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Wer ohne Schuld ist ...

von Martina Strobelt

Kapitel 2

* * *

Tahna Los wusste nicht, wie lange er ziellos durch die Straßen der Stadt geirrt war. Wäre er einer cardassianischen Patrouille begegnet, hätte es sein Ende bedeutet, weil er sich in der Stimmung befand, sich auf jeden Cardassianer zu stürzen, der ihm zu Gesicht kam. Zum Glück für ihn liefen ihm keine Cardassianer über den Weg, nur Bajoraner, die vor dem wilden Ausdruck in seinen Augen zurückwichen.

Gegen Abend hatte es ihn dann gegen seinen Willen zurück zu Arkanas Haus gezogen. Im Schatten eines großen Baumes hatte er mit brennenden Augen auf die hell erleuchteten Fenster gestarrt, hinter denen Arkana mit den cardassianischen Offizieren schäkerte, als hätte es die gemeinsam verbrachten Stunden niemals gegeben. Genau wie am Abend zuvor schickte Gul Jarrak seine Offiziere schließlich wieder fort, um mit seiner bajoranischen Geliebten allein zu sein.

Mit Hass im Herzen beobachte Tahna Los, wie der Cardassianer Arkana leidenschaftlich küsste, bevor sie die Fensterläden schloss und das Geschehen seinem Blick entzog.

Die Propheten allein wussten, welche Höllenqualen der Junge durchlitt, während er Stunde um Stunde da stand und auf das Haus starrte, hinter dessen Mauern die Frau, die er liebte, sich einem Feind ihres Volkes hingab.

In der ersten Dämmerung des anbrechenden Tages schließlich öffnete sich die Tür, um einen sichtlich gut gelaunten Gul Jarrak und zwei übernächtigte Soldaten, die vor dem Schlafzimmer seiner bajoranischen Geliebten Wache gestanden hatten, auf die Straße treten zu lassen.

Gerade wollte Tahna Los sich tiefer in den Schatten des Baumes zurückziehen, als er aus den Augenwinkeln rechts von sich eine Bewegung bemerkte.

Stahl blitzte kurz auf, dann gleißte ein roter Blitz durch die Dämmerung - und verfehlte Gul Jarrak, der sich gerade in diesem Moment bückte, um eine lose Stiefelschnalle zu schließen, was sein Leben rettete.

Für den Attentäter, der dem cardassianischen Kommandanten aufgelauert hatte, einem jungen Bajoraner, kaum älter als Tahna Los, machte es keinen Unterschied. Die Wachen eröffneten sofort das Feuer. Im Hagel ihrer Schüsse brach der junge Attentäter tot zusammen, das Phasergewehr, mit dem er auf Gul Jarrak geschossen hatte, entfiel seinen Fingern und rollte Tahna Los direkt vor die Füße. Dort wo er stand, hatten die Cardassianer ihn noch nicht entdeckt. Einer der Soldaten deckte seinen Vorgesetzten mit seinem Körper, während der andere sich dem toten Attentäter und damit der Stelle näherte, an der Tahna Los kauerte.

Während der Junge noch fieberhaft überlegte, wie es ihm gelingen sollte zu fliehen, flog die Tür des Hauses auf und eine nur dürftig bekleidete Arkana stürzte hinaus auf die Straße und warf sich unter lauten Dankbarkeitsbekundungen an die Propheten, die ihre schützende Hand über ihn gehalten hätten, in die Arme des Stadtkommandanten.

Das war zu viel für Tahna Los, der Hass flutete durch sein Bewusstsein und verdrängte jeden vernünftigen Gedanken. Er hatte noch niemals zuvor getötet, doch jetzt verspürte er nichts als den brennenden Wunsch, diesen Cardassianer, der ihm Arkanas Liebe stahl, sterben zu sehen. Mit einem Schrei bückte er sich und riss das Phasergewehr förmlich vom Boden. Gul Jarrak wandte ihm seinen breiten Rücken zu. Noch ehe die überraschten Wachen reagieren konnten, richtete er den Lauf der Waffe auf den verhassten Cardassianer und drückte ab.

Das Geräusch des Schusses mischte sich mit Arkanas Entsetzenschrei. Tahna Los hielt sich nicht damit auf festzustellen, ob Gul Jarrak wirklich tot war, der Schuss hatte ihn voll erwischt, niemand überlebte einen solchen Treffer aus nächster Nähe. Als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, ließ Tahna sich fallen und erschoss die beiden Soldaten ...

In diesem Moment hielt er es einfach nur für Glück, er wusste noch nichts davon, dass seine schnellen Reaktionen nur ein Teil seines Talents zum Töten waren, das er in späteren Jahren zur Perfektion bringen sollte ...

Tahna Los atmete tief durch, überall wurden Fenster aufgerissen, nicht mehr lange und dann würde es hier vor Cardassianern nur so wimmeln. Er warf das Phasergewehr neben den toten Attentäter. Es tat ihm zwar leid, sich von der Waffe zu trennen, aber es war besser, die Cardassianer in dem Glauben zu lassen, dass der Tote dort Gul Jarrak erschossen und er und die Wachen sich dann im Kampf gegenseitig getötet hätten. Tahna Los lief zu Arkana, die mit bleichem Gesicht neben Gul Jarrak kniete. Ein kurzer Blick verriet Tahna, dass der Kommandant wirklich tot war, er packte Arkana an der Schulter.

„Los komm! Wir müssen hier fort!“

„Du hast sie umgebracht“, hauchte sie, ohne sich zu rühren. „Sie haben dir nichts getan, aber du ... du hast sie einfach so ermordet!“

„Sie waren Cardassianer“, sagte er kalt. „Und nun komm endlich!“

„Nein!“ Sie schüttelte ihn ab. „Ich habe nicht die Absicht, mein restliches Leben wie ein gejagtes Tier auf der Flucht zu verbringen. Du hast Gul Jarrak und seine Wachen erschossen, nicht ich, also verschwinde, schließ dich den Rebellen an, denn das ist die einzige Option, die dir jetzt noch geblieben ist! Kämpfe deinen sinnlosen Kampf, aber lass mich aus dem Spiel, ich will nicht in irgendeinem namenlosen Grab enden!“ Damit sprang sie auf, rannte ins Haus und schlug die Tür zu.

Dem ersten Impuls folgend wollte er ihr nachlaufen, aber er hielt sich schon viel zu lange hier auf. Er würde sich einige Zeit hier in der Stadt verstecken, und später, wenn Gras über die Sache gewachsen war, würde er noch einmal zurückkommen und sie davon überzeugen, ihn zu begleiten. Was sollte sie noch hier halten, nun da Gul Jarrak tot war? Sie würde es sicher begreifen, sie brauchte nur etwas Zeit. Mit dieser Gewißheit im Herzen wandte er sich um und tauchte im Gewirr der Straßen unter.

* * *

Mit klopfendem Herzen betrat Arkana das Büro, von dem aus Gul Jarrak so viele Jahre lang die Stadt beherrscht hatte. Aber Gul Jarrak war tot. Ein Teil von ihr vermisste ihn sogar. Ihre bajoranischen Landsleute mochten ihn gehasst haben, aber zu ihr war er immer nur gut und großzügig gewesen. Aber mehr als den Mann vermisste sie den Schutz, den seine Macht ihr geboten hatte. In der Woche, die seit seiner Ermordung vergangen war, hatte sie sich kaum aus dem Haus gewagt, aus Furcht vor ihren bajoranischen Mitbürgern, die weder vergaßen, noch verziehen, dass sie für den verhassten Stadtkommandanten Feste gegeben hatte, während einige Straßen weiter Angehörige ihres Volkes auf Befehl eben jenes Cardassianers hingerichtet wurden oder einfach nur verhungerten, weil er sich weigerte, Nahrung an die Bevölkerung verteilen zu lassen. In der letzten Nacht waren die Scheiben ihres Hauses von Unbekannten mit Steinen eingeworfen worden. Daraufhin hatten ihre Dienstboten sie im Stich gelassen und ihr Heil in der Flucht gesucht.

Wie Ratten, die das sinkende Schiff verlassen, dachte sie bitter. Wenigstens hatten die cardassianischen Untersuchungsbeamten ihr geglaubt, dass sie nichts mit dem Attentat zu tun gehabt hatte, aber das war auch schon die einzige Gunst gewesen, die ihr die Stadtverwaltung gewährt hatte. Wenn sie ehrlich war, dann bereute sie es fast, nicht mit Tahna Los gegangen zu sein, aber eben nur fast!

Heute früh war der Ersatz für Gul Jarrak eingetroffen und diese Tatsache hatte sie neue Hoffnung schöpfen lassen, dass sich nun alles wieder zum Guten für sie wenden würde. Sie hatte Stunden damit verbracht, sich und ihr Äußeres für diese Begegnung vorzubereiten, von der ihr künftiges Schicksal abhing. Sie hatte in den letzten Tagen einiges an Gewicht verloren, aber sie wusste, dass dies ihrer Schönheit keinen Abbruch tat, im Gegenteil. Gul Jarrak hatte gutes Essen sehr geschätzt und infolge der vielen gemeinsamen Abendessen hatte sie angefangen anzusetzen, doch nun nach der unfreiwilligen Abmagerungskur war sie wieder genauso schlank wie sie es gewesen war, als sie ihr Heimatdorf verlassen hatte, mit ihrem guten Aussehen als einzigem Kapital und fest entschlossen, es so gewinnbringend wie möglich einzusetzen. Dies war ihr bis jetzt stets gelungen, es würde auch diesmal wieder gelingen. Kein Mann konnte ihr widerstehen, wenn sie es darauf anlegte, ihm zu gefallen - und sie hatte die Absicht Gul Jarraks Nachfolger gut zu gefallen, sehr gut sogar.

Die schwierigste Hürde hatte sie bereits genommen, indem sie es geschafft hatte, in dieses Büro eingelassen zu werden. Es hatte sie sämtliche ihrer Juwelen gekostet, all jene zu bestechen, die ihr den begehrten Zutritt schließlich verschafft hatten. Aber wen kümmerte es, wenn Gul Jarraks Nachfolger ihr erst verfallen war, würde er ihr neuen Schmuck kaufen ...

Sie hatte ein dunkelgrünes tiefausgeschnittenes Kleid gewählt, raffiniert aber dabei schlicht genug, um nicht ordinär zu wirken, schließlich war sie keine billige Hure, wenn die meisten ihrer Landsleute dies auch glauben mochten.

Der neue Befehlshaber der Stadt stand am Fenster und wandte ihr den Rücken zu als sie eintrat und sich verneigte. Von hinten wirkte er schlanker als Gul Jarrak, jünger. Es würde wesentlich anstrengender sein, seinen Ansprüchen zu genügen, ein reiferer Mann wäre ihr lieber gewesen, aber so wie die Dinge eben waren, hatte sie ohnehin keine Wahl ...

„Kommandant, ich danke Ihnen dafür, dass Sie die Zeit gefunden haben, mich zu empfangen“, begann sie demütig. „Bitte glauben Sie mir, es liegt mit fern, mehr von Ihrer kostbaren Zeit zu beanspruchen als unbedingt ...“

Das Wort blieb ihr im Halse stecken, als der neue Befehlshaber sich nun langsam zu ihr umdrehte und ihr einen halb spöttischen, halb verächtlichen Blick zuwarf ...

... aus großen dunklen Augen, die ebenso weiblich waren, wie die straffen Brüste, vor denen sich die schlanken, doch dabei muskulösen Arme gekreuzt hatten.

... eine Frau!

Arkana fühlte, wie ihr die Sinne zu schwinden drohten.

„Ich hoffe in Ihrem Interesse, dass Sie sich kurz fassen werden“, sagte die Cardassianerin kühl. „Meine Zeit ist in der Tat sehr knapp bemessen. Sie wollten mich in einer dringenden Angelegenheit sprechen, also?“

„Ich ...“ Arkana fühlte, wie ihr der Schweiß ausbrach und in kleinen Rinsalen hinabzurinnen begann. Mein Kleid wird fleckig werden, schoss es ihr automatisch durch den Kopf, als ihr bewusst wurde, wie lächerlich so ein Gedanke angesichts der Ausweglosigkeit ihrer Lage war. „Ich bin gekommen, um Ihnen im Namen der bajoranischen Bevölkerung meine Aufwartung zu machen.“ Eine schwache Lüge, aber die beste, die ihr so schnell einfiel.

„Tatsächlich? Dann fungieren Sie also als eine Art Sprecherin Ihrer bajoranischen Mitbürger, interessant ...“

Der höhnische Unterton, der in der Stimme der anderen mitschwang, verriet Arkana, dass die Cardassianerin ganz genau wusste, wen sie da vor sich hatte - und warum sie wirklich gekommen war.

„Nun ...“ Die Art, wie die Cardassianerin jedes ihrer Worte förmlich auf der Zunge zergehen ließ, zeigte, wie sehr sie diese Situation genoss, „... es ist mir zu Ohren gekommen, dass mein Vorgänger eine hohe Meinung von Ihren diplomatischen Fähigkeiten hatte. Soweit es mich betrifft, bevorzuge ich einen weniger“, sie machte eine kleine Kunstpause, „persönlichen Führungsstil, und natürlich erwarte ich von meinen Offizieren, dass auch sie die nötige Distanz wahren, ich hoffe, wir haben uns verstanden...?!“

Ich bin erledigt, dachte Arkana. Mit diesem einzigen kühl ausgesprochenen Satz hatte die Cardassianerin gerade ihre Hoffnung zerstört, sich in eine Affäre mit einem der höheren Offiziere zu retten. Aber die Bajoranerin gehörte nicht zu jenen, die sich damit aufhielten, über das, was hätte sein können zu klagen, schon gar nicht, wenn es ihr Leben war, das auf dem Spiel stand. Wenn ihr auch der Schutz verwehrt wurde, den eine intime Beziehung mit sich brachte, so gab es immer noch eine andere Möglichkeit, wenigstens ein geduldetes Asyl in diesen Mauern zu erhalten. Die Besatzer hielten es für unvereinbar mit der Ehre des cardassianischen Volkes, niedrige Arbeiten von Cardassianern verrichten zu lassen, wo es doch genug Bajoraner gab, für die solche Tätigkeiten gerade gut genug waren. In diesem Sinne wimmelte es in der Kommandantur nur so von bajoranischen Dienstboten. Einige davon hatte man zwangsverpflichtet, aber der Großteil verdingte sich freiwillig, weil es besser war, in einer cardassianischen Küche Teller zu waschen als sich in einem cardassianischen Arbeitslager zu Tode zu schuften. Wenn man nicht spröde war, konnte man als Frau selbst in solcher Stellung noch wenn auch kein leichtes, doch zumindest ein sicheres Leben führen. Später würde sie darüber nachdenken, wie sie ihre Situation verbessern konnte, aber für den Moment war dies die einzige Option, die ihr geblieben war ...

„Ihr Wunsch ist mir Befehl”, sagte sie leise. „Aber wenn Sie auch keine Verwendung für meine besonderen Talente haben, so ließe sich vielleicht etwas anderes finden, wo ich mich für Sie als nützlich erweisen könnte.“

„Das bezweifle ich, aber lassen Sie mich überlegen, an was haben Sie denn gedacht, die Treppen zu scheuern vielleicht?“

„Was immer Sie wollen ...“

Die Cardassianerin lachte verächtlich auf. „Das Einzige, das ich von Ihnen will, meine Liebe, ist, dass Sie diese Kommandantur verlassen und sich niemals wieder auch nur in ihrer Nähe blicken lassen, habe ich mich klar genug ausgedrückt?!“

Für einen kurzen Moment war Arkana versucht, sich der Cardassianerin zu Füßen zu werfen und sie anzuflehen, sie nicht fortzujagen. War der anderen nicht bewusst, dass ihre Anordnung einem Todesurteil gleich kam? Oh doch, das war es sehr wohl, Arkana erkannte es an dem zufriedenen Glitzern in den dunklen cardassianischen Augen. Und diese Erkenntnis hielt die Bajoranerin davon ab, auf die Knie zu sinken und um ihr Leben zu betteln.

„Was habe ich Ihnen getan“, hauchte sie stattdessen, „dass Sie mich vernichten wollen, warum hassen Sie mich so?“

„Wie alle Angehörigen Ihres Volkes neigen Sie zu maßlosen Übertreibungen. Seien Sie versichert, dass ich keinerlei persönlichen Groll gegen Sie hege, dazu sind Sie viel zu unwichtig.“

„Warum liefern Sie mich dann einem so grausamen Schicksal aus?“

„Ich wüsste nicht, was grausam daran sein soll, dass ich Ihnen erlaube, diese Kommandantur unbehelligt wieder zu verlassen, anstatt Sie dafür zu bestrafen, dass Sie es gewagt haben, mich unaufgefordert zu belästigen, und was Ihr Schicksal betrifft“, die Cardassianerin lächelte in einer Weise, die Arkana erschauern ließ, „... nun, das, Teuerste, ist mir offen gestanden völlig gleichgültig.“

* * *

Arkana wusste nicht, wie sie es geschafft hatte, die Kommandantur halbwegs aufrecht zu verlassen. Nun stand sie zögernd im Schatten der grauen Mauer, die das Gebäude umgab. Was sollte sie nun anfangen, wohin konnte sie gehen? Ihre Familie hätte sie sicher aufgenommen. Mochten ihre Eltern sie auch wegen ihres Lebenswandel verstoßen haben, so war sie doch trotz allem noch ihre Tochter. Aber ihre Eltern waren tot, genau wie ihre Schwester, lieber stolz gestorben als sich von ihr helfen zu lassen. Sie konnte natürlich versuchen, sich in eines der umliegenden Klöster zu flüchten, aber wie lange würde sie es dort aushalten?

Wenn es ihr jedoch gelingen sollte, sich in eine andere Provinz durchzuschlagen und den dortigen Befehlshaber oder wenigstens einen seiner höheren Offiziere in ihren Bann zu ziehen ...

Aber zuerst einmal musste sie aus dieser Stadt heraus, in der jeder Bajoraner sie kannte und hasste. Unweit der Kommandantur befand sich das westliche Stadttor, aber sie konnte schlecht in diesem dünnen Kleid und den hochhackigen Schuhen quer durch die Provinz wandern. Sie musste sich umziehen. Außerdem war da noch die Kassette mit ihren Ersparnissen, in ihrem Schrank unter einem Berg von Gewändern verborgen. Gutes Aussehen allein half einer klugen Frau zwar aus manch schwierigen Situationen - aber eben nicht aus jeder, und es widerstrebte ihr, das schöne Gold zurückzulassen, das sie morgen womöglich schon bitter nötig haben würde. Alles in allem blieb ihr nichts anderes übrig als ihr Haus noch einmal aufzusuchen, auch wenn das bedeutete, dass sie durch die halbe Stadt würde gehen müssen. Mehr als alles in der Welt wünschte sie sich in diesem Moment, da sie den Schatten der Mauer verließ, um sich auf den Weg zu machen, einen Umhang, um sich darin vor den Blicken der anderen Bajoraner in den Straßen verbergen zu können.

* * *

Die Luft flimmerte in der Mittagshitze, aber auch ohne das wäre Arkana Schweiß gebadet gewesen. Sie fühlte die Blicke ihrer bajoranischen Mitbürger wie spitze Pfeile, die sich in ihre Haut bohrten. Sie war sich sicher, dass einige von ihnen sie bereits seit einigen Straßenzügen verfolgten, aber sie wagte es nicht, sich umzusehen. Dort vorne stand ihr Haus, mit eingeschlagenen Fenstern zwar, aber die Läden ließen sich von innen verriegeln und die Tür bestand aus dickem Holz. Ihr Herz klopfte so stark, dass sie glaubte, ihre Brust würde zerspringen. Wenn sie sich doch nur schon hinter diesen Mauern befinden würde ...

Dann stand sie endlich vor dem Tor, doch just in dem Moment, da sie nach der Klinke griff, legte sich ihr von hinten eine Hand auf die Schulter.

„Du hast uns lange warten lassen, Arkana ...“

Sie fuhr herum und starrte in die kalten Züge eines ihr unbekannten Bajoraners.

„Wer, wer sind Sie?“, stammelte sie, bemüht, ihre aufsteigende Panik zu unterdrücken.

„Das ist nicht wichtig.“ Der Mann lächelte beinahe mitleidig, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht. „Das Einzige, das zählt, ist, dass ich weiß, wer du bist, was du bist ... wir alle wissen was du bist, Arkana ...“

Dieses wir alle erschreckte sie mehr, als es die Mündung einer auf sie gerichteten Waffe getan hätte. Ihr Blick irrte über seine Schulter, registrierte eine schweigende Menge, die sich ihnen langsam näherte. Wie eine Schlinge, die sich zusammenzieht, durchzuckte es sie, was in der Tat ein passender Vergleich war.

„Was hat dieser Auflauf zu bedeuten?!“

Noch nie zuvor war Arkana so dankbar gewesen, eine cardassianische Stimme zu hören, wie in diesem Moment, da der Mann, der sie festhielt, ihre Schulter freigab und ebenso wie die anderen Bajoraner vor dem Uniformierten zurückwich, der diese Frage in barschem Tonfall gestellt hatte.

Erleichtert erkannte Arkana den jungen Offizier, einen der Adjutanten des verstorbenen Gul Jarraks, den er mehr als einmal zu einem ihrer Feste begleitet hatte.

„Harun, den Propheten sei Dank.“ So schnell sie konnte, rannte die junge Bajoranerin zu dem Cardassianer, der Schutz vor dieser feindseligen Menge bot. „Ich wusste, dass Sie mich nicht im Stich lassen würden, Harun. Bitte, bringen Sie mich fort von hier, ganz gleich wohin!“

Der junge Offizier wich ihrem Blick aus. „Tut mir leid, Arkana, aber das kann ich nicht.“

„Was, was meinen Sie damit?“ Verzweifelt suchte sie in seinen Zügen nach Anzeichen dafür, dass er sich lediglich einen schlechten Scherz mit ihr erlaubte, über den sie dann später gemeinsam lachen würden, aber seine Miene machte deutlich, dass er seine Worte ernst meinte.

„Es tut mir leid, Arkana“, wiederholte er. „Ich dachte, es würde sich hier um einen Aufruhr handeln, wenn ich geahnt hätte, dass ...“ Er brach ab und starrte auf seine Stiefelspitzen.

„Heißt das, dass Sie nicht vor haben, mir zu helfen?“, fragte sie tonlos. „Sie werden mich umbringen“, ergänzte sie mit überschlagender Stimme, als er schwieg. „Sie dürfen das nicht zulassen, Harun, ich flehe Sie an!“ Sie krallte sich verzweifelt in den Stoff seiner Uniform. „Retten Sie mich, Harun, ich schwöre bei den Propheten, dass Sie es nicht bereuen werden!“

„Das bezweifle ich nicht.“ Die Rechte des Cardassianers strich in einer bedauernden Geste über ihr Haar, während seine Linke sanft, aber bestimmt ihre verkrampften Finger einen nach dem anderen von seinem Gewand löste. „Aber ich habe meine Anweisungen, und es liegt mir fern, mein Leben für eine Bajoranerin zu riskieren, mag sie auch noch so entzückend sein wie Sie.“

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Arkana in das Gesicht dieses Mannes, mit dem sie so unzählige Male Wein getrunken und geflirtet hatte, versuchte das Entsetzliche zu begreifen, auch wenn ihr Verstand sich weigerte, es zu akzeptieren ...

Harun hielt nun ihre beiden Hände in seinen umschlossen. So nahe stand sie bei ihm, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Der Glin seufzte.

„Was für eine Verschwendung, aber Befehl ist Befehl!“ Damit versetzte er ihr einen leichten Stoß, der sie rückwärts taumeln ließ, drehte sich um und verließ den Ort des Geschehens so hastig, als befürchtete er, es sich anders zu überlegen, falls er noch eine Sekunde länger blieb.

Die Menge wartete, bis das Geräusch seiner Schritte verklungen war, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit erneut Arkana zu.

Die junge Bajoranerin wich keuchend vor dem brennenden Hass in den vielen Augen zurück, die sie stumm musterten, wich zurück, bis ihr Rücken die raue Außenwand ihres Hauses berührte.

So muss sich ein Tier in der Falle fühlen, dachte sie während sie voller Panik die Propheten um ein Wunder anflehte ...

* * *

Nur ein schneller Sprung zur Seite bewahrte Tahna Los davor, mit dem uniformierten Cardassianer zusammen zu prallen, der mit gesenktem Blick an ihm vorüber eilte. Der andere murmelte etwas, das fast wie eine Entschuldigung klang, und ging weiter.

Tahna Los runzelte unwillkürlich die Stirn. Cardassianer pflegten sich nicht bei Bajoranern zu entschuldigen. Entweder war dieser da eben total blind oder aber so in irgendwelchen Gedanken verhangen, dass ihm die Ungeheuerlichkeit gar nicht bewusst geworden war.

Tahnas Überlegungen wurden durch lauter werdende Rufe unterbrochen, die aus der Richtung kamen, in die er wollte. Er kniff die Augen zusammen, dort vor Arkanas Haus stand eine sichtlich erregte Menge Bajoraner. Tahna spürte, wie seine Nackenhaare sich einzeln aufrichteten, als ihm schlagartig bewusst wurde, was dort gerade vor sich ging.

Bei den Propheten, wie hatte er nur so ein Narr sein können, Arkana allein zu lassen, er hätte wissen müssen, dass seine Landsleute Kollaborateuren nicht verziehen, die Gefahr erkennen müssen, in der sie nun ohne dem Schutz ihres cardassianischen Liebhabers schwebte, er hätte sie zwingen müssen, ihn zu begleiten, warum hatte er bis heute gewartet, um sie zu holen ...

Während diese Gedanken durch sein Bewusstsein schossen, rannte Tahna Los auf das Haus zu, drängte sich durch die Menge ...

... da stand sie, dicht an die Wand gepresst, totenbleich, aber offenbar unverletzt ... noch zumindest ...

Tahna Los schickte ein inbrünstiges Dankgebet zu den Propheten, dass er nicht zu spät gekommen war. Was kümmerte ihn ihre Vergangenheit, er liebte sie, und wenn er sie gegen die ganze Stadt würde verteidigen müssen, er war bereit ...

* * *

Arkana glaubte jeden Moment vor Angst das Bewusstsein verlieren zu müssen, was in ihrer Lage vermutlich das Gnädigste gewesen wäre ... so viele Augen, die sie anstarrten, und in allen las sie ihren Tod ... nein, nicht in allen ...

Ihr Blick blieb an zwei blauen Augen hängen, in denen nichts als Liebe lag - und der Wunsch, sie gegen alles und jeden zu schützen ... Tahna Los!

Die Entschlossenheit in seinen Zügen verriet ihr, dass er bereit war, notfalls gegen jeden einzelnen auf diesem Platz mit bloßen Fäusten zu kämpfen. Eine Welle der Dankbarkeit durchflutete sie und zum ersten Mal in ihrem Leben empfand sie aufrichtige Demut, oh Ihr Propheten, die Ihr besser als jeder hier wisst, wie und was ich wirklich bin, ich verdiene seine Liebe nicht ...

Doch das Gefühl der Dankbarkeit wurde von einem anderen verdrängt, als sie begriff, dass er allein keine Chance gegen diese aufgebrachte Menge hatte, wie eine Horde reißender Wölfe würden sie über ihn herfallen und ihn zerreißen.

Jener Teil ihres Selbst, der bis zum heutigen Tag ihre Seele beherrscht hatte empfand die Vorstellung tröstlich, nicht alleine sterben zu müssen, und wer wusste, vielleicht gelang es ihm ja doch, sie beide zu retten mit der Hilfe der Propheten ...

Sie wollte sich so gerne an diese Hoffnung klammern, aber tief im Inneren wusste sie, dass ihr Weg hier an dieser Wand enden würde, er aber musste sein Leben nicht fortwerfen, nicht für sie, die auch ohne dieses Opfer verloren war. Bei diesem Gedanken fiel all die Furcht von ihr ab, die sie eben noch fast um den Verstand gebracht hatte. Seit sie denken konnte, hatte sie sich ausschließlich um ihr Wohl gesorgt, bis zu diesem Moment, da sie weit ausholte und Tahna Los, der sie eben erreichte, mitten ins Gesicht schlug und damit dem verräterischen Ich liebe dich zuvorkam, das er gerade auszusprechen im Begriff war.

„Ihr dummen Narren!“, schrie Arkana, während sie den blonden Jungen zurück in die Menge stieß, aus der er sich mühsam bis zu ihr durchgekämpft hatte. „Ich fürchte euch nicht, um mich zu töten bedarf es schon mehr als einen Haufen kümmerlicher Bajoraner, den Gul Jarrak bei Zeiten hätte ausrotten sollen!“ Arkanas Blick richtete sich auf Tahna Los, in dessen Gesicht Liebe und Grauen miteinander rangen. „Kümmerlich seid ihr alle, wahrlich“, wiederholte sie laut. „Die Propheten wissen schon, weshalb sie tatenlos zuschauen, wie ihr wie die Fliegen sterbt, ein Volk, das so schwach ist, verdient nichts Besseres als seinen Untergang, deshalb halten die Propheten sich die Ohren zu, damit sie euer klägliches Gejammer nicht hören können ...“

.... Schmerz durchzuckte ihr Herz, als sie sah, wie die Liebe in den blauen Augen zerbrach ...

„... aber vielleicht sind sie ja auch nur zu schwach, um euch zu helfen, genauso schwach und kümmerlich wie ihr selbst!“

Wie erstarrt hatte die Menge diesem Ausbruch gelauscht, doch nun geriet sie in Bewegung.

... Hure ... Gotteslästerin ... Cardassianerschlampe ... Verräterin ...

Arkana achtete nicht auf die Rufe, sie schrie und schrie, dass Gul Jarrak in jedem seiner Finger mehr ein Mann gewesen sei als alle Bajoraner zusammen, wie sie es genossen hätte, in seinen starken Armen zu liegen. Sie schrie immer weiter, auch als der erste Stein sie traf hörte sie nicht auf damit, den Cardassianern zu huldigen, die Bajoraner und ihre Propheten zu beleidigen.

Sie schrie noch sehr lange, bis der Hagel von Steinen, der von den Händen hasserfüllter Bajoraner geschleudert auf sie niederprasselte, sie schließlich zum Verstummen brachte.
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