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Kismet - Schritte aus dem Schatten

von Martina Strobelt

II. Akt

Captain Benjamin Sisko saß in seinem Büro. Seine Fingerspitzen trommelten auf die Platte seines Schreibtisches, während er seinen Sohn Jake, der sich gerade eben dort hinauf geschwungen hatte und nun lässig mit den Beinen wippte, mit unverhohlenem Ärger musterte.

„Ich weiß wirklich nicht, weshalb du dich aufregst, Dad“, sagte Jake gerade. „Nog lebt ja schließlich noch.“

„Bei dir klingt das fast so, als würdest du das bedauern.“

„Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um“, zitierte Jake.

„Das reicht!“ Sisko schlug mit seinen flachen Händen so hart auf den Tisch, dass die darauf liegenden Datenpadds vibrierten. „Du bist kein kleines Kind mehr, Jake. Und wir sprechen hier auch nicht über einen dummen Jungenstreich. Wir reden hier davon, dass du deinen Freund Nog mit dem Kopf mehrmals gegen die Wand eures Quartiers gestoßen und ihn danach dazu benutzt hast, die Glasplatte eures Tisches zu zertrümmern, die immerhin zwei Zentimeter dick ist! Doktor Bashir hat gesagt, dass es allein der Tatsache, dass Nog als Ferengi einen äußerst stabilen Schädelknochen hat, zu verdanken ist, dass er diese Behandlung überlebt hat. Wäre er ein Mensch oder ein Bajoraner, dann wäre er jetzt tot! Ist dir das überhaupt klar?!“

„Sicher, Dad“, gab Jake gelangweilt zurück. „Kann ich jetzt gehen?“

„Nein!“ Sisko lehnte sich soweit vor, dass nicht viel fehlte und er wäre vornüber gekippt. „Du wirst dieses Büro erst verlassen, nachdem du mir gesagt hast, warum du das getan hast!“

„Wir haben uns gestritten“, antwortete Jake widerwillig.

„Das dachte ich mir. Wieso?“

„Wegen einer Baseball-Karte.“

„Einer Baseball-Karte?!“

„Ja.“ Jakes Gesicht glühte plötzlich vor Begeisterung. „Will Carleton, der Spielmacher der Red Socks im Entscheidungskampf gegen die New York Tigers 2051. Weißt du wie lange ich nach dieser Karte gesucht habe? Und Nog wollte sie in die Recycling-Anlage werfen. Er nannte sie ein schmutziges Stück Papier. Kannst du dir das vorstellen?“

„Nein. Um ehrlich zu sein, ich kann mir nicht vorstellen, was in dich gefahren ist, dass du deinen besten Freund wegen einer Baseball-Karte beinahe umgebracht hast. Mag sie auch tausend Mal die von Will Carleton sein. Es gibt nur sehr wenige Gründe, die es im Einzelfall einmal rechtfertigen können, das Leben eines anderen zu gefährden. Und eine Baseball-Karte gehört mit Sicherheit nicht dazu!“

Jake zuckte mit den Achseln. „Das ist deine Meinung, Dad.“

Das Summen des Intercoms kam einer Erwiderung seines Vaters zuvor. Das Gesicht Doktor Bashirs erschien auf dem Display. „Captain, bitte kommen Sie auf die Krankenstation. Ein Notfall“

„Nog?“, fragte Sisko alarmiert.

„Keine Sorge“, erwiderte Bashir. „Nog geht es den Umständen entsprechend gut. Was man von Keiko O’Brien leider nicht sagen kann.“

„Keiko? Was ist mit ihr?“

„Er hat mehrfach auf sie eingestochen.“

„Wer?“

„Ihr eigener Mann. Chief Miles Edward O’Brien!“

* * *

Siskos Blick glitt ungläubig über Keiko O’Brien, die bewusstlos auf dem Biobett lag, während sich mehrere Schwestern um sie bemühten.

Man musste kein Arzt sein, um zu erkennen, dass die Asiatin dem Tode näher als dem Leben war. Die Kurven auf dem Monitor, die Herzschlag, Atmung und andere biologische Hauptfunktionen anzeigten, waren praktisch flach. Keiko wurde nur noch künstlich am Leben erhalten.

„Mein Gott!“, entfuhr es dem Kommandanten von DS9 erschüttert. „Was ist passiert?“

Diese Frage galt gleichermaßen Doktor Bashir wie auch Odo, der neben dem Arzt stand.

„Ein Nachbar der O’Briens rief den Sicherheitsdienst, als im Quartier neben ihm die Schreie begannen“, antwortete der Constable. „Aus einem Grund, den wir noch nicht kennen, ist der Chief offenbar durchgedreht und hat seine Frau damit niedergestochen.“ Odo deutete auf ein verbogenes mit Rost und Blut bedecktes Metallstück mit einem morschen Holzgriff, das auf einer medizinischen Konsole lag.

„Haben Sie eine Ahnung, was das ist?“, fragte Sisko.

Der Sicherheitschef schüttelte den Kopf. „Jedenfalls keines von Chief O’Briens Werkzeugen. Auch keine Waffe, obwohl er dieses Ding wie eine eingesetzt hat.“

„Ein Schraubenzieher“, erklang schräg hinter Sisko eine schwache Stimme.

Der Captain drehte sich um und erkannte Nog, der sich in einem der Betten aufgesetzt hatte.

„Das ist ein Schraubenzieher, Sir“, wiederholte der junge Ferengi. „Man hat solche Geräte vor vielen Jahrhunderten auf der Erde dazu benutzt, um Schrauben manuell zu bewegen. Der Chief hat mir das erzählt. Er hat sich schon immer gewünscht, so einen alten Schraubenzieher zu besitzen, und war außer sich vor Freude, im Kismet ganz zufällig einen gefunden zu haben.“

„Im Kismet?“

„Dieser neue Laden, der erst kürzlich auf dem Promenadendeck eröffnet wurde. Der Chief meinte, er wäre eine wahre Goldgrube, und der Eigentümer sei nicht nur ein echter Ire, sondern auch sonst ganz nach seinem Geschmack, was immer das heißen mag. Eines ist jedoch sicher, der Inhaber hat das Talent eines Ferengis, wenn es darum geht, Kunden Ware minderwertiger Qualität zu verkaufen. Wenn der Chief aus nostalgischen Gründen an einem Stück Schrott hängt, das ist eine Sache. Aber“, Nog zischte verächtlich, „wie es dem Besitzer des Kismet gelungen ist, Jake für einen dreckigen zerrissenen Papierfetzen zu begeistern, ist mir ein Rätsel, Sir!“

„Wollen Sie damit sagen, Jake hat die Baseball-Karte, wegen derer er auf Sie losgegangen ist, auch im Kismet gekauft, Kadett? Kennen Sie das Geschäft, Constable?“, wandte Sisko sich an Odo als Nog bejahte.

„Nur von außen“, antwortete der Sicherheitschef. „Ich habe es bisher noch nicht betreten.“

Sein Vorgesetzter warf einen langen Blick auf Keiko O’Brien. „In dem Fall denke ich, dass es an der Zeit ist, das zu ändern.“

* * *

Dax ließ das Bat’leth über ihren Kopf und wieder zurück schwingen. Normalerweise trainierte sie nicht in ihrem Quartier, sondern in einer von Quarks Holosuiten. Aber es handelte sich ja nur um einige Lockerungsübungen.

Der Türmelder summte.

Mit einem Seufzen senkte Jadzia die Waffe. „Herein! Oh, hallo Benjamin“, empfing sie den Besucher. „Was führt Sie zu so später Stunde noch zu mir?“

„Eine wahrhaft einladende Begrüßung für einen guten Freund“, meinte Sisko.

Dax ignorierte die Bemerkung. Sie setzte sich, das Bat’leth zwischen den Knien, auf einen Sessel und forderte den Kommandanten von DS9 mit einem Nicken auf, ebenfalls Platz zu nehmen.

„Ist es wegen Jake?“, erkundigte sie sich.

Sisko nickte. „Ich mache mir Sorgen, alter Mann. Jake hat sich verändert. Er ist so aggressiv. So kenne ich ihn gar nicht. Als ich ihm erklärt habe, dass ich keine andere Wahl habe, als ihn bis auf weiteres in seinem Quartier unter Hausarrest zu stellen, hat er tatsächlich versucht, mir einen Kinnhaken zu verpassen. Stellen Sie sich das vor. Mein eigener Sohn wollte mich schlagen!“

Die Trill zuckte mit den Schultern. „Jake ist erwachsen. Es ist nur natürlich, dass er keine Lust mehr hat, sich bevormunden zu lassen.“

„Aber das tue ich doch gar nicht. Hätte ich ihn nicht unter Hausarrest gestellt, hätte Odo ihn in eine Arrestzelle gesteckt.“

„Der gewissenhafte Constable.“ Jadzia verzog das Gesicht. „Übereifrig wie immer. Manchmal frage ich mich, wie Gul Dukat ihn so lange hat ertragen können, ohne ihn zu exekutieren.“

Sisko starrte die Trill an, als ob er sie zum ersten Mal sah. „Das meinen Sie nicht im Ernst?“

Jadzias Fingerspitzen strichen sanft, fast zärtlich über die scharfen Spitzen ihres Bat’leth.

„Wie geht es Miles?“, fragte sie wie beiläufig, ohne Siskos Frage zu beantworten.

„Besser als Keiko. Bashir meint, dass es ein Wunder war, dass sie überlebt hat.“

„Sie ist erstaunlich zäh. Zumindest für einen Menschen. Nebenbei, wo Sie gerade da sind, habe ich Ihnen eigentlich schon von diesem neuen Geschäft auf dem Promenadendeck erzählt?“

„Nein“, entgegnete Sisko, von Jadzias unerwartetem Themenwechsel und ihrem derart offen gezeigten Desinteresse an Keikos Schicksal zutiefst schockiert.

Sofern der Trill seine Reaktion überhaupt auffiel, tat sie so, als ob sie sie nicht bemerkte. „Es heißt Kismet“, fuhr sie munter fort. „Ein interessanter Laden. Sie sollen ihn unbedingt gelegentlich einmal aufsuchen. Der Inhaber ist reizend. Und das Warensortiment faszinierend.“

„Sie hören sich an wie Odo.“

Bei der Erwähnung des Sicherheitschefs verkrampften Jadzias Hände sich unwillkürlich so fest um ihr Bat’leth, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. „Odo?“

Da war etwas Lauerndes in der Stimme der Trill. Ein Flackern in den Tiefen ihrer Augen, das Sisko missfiel. „Wie Sie selbst bereits erwähnten, es ist spät.“ Er erhob sich. „Gute Nacht.“

Dax stand ebenfalls auf. Das Bat’leth lag locker in ihrer Hand.

Bei seinem Anblick schoss Sisko spontan durch den Kopf, dass sie allein waren und er keine Waffe bei sich hatte.

Himmel, versuchte er, sich selbst zur Ordnung zu rufen. Das dort ist Dax! Kein Feind, der es auf dein Leben abgesehen hat! Trotzdem konnte er sich des Gefühls der Furcht nicht erwehren, das ihn von einem Moment auf den anderen beschlich.

„Odo war im Kismet. Warum?“, fragte Jadzia langsam.

Plötzlich war Sisko sicher, dass die Trill keine falsche Antwort akzeptieren würde. Er glaubte förmlich bereits spüren zu können, wie die Klinge des Bat’leths seine Halsschlagader durchtrennte.

„Eine Überprüfung“, erwiderte er heiser. „Weil Chief O’Brien die Tatwaffe dort gekauft hat. Das ist alles. Der Constable fand den Inhaber sympathisch und kooperativ. Ungewöhnliches hat er im Kismet nicht entdeckt.“

Erleichtert sah Sisko, dass Jadzia sich entspannte und ein warmes Lächeln auf ihre Züge zauberte, unter dem seine unerklärliche Angst wie Schnee in der Sonne schmolz. Und die Zweifel, die ihn gepackt hatten, mit ihr.

Das dort war sein alter Freund Dax. Wenn er Dax nicht vertrauen konnte, wem dann?

„Diese Aktion hättest du dir sparen können, indem du mich gleich gefragt hättest, Benjamin“, meinte die Trill. „Ich hätte dir auch sagen können, dass der Eigentümer des Kismet mit dem, was Keiko geschehen ist, nichts zu tun hat. Wie lächerlich, ihm einen Krach unter Eheleuten anlasten zu wollen, nur weil der Chief zufällig die Tatwaffe in seinem Laden gekauft hat. Zumal O’Brien nicht der Einzige ist, der in den letzten Tagen etwas im Kismet erstanden hat.“

„Das klingt, als hättest Sie auch etwas erworben, alter Mann.“

„Das habe ich.“ Dax deutete mit dem Kopf auf die reichlich lädierte Figur einer Tänzerin, die auf einem schmalen Wandregal stand. „Ist sie nicht wunderschön?“

Sisko rang sich eine halbherzige Zustimmung ab. Über Geschmack ließ sich bekanntermaßen vortrefflich streiten. Offenbar mochte Jadzia diese grässliche Statue, und es war nicht seine Aufgabe, ihr in diesem Punkt zu widersprechen. Obwohl er Dax mehr Kunstverständnis zugetraut hätte.

Die Trill schien zufrieden. „Was ist, Benjamin, wollen wir noch auf einen Sprung im Quarks vorbeizuschauen? Heute früh hat ein klingonischer Kreuzer angedockt. Die Besatzung war mehrere Wochen unterwegs und wird vermutlich viele Siege zu feiern haben. Es wird sicher lustig.“

Da war es wieder. Dieses unerklärliche Gefühl. Diese leise Stimme hinter seiner Stirn, die ihm zuwisperte, dass Dax sich eigenartig verhielt. Sehr eigenartig sogar.

„Nein, danke, ich bin müde“, wehrte er ab. „Und außerdem“, er dachte an Jake, an Nog und an Keiko O’Brien, „ist mir nicht zum Feiern zumute.“

Die Trill zuckte mit den Achseln. „Wie Sie wollen. Verkriechen Sie sich in Ihrem Bett und ziehen die Decke über den Kopf. Ich wünsche Ihnen angenehme Träume.“

Sisko runzelte die Stirn, enthielt sich dann jedoch eines Kommentars, der über ein neutrales: „Gute Nacht, alter Mann“ hinausging.

Ärgerlich blickte Jadzia auf die Tür, die sich hinter Sisko geschlossen hatte. Sie fragte sich, ob Benjamin eine Einladung von Curzon Dax wohl ebenfalls abgelehnt hätte. Vermutlich lag es gar nicht an ihr, sondern an ihm. Er hatte sich zu seinem Nachteil verändert, war spießig und langweilig geworden. Wie sein Streit mit Jake bewies. Und seine übertriebene Reaktion auf Keikos Zustand.

Alles, das entstand, musste einmal zugrunde gehen. Das war der natürliche Lauf der Dinge. Es war ein ewiger Kreis. Ewig wie das Universum selbst.

Die Trill packte ihr Bat’leth. Sollte Benjamin sich doch über Keikos Schicksal grämen. Sie würde sich davon ihre gute Laune nicht verderben lassen. Sie würde im Quarks feiern und sich blendend amüsieren, mit oder ohne ihn.
In der Türöffnung drehte Jadzia sich noch einmal um und warf der Figur der Tänzerin einen bewundernden Blick zu.

Die grüne Haut des schlangengleichen glatten und dabei muskulösen Körpers der orionischen Tänzerin schimmerte matt. Fast wie Seide. Am besten gefielen Dax die Augen. Groß und ebenso schwarz wie die langen Locken beherrschten sie das zarte Gesicht der jungen Frau mit dem sanft geschwungenen Kinn, den feinen Wangenknochen, der hohen Stirn und den vollen roten Lippen. Sie waren nicht auf den Betrachter, sondern nach oben gerichtet. Auf die Stelle, an der sich die Klingen der Schwerter, die sie fest in den Händen hielt, über ihrem Kopf kreuzten.

Dax war sicher, niemals zuvor etwas gesehen zu haben, das es mit dieser Tänzerin aufnehmen konnte. Sie entsprach bis ins kleinste Detail dem, womit sie schon immer ihrer Kabine auf DS9 das gewisse Extra hatte verleihen wollen. Derjenige, der die Figur einst geschaffen hatte, musste wirklich ein begnadeter Künstler gewesen sein.

Bei diesem Gedanken musste Dax unwillkürlich lächeln. Benjamin mochte sich zwar zu einem langweiligen engstirnigen Moralapostel entwickelt haben. Aber wenigstens hatte er sein ausgeprägtes Kunstverständnis und seinen Sinn für Schönheit nicht verloren.
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