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A Decade of Storm: Kapitel 9 - Duell auf Benecia

von Markus Brunner

Kapitel 1

2231 n.Chr.

Ein lautes Scheppern ließ Nosak hochschrecken. Noch schlaftrunken vermischte sich der Krach des gegen den Fensterrahmen schlagenden Wellblechs mit den donnernden Explosionen, von denen er geträumt hatte. Vergangenheit und Gegenwart vermischten sich, Panik stieg in Nosak empor, als er versuchte, sich zu orientieren. Ein Teil seines Bewusstseins wusste genau, dass es keinen Grund zur Furcht gab. Doch jener Teil, der noch immer in der Traumwelt verweilte, durchlebte noch einmal seinen hilflosesten Moment.
Ist das wirklich schon ein Jahr her?, fragte sich Nosak ungläubig. Er zwang sich dazu, es zu glauben. Es erschien ihm als der einfachste Weg, den Alptraum abzuschütteln. Und tatsächlich fühlte er, wie er sich beruhigte, sein Herzschlag langsamer und sein Atem ruhiger wurde.
Nosak sah sich währenddessen in seinem kleinen Zimmer um. Es lag direkt unter dem Dach des Hauses, die Wände links und rechts von seinem Bett liefen nach oben hin schräg aufeinander zu und vereinigten sich in einem spitzen Winkel. Inzwischen hätte er sich auch ein besseres Zimmer leisten können, doch er war sehr sparsam mit seinem Geld umgegangen. Eine Knausrigkeit angesichts des kleinen Vermögens, das ihm auch nach dem heutigen Tag erhalten bleiben würde.
Der mit Goldstücken prallgefüllte Ledersack lag schwer in seiner Armbeuge und trotzdem griff Nosak auch noch mit seiner anderen Hand darauf, um sicher zu gehen, dass das Geld noch da war. Eine dumme Angewohnheit, wenngleich er sie nicht ganz unbegründet entwickelt hatte.
Die Uhr neben seinem Bett – eigentlich war es nur eine am Boden liegende Matratze – zeigte die Tageszeit in einem gewöhnungsbedürftigen Format an. Selbst nach zehn Monaten auf diesem Planeten bereitete es ihm Mühe, die sich ständig verändernden Lichtmuster auf dem kleinen Display zu deuten. Deshalb hatte er den Termin für das bevorstehende Treffen auch nur vage ausgemacht. Kurz nach Sonnenaufgang. Und laut der Uhr war dieser noch immer eine gute Stunde entfernt.
Doch Nosak versuchte erst gar nicht, noch einmal einzuschlafen. Er wollte nicht riskieren, nochmal von jenem Zwischenfall zu träumen, der ihn zwei Monate später nach Benecia geführt hatte, wo er weitere zehn Monate später noch immer war.
Es war schon kurios: Er konnte sich nicht daran erinnern, im letzten Jahr jemals von dem verhängnisvollen Zwischenfall geträumt zu haben. Doch heute, am vielleicht letzten Tag seines Exils, hatten ihn die lebendigen Erinnerungen aus dem Schlaf gerissen.

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Es gab einen bedeutenden Unterschied zwischen einem von Wind gebeutelten, lockeren Wellblech auf dem Dach und einem Photonentorpedo: Beides machte Lärm aber nur der Torpedo konnte ein funktionsfähiges Shuttle in einen nutzlosen Klumpen Metall im Weltall verwandeln.
Vor über einem Jahr hatte sich genau das zugetragen: Der Photonentorpedo – abgefeuert von der U.S.S. Aries – jagte dem von Nosak gestohlenen Kuriershuttle hinterher. Selbst mit maximaler Warpgeschwindigkeit war an ein Entkommen nicht mehr zu denken.
Nosak versteifte sich im Pilotensitz und erwartete das Unvermeidbare. Dieses kündete sich mit einem lauten Donnern an und manifestierte sich einen Augenblick später in Form eines Bebens, das Nosak erst hoch schleuderte und dann gegen die Rückenlehne seines Sitzes presste. Hinter dem Cockpitfenster sah er, wie sich das Warpfeld abrupt auflöste und die regenbogenfarbenen Streifen wieder zu fernen Sternen wurden, die wild um das Shuttle herumwirbelnden.
Nein, sagte sich Nosak. Das Shuttle wirbelt herum, nicht die Sterne.
In seinen Sitz gepresst war Nosak nur noch zu einer Bewegung fähig und so schloss er dankbar die Augen.
Nachträglich konnte er nicht mehr sagen, ob er kurz ohnmächtig geworden war. Aber als Nosak die Augen wieder geöffnet hatte, stand sein Shuttle still. Zuerst schob er es auf das Schwindelgefühl, dass er die U.S.S. Aries, die ein paar Hundert Meter hinter dem Cockpitfenster schwebte, nur undeutlich erkennen konnte. Aber dann fiel ihm der bläulichen Energieschleier auf, der sich über die Kanzel aus transparentem Aluminium gelegt hatte. Ein Traktorstrahl, ausgehend von der Aries, hatte das Shuttle erfasst und zog es nun langsam an das Schiff heran. Nosak konnte bereits erkennen, dass ein Hangartor an der Unterseite des Hauptrumpfs offenstand.
Ich muss etwas unternehmen, schoss es Nosak durch den Kopf, den er sogleich nach links und dann nach rechts drehte, bis er fand, was er suchte. Die Batterie. Trotz der Turbulenzen lag sie noch immer in dem kleinen Stauraum unterhalb der seitlichen Steuerkonsole. Ich darf nicht zulassen, dass die Föderation sie wieder in ihre Finger kriegt! Soll ich etwa ganz umsonst so viele Jahre fern der Heimat verbracht haben?
Das Scheitern kam in Form der offenstehenden Hangartore immer näher und Nosak stellte entsetzt fest, in welch schlechtem Zustand sein Shuttle war. Der Photonentorpedo war exakt platziert gewesen und hatte genau die richtige Durchschlagskraft gehabt, um das Shuttle am Weiterflug zu hindern, es dabei aber nicht zu zerstören. Die Schilde des kleineren Schiffes hatten die Kraft des Torpedos so lange aufgehalten und reduziert, bis sie schließlich zusammengebrochen waren. Was an Restenergie durch die Detonation noch auf die ungeschützte Hülle des Shuttles niedergegangen war, hatte gereicht, um den Warpantrieb zu beschädigen. Nicht besonders schwer, aber gerade schwer genug, um das Herunterfahren des Warpkerns zu erzwingen. Es würde eine halbe Stunde dauern, den Antrieb wieder in Betrieb zu nehmen. Allerdings würde er sich bereits in einer halben Minute im Inneren der Aries befinden und das Shuttle würde von deren Sicherheitstruppen gestürmt werden. Zumindest vier Männer gleichzeitig würden an der einzigen Luftschleuse Stellung beziehen und Nosak in der ersten Sekunde betäuben. Er wusste nicht, was er tun sollte. Es gab in diesem kleinen Cockpit – aus mehr bestand das Kuriershuttle nicht – keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Was brachten ihm nun seine genetischen Verbesserungen? Sein stetes Training, das ihm zu einem muskulösen und kräftigen Körper verholfen hatte? Nichts, wenn er nur ein Tiger im Käfig war, dem durch die Gitterstäbe ein Betäubungspfeil ins Fell gejagt wurde.
Nosak spürte, wie sich die Ansätze eines nahenden Nervenzusammenbruchs heranschlichen. Ich wollte doch nur nach Hause. Es war der einzige Wunsch, den er noch hatte. Die Gebieterin – Neyntari – hatte ihm versprochen, er könne nach Sarathong V zurückkehren, wenn er ihr die Batterie brachte. Doch wie sollte er das vollbringen, wenn sein Shuttle ohne Antrieb war und gefangen in einem …
Der Traktorstrahl erlosch. Verwirrt blickte Nosak durch das Fenster. Das Shuttle war noch rund dreißig Meter vom Tor entfernt, aber es wurde offenbar nichts unternommen, um sein Shuttle auf das Hangardeck dahinter zu befördern.
Zuerst vermutete er, dass er auf die Aries gebeamt werden sollte. Seine genetischen Verbesserungen verhinderten zwar, dass ihn die Peilsensoren eines Transporters erfassten, aber das Shuttle war so klein, dass der Transporter-Chief problemlos den ganzen Inhalt des Shuttles auf einmal beamen konnte. Was immer auch vom Transporterstrahl erfasst wurde, Nosak wäre ganz sicher vollständig dabei.
Aber als nach einer guten Minute nichts geschah, entschied Nosak, sich selbst ein Bild zu machen. Die Notstromaggregate waren eigentlich nur dafür gedacht, Umwelt- und Lebenserhaltungssysteme in Betrieb zu halten, aber er leitete die Energie in die Sensoren um. Mit so wenig verfügbarer Energie wäre es grundsätzlich schon schwierig gewesen, durch die dicke Außenhülle der Aries zu scannen, aber er stellte zu seiner Überraschung fest, dass das Schiff auch die Schutzschilde aktiviert hatte.
Deshalb mussten sie den Traktorstrahl unterbrechen, wurde Nosak sofort klar.
Es gelang Nosak auch, die unmittelbare Umgebung zu scannen. Erstaunt bemerkte er weitere Sensorkontakte in unmittelbarer Nähe. Die Aries und das Shuttle waren nicht mehr die einzigen Schiffe in der Gegend. Drei weitere Schiffe – jedes ungefähr halb so groß wie die Aries – waren vor dem Bug des Sternenflottenschiffs in Stellung gegangen. Eine drohende Position. Zweifellos keine mit der Föderation alliierten Schiffe.
Nosaks Spekulation wurde zu einer Tatsache, als das erste Waffenfeuer in die Schutzschilde der Aries einschlug. Das Sternenflottenschiff kippte sofort zur Seite und flog ein Ausweichmanöver, entfernte sich dabei vom Shuttle, das nun ungeschützt im All trieb.
Glücklicherweise folgten alle drei Angreifer – wie Pfeilspitzen aussehende Schiffe – der Aries und ließen das Shuttle außer Acht. Doch das Kampfgeschehen verlagerte sich nicht weit genug fort. Immer wieder gingen Schüsse ins Nichts. Tödliche Energielanzen verfehlten das Shuttle nur um Haaresbreite.
„Nichts wie weg hier!“, sagte Nosak laut zu sich selbst, schaltete die Sensoren wieder ab und leitete die Energie um. Diesmal in den Impulsantrieb. Er wendete und flog so schnell es ging auf direktem Wege fort von der Gefechtszone. Er gab nur kurz Schub, um die Notstromaggregate zu schonen, und ließ sich einfach forttreiben. Während der nächsten Minuten vertraute er einfach darauf, dass er sich wirklich entfernte. Doch irgendwann hielt er die Unwissenheit nicht mehr aus und aktivierte abermals die Sensoren. Was sich erübrigte, als direkt in seiner Flugbahn eines der unbekannten Schiffe auftauchte. Sofort leitete Nosak den Umkehrschub ein. Das Shuttle bremste ab, kam aber erst zum völligen Stillstand, als das fremde Schiff bereits Nosaks gesamtes Sichtfeld füllte. Und genauso verharrte das Schiff auch.
Was machen die da? Auf was warten die denn?
Die Antwort auf diese Frage kam Nosak, als sein Blick die deaktivierte Kommunikationskonsole streifte. Verdammt!
Wenn die Angreifer bislang versucht hatten, mit ihm über Subraumkommunikation in Verbindung zu treten, hatte er sie gar nicht hören können. Nosaks erster Impuls bestand darin, schnell Energie in die Kommunikationsanlage zu leiten. Doch er hatte kaum seine Finger auf die entsprechenden Tasten gelegt, als er merkte, dass es zu spät war.
Links, rechts und oberhalb der Spitze des Schiffes klappten Hüllenplatten zur Seite und lange Rohre schoben sich daraus hervor, feuerrot flackerte es in ihrem Inneren.
In der einen Sekunde, die Nosak blieb, bis er den sicheren Tod finden würde, formte sich ein Plan in seinem Geist. Während er noch über energiegeladenes Restplasma in den Leitungen und Warpspulen nachdachte, wanderten seine Finger über die Konsole und aktivierten nochmals ganz kurz den Impulsantrieb.
Sofort griff er an den Steuerknüppel und ehe das obere Geschützrohr das Shuttle aufspießen konnte, riss er das Steuer herum.
Drei Sekunden gewonnen. Lange genug, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. So hoffte er zumindest.
Er zwang sich dazu, drei Sekunden lang nicht daran zu denken, dass das fremde Schiff hinter ihm gerade eine Wende durchführte und die Waffen neu ausrichtete. Stattdessen widmete er seine Aufmerksamkeit den Notstromaggregaten und tat mit ihnen das, was wahrscheinlich ein gutes Dutzend Sternenflottenvorschriften verbaten: Er leitete die Energie in die Warpspulen.
Notstromaggregate konnten nicht genug Energie liefern, um einen Warpantrieb zu betreiben. So viel wusste Nosak natürlich. Und er wusste auch ohne Sensoren, dass die Angreifer hinter dem Shuttle schussbereit waren, vielleicht drei tödliche Energiestrahlen im Augenblick dieses Gedankens sogar schon auf das Heck des Shuttles zuschossen.
Und als sich das Shuttle wieder in ein Warpfeld hüllte und abrupt nach vor sprang, wusste Nosak auch mit Sicherheit, dass sich mit Notstromaggregaten Warpplasmarückstände entzünden ließen.
Jede Unze Plasma, das zwischen dem deaktivierten Warpkern und den Warpgondeln noch in den Leitungen steckte, entfaltete seine Kraft und trieb das kleine Schiff auf Überlichtgeschwindigkeit.
Nosak hatte keine Sensoren, keinen Navigationscomputer und keine Ahnung, wohin dieser Kaltstart des Antriebs ihn bringen würde.
Zwei Dinge waren gewiss: Er würde auf diese Weise nicht nach Hause gelangen. Und wohin es ihn auch verschlug, er würde dort immerhin nicht in drei auf ihn gerichtete Waffenmündungen starren.

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Es waren genau vier Waffenmündungen, die auf ihn zielten. Zwei hünenhafte Gestalten hatten ihre Doppelläufigen Gewehre auf Nosaks Brust gerichtet. Wo immer er auch gelandet war: Fremde wurden hier nicht besonders freundlich willkommen geheißen.
Der Flug auf Warp-Geschwindigkeit hatte ungefähr zehn Sekunden gedauert. Es hatte Nosak überhaupt überrascht, dass er innerhalb eines Sonnensystems mit bewohnbaren Planeten unter Warp gefallen war. Wenn er sich recht erinnerte, war er zuletzt in der Nähe von Gamma Trianguli gewesen. Aber es hatte für Nosak keine große Rolle gespielt. Mit dem Rest an Notstrom, den er noch zur Verfügung gehabt hatte, war er mit niedriger Impulskraft zum nächstbesten bewohnbaren Planeten des Systems geflogen. Drei Stunden später – und keine Sekunde zu früh, wenn man an die ausgefallenen Lebenserhaltungssysteme dachte – war er in der Nähe des einzigen Bevölkerungszentrums gelandet. Manch einer würde auch von einem Absturz sprechen, aber Nosak bevorzugte den Begriff „Landung“, zumal das Kuriershuttle zwar eine ordentliche Schneise aus aufgewühlter Erde hinter sich her gezogen hatte, aber weitgehend intakt geblieben war.
Die beiden Personen, die ihm nun unhöflicherweise ihre Waffen entgegenhielten, mussten die Landung gesehen haben. Nosak hatte sie schon früh kommen sehen. Sie waren auf den Rücken nicht minder hünenhafter, sechsbeiniger Tiere zu ihm geritten. Die Staubwolke, die ihre schweren Hufenschläge vom ausgetrockneten Boden aufgewirbelt hatten, hatte sie schon früh angekündigt, weshalb Nosak Vorkehrungsmaßnahmen treffen konnte.
Möglicherweise kannte man hier keinen Suliban, aber zweifellos würde ihn die Föderation bald aufspüren. Selbst in dem Fall, dass die U.S.S. Aries von den unbekannten Angreifern zerstört worden war, würden bald weitere Sternenflottenschiffe auftauchen und den Zwischenfall untersuchen. Irgendwann würden sie im nächstgelegenen Sonnensystem nachforschen und hier ein Fahndungsfoto herumreichen.
Deshalb hatte Nosak schnell sein Erscheinungsbild verändert. Er wählte ein menschliches Aussehen, da diese humanoide Spezies im Gegensatz zu Klingonen, Andorianern oder Vulkaniern keine besonders auffälligen physischen Merkmale aufwies.
Als die beiden Gestalten von ihren Reittieren abgestiegen und sofort ihre Waffen auf Nosak gerichtet hatten, war ihm aber der Gedanke gekommen, dass auf diesem Planeten Menschen vielleicht nicht gerade beliebt waren.
„Guten Tag!“, grüßte Nosak und zwang sich zu einem freundlichen Lächeln. Gleichzeitig dachte er darüber nach, wie er am besten seine eigene Handfeuerwaffe ergreifen konnte. Die Photonenpistole steckte im Gürel auf seinem Rücken, verdeckt durch den grauen Laborkittel, den er seit seinem Aufenthalt auf Caleb IV trug.
„Wer sind Sie? Was wollen Sie?“, fragte der etwas bulliger aussehende Hüne mit tiefer Stimme. Er – wie auch sein Begleiter – war männlich, die Spezies war Nosak aber gänzlich unbekannt. Sie waren grundsätzlich humanoid, zwei Arme, zwei Beine, ein Kopf mit allen üblichen Sinnesorganen. Aber ihre Haut war wie schwarzes Leder und glänzte wie poliert. An den Rändern ihrer Kopfbedeckungen – der Bullige trug einen Hut mit weiter Krempe, der andere eine Art Schirmmütze – ragten struppige, orangerote Haarbüschel hervor.
„Wer ich bin?“, versuchte Nosak mit einer Wiederholung der Frage Zeit zu schinden. Er dachte nach, wie ein irdischer Name wohl klingen mochte. „Kulan!“, sagte er schließlich. So ähnlich hatte der Nachname der Frau gelautet, die den Föderationsaußenposten auf Sarathong V geleitet hatte. „Und was ich hier mache? Naja, ich bin gerade vorhin mit meinem Shuttle notgelandet und könnte Hilfe gebrauchen.“
„Abgestürzt“, korrigierte der Mann, der bisher noch nichts gesagt hatte.
„Sei still, Stoiss!“, schimpfte der Bullige.
Trotzig senkte der andere seine Waffe und ging zum Shuttle hinüber, und sah es sich genauer an.
„Sie müssen meinen Bruder entschuldigen. Er ist geistig etwas … Naja, sagen wir mal, ich habe Zweifel daran, dass wir wirklich blutsverwandt sind. Ich bin übrigens Hoss.“
„Schön Sie kennenzulernen, Hoss. Dürfte ich vielleicht bitten …“ Nosak nickte mit dem Kinn in Richtung der auf ihn zielenden Waffe.
„Oh ja! Natürlich!“, erwiderte Hoss und schulterte das Gewehr an einem Lederriemen, der ebenso mitgenommen aussah, wie der Rest seiner weiten Kleidung. „Sie müssen uns entschuldigen, Kulan. Wir auf Benecia bekommen nicht oft Besuch von anderen Planeten.
Benecia? Nie gehört.
„Dann sind Sie also Benecianer?“, schloss Nosak, was Hoss und Stoiss zu einem lauten Lachen veranlasste.
„Aber nein! Wir sind Tammeroner!“, sagte Hoss
Tammeroner? Nie gehört.
Hoss ersparte ihm die Nachfrage und erklärte: „Unser Heimatplanet ist ein paar Lichtjahre entfernt. Benecia ist eine Koloniewelt. Eine abgelegene Koloniewelt, leider. Weshalb ich und mein Bruder auch so überrascht waren, als wir Ihr Schiff abstürzen … ähm, landen sahen.“
„Gehört das Shuttle zu einem größeren Schiff?“, fragte Stoiss, der neugierig die verbeulte und mit Brandspuren übersäte Außenhülle betatschte.
„Nein“, antwortete Nosak. „Es hat einen Warpantrieb. Besser gesagt, es hatte einen Warpantrieb. Er funktioniert nicht mehr. Ich bin nicht absichtlich nach Benecia gekommen.“
„Kann ich nachvollziehen. Und das sage ich als jemand, der seit zehn Jahren hier lebt“, entgegnete Hoss. „Wer nach Benecia kommt, achtet für gewöhnlich darauf, mit demselben Schiff auch wieder abzureisen.“
„Diese Möglichkeit habe ich leider nicht“, sagte Nosak. „Aber vielleicht kann ich mit dem nächsten Schiff, das nach Benecia kommt, abreisen?“
„Nun, ich weiß leider nicht, wann das nächste Schiff erwartet wird“, antwortete Hoss und kratzte sich nachdenklich den Hinterkopf.
„Soll er doch im Verwaltungsamt nachfragen“, schlug Stoiss vor. Ein naheliegender Vorschlag, fand Nosak. Er fragte sich, ob wirklich Stoiss der geistig zurückgebliebene Bruder war.
„Im Verwaltungsamt können Sie nachfragen!“, sagte Hoss, als wäre ihm selbst der Einfall gekommen. „Dort können Sie über Subraum Kontakt aufnehmen. Vielleicht kennen Sie ja jemanden im Umkreis von zehn Lichtjahren, der Sie abholen kommen kann.“
Ein gut gemeinter Ratschlag. Aber die einzigen, die in diesem Umkreis unterwegs waren und ihn abholen würden, versuchten ihn lebenslang in eine Arrestzelle zu stecken oder ihn umzubringen. Nosak beschloss, sein Glück als Anhalter zu versuchen und auf einem Benecia anfliegenden Schiff anzuheuern.

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„Elf Wochen?“, widerholte Nosak entsetzt die Antwort, die ihm die Frau am Auskunftsschalter soeben gegeben hatte. Erst nach Ablauf dieser Zeitspanne sollte wieder ein Raumschiff die Benecia-Kolonie anfliegen.
„Ja“, bestätigte die Frau am Schalter gelangweilt. „Ein orionisches Handelsschiff wird dann erwartet. Es kommt jedes Jahr ein-, zweimal vorbei.“
Nosak rieb sich mit beiden Händen die Schläfen. Das war eine wesentlich vernünftigere Beschäftigung für seine Hände, denn viel lieber hätte er durch das kreisrunde Loch in der gläsernen Trennwand vor dem Schalter gegriffen, die Frau am Kragen gepackt und ihr auf recht unhöfliche Art klar gemacht, wie inakzeptabel es für ihn war, elf Wochen auf diesem Planeten auszuharren.
Die Schiffe, welche die Aries angegriffen hatten, schienen zwar kein Interesse am entkommenen Shuttle zu haben. Aber weitere Sternenflottenschiffe würden innerhalb eines Tages am Ort des Gefechts eintreffend und dort nach ihm suchen. Das nächstgelegene Sonnensystem war in diesem Fall nicht gerade das beste Versteck.
„Wollen Sie mir einreden, die Kolonie wird erst in elf Wochen mit neuen Vorräten beliefert?“, fragte Nosak zweifelnd. Die Kolonie war nichts weiter als eine kleine Stadt inmitten einer völlig ausgetrockneten Tiefebene, eingebettet zwischen felsigen Hügelketten und Ausläufern eines Gebirgsmassivs. Es gab nicht das geringste Anzeichen dafür, dass hier irgendetwas angebaut werden konnte. Zugegeben, ein paar Gewächshäuser hatte er gesehen, während er zusammen mit Stoiss auf dessen Reittier in die Kolonie eingeritten war, aber die konnten kaum reichen, um eine Population von zwei- oder dreitausend Kolonisten zu ernähren. Sie mussten von regelmäßigen Versorgungslieferungen von der Heimatwelt Tammeron abhängig sein.
„Ach, Sie Dummerchen!“, wagte es die Frau, Nosak auf infantilste Weise zu beleidigen. „Aber selbstverständlich erhalten wir in weit regelmäßigeren Abständen Güterlieferungen von Tammeron.“
„Und warum sagen Sie das nicht gleich?“ Nosak kämpfte darum, seine Selbstbeherrschung zu erhalten. Ich habe wohl eindeutig zu viel Zeit unter Klingonen verbracht.
„Weil das mit Ihnen und Ihrem Problem aber so überhaupt nichts zu tun hat“, behauptete sie. „Sie wollen mit einem Schiff von Benecia fort, richtig?“
„Ja!“, knurrte Nosak.
„Da sehen Sie es ja! Mit den Raumschiffen, die unsere Versorgungsgüter liefern, geht das nicht.“ Sie gestikulierte mit zum Himmel gerichteten Armen umher. „Jeden zehnten Tag tritt über unserer Kolonie ein unbemanntes Raumschiff in den Orbit ein, beamt – völlig automatisiert – die Versorgungsgüter in unsere Lagerhallen und kehrt wieder nach Tammeron zurück.“
„Hören Sie mir gut zu“, sagte Nosak langsam und – wie er hoffte – bedrohlich klingend. „Es ist mir so etwas von egal, ob diese Schiffe bemannt sind oder nicht. Ich will mich nur für die Dauer des Rückflugs nach Tammeron dort aufhalten, gehe anschließend von Bord und versuche dann auf Ihrer Heimatwelt mein Glück.“
Mit „Glück“ meinte er natürlich den Versuch, dort in einem Raumhafen ein Schiff zu stehlen und sich nach Sarathong V durchzuschlagen. Aber das musste er der Frau ja nicht unter die Nase reiben. Ihr Verhalten war auch so schon mehr als unkooperativ.
Diese rieb sich, von Nosaks Vorstellung wenig beeindruckt, lediglich den ledrigen Nasenrücken, lehnte sich in den quietschenden Sessel zurück und sagte schließlich. „Da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen.“
Entnervt fuhr Nosak mit seinen Handflächen über seinen ungewohnt haarigen Schädel und stand kurz davor, einen befreienden Urschrei von sich zu geben, als die Frau dann doch noch hinzufügte: „Vielleicht kann Ihnen der Besitzer der Frachtschiffe ja weiterhelfen?“
Keine dumme Idee, musste Nosak eingestehen. „Gut. Ich nehme an, er wird auf Tammeron zu finden sein? Die beiden Typen, die mich hier abgesetzt haben sagten, man könnte von hier aus über Subraum …“
„Aber nein, Sie Dummerchen!“
Wenn sie mich noch einmal als Dummerchen bezeichnet, reiße ich ihr den Kopf vom Hals und werfe ihn so oft an die Wand, bis er nur noch ein Klumpen Brei ist!
„Reden Sie mit unserem Bürgermeister.“
„Aber ich dachte, der Besitzer der Frachter …“
„… ist unser Bürgermeister.“
Recht praktisch, fand Nosak, der sofort einen Termin verlangte. Als Vorstand eines so kleinen Städtchens konnte der Bürgermeister kaum allzu beschäftigt sein. Was die Frau ihm daraufhin mitteilte, bestätigte seine Annahme:
„Tut mir leid, aber den Bürgermeister werden Sie hier im Verwaltungsamt nur selten vorfinden. Aber um diese Uhrzeit finden Sie ihn sicher in Ikarass‘ Bar. Er übt für das jährliche Chacca-Turnier.“
Chacca? Wieder ein Begriff, mit dem Nosak nichts anfangen konnte, aber er verzichtete darauf, nachzufragen und ließ sich nur den sehr einfachen Weg beschreiben. So gut wie jedes Gebäude der Kolonie befand sich entlang der rund einen Kilometer langen, schnurgeraden Hauptstraße.
Nosak wandte sich bereits zum Gehen, als sein Blick auf eine große Sternenkarte fiel, die fast die halbe Wand einnahm. Benecia mochte nur ein nahezu mickriger Außenposten sein, aber zumindest im Verwaltungsamt gab man sich weltmännisches, nahezu großspurig. Die Sternenkarte umfasste fast das gesamte erforschte All und hob die wichtigsten Planeten der Föderation, des Klingonischen Imperiums und sogar des Romulanischen Sternenimperiums hervor. Auch wenn er die tammeronischen Schriftzeichen nicht lesen konnte, waren ihm die relativen Positionen der wichtigsten Welten in diesem Teil der Galaxis vertraut. Etwas seltsam mutete nur jener Punkt auf der Karte an, der mit einen riesigen, roten Pfeil markiert war.
Es kostete ihn Überwindung und er verspürte innerlich einen nagenden Schmerz. Aber er drehte sich nochmals zur der Frau – die inzwischen begonnen hatte, in einem illustrierten Magazin zu blättern – um und wagte es zu fragen: „Ist das die Position von Benecia.“
Sie sah überrascht von ihrem Heft auf folgte mit dem Blick Nosaks ausgestreckten Finger und schüttelte den Kopf: „Nein, das die Position von Tammeron.“
Das ist die Erklärung.
„Benecia ist genau darunter. Ungefähr … eine Handbreite entfernt.“
Nosaks Verwirrung hatte sich eben erst aufgelöst und wurde nun von einer neuen ersetzt. Das kann doch nicht möglich sein.
Unter den neugierigen Augen der Frau strich er mit dem Finger vom groß eingezeichneten Tammeron-System hinunter und kam schließlich zu einem Punkt auf der Sternenkarte, der mit einem deutlich kleineren Pfeil versehen war.
„Jetzt haben Sie’s!“, bestätigte die Frau.
Nosak glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Er kontrollierte noch einmal die Positionen der ihm bekannten Planeten. Die Erde, Vulkan und natürlich die dicht aneinander gedrängten Punkte links neben der Position von Benecia und Tammeron. Er zeigte auf die eingezeichnete, dichte Sternenansammlung: „Ist das die Talos-Sternenguppe?“
„Ähm, ich glaube schon. Wir nennen sie Vernal, aber ich glaube, die Föderation nennt dieses Gebiet Talos-Sternengruppe.“
Das kann unmöglich sein.
Diese dichte Sternenansammlung sollte eigentlich nicht links, sondern rechts sein. Sein kurzer Warpflug hatte bei Gamma Trianguli begonnen. Auf der anderen Seite der Talos-Sternengruppe. Innerhalb von nur zehn Sekunden und bei nicht einmal maximal möglicher Warpgeschwindigkeit hätte er keinesfalls quer durch die Sternengruppe fliegen können. Das hätte normalerweise Monate gedauert.
Und doch bin ich hier.
„Welche Sternzeit haben wir?“
Die Frau verlor mit seinen Fragen genauso die Geduld, wie er sie schon längst mit ihren Antworten verloren hatte. Diesmal beschränkte sich ihre Antwort auf einen Fingerzeig auf eine Reihe unterschiedlichster Uhren, die über der großen Karte knapp unterhalb der hohen Zimmerdecke aneinander gereiht waren. Er ignorierte die verschiedenen, fremdartigen Darstellungsformen für die aktuelle Uhrzeit und suchte nach der in der Sternenflotte gebräuchlichen, universellen Datumsanzeige.
Er fand sie: Sternzeit 2230,97.
Ich bin bei Sternzeit 2230,80 auf Warp gegangen. Wenn diese Uhr stimmt, sind während der wenigen Sekunden meines Fluges zwei volle Monate vergangen.
Nosak überlegte fieberhaft, wie das sein konnte. War er während des Flugs bewusstlos gewesen? Nein, unmöglich. Zwei Monate ohne Nahrung zu sich zu nehmen hätte er nicht überstanden. Er hatte nicht einmal ausreichend Vorräte für einen solchen Zeitraum an Bord und das Restplasma in den Leitungen hätte die Warpspulen ebenfalls keine zwei Monate in Gang halten können.
Lag es am Kaltstart? Habe ich dadurch irgendwie Zeit und Raum übersprungen?
Nosak kannte sich nur so weit mit dem Warpantrieb aus, um ihn zu nutzen und an der Hardware einfache Reparaturen durchführen zu können. Aber ein Antrieb, der schon in seiner normalen Funktionsweise den Raum krümmte und sämtliche Zeitdilatationseffekte regelrecht betrog … Nosak schwirrte schon der Kopf. Er würde sich wohl damit abfinden müssen, in seinem Leben nicht mehr klug genug zu werden, um zu verstehen, wie er innerhalb von Sekunden, in denen zwei Monate vergangen waren, nach Benecia gelangt war. Aber das spielte auch keine große Rolle.
Wichtiger war für ihn, dass er zwei Monate Vorsprung gewonnen hatte und sich nun weit entfernt von jenem Punkt befand, an dem die U.S.S. Aries ihn aufgespürt hatte. Die Sternenflotte würde nicht so schnell auf Benecia aufkreuzen und nach ihm suchen.
Dennoch verspürte er keineswegs das Verlangen, länger als notwendig in diesem Kaff, das sich als Kolonie bezeichnete, zu verweilen. Der Wunsch, schnell wieder von hier zu verschwinden, verstärkte sich, als Nosak ins Freie trat. Er sah schon von der Ferne Ikarass‘ Bar. Abgesehen von einem protzigen Versammlungszentrum am Ende der langen Hauptstraße, war die Bar das einzige Gebäude, das sich signifikant von der Bauweise der anderen Häuser der Kolonie unterschied. Die meisten Gebäude – einschließlich das Amtshaus – waren von außen betrachtet nichts anderes, als vier dicke Betonpfeiler, zwischen denen in Metallschienen Holzbalken übereinander gestapelt worden waren. Viele der Gebäude sahen sich daher verblüffend ähnlich und waren am ehesten noch durch die Dachkonstruktionen zu unterscheiden. Nosak vermutete dahinter den Wunsch der auf Benecia ansässigen Tammeroner, in die weitgehend uniforme Architektur einen Hauch Individualität einzubringen. Denn nicht jede Dachkonstruktion sah so aus, als würde sie wirklich einen Zweck erfüllen.
Häuser mit Hut, dachte Nosak. Und Hüte waren auf Benecia nicht nur eine Mode, sondern unerlässlich. Die Sonne brannte heiß und hell vom Himmel. Jede Person auf der Straße trug eine Kopfbedeckung, die jenen von Hoss und Stoiss ähnlich waren.
Die Hauptstraße war schwach frequentiert. Ein paar Schwebefahrzeuge parkten in den Seitengassen, im Schatten der Häuser. Beliebter schien die Fortbewegung per Reittier zu sein. Alle paar Meter standen am Straßenrand Wasser- und Futterstationen, an denen sich die zahmen Riesen bedienten. Nosak entschied, direkt quer über die Straße zu gehen und bemerkte dabei, dass er auf verschmutztem, extrem unebenen und stellenweise aufgeweichten Asphalt ging. Ein weiterer Hinweis darauf, dass so heiße Tage wie dieser eine Normalität auf Benecia darstellten.
Nosak blieb kurz vor dem Eingang der Bar stehen und betrachtete das auffällige Gebäude. Es war zwar nicht das höchste, aber definitiv das breiteste entlang der Hauptstraße, nahm fast den Platz ein, auf den drei durchschnittliche Koloniehäuser stehen konnten. Sein wesentlichstes Merkmal war jedoch die Farbe. Sie war etwas vergilbt, aber die Bar war das einzige Gebäude, das einen Farbanstrich erhalten hatte und nicht nur ein Kasten aus grauem Beton und braunem Holz war. Die gewählte Farbe war allerdings Geschmackssache: Grün. Zugegeben, etwas Grünes fiel in dieser kargen, leblosen Landschaft besonders auf, was wohl der Hintergedanke bei der Farbwahl gewesen war.
Nosak trat durch die verglaste Schwenktür und versuchte, sie nur an der hölzernen Einfassung zu berühren. Die Fingerabrücke dutzender Barbesucher auf der Glasfläche wirkten nicht gerade einladend. Und trotzdem war das Lokal sehr gut besucht. Nicht jeder Sessel war besetzt, aber fast an jedem Tisch saß jemand. Zu Nosaks Erleichterung sah er auch einige Nicht-Tammeroner. Eine Handvoll menschenähnliche Zibalianer und K’normianer waren anwesend. Mit seinem eigenen menschenähnlichen Erscheinungsbild würde er also nicht allzu stark auffallen.
Der Barkeeper hinter dem hölzernen, schlichten Tresen – in der Bar schien eigentlich jeder Einrichtungsgegenstand schlicht zu sein – war hingegen ein Tammeroner, vielleicht Ikarass, der Barbesitzer, selbst. Er konnte ihm sicher Auskunft erteilen, wo er den Bürgermeister fand.
Am Tresen angekommen nahm der Barkeeper keinerlei Notiz von Nosaks Präsenz und Nosak wollte auch nicht unwirsch Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Er besaß ja auch kein Zahlungsmittel, also konnte er sich auch keinen Drink kaufen.
Es vergingen ein paar Minuten, in denen der Barkeeper in aller Seelenruhe Trinkgläser und Teller aus einer Art Geschirrspülfach unter dem Tresen entnahm, sie abtrocknete und in ein Regal an der Rückwand verstaute. Als er schließlich ein größeres Teller entnahm, das er in ein anderes Regal stellen wollte, trat er näher an Nosak heran und rief überrascht: „Oh, da sitzt ja jemand!“
„Ähm, ja. Ehrlich gesagt sitze ich hier schon eine ganze Weile.“
„Tut mir leid. Sie sind wohl neu auf Benecia?“
Nosak nickte.
„Natürlich! Jeder, der schon länger hier ist, weiß, dass Ikarass auf dem rechten Auge schlecht sieht. Deshalb stellt sich für gewöhnlich niemand auf dieser Seite der Theke an. Tut mir schrecklich leid, dass ich Sie übersehen habe.“
Irgendwie mochte Nosak den Barbesitzer auf Anhieb. Abgesehen von seiner körperlichen Beeinträchtigung, wurde er dem, was Nosak als „normal“ bezeichnen würde, noch am ehesten gerecht. Er war nicht leicht reizbar und stumpfsinnig wie Hoss und Stoiss und schon gar nicht so unhöflich wie die Frau im Verwaltungsamt.
„Was kann ich Ihnen bringen?“
„Ich habe leider kein Geld. Man sagte mir, ich würde den Bürgermeister der Kolonie hier antreffen.“
„Whedoss? Der wird Sie erst gar nicht sehen wollen, wenn Sie kein Geld haben.“
„Aber er ist hier, oder?“
Ikarass nickte in Richtung eines Vorhangs, hinter dem sich zweifellos ein anderes Zimmer befinden musste. Nosak wollte schon hingehen, als Ikarass über die Theke griff und Nosaks Oberarm erfasste. „Warten Sie. Sie sollten ihn nicht während einer Chacca-Partie stören. Das ist für Whedoss sehr wichtig.“
„Mein Anliegen ist auch sehr wichtig. Ich muss mit ihm über seine Frachtschiffe sprechen.“
„Ich bezweifle, dass das Grund genug ist, um ihn zu stören“, entgegnete Ikarass. Mit einem lauten Seufzen entließ er Nosak aber schließlich doch aus seinem festen Griff. „Na schön. Riskieren Sie es. Schlimmstenfalls bekommen sie einen Tritt in den Hintern und landen auf der Straße.“
„Nicht so schlimm“, sagte Nosak lächelnd. „Ich bin gerade über die Straße gegangen und sie scheint mir heute besonders weich zu sein.“
„Warten Sie erst einmal den Sommer ab“, sagte Ikarass.
Ich habe nicht vor, so lange hier zu bleiben.
Nosak schob den purpurnen Vorhangstoff zur Seite und erblickte ein kleines, ausschließlich künstlich beleuchtetes Hinterzimmer ohne Fenster. Die sechs männlichen Tammeroner, die um einen runden Tisch herum saßen, blickten unisono zu ihm hoch.
„Was soll diese Störung?“, fragte jener Mann, der sich am deutlichsten von den anderen fünf abhob. Er trug saubere Kleidung, sein rostrotes Haar war glatt und feinsäuberlich nach hinten gekämmt und ein dünner Schnurbart verlief zwischen seiner Nase und seinem Mund.
„Ich entschuldige mich für die Unterbrechung, aber ich bin auf der Suche nach Bürgermeister Whedoss.“
„Das bin ich“, sagte wenig überraschend der gepflegte Mann mit unüberhörbarem Stolz. „Aber Sie haben trotzdem kein Recht, eine Partie Chacca zu unterbrechen. Vor allem nicht, wenn ich am Gewinnen bin.“
Mürrisches Brummen kam von den anderen fünf Spielteilnehmern. Sie alle hielten jeweils sechs bunte Karten in der Hand und vor sich türmten sich annähern gleich große Stapel goldener Quadrate.
Münzen! Bei Chacca wird um Geld gespielt! Kein Wunder, dass dieses Spiel so ernst genommen wird.
„Ich muss mit Ihnen über Ihre Frachtschiffe reden.“
„Meine Frachtschiffflotte!“, korrigierte Whedoss und schien auf die Bezeichnung Flotte genauso stolz zu sein wie auf seinen Titel als Bürgermeister.
„Ihre Mitarbeiterin im Verwaltungsamt sagte, dass alle paar Tage eines Ihrer Frachtschiffe kommt und Güter abliefert. Ich möchte mit dem nächsten Schiff zurück nach Tammeron fliegen.“
„Schlagen Sie sich das aus dem Kopf“, sagte Whedoss. Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass dies sein letztes Wort war. So leicht gab sich Nosak aber nicht geschlagen:
„Die Frachter fliegen doch ohnehin wieder leer zurück. Wen würde es stören, wenn ich beim Rückflug wieder an Bord bin?“
Allgemeines Gelächter erklang am Tisch und Whedoss antwortete erheitert: „Es würde Sie stören. Außer Sie können zwanzig Tage – so lange dauert der Flug nach Tammeron – die Luft anhalten. Meine Frachtschiffe sind alle vollautomatisiert. Es gibt keine Lebenserhaltungssysteme an Bord! Und wie sollte ich Sie an Bord schaffen? Die Frachter haben Transporter an Bord und beamen die Waren runter. Sie sind nicht darauf programmiert, etwas wieder rauf zu beamen.“ Whedoss rieb sich nachdenklich das Kinn, ehe er hinzufügte: „Aber ich könnte für einen der nächsten startenden Flüge ein bemanntes Schiff mieten. Gegen eine kleine Gebühr …“
„Ich besitze kein Geld.“
„Das tut mir sehr leid“, sagte Whedoss mit falscher Freundlichkeit. „Aber vielleicht haben Sie irgendwelche Wertgegenstände?“
Die Batterie kam Nosak in den Sinn. Er verstand ihre Funktionsweise nicht, aber mit ihrer transparenten Außenhülle und den darin tanzenden, an bunte Edelsteine erinnernden Kristalle, würde sie ziemlich Eindruck schinden. Allein aufgrund ihres Aussehens dürfte sie einige dieser goldenen Münzen wert sein.
Sofort verwarf Nosak diesen Gedanken wieder. Ich brauche das Schiff, um mit der Batterie nach Sarathong zurückzukehren. Ich kann sie nicht weggeben. Die Entbehrungen der letzten Jahre wären umsonst gewesen.
„Sonst kann ich für Sie nichts mehr tun“, sagte Whedoss. „Wenn Sie nichts mehr zu bieten haben, werde ich nun meine Partie Chacca zu Ende spielen. Ungestört!“
Ungestört. Die höfliche Variante von „Treten Sie mir aus den Augen“. Die letzte Stufe vor dem von Ikarass angekündigten Tritt in den Hintern.
Nosak merkte, wie abermals gewalttätige Tendenzen in ihm aufbrandeten. Aber seiner Wut freien Lauf zu lassen und sie auf jene Art abzubauen, so dass möglichst viel Blut floss und Knochen splitterten, würde ihm nicht weiterhelfen. Er unterdrückte die Tendenzen, deutete eine Verneigung an und verließ das Spielzimmer.
„Sie sehen nicht wie jemand aus, der gerade eine angenehme Unterhaltung hatte“, merkte Ikarass an und schob ein gefülltes Glas über die Theke in seine Richtung. „Geht aufs Haus!“
Nosak nahm das Glas schweigend auf, nippte an der klaren Flüssigkeit und stellte erstaunt fest, dass es sich nur um kaltes Wasser handelte. Das mochte vielleicht das einzige Getränk in Ikarass‘ Bar sein, das keinen Alkohol enthielt, aber es war genau das, was Nosak jetzt brauchte: etwas, das ihn abkühlte.
Kaum hatte er das Glas geleert und sich bedankt, schenkte ihm der Barbesitzer aus einer großen Karaffe ein weiteres Glas nach.
„Wie heißen Sie, mein Junge?“
„Nos… Kulan.“ Nosak ärgerte sich darüber, wie unachtsam er gewesen war. Beinahe hätte er seinen wahren Namen genannt. Die unmittelbare Gefahr, dass Sternenflottenoffiziere hier auftauchten und nach einem Mann namens Nosak fragten, war zwar deutlich geringer, als er zuerst angenommen hatte. Anderseits würde er wohl oder übel noch elf Wochen warten müssen, ehe sich ihm die Chance bot, von hier zu verschwinden.
„Nos Kulan. Ein interessanter Name“, stellte Ikarass fest. „Also Nos: Sie haben kein Geld? Das ist wirklich schlecht. Aber vielleicht habe ich Arbeit für Sie.“
„Als was? Als Kellner?“, fragte Nosak abfällig, der nicht das geringste Interesse verspürte, Gäste zu bewirten.
„Nur offiziell“, sagte Ikarass beschwichtigend. „Als ich Sie vorhin zurückgehalten habe, ist mir nicht entgangen, dass Sie ziemlich kräftig sind. Wissen Sie, ich könnte einen Rausschmeißer brauchen. Abends kann es in der Bar ganz schön wild zugehen. Die Typen zertrümmern mir ständig die Einrichtung, deshalb kaufe ich auch nur billige Möbel. Sie verdreschen sich ohnehin nur damit.“
„Rausschmeißer“, wiederholte Nosak. Das Wort klang gar nicht schlecht und wie eine gute Möglichkeit, seinen Frust abzubauen.
„Das Geschäft läuft recht gut, ich kann mir einen weiteren Bediensteten leisten“, erklärte Ikarass. Allerdings wunderte sich Nosak, warum der Tammeroner von einem weiteren Bediensteten sprach. Weit und breit war in der Bar niemand zu sehen, der wie ein Angestellter aussah. „Vierzehn Isiks pro Woche und Sie könnten in der Dachwohnung schlafen. Ist das ein gutes Angebot?“
Diese Frage konnte er natürlich nicht beantworten, da er keine Ahnung hatte, wie viel ein Isik wert war. Aber er nahm, was er kriegen konnte. Immerhin waren die Orioner nicht gerade für ihre Herzensgüte bekannt und würden für die Mitreise in ihrem Schiff Geld sehen wollen.
Nosak akzeptierte das Angebot und war schon darauf gespannt, wie sein erster Arbeitstag verlaufen würde.

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