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Menschsein

von Laurie

Kapitel 1

Kinder konnten grausam sein, menschliche wie vulkanische, so unterschiedlich sie sonst sein mochten. Sowohl menschliche als auch vulkanische Kinder wussten um die verletzende Kraft der Worte, die, richtig eingesetzt, eine der schlimmsten Waffen überhaupt darstellten; sie alle gingen so leichtfertig damit um.
Und sie alle hatten trotzdem keine Ahnung, das wurde Spock früh bewusst, sie alle hatten ja keine Ahnung.

„Schaut ihn euch an. Er hat menschliche Augen. Sie blicken traurig ...“

Spock war diese Art von präzise gewählten Bemerkungen von klein auf gewohnt. Er hatte gelernt, sie gleichgültig über sich ergehen zu lassen; und dennoch ließen sich die schmerzhaften Stiche, die ihm jedes Wort zufügten, nicht vollständig ausblenden.

Die anderen Jungen sprachen über ihn, wenn sie dachten, dass er sie nicht hören konnte, und sie sprachen über ihn, wenn sie wussten, dass er nicht anders konnte, als sie zu hören. Beide Varianten vermittelten die gleiche Art von Wahrheit, eine schmerzhafte Wahrheit, jedes Wort unbewusst oder bewusst darauf ausgerichtet, zu verletzen.

„Du bist weder ein Mensch noch ein Vulkanier. Folglich hast du in diesem Universum keinen Platz.“

Und Spock, wie alle kleinen Jungen in einer Lage wie dieser, merkte sich diese verletzenden Wörter genau. Äußerlich ließ er sich nichts anmerken, das wäre höchst unlogisch gewesen, aber die Wörter bildeten eine ganz eigene Wirklichkeit, deren Existenz sich nicht leugnen ließ.

„Wieso bin ich anders, Mutter?“, fragte er Amanda, nachdem die anderen Kinder nach einer Trainingseinheit wieder einmal versucht hatten, eine emotionale Reaktion in ihm hervorzurufen. Es war ein Moment der Schwäche, der sich nur dadurch rechtfertigen ließ, dass er jünger war, unerfahrener und naiver. Später würden ihm solche verräterischen Ausrutscher nicht mehr passieren.
Seine Mutter strich sich eine Strähne ihres dunklen Haares aus dem Gesicht und zog ihren Schal fester um ihren Kopf.
„Du bist ein Kind zweier Welten, Spock“, sagte sie, beinahe wehmütig, „und das wird immer so bleiben.“
„Das ist mir bewusst“, erwiderte er, verärgert und aufgewühlt zugleich. „Aber das beantwortet nicht meine Frage.“
Ein schwaches und dennoch unzweifelhaft wissendes Lächeln huschte über Amandas Gesicht. „Auf diese Frage gibt es keine Antwort, die dich befriedigen würde. Und falls es sie doch gibt, wirst du sie selber finden müssen.“
Er öffnete den Mund, um zu protestieren – er wollte sich diese Schwäche nicht umsonst geleistet haben, er wollte dieses Gespräch wenigstens mit einem Ergebnis beenden, das eine zufriedenstellende Erklärung für den Aufruhr in seinem Inneren lieferte –, doch Amanda unterbrach ihn sanft, aber bestimmt.
„Dabei kann ich dir nicht helfen, Spock, so gerne ich es täte. Ich kann dir nur einen Rat geben, der dir wahrscheinlich wenig hilfreich vorkommen wird: Verdränge deine Zerrissenheit nicht, sondern lasse sie zu und lerne, mit ihr zu leben. Nur, wenn du du selbst bist, wirst du deinen Platz in diesem Universum finden; und ich bin mir sicher, dass du Menschen – oder andere Individuen – finden wirst, die dir dabei helfen werden.“
Spock hob den Kopf und erwiderte ihren Blick, blickte in seine eigenen Augen, die ihn aus dem Gesicht seiner Mutter mit so viel Wärme betrachteten, wie er sie in keinem vulkanischen Augenpaar je gesehen hatte. Menschliche Augen.
„Falls du damit andeuten möchtest, dass ich Freunde finden sollte, Mutter, muss ich dich enttäuschen. Freunde existieren nicht. Das, was die Menschen Freundschaft nennen, bezeichnet in Wahrheit eine rein zweckmäßige, auf Logik gründende Beziehung, die geschlossen wird, weil beide Seiten davon profitieren, und gelöst wird, sobald dieser Zweck erfüllt ist“, wiederholte er mit emotionsloser Stimme das, was die anderen ihm wieder und wieder vorgesagt hatten, bis er keine andere Wahl gehabt hatte, als ihnen zu glauben.
Amanda lächelte traurig. Sie streckte den Arm aus, um ihm die Hand auf die Schulter zu legen, doch er entzog sich ihrer Berührung.
„Du weißt, dass das nicht wahr ist, Spock“, sagte sie leise. „Tief in deinem Herzen weißt du es. Und irgendwann wird der Tag kommen, an dem du es verstehst.“

Auch diese Wörter enthielten eine gut versteckte Wahrheit, und auch sie merkte Spock sich genau, und dennoch dauerte es lange, bis er wirklich verstand. Bis dahin war es ein langer, beschwerlicher Weg, den Spock mit vulkanischer Gleichgültigkeit meisterte, äußerlich immun gegen alle Hindernisse, die sich ihm in den Weg stellten.
Seine herausragenden Testergebnisse belohnten ihn dafür und ernteten ihm den – wenn auch widerwilligen – Respekt seiner Altersgenossen. Sein Antrag auf Aufnahme in die Vulkanische Akademie der Wissenschaften wurde wie erwartet bewilligt; nicht voraussehbar war allerdings die Entscheidung, die Spock daraufhin traf, zweifellos von seiner menschlichen Hälfte initiiert.

„Es ist wirklich bemerkenswert, dass Sie so viel erreicht haben, trotz Ihrer Benachteiligung“, bemerkte der Vorsitzende des vulkanischen Ministerrates mit der typischen, grausamen vulkanischen Ehrlichkeit; und Spock schluckte alle Emotionen herunter, teilte ihnen seinen wohl überlegten Entschluss mit, bedankte sich und verließ die Vulkanische Wissenschaftsakademie mit hoch erhobenem Kopf, um seinen Weg an der Sternenflottenakademie fortzusetzen.

Dorf verlief alles nach Plan, besser, als Spock es sich hätte wünschen können. Natürlich gab es auch dort Individuen, die ihn entweder wegen seiner Herkunft mieden oder, die unangenehmere Sorte, ihn deswegen beleidigten; doch Spock war Vulkanier genug, um diese Zwischenfälle mit stoischer Gelassenheit hinzunehmen.
„Der ist ein richtiger Eisklotz“, bemerkte einer von ihnen bei passender Gelegenheit. Spock ging nicht darauf ein, doch Nyota Uhura, die sich zufällig in der Nähe befand, erwiderte etwas wenig Höfliches.
„Es ist nicht nötig, dass du mich vor ihnen verteidigst und damit deine eigene Autorität untergräbst“, teilte Spock ihr mit, so distanziert, wie es sich für einen Ausbilder gegenüber seinem Schützling gehörte.
Uhura sah sich um, stellte sicher, dass sich niemand in Sichtweite befand, und legte ihm die Hand auf den Arm. Spock duldete die Berührung.
„Ich weiß, dass es dich in Wirklichkeit nicht kaltlässt, wenn sie dich beschimpfen“, sagte Uhura leise. „Du zeigst es nur nicht, und ich verstehe das. Aber wenn ich dich verteidigen will, ist das einzig und alleine meine Sache. Ich tue das nicht, weil ich Mitleid mit dir habe, Spock. Sondern weil die anderen Idioten sind, die ruhig einmal einen Dämpfer vertragen können.“
„Es liegt nicht in deinem Aufgabenbereich, die anderen Kadetten zu maßregeln.“
Mit einem Seufzen zog Uhura ihre Hand zurück.
„Das weiß ich. Es ist nur ... ich will dir helfen, das ist alles.“
Spock hob die linke Augenbraue, eine Geste, die Uhura ein weiteres, resigniertes Seufzen entlockte.
„Schon klar, Spock. Ich verstehe. Du kommst klar.“
„Diese Annahme ist höchstwahrscheinlich positiv“, sagte Spock; und einige Zeit lang war sie das tatsächlich.

Spock beschritt seinen Weg mit derselben gleichgültig anmutenden Hartnäckigkeit wie zuvor, und alles verlief weiterhin nach Plan. Zumindest so lange, bis, gleich einem Wirbelsturm, der festgefügte Strukturen zusammenstürzen ließ, James T. Kirk in die Sternenflottenakademie eintrat; der impertinente, arrogante Kirk, dem es Spaß zu machen schien, sämtliche noch so logischen Regeln über den Haufen zu werfen, und der als erster Kandidat überhaupt den Kobayashi-Maru-Test bestand – auf eine absolut indiskutable Weise, von der Spock sich doch mehr abschaute, als er zugegeben hätte.

„Geben Sie Jim eine Chance“, bat ihn Captain Pike, nachdem Kirk es geschafft hatte, sich wieder einmal über alle Regeln hinwegzusetzen und sich an Bord der Enterprise zu schmuggeln – mit Folgen, die keiner von ihnen absehen konnte.
„Wenn er auch nur halb der Mensch ist, der sein Vater war, werden Sie es nicht bereuen, Ihn in Ihrem Team zu haben.“
„Wenn Sie das für die logischste Handlungsweise erachten, wäre es unklug, sich Ihrem Wunsch zu widersetzen“, entschied Spock nach kurzer Überlegung, und Captain Pike lächelte ihm ermutigend zu.
„Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen würden. Sie beide werden sich schon zusammenraufen.“

Also erhielt Jim Kirk seine Chance, nur um von der Enterprise verwiesen zu werden, zurückzukehren, Spock vor versammelter Mannschaft bloßzustellen und daraufhin den Tag zu retten.
Für Jim schien alles so leicht, das ganze Leben nichts weiter als ein Spiel, und manchmal, in schnell verdrängten Momenten, beneidete Spocks menschliche Seite ihn um diese Fähigkeit. Jim schien keine Selbstzweifel und keine innere Zerrissenheit der Sorte zu kennen, die Spock nach vielen Jahren der Verdrängung wieder einholten, als er zugleich seine Mutter und seinen Heimatplaneten verlor.

„Du wirst immer ein Kind zweier Welten sein“, wiederholte Sarek nach jenem verhängnisvollen Tag das, was auch Spocks Mutter einst gesagt hatte; neu und völlig unerwartet allerdings war das, was folgte.
„Ich bin dankbar dafür. Und dankbar für dich.“
Spock wandte den Kopf ab; noch war der Verlust zu frisch, um etwas anderes zu fühlen als blinde Wut, Leere und die Zerrissenheit, die ihn immer schon begleitet hatte.

Vielleicht gerade, weil Jim diese Zerrissenheit fremd zu sein schien, gestaltete sich der Anfang der Zusammenarbeit zwischen ihnen beiden schwierig, doch Captain Pike sollte Recht behalten – sie rauften sich zusammen, irgendwie, und sie beide gewannen dank dieser Zusammenarbeit mehr, als Spock jemals für möglich gehalten hätte. Keine Wahrscheinlichkeitsberechnung hätte ihn auf das vorbereiten können, was sich daraus ergab und wie es ihn beeinflussen würde.

Jim stellte in vielen Bereichen das genaue Gegenteil von Spock dar, und dennoch schienen sie sich zu ergänzen, auf eine nicht näher bestimmbare Weise.
Jim war es, der dafür sorgte, dass Spock öfter als gewollt an die Worte seiner Mutter denken musste; der die Oberste Direktive verletzte, um Spock das Leben zu retten; der ihn anblickte mit diesen hellen, menschlichen Augen, die so viel verletzlicher und verräterischer waren als vulkanische Augen, und sagte: „Die Wahrheit ist ... ich werde Sie vermissen.“
Jim, der sich für seine Crew opferte, gerade, als sich Spocks menschliche Seite deutlicher denn je gezeigt hatte, und der Spock damit zum ersten Mal bewusst werden ließ, was es hieß, menschlich zu sein.
Jim, der sein ganz persönliches Wunder erlebte und es schaffte, zurückzukehren, irgendwie; der aus seinem Krankenbett zu Spock aufblickte, blass und erschöpft, aber am Leben, und murmelte: „Einfach nur ... danke.“

Um das Wunder zu vervollständigen (falls so etwas wie ein Wunder tatsächlich existiert hätte), erholte sich Jim komplett und irgendwann überraschte er Spock mit der Aussicht auf eine fünfjährige Mission, wie sie noch nie zuvor durchgeführt worden war.
„Sie müssen mitkommen, Spock. Das dürfen Sie nicht verpassen!“
„Wenn Sie darauf bestehen, Captain“, erwiderte Spock in seinem üblichen, neutralen Tonfall und Jim lachte ungläubig auf.
„Machen Sie Witze? – Und nein, darauf müssen Sie nicht antworten, das ist nur eine Redewendung. Was ich sagen will: Natürlich werden Sie mein Erster Offizier sein, Sie haben also gar keine andere Wahl, als mitzukommen.“

Die Mission rückte näher, und wenn Spocks vulkanische Hälfte nicht meist stärker gewesen wäre als seine menschliche, hätte er wohl zugegeben, dass er sich darauf freute.
An dem Tag, an dem die Expedition beginnen sollte, stand Spock in seinem Quartier vor dem Spiegel und knöpfte sorgfältig seine Uniform zu; er betrachtete sein Spiegelbild mit der kühlen Oberflächlichkeit eines Außenstehenden. Nur an seinen eigenen Augen blieb sein Blick länger als nötig hängen. Menschenaugen.

Es klopfte an der Tür und im nächsten Moment stand Jim Kirk im Raum, natürlich ohne die Erlaubnis dazu abzuwarten, ganz wie immer.
„Hey, Spock, wo bleiben Sie? Sie wollen doch nicht etwa zu spät kommen? Das wäre sicherlich ‘ne Premiere!“
„Vulkanier kommen nie zu spät“, erwiderte Spock würdevoll und wandte sich von seinem Spielgelbild ab, ohne ihm noch einmal Beachtung zu schenken.
Jim grinste. „Na, dann kommen Sie. Eine fünfjährige Mission – so etwas darf man sich nicht entgehen lassen!“
„Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Mission dieser Dauer erfolgreich ...“, begann Spock, als er ihm in den Flur folgte, doch Jim schnitt ihm ohne viele Umstände das Wort ab. Ganz wie immer.
„Ach, halten Sie die Klappe, Spock. Das werden die aufregendsten fünf Jahre Ihres Lebens, warten Sie nur ab.“
Fünf Jahre im All, Gott steh mir bei, wie Doktor McCoy es ausdrücken würde. Fünf Jahre, angefüllt mit unendlich vielen Möglichkeiten.
„Das wird sich herausstellen“, entgegnete Spock.
„Also, worauf warten wir?“, sagte Jim, strich seine Uniform glatt und drehte sich nach einem letzten Blickwechsel um, bereit für das Abenteuer seines Lebens, seine Schritte energisch und entschlossen, seine Körperhaltung die unterdrückte Erregung verratend.

Als er ihm folgte, musste Spock erneut an seine Mutter denken und daran, wie sie ihm vor so vielen Jahren geraten hatte, er selbst zu bleiben und seinen eigenen Weg zu finden; und wie sie ihn gebeten hatte, an etwas so Unlogisches wie Freundschaft zu glauben.
Irgendwann wird der Tag kommen, an dem du es verstehst.

Er hatte endlich verstanden.
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