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Außenseiter

von Oriane

Kapitel 1

Die Auswahl im Casino war nicht groß, besonders nicht für sie. Marla Gilmore besah skeptisch die Häppchen, die Neelix wie immer auf dem Tresen ausgestellt hatte. Die gelblichen Knollen auf dem ersten Teller waren definitiv Leolawurzeln. Der Koch der Voyager hatte sie heute in Scheiben geschnitten und kandiert, doch das konnte über ihren ursprünglichen Geschmack nicht hinwegtäuschen. Daneben lag in einer Schüssel ein Knäuel schleimiger, blaugrüner Art. Mit viel Fantasie hätte man sich kalte Nudeln vorstellen können. Und zu guter letzt boten sich ihr Haferkekse a la Neelix vom Vortag an. Die wären sogar genießbar gewesen, wenn er nicht das Rezept variiert hätte. Marla war noch nicht dahintergekommen, was die geheime Zutat war, von der der Talaxianer so schwärmte, aber sie hatte schnell festgestellt, dass die Kekse nicht nach ihrem Geschmack waren.
Während sie ein wenig hilflos vor den Speisen stand und darauf wartete, dass Neelix zurückkehrte, um ihn zu fragen, was das heutige Hauptgericht war, langte Seven of Nine an ihr vorbei zu den Leolawurzeln. Ungläubig beobachtete Marla, wie die ehemalige Drohne sich eine große Portion auf ihren Teller schaufelte und dann stehen blieb, um ebenfalls auf das Hauptgericht zu warten.
»Gibt es ein Problem, Crewman?«, fragte Seven und Marla schrak zusammen. Offenbar hatte sie versehentlich weiter auf die Wurzeln auf dem Teller der anderen Frau gestarrt.
Ohne ihr in die Augen zu sehen, schüttelte sie den Kopf. »Nein. Entschuldigen Sie.«
»Es ist keine Entschuldigung von Nöten«, antwortete Seven in pragmatischem Tonfall. In den wenigen Tage, die Marla nun wieder zurück auf der Voyager war, hatte sie Sevens Verhalten noch nicht ansatzweise durchschaut.
Glücklicherweise kam in diesem Moment Neelix mit einem Korb voller Gemüse aus dem Frachtraum zurück und rettete Marla davor, sich mit ihr unterhalten zu müssen. Eigentlich war Seven eine der wenigen Crewmitglieder, die sie zumindest neutral behandelten. Die Zerstörung der Equinox lag nur wenige Tage zurück, aber jetzt, da die Überlebenden zum zweiten Mal auf der Voyager waren, hatte sich das Klima völlig verändert. Bei ihrem ersten Besuch war ihr fast jeder freundlich gesinnt gewesen, sie hatte in aufmunternd lächelnde Gesichter geblickt und viele angenehme Gespräche geführt. Jetzt jedoch wurde sie gemieden. Sie verstand natürlich, warum, immerhin war sie aktiv daran beteiligt gewesen, unschuldige Lebewesen in Treibstoff zu verwandeln. Und nicht nur das, ihre Loyalität zu Captain Ransom war so groß gewesen, dass sie ihm blind gefolgt war, anstatt nachzudenken und das richtige zu tun. Sie schämte sich ob ihren Taten und ihrer Schwäche und der Großteil der Crew ließ sie jeden Moment wieder spüren, dass sie einen unverzeihlichen Fehler gemacht hatte. Vorwurfsvolle Blicke kassierte sie eigentlich von allen, bis auf die beiden Vulkanier an Bord, Seven of Nine und Neelix. Tuvok und Vorik ließen sich nicht anmerken, was sie dachten, Seven kannte sie nicht besonders gut, aber sie vermutete, dass sie es für ineffizient hielt, ständig auf Marlas Schuldgefühlen herumzureiten. Neelix war der einzige, der ihr mit echter Freundlichkeit begegnete und das rechnete sie dem Talaxianer hoch an. Er hatte schnell bemerkt, dass die ehemalige Crew der Equinox von allen Seiten gemieden wurde und seine persönlichen Gefühle in der Sache zurückgestellt, um dem geballten Misstrauen zumindest ein freundliches Gesicht entgegenzustellen.
»He, Marla, träumen Sie?«
Sie zuckte zusammen, traute sich nun endlich aufzusehen und nahm ein aufmunterndes talaxianisches Lächeln wahr.
»Entschuldigung«, sagte sie ein weiteres mal und erwiderte das Lächeln halbherzig.
»Wie sieht es mit Ihrem Appetit aus? Ich habe heute eine Gemüsesuppe talaxianischer Art im Angebot. Ein Rezept meiner Mutter.« Er deutete verschwörerisch auf seinen großen Kochtopf.
»Danke, Neelix, ich nehme eine Portion.«
Zufrieden schöpfte er ihr etwas von der Suppe in eine Schüssel und bot ihr noch Brot dazu an, das sie ebenfalls dankend annahm. Dann machte sie sich auf den Weg zu einem verlassenen Tisch. Niemand aus der Voyagercrew wollte neben einer Verräterin sitzen.

Wenige Minuten später betrat Noah Lessing das Casino. Erleichtert bemerkte er, dass Marla Gilmore allein an einem Tisch saß und mit eingezogenem Kopf einen Teller Suppe in sich hinein löffelte. Während er sich bei Neelix anstellte, um ebenfalls eine Portion zu bekommen, beobachtete er seine Kollegin. Marla hatten die Jahre im Deltaquadranten sehr zugesetzt. Von der freundlichen, offenen Person, die er damals im Raumdock kennengelernt hatte, war nichts mehr übrig. Dass sie hier auf der Voyager als Außenseiter behandelt wurden, war nicht gerade hilfreich. Ihn selbst störte es zwar, aber er ließ es nicht an sich heran. Er war es gewohnt, mit seiner Meinung und seinen Ansichten allein zu sein und nur wenige Freunde zu haben, aber für die einst so gesellige Marla musste die Situation furchtbar schmerzhaft sein.
»Hey«, grüßte er sie kurz angebunden, nachdem er seine Portion Suppe bekommen und sich zu ihr gesetzt hatte und sie erwiderte es.
»Lief es heute besser?«, fragte sie, nachdem sie geduldig gewartet hatte, bis er gierig die ersten Löffel Suppe in sich hinein geschaufelt hatte. Er hielt inne und warf ihr einen missmutigen Blick zu.
»Nicht wirklich. Für den Doktor zu arbeiten ist die Hölle. Da war mir unserer lieber, ohne seine ethischen Subroutinen.«
»Sag sowas nicht«, fuhr sie ihm über den Mund, doch Noah fuhr unbeirrt fort.
»Der hat wenigstens gesagt, was er meinte. Dieser hier hält mir den ganzen Tag unterschwellig vor, was für ein Unmensch ich doch bin. Das ist schlimmer als ausgefallene Schallduschen und Notrationen.« Finster widmete er sich wieder seiner Suppe und ging den Tag im Kopf noch einmal durch. Er war ausgebildeter Arzt, deswegen hatte man ihn dem Doktor zugeteilt, allerdings durfte er weniger tun, als eine Krankenschwester. Das Hologramm traute ihm nicht über den Weg, ließ ihn mit keinen Substanzen arbeiten, die irgendwie gefährlich werden konnten und mit Patienten durfte er schon gar nicht arbeiten. Wenn man es genau betrachtete, hatte er in den letzten Tagen ausschließlich nicht relevante Teile des medizinischen Lagers umsortieren dürfen – eine klare Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Mehr nicht. Zum ersten Mal seit Jahren hatte er wieder die Möglichkeit, seinen Beruf richtig auszuüben, die erforderlichen Geräte zu nutzen und nicht nur als Feldsanitäter tätig zu sein, doch der Doktor ließ ihn nicht. Und wahrscheinlich würde es noch Monate dauern, bis Noah ein wenig seines Vertrauens gewonnen hatte, wenn es überhaupt je dazu kommen sollte. Auf der Equinox war nicht alles rosig abgelaufen, aber wenigstens hatte Captain Ransom seinen Wert erkannt. Hier auf der Voyager war er niemand.

Ein paar Minuten später betrat die restliche Crew der Equinox das Casino, ließ sich ebenfalls von Neelix verköstigen und dann steuerten die drei Männer auf Marla und Noah zu. Brian Sofin, James Morrow und Angelo Tassoni. Damit war nun an einer Hand abgezählt, was von Captain Ransoms ehemals knapp 80 Mann starken Crew übrig geblieben war.
»Das Leben hier hat auch seine Vorteile«, sagte Marla, nachdem sie die drei Neuzugänge begrüßt hatte und das Gespräch wieder mal auf ihre aktuellen Lebensumstände gekommen war.
»Spricht jemand mit dir? Siehst du jemanden auf diesem Schiff, der uns nicht ohne zu zögern aus der Luftschleuse schmeißen würde, wenn er die Erlaubnis der ach so tollen Kathryn Janeway bekommen würde?« Noah hielt seine Stimme bedeckt, doch es machte ihn jedes Mal wütend, wenn er darüber nachdachte. »Wir dürfen nichts auf diesem Schiff. Wir arbeiten, essen und schlafen, das ist alles. Jeder Arbeitsschritt wird kontrolliert, als seien wir Kadetten im ersten Semester. Du warst Chefingenieurin, Marla! Und jetzt?«
Sie seufzte, konnte seinem Blick nicht standhalten und starrte wieder in ihre Suppe.
»Ich finde auch, langsam könnten sich alle daran gewöhnen, was wir getan haben. Es wird langweilig immer die gleichen Anschuldigungen zu hören«, stimmte James seinem Kollegen zu. Der hochgewachsene, dürre Mann Mitte vierzig hatte als Wissenschaftsoffizier auf der Equinox angefangen. Nun war er als letzter in der Nahrungskette der wissenschaftlichen Abteilung der Voyager zugeteilt worden. Die Sorgenfalten, die er in den Jahren auf der Equinox entwickelt hatte, ließen ihn beständig grimmig wirken.
»Aber wir sind nicht mehr ständig in Lebensgefahr«, warf Brian ein. »Es gibt Essen und funktionierende Duschen, Gänge, in denen keine zerstörten Träger liegen, saubere Teppiche. Und außerdem kann ich wieder mit meinem Gewissen im Reinen sein.«
Der letzte Satz brachte Noah aus der Fassung. Immer noch geduckt und so unauffällig wie möglich ließ er seinen Löffel in die Suppe plumsen und funkelte den blonden jungen Mann an. »Nicht wieder die Moralpredigt. Voyager zeigt sich so sehr im Glanz der Moral, aber hier schaut niemand wirklich hinter die Kulissen! Ich bin es langsam leid, darüber zu diskutieren.«
Erschrocken von seiner Reaktion nahm Brian sich zurück. »Ist ja gut, entschuldige«, versuchte er es versöhnlich. »Wir sollten uns nicht noch gegeneinander aufhetzen.«
Noah kniff die Lippen zusammen, nickte dann aber und nahm seinen Löffel wieder zur Hand. Das Nesthäkchen hatte ja recht. Brian war der jüngste der Gruppe. Sein erster Einsatz als Sicherheitsoffizier hatte ihn auf direktem Wege in den Deltaquadranten befördert.
»Wie läuft es im Maschinenraum?«, fragte Brian, um ein anderes Thema anzuschneiden und wandte sich damit an Marla und Angelo. Die angesprochenen sahen sich an und knobelten stumm aus, wer antworten sollte. Eigentlich hatte niemand große Lust, darüber zu reden, wie es ihnen bei der Arbeit erging.
»Frag Fähnrich Vorik«, antwortete Angelo schließlich. »Der weiß es am besten, immerhin kontrolliert er zweimal pro Schicht unsere Arbeit. Ich weiß zwar nicht, was an der Katalogisierung von Sensordaten so spannend ist, aber er scheint gefallen daran gefunden zu haben, so genau, wie er sich alles ansieht. Und wehe du hast einen Fehler gemacht.« Der Sarkasmus triefte nur so aus seinen Worten. Marla verdrehte die Augen, blieb aber stumm. Mitfühlend sah Noah sie an. Er ahnte, wie sie darunter litt, vom Chefingenieur zum Crewman degradiert worden zu sein.
»Es ist jedenfalls besser, als täglich stundenlang durch Jeffriesröhren zu kriechen und Primärsysteme reparieren zu müssen, ohne die wir nicht überleben könnten«, widersprach sie dann leise, aber energisch und erntete damit verdrießliche Blicke von Noah, James und Angelo. Nur Brian stimmte ihr nickend zu.
»Habt ihr schonmal darüber nachgedacht, ob ihr überhaupt auf der Voyager bleiben wollt?«, fragte James dann. »Erstmal hatten wir natürlich keine Wahl, aber je länger ich hier bin, desto weniger Lust habe ich, noch fünfzig Jahre auf diesem Schiff zu verbringen.«

Darüber hatte Noah tatsächlich auch schon nachgedacht.
»Ja«, meldete er sich zu Wort. »Schon seit dem ersten Tag hier. Captain Ransom war so erpicht darauf, uns nach Hause zu bringen und schaut, was es uns eingebracht hat.« Er machte eine vage Geste und deutete in den Raum. »Vielleicht ist es lebenswerter, sich hier irgendwo eine neue Existenz aufzubauen, auf irgendeinem schönen Planeten, oder einer Raumstation.«
»Das heißt, wenn wir morgen auf einen M-Klasse Planeten stoßen, würdest du dort bleiben?«, fragte Angelo.
Noah zuckte mit den Schultern. »Vielleicht.«
Brian stütze den Kopf in die Hände. »Meint ihr, Captain Janeway wäre damit einverstanden?«
»Was interessiert mich das?«, knurrte Noah. »Es ist mein Leben, die Frau hat nicht zu entscheiden, was ich damit mache. Solange ich hier bin, können sie und ihr verletztes Ego mich schikanieren, aber niemand hindert mich daran, zu gehen.«
»Dann wärst du irgendwann weit und breit der einzige Mensch im Deltaquadranten«, warf Marla ein. »Würdest du deine eigene Spezies nicht vermissen?«
Er schüttelte den Kopf. »Es kommt immer auf die Umstände an. Gleichgesinnte findet man schließlich nicht nur unter Mitgliedern der eigenen Spezies.«

Eine Weile hingen alle fünf ihren Gedanken nach. Schweigend beobachtete Marla, wie Commander Chakotay das Casino betrat und sich eine Mahlzeit replizierte. Als er an ihrem Tisch vorbeikam, warf er ihr tatsächlich ein schmales Lächeln zu, sagte aber nichts und setzte sich ein paar Tische weiter zu Lieutenant Torres. Resigniert senkte sie wieder den Blick. Sie hatte sich so gut mit dem Ersten Offizier verstanden und nun war sie ihm nicht mal mehr einen Gruß wert. Sie verstand, wieso, sie hatte es selbst verbockt. Wie die Crew sie behandelte, war nur gerechtfertigt.
»Was wäre, wenn wir alle gehen?«, fragte Angelo auf einmal. »Wir könnten uns zusammentun, nach einem Schiff oder anderen Technologien Ausschau halten, die uns schneller zurück zur Erde bringen. Keine unnötigen Forschungsstops, aber auch kein Töten von Lebewesen. Wir wären flexibler ohne Sternenflottenregeln und die Oberste Direktive.«
Noah schien angetan von der Idee, James ebenso. Nur Marla schüttelte entschieden den Kopf, auch, um den Gedanken an Chakotay loszuwerden. »Das wäre nichts für mich. Selbst wenn es im Moment schwer ist, ich glaube, Voyager ist die beste Möglichkeit die wir haben, die Erde wiederzusehen. Und bis dahin gibt es sicher viel Interessantes in diesem Quadranten, das einen Blick wert ist.«
»Tja, nur dass das Objekt deiner Wahl leider keinen zweiten Blick für dich übrig hat«, spottete Noah. Offenbar hatte er sie und Chakotay beobachtet.
»Glaubst du wirklich, ich bin hinter einer Beziehung her?«, giftete Marla zurück. »Es wird schwer genug, hier Freunde zu finden.«
»Wer sagt, dass es gleich eine Beziehung sein muss? Wer weiß, vielleicht hat der gute Commander Bedürfnisse nach sechs Jahren Einsamkeit.«
Mit einem finsteren Blick beendete sie das Thema. Vor sich selbst musste sie zugeben, dass sie Chakotay sehr sympathisch fand und wären die Umstände anders, vielleicht hätte sie sich träumen lassen, dass daraus mehr wurde. Aber die Situation war, wie sie war und sie machte sich lieber keine Illusionen.
»Also, was sagt der Rest dazu«, griff James das vorherige Thema wieder auf. »Wollen wir uns zusammentun und das Schiff bei nächster Gelegenheit verlassen? Wieder Herr über unser eigenes Leben sein?«
Doch niemand antwortete ihm, denn alle Augen waren plötzlich auf die großen Panoramafenster gerichtet. Offenbar hatte die Voyager den Kurs geändert und nun kam eine riesige Raumstation in Sicht. Hunderte Schiffe jeglicher Größe tummelten sich um die Docks und die Station selbst schien mit den Jahren gewachsen zu sein, denn Auswüchse in verschiedenartigen Formen wurden zusammengehalten von metallenen Streben und Übergangsbrücken. Sie wirkte wie eine helle Lichtung im Wald, wo sich das Leben traf, bevor es wieder allein in die unendlichen Weiten des Waldes verschwand.
»Ich schätze, wir können das Schiff früher verlassen, als wir dachten«, murmelte Marla und war sich nicht ganz sicher, warum sie im Plural sprach und sich dazu zählte.
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