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Drei

von Laurie

Kapitel 1

Christine Chapel bemerkte es zuerst.

Als Krankenschwester war sie darauf trainiert, selbst den am bedeutungslosesten erscheinenden Details Aufmerksamkeit zu schenken und zu entscheiden, ob es sich dabei tatsächlich nur um Belanglosigkeiten handelte oder ob sich hinter einer kaum wahrnehmbaren Veränderung nicht etwas Schwerwiegenderes verbarg. Die Appetitslosigkeit des einen Crewmitglieds – nur eine Folge von Überarbeitung oder ein erstes Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung? Die zunehmende Unruhe des anderen Crewmitglieds – eine verständliche Nebenwirkung einer besonders kritischen Mission oder vielleicht doch der Hinweis auf nie richtig verheilte seelische Wunden?

Manchmal waren es nicht mehr als die Körperhaltung ihrer Mitmenschen, unbewusste Gesten oder ein veränderter Gang, die Christines Spürsinn weckten, und oft genug hatte sich ein erster, vager Verdacht als richtig erwiesen. Die Patienten verließen sich auf die Beobachtungsgabe ihrer Ärzte, auf die Fähigkeit, die Wahrheit hinter der sorgsam zusammengesetzten Maske aus Lügen zu entdecken („Mir geht es gut, Doktor, wirklich, ich bin nur ein bisschen müde, das ist alles“), im Weltall vielleicht noch mehr als auf der Erde; und Christine gab sich Mühe, dieses instinktive Vertrauen nicht zu enttäuschen, indem sie besonders genau hinsah.

Im Laufe ihrer Karriere hatte sie gelernt, worauf es ankam, und dass sie bei ihrer Detektivarbeit auch auf Dinge stieß, die nicht unbedingt mit ihrem Beruf zusammenhingen, ergab sich wie von selbst.

Sie spürte, wenn der Captain einen schlechten Tag hatte, ohne ihn gesehen zu haben, sie hörte, wenn das Heimweh sich in Uhuras Stimme schlich und ihren Liedern eine tiefere Bedeutung verlieh, sie bemerkte, wie Scotty Uhura heimlich beobachtete, hoffnungsvoll und verlegen zugleich ... sie sah es alles. Jeden Wunsch, jede Angst, jede Sehnsucht.

Manchmal war sie von dem, was sich ihr zeigte, erstaunt, manchmal verwirrt, gelegentlich beunruhigt ... aber meistens war sie dankbar dafür. Jeder Tag hielt so viele verschiedene Nuancen bereit, so viele Überraschungen und vor allem so viel Schönheit. Ein freundliches Wort, ein dankbarer Blick, eine sanfte Berührung – alles davon bedeutete unendlich viel und führte ihr jeden Tag aufs Neue vor Augen, dass ihre Entscheidung, auf der Enterprise zu bleiben, richtig gewesen war.

Auf diesem Schiff gab es viele dieser kostbaren Momente, und aus jedem davon schöpfte Christine Kraft – besonders, wenn sie nach ganz oben in der Kommandokette aufschaute, wo sich direkt vor ihr einer der größten Schätze an Bord entfaltete.

Die meisten anderen Personen bemerkten es nicht, zumindest nicht so früh wie Christine. Sie selbst brauchte gerade einmal wenige Tage, um das Muster mitsamt der darunterliegenden Wahrheit zu entdecken.

Die anderen Personen an Bord sahen einen jungen, impulsiven und dennoch äußerst fähigen Captain mit eisernem Willen, einen kühlen Ersten Offizier mit dem Gehirn eines Computers und einen mürrischen Schiffsarzt mit Hang zu Spott und Sarkasmus. Christine sah mehr. Sie sah die Zweifel hinter Kirks selbstbewusster Fassade, den Kampf zweier völlig entgegengesetzter Naturen hinter Spocks emotionsloser Distanz und die tiefe Sorge um das Wohl aller hinter McCoys schlechter Laune. Und vor allem sah sie eines: Freundschaft. Eine reine, ehrliche Freundschaft, die sich in zahlreichen Kleinigkeiten äußerte, von denen Christine nicht genug bekommen konnte.

„Wieso lächeln Sie die ganze Zeit, Schwester?“, fragte McCoy sie einmal, als sie eine weitere dieser Kleinigkeiten registriert hatte. Christine setzte ihre unschuldigste Miene auf und bemühte sich, dem forschenden Blick aus scharfen blauen Augen standzuhalten – nicht nur sie wurde auf der Enterprise wegen ihrer Beobachtungsgabe gefürchtet –, bis McCoy aufgab.

„Immer schön, wenn die Leute hier fröhlich sind – solange sie nicht über mich lachen“, brummte er mit einem verhaltenen Grinsen, und Christines Lächeln kehrte zurück, als er sich abwandte und sie mit ihren Gedanken alleine ließ.

Erst viel später würde sie ihm von ihren Beobachtungen erzählen, ihrer „Studie einer Freundschaft“, wie sie es nannte; und sie würde ihm anvertrauen, dass sie all die kleinen Details in ihrer Erinnerung wie in einem sorgfältig gehüteten Album aufbewahrte, um sie an schlechten Tagen hervorzuholen und sich an das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen zu erinnern.

Was sie dagegen für sich behalten würde, war ihr erster Eindruck vom Captain der Enterprise und seinen beiden engsten Vertrauten. Jeder dieser Männer strahlte von innen heraus, sandte die Art von Licht aus, die man nur in wenigen Personen fand, und betrachtete man sie alle zusammen ... nun, zusammen leuchtete ihre Freundschaft so hell, dass Christine sich in der Gegenwart dieser drei manchmal wie geblendet vorkam. Bei solchen Gelegenheiten wirkte es auf sie immer, als ginge ein Abglanz dieses Lichts auch auf sie selbst über, und dafür nahm sie McCoys neugieriges Nachfragen gerne in Kauf.

Was sie hier beobachten durfte, war wertvoller als jede flüchtige Affäre, jede Romanze; es war einen andere Art von Liebe, die sich zwischen den drei Männern formte, eine viel stärkere, dauerhaftere. Liebe zwischen Freunden, vielleicht sogar mehr noch, zwischen Brüdern.

Sie sah diese Liebe immer, wenn Kirk, McCoy und Spock sich in ihrer Nähe befanden – ob nun in der Krankenstation, auf dem Gang, im Aufenthaltsraum oder anderswo. Und sie sah sie, wenn einer der Männer sie nicht sehen konnte oder wollte.

„Gütiger Gott, diese zwei können einen alten Landarzt in den Wahnsinn treiben, Chris“, seufzte McCoy einmal, nachdem er den Captain und den Ersten Offizier unsanft aus der Krankenstation verwiesen hatte, begleitet von ärztlichen Anweisungen und den Worten: „Ich will euch hier in nächster Zeit nicht mehr sehen, ist das klar?!“

Beide waren nach einer Mission auf einem unerforschten Planeten, der auch McCoy beigewohnt hatte, verletzt gewesen, und beide hatten neben der medizinischen Behandlung durch ihren Ersten Medizinischen Offizier auch einen Vortrag über Sicherheitsvorschriften und die Idiotie improvisierter Pläne über sich ergehen lassen müssen.

Was genau vorgefallen, konnte Christine nicht herausfinden, aber sie bekam genug von McCoys Schimpftirade mit, um sich ein grobes Bild davon machen zu können. Was gab es an Wendungen wie „unverantwortlicher Idiot“, „Märtyrer-Komplex“ und „Das gilt auch für Sie, Spock, und kommen Sie mir jetzt ja nicht mit Ihrer verdammten Logik!“ schon falsch zu verstehen?

Wie es schien, hatte sich die als problemlos eingestufte Routinemission zu einem Problemfall entwickelt, in dessen Verlauf nicht nur die Leben des gesamten Landetrupps bedroht gewesen waren, sondern sowohl Kirk als auch Spock mehr als einmal versucht hatten, sich selbst zu opfern, um ihre Kameraden zu retten – in Kirks Fall, weil er nun mal nicht an ausweglose Situationen glaubte, in Spocks Fall, weil es sich dabei offenbar um die logischste Handlungsweise gehandelt hatte.

Christine hatte McCoy zu oft beim Verarzten des sturen Captains und des nicht minder sturen Ersten Offiziers assistiert, um seine Aussage zu leugnen; aber eine kleine Stichelei konnte sie sich nicht verkneifen.

„Wieso zwei?“, fragte sie.

McCoy bedachte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue, doch sie kannte ihn inzwischen gut genug, um sich von seiner mürrischen Art nicht einschüchtern zu lassen.

„Wollen Sie mir irgendetwas sagen, Christine?“

Sie zuckte mit den Schultern. Die Detektivin in ihr stürzte sich auf die Erschöpfung in McCoys Stimme, auf die Art, wie er seine Schultern beugte und sich leicht mit der Hand an der Wand abstützte, und sie folgte ihm, als er sich abwandte und langsam in sein Büro ging.

Was immer dort unten auf dem Planeten vorgefallen sein mochte, es schien belastender gewesen zu sein, als McCoy zugab, und ein freundliches Gespräch würde ihm vielleicht guttun – eine Erinnerung an all das Positive, das man so gerne vergaß. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie ihn darauf hinwies; an den Grundsatz „Arzt, heile dich selbst“ hatte sie noch nie geglaubt. Wenn es sein musste, erstreckte sich ihre Aufgabe als Krankenschwester und Ansprechperson nicht nur auf den Rest der Crew, sondern auch auf ihren Vorgesetzten.

„Sie scheinen wütend auf den Captain und Mr Spock zu sein“, bemerkte sie; ein Einstieg, der sich nicht schlechter als jeder andere eignete und der sie ohne allzu große Umwege zum Ziel führen würde.

McCoy schnaubte. Er bot zuerst ihr einen Platz an, ganz der Gentleman, ehe er sich ihr gegenüber in seinen Stuhl sinken ließ.

„Das wären Sie auch, wenn Sie ständig das Kindermädchen für die beiden spielen müssten.“

Müde fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht, dann fokussierten sich seine hellen Augen auf Christine. „Was meinten Sie eben mit wieso zwei?“, wollte er wissen.

Christine zog die Schultern hoch.
„Sie reden von den beiden, als würden Sie selbst nicht dazugehören“, stellte sie fest und maskierte die Sorge in ihrer Stimme gerade so stark, dass jeder andere außer McCoy sie überhört hätte.

Er ahnte, was sie vorhatte, sie erkannte es an seinem Gesichtsausdruck – und sie erkannte auch, dass er sich darauf einlassen würde, darauf einlassen wollte. Als Arzt wusste er nur zu gut, wann es ihm helfen würde, die Art von Gesprächen zu führen, mit denen er regelmäßig verletzten und traumatisierten Crewmitglieder eine neue Perspektive gab.

„Wieso sollte ich dazugehören?“ Es war im Grunde nur eine rhetorische Frage, und dennoch schwang ein Hauch von ehrlicher Furcht darin mit. Die Angst, eben doch nicht dazuzugehören. „Jim rettet die Welt, Spock weicht ihm dabei nicht von der Seite und ich renne hinter ihnen her und setze das wieder zusammen, was sie zerbrochen haben. So läuft das nun mal.“

Christine lehnte sich nach vorne, unwillkürlich die Haltung kopierend, die McCoy in derartigen Gesprächen gerne annahm. Manchmal richtete zu viel Nähe Schaden an; in diesem Fall war sie genau richtig.

„Ja, aber Sie gehören dazu. Der Captain und Mr Spock brauchen Sie.“

McCoy zog die Augenbraue hoch. Es war wie ein Spiel: Er leugnete die Wahrheit, damit Christine ihm sagen konnte, was er hören wollte.

„Jim braucht niemanden, und unser grünblütiger Computer von Erstem Offizier erst recht nicht.“ Er seufzte. „Es sind immer nur die beiden, Chris. Manchmal komme ich mir wie das fünfte Rad am Wagen vor. Aber ich schätze, das gehört zu meinem Beruf.“

Die einfache Feststellung, nicht bitter oder ärgerlich, sondern geradezu erschreckend neutral, alarmierte Christine. Es war fast so, als hätte McCoy sich diese Behauptung so lange einzureden versucht, bis er selbst daran glaubte. Das Schicksal so vieler Ärzte ... sie kümmerten sich um jeden, aber kaum jemand kümmerte sich um sie. Wer konnte einem da schon verdenken, dass man sich selbst für weniger wichtig als die anderen zu halten begann, sein persönliches Wohl im Gegensatz zu dem seiner Patienten und Freunde als zu vernachlässigend einstufte?

Christine selbst ging es oft genug ebenso ... Und die kleinen Details halfen ihr immer wieder, zu erkennen, dass es eben doch anders war. Dass jedes Leben gleich wertvoll war und es immer jemanden gab, der einen auffangen würde, auch wenn man denjenigen manchmal nicht sehen konnte.

Zeit, auch McCoy daran zu erinnern.

„Sie merken es wirklich nicht?“, fragte sie sanft.

Verwirrung mischte sich in seine Resignation.
„Was denn, bitteschön?“

Christine starrte ihn einige Augenblicke lang stumm an. Nein, das war keine rhetorische Frage gewesen. Er wusste es wirklich nicht; und diese Erkenntnis machte sie seltsam traurig. Wie konnte es sein, dass McCoy, ausgerechnet Leonard McCoy, dem sonst nie etwas entging, die Momente, die sein Leben besonders machten, nicht einmal erkannte? Vielleicht nicht erkennen wollte?

So viele besondere Momente, so viele Details ... für den außenstehenden Beobachter nicht ersichtlich, für Christine umso offensichtlicher.

Da gab es die die verräterischen Emotionen in Spocks Augen, wenn sein Blick auf McCoy oder Kirk ruhte, und die Art, wie der sonst so auf eine Vermeidung von Körperkontakt bedachte Vulkanier die Berührungen der andern beiden Männer nicht nur klaglos duldete, sondern oft genug sogar selbst Berührungen initiierte ...

Da waren die Blicke, die Kirk McCoy und Spock zuwarf, bevor er eine Entscheidung traf, als fühlte er sich mit der Bestätigung seiner Freunde wohler und vertraute ihrem Urteil genug, um sich in jeder Situation auf sie zu verlassen; der besondere Tonfall, den er nur den beiden anderen Männern gegenüber verwendete; seine Unruhe, wenn einer der zwei verletzt war; seine uneingeschränkte Bereitschaft, sein eigenes Leben zu opfern, um die seiner Freunde zu retten ...

Hinzu kamen die Sticheleien zwischen McCoy und Spock, in denen immer auch gegenseitiger Respekt mitschwang und ohne die der Alltag auf der Enterprise für Christine nicht mehr denkbar war ... die Menschlichkeit in Spocks Wesen, die er niemandem so deutlich zeigte wie McCoy ... das tiefe gegenseitige Verständnis, das alle Unterschiede überwand ... kurz gesagt: Die einzigartige Freundschaft zwischen diesen drei Männern. Ihre Schicksale hingen voneinander ab; fehlte einer von ihnen, geriet das ganze Konstrukt aus dem Gleichgewicht – genauso wie ein Stuhl zwar mit drei, aber nie mit zwei Beinen stehen konnte.

Wie war es möglich, dass McCoy glaubte, er gehöre nicht dazu – oder zumindest manchmal die von diesem Irrglauben überschattete Wahrheit nicht sehen konnte?

Christine zögerte. Sie überlegte, ob sie ihm all die besonderen Details aufzählen sollte, ähnlich einer stichhaltigen Analyse, wie Spock sie wahrscheinlich bereitstellen würde, und entschloss sich dafür, genau das nicht zu tun. Vielleicht wäre es effektiver, McCoy das Außergewöhnliche im scheinbar Alltäglichen selbst entdecken zu lassen. Dass er dazu durchaus in der Lage war, wusste sie genau.

Vielleicht genügte es vorerst, ihm lediglich einen kleinen Schubs in die richtige Richtung zu geben, wie er es so oft mit seinen Patienten und den sonstigen Crewmitgliedern tat, Christine nicht ausgeschlossen.

Sie setzte ihr ermutigendstes Lächeln auf und beugte sich noch ein Stückchen näher zu ihm.

„Schauen Sie einfach genauer hin, dann sehen Sie es selbst“, riet sie ihm leise. „Gerade dort, wo Sie es am wenigsten erwarten. Aber glauben Sie nicht, dass Sie nicht dazugehören. Die beiden brauchen Sie, Leonard. Sie wären verloren ohne Sie.“

Er erwiderte ihren Blick offen und bestimmt wie immer und unter der kontrollierten Oberfläche doch seltsam bedürftig. Sie wandte den Kopf nicht ab, bestrebt, ihre geheime Mission zu Ende zu führen, und schließlich zeigte sich das Lächeln auf McCoys Gesicht, das Christine vermisst hatte.

„Ich werde versuchen, daran zu denken“, sagte er. „Und wissen Sie was, Christine? Dieses Schiff, diese Krankenstation wäre verloren ohne Sie.“

Sie konnte nicht verhindern, dass sie leicht errötete; doch sie versuchte erst gar nicht, ihre Freunde über diese ehrliche Bemerkung zu verbergen. Ja, auch sie brauchte manchmal Bestätigung.

Christine dankte ihm mit einem Lächeln, und sie lächelte noch immer, als ihr Gespräch längst beendet war und sie wieder zum oftmals beschwerlichen, manchmal niederschmetternden, aber niemals langweiligen und eintönigen Alltag zurückgekehrt waren.

Sie lächelte auch, als ihr am Tag darauf Kirk, Spock und McCoy auf dem Gang entgegenkamen, in ein tiefes Gespräch verwickelt und ohne auf ihre Umgebung zu achten; und die Freundschaft zwischen den drei Männern schien heller als je zuvor zu strahlen.

Doch, es gab keinen Zweifel daran: Diese drei gehörten zusammen, komme, was wolle.
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