr Verhalten, ihre Erziehung und ihr ganzes Wesen inklusive klingonischem Erbe in Frage gestellt wurde.

Irgendwann hatte sie genug. Sie begann sich in Tante Kathys Armen zu winden und hatte tatsächlich Erfolg. Als sie sich befreit hatte, rannte sie zum Weihnachtsbaum und riss voller Hast so viele Kugeln von den Zweigen, wie sie nur erreichen konnte.

Voller Wut drehte sie sich dann mit ihrer Beute wieder um. Sie packte eine der Kugeln und warf sie auf die Erwachsenen, dann noch eine und noch eine. Dazu brüllte sie: „Meteoritenschauer!“ und wiederholte das bei jedem Wurf. Wen sie traf, war ihr beinahe egal, doch sie versuchte, so viele Kugeln wie möglich auf ihre Großeltern zu lenken.

Kurzzeitig hatte sie damit Erfolg, doch dann erreichte ihr Großvater sie und packte ihren Arm am Handgelenk. Er wurde zusammengequetscht, wie in einem Schraubstock. Mit der anderen Hand holte er aus und Miral kniff geistesgegenwärtig die Augen zusammen in Erwartung der zweiten Ohrfeige, doch diese kam nicht.

Als sie es wagte, die Augen wieder zu öffnen, erkannte sie Tante Kathy, die mutig Großvater Owen in den Arm gefallen war.

„Ich dulde keine Gewalt in diesem Haus!“, donnerte sie. „Und erst recht nicht gegen das Kind! Es steht unter meinem Schutz.“

Miral wurde von einer glühenden Zuneigung gegenüber ihrer Tante ergriffen. Oft genug war es schwierig, mit ihr auszukommen, doch im Moment freute sie sich einfach, dass diese starke und sture Frau auf ihrer Seite stand.

Stumm verfolgte sie den weiteren Wortwechsel mit, der immer heftiger wurde, bis Phoebe sich schließlich ihrer annahm und sie vorsichtig aus dem Zimmer lotste.

„Wir beide gehen jetzt spazieren“, meinte sie.

„Aber“, versuchte Miral zu widersprechen.

„Kein Aber. Wir gehen, denn das ist besser so. Du solltest das nicht hören.“

Miral sah das zwar ein wenig anders, doch als sie Phoebes Blick traf, gab sie sich geschlagen.

 

 

Erst zwei Stunden später kehrten sie zurück. Als sie die Haustür öffneten, schlug ihnen Stille entgegen. Sie zogen sich die Winterkleidung aus und nachdem Phoebe diese weggehängt hatte, bat sie Miral, auf der Treppe Platz zu nehmen. Sie wollte zunächst einmal ‚die Lage sondieren‘, wie sie sich ausdrückte. Miral tat wie geheißen.

„Es sind alle ausgeflogen.“ Mit dieser Auskunft kehrte Phoebe zurück. „Ich werde uns jetzt etwas zu essen machen und danach wäre es vielleicht am besten, wenn du in Kathryns Zimmer gehen würdest.“

Miral nickte verstehend. Es war eine nette Umschreibung für Hausarrest.

 

 

Irgendwann am Nachmittag öffnete sich die Zimmertür, doch Miral tat so, als hätte sie es nicht mitbekommen. Sie saß in eine Decke gehüllt auf der breiten Fensterbank und sah in die Dämmerung hinaus. Die Person in ihrem Rücken setzte sich auf das Bett, was sie am Quietschen der Federn erkannte.

„Miral, ich muss mich bei dir entschuldigen“, sagte Tante Kathy in ruhigem Tonfall. „Ich brachte dich hierher und versprach dir ein paar schöne Tage, doch dann ist etwas geschehen, was nicht hätte passieren dürfen. Ich hatte keine Ahnung davon, dass deine Großeltern zu Besuch kommen würden. Meine Mutter hat sie ohne mein Wissen eingeladen. Sie haben sich dir gegenüber falsch verhalten und sie haben Dinge gesagt, die sie nicht hätten sagen dürfen. Die nicht stimmen. Ich kann verstehen, dass du wütend bist.“

Schweigen breitete sich im Raum aus und Miral fühlte sich nun doch genötigt, sich herumzudrehen. Sie musterte ihre Tante.

„Heißt das, ich muss mich nicht entschuldigen?“

Tante Kathys Mund verzog sich zu einem bitteren Lächeln. „Doch, das musst du.“

Miral wollte protestieren, doch ihre Tante wiegelte mit den Händen ab. „Ich weiß, ich weiß. Die Welt der Erwachsenen ist kompliziert. Das wirst auch du noch lernen müssen. Doch das mit dem Entschuldigen hat meiner Meinung nach noch ein bisschen Zeit. Es schadet nichts, erst ein paar Planeten zwischen uns und hier zu bringen, bevor wir das angehen.“

Miral brauchte einen Moment, doch dann begriff sie.

„Wann reisen wir ab?“

„Ich habe versucht, für heute noch etwas zu bekommen, doch die öffentlichen Transporte sind aufgrund der Feiertage alle ausgebucht. Vor Morgen wird das also nichts.“

Enttäuschung breitete sich in Miral aus.

„Keine Sorge“, meinte Tante Kathy. „Es wird heute zu keiner weiteren Konfrontation kommen. Deine Großeltern sind schon seit Stunden weg und das Festessen fällt auch aus. Ich werde jetzt in die Küche gehen und uns etwas heraufholen. Dann werden wir beide unser eigenes Weihnachtsessen veranstalten. Einverstanden?“

„Einverstanden.“

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