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Das zweite Leben geht weiter oder Die Melodie der Erinnerung

von Quodlibet

Kapitel 2 - Die Last der Erinnerung

„Herein.“

Deanna Troi betrat den Bereitschaftsraum des Captains und blieb wie angewurzelt stehen.

Es war nicht Picard, der dort hinter seinem Schreibtisch saß, sondern William Riker, der ein breites Lächeln zeigte, als er ihren überraschten Blick sah. Innerlich ärgerte sie sich, dass sie in Gedanken gewesen war. Sonst hätte sie Will garantiert gespürt und wäre von ihm nicht nun so überrumpelt worden. Aber sie hatte so fest mit Picard gerechnet, nachdem ihr die anderen Crewmitglieder erzählt hatten, was auch sie schon festgestellt hatte. Der Captain war in den letzten Tagen etwas seltsam: Er erfüllte seine Pflicht.

Jedem anderen Offizier der Sternenflotte hätte diese Aussage sicher zu Ehre gereicht, bei Picard aber fehlte eben das, was seinen besonderen Stil ausmachte. Seine große Persönlichkeit, seine Anteilnahme an der Pflicht anderer. Kein Captain auf Autopilot geschaltet.

„Was kann ich für Dich tun, Counselor?“, fragte er amüsiert und war gleich aufgestanden und ein paar Schritte auf die abrupt wie angewurzelt stehen gebliebene Deanna zugegangen.

„Eigentlich suche ich den Captain ...“, gab sie zu und versuchte, sich nicht auf Will, sondern lieber auf Picards Fischglas im Hintergrund zu konzentrieren.

„Der hat heute überraschend einen Tag Off-Duty genommen. Alles, was das Schiff anbelangt, kannst Du heute also vertrauensvoll dem kommandierenden Offizier, also mir, erzählen“, neckte er sie.

„Danke, aber es geht tatsächlich nur um den Captain. Also vielen Dank, Will“, sagte sie tapfer und drehte sich auf der Stelle um, ohne in eine lange Diskussion auszubrechen, gleich weiter zu gehen.

Erst als sie die Brücke verlassen hatte und im Turbolift stand, merkte sie, dass sie unwillkürlich das Deck des 10-Vorne genannt hatte.

„Lift anhalten. Computer: Wo befindet sich Captain Picard?“, fragte sie in das Haltegeräusch des Lifts.

[Captain Picard befindet sich auf Holodeck 2]

Also steuerte sie nun Holodeck 2 an. Dort betrat sie die laufende Simulation.

Sie befand sich in einer Art Dorf mit schlichten und funktionellen Häusern. Sie hatte das Gefühl, es sei ein warmes und lichtdurchflutetes Klima, das diese Gegend prägte.

Allein, es war nur eine Landschaft und ein Dorf. Bewohner sah sie keine.

„Captain?“, rief sie vorsichtig in das Dorf hinein.

Aus einem der Häuser in der Mitte des Dorfes kam gedämpft ein: „Hier.“ Aber niemand zeigte sich.

Also versuchte sie, dem gehörten Ruf zu folgen. Sie betrat eines der Häuser, das schlicht, aber geschmackvoll eingerichtet war. Eigentlich war es ein Haus, wie es zu Picard passte, dachte sie. Denn die Wände waren kunstvollem Wandschmuck dekoriert und überall gab es künstlerisch gestaltete Gegenstände.

Picard saß mitten im größten Raum und sah mit angespanntem Blick auf die Wand. Ein Blick, der Deanna verriet, dass sie zurückhaltend agieren sollte. Sie ließ vorsichtig ihre telepathischen Barrieren herunter und öffnete sich für die Emotionen, die nun auf sie einströmten. Ihr kam eine Welle von Wohlbefinden und zugleich von Wehmut und Schmerz entgegen. Sie hatte vielleicht mit Verwirrung, Verbitterung oder Wut gerechnet, weil der Captain sich so ungewöhnlich verhalten hatte. Aber mit diesen kontrastierenden Empfindungen - der großen Freude und zugleich tiefer Trauer - und der großen Bandbreite der Emotionen hatte sie nicht gerechnet. Eine intime Wärme, die unmittelbar die Gefühle ansprach. War es Liebe? Nach den 'kalten' Gefühlen der Abschottung, die sie alle erlebt hatten, nachdem der Captain aus den Händen der Borg befreit worden war, hatte sie nun nicht mit diesem emotionalen Ausbruch gerechnet. Viele hätten sicher nicht vermutet, dass unter der beherrschten Oberfläche des Captains Raum für diese Gefühle vorhanden war. Und wenn, dann sicher nicht beide Extreme gleichzeitig.

„Captain, ich bin es, Deanna“, sagte sie leise und trat noch ein paar Schritte näher, war aber darauf bedacht, sich ihm nicht zu sehr zu nähern, um ihm genug Raum zu lassen. „Wo sind wir hier?“

„Wir sind auf Ressik, dies ist mein Zuhause“, sagte Picard. Dann sah er auf und verbesserte sich: „Dies war mein Zuhause.“ Er machte eine Handbewegung, die alles mit einschloss. „Hier habe ich ein ganzes Leben verbracht. Auch wenn der Schmuck an den Wänden und die Artefakte nicht ganz so sind, wie sie damals waren.“

„Möchten Sie mir dieses wunderbare Zuhause nicht zeigen?“, fragte Deanna und signalisierte ihr Interesse an der Umgebung. Sie wollte Picard eine Öffnung bieten, sich mitzuteilen.

Und Picard führte sie im Haus herum, wie einen Gast. Nur dass er ihr ein Haus zeigen musste, dessen Bewohner Erinnerungen waren. Sie konnten trotz aller seiner Bemühungen die Einsamkeit aus den Wänden nicht vertreiben. Aber es drängte ihn, Deanna mit allem bekannt zu machen. Er zeigte ihr, wo er mit seinem Enkel gespielt hatte, wo Eline gestorben war und wo sie den Baum der Hoffnung gepflanzt hatten.

Er erzählte dies alles ohne Erklärungen. Er setzte voraus, dass sie wüsste, wer sie gewesen waren. Was Ressik war, wo Kataan gelegen hatte und welches das Schicksal des Sonnensystems geworden war.

Deanna sagte nichts, spürte aber die wahre Leidenschaft, die hinter dieser Erzählung steckte und dass sie dem Captain nicht wie eine Erzählung vorkam, sondern wie eine Erinnerung.

Als sie schließlich vor dem Eingang ins Haus standen, hakte sie sich behutsam bei ihm ein: „Kommen Sie, Captain.“

Picard ließ sich wortlos und widerstandslos wegführen vom Holodeck. Er bemerkte nicht, dass sie ins 10-Vorne gingen, wo Deanna einer überraschten Guinan einen Wink gab. Picard war selten allein im 10-Vorne, und schon gar nicht zu dieser frühen Tageszeit. Aber Guinan war eine gute Zuhörerin und sie hatte dem Gemurmel der Besatzung zugehört, dass der Captain in letzter Zeit sich ein wenig anders als sonst verhielt. Dass er mit Deanna hier war, schien eine Manifestation der Gerüchte zu sein. Also fragte sie gar nicht erst, worum es ging, sondern mischte die Lieblingsdrinks der beiden und einen für sich.

Mit drei Drinks trat sie leise zu ihnen an den Tisch, von dem aus man weit, weit in die Weite des Weltraums blicken konnte.

Dann sagte Deanna ganz leise: „Möchten Sie uns nicht von Ihnen erzählen?“

Und Picard erzählte. Nachdem die Vorstellung dies in Worte fassen zu müssen mehrere Tage über ihm gehangen hatte wie ein Damoklesschwert, war es jetzt ganz einfach, den beiden Ohrenpaaren der schiffsweit besten Zuhörerinnen seine Geschichte zu erzählen.

Die Geschichte seines Lebens.

Und die Geschichte von Eline, Batai und all den anderen.
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