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Außenseiter

von Oriane

Kapitel 6

Sie trafen sich kurz vor der Schleuse, jeder mit dem kleinen Bündel Habseligkeiten, das er besaß. Noahs Tasche beulte sich ein wenig mehr aus, er trug den Topf mit sich. James hatte zwei Gepäckstücke dabei und Marla vermutete, dass er darin auch Brians Besitz mit sich trug, da die beiden sich eine Kabine teilten. Das hatten sie vorher so besprochen, denn Brian konnte schlecht seinen Posten nach nur zehn Minuten Dienst verlassen und dann mit Rucksack wieder dort aufkreuzen. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Angelo sah nicht glücklich aus, er hatte die Augenbrauen tief zusammengezogen und sah finster drein. James, der von Natur aus immer etwas unzufrieden wirkte, versteckte das nicht, indem er ein klein wenig lächelte, wie er es sonst zu tun pflegte. Nur Noah war scheinbar freudig aufgeregt. Ihm gefiel es, dass sie dabei waren, der Voyager ein Schnippchen zu schlagen und abzuhauen.
Marla dagegen kämpfte mit den Tränen. Ob es die Erschöpfung der gestrigen schlaflosen Nacht war, oder die Resignation, dass sie ihre gerade gewonnene Sicherheit auf der Voyager wieder gegen das unstete Leben von jemandem, der auf der Flucht war, eintauschen musste, wusste sie nicht. Sie wusste nur, dass bis zu diesem Punkt alles schief gegangen war, was hätte schief gehen können. Ihre ganze Reise durch den Deltaquadranten war ein einziger Reinfall gewesen und sie verfluchte den Tag, als sie auf die Equinox versetzt worden war. Heute mehr denn je. Aber was blieb ihr übrig? Würde sie die Schmach ertragen können, wenn sie auf der Voyager blieb, nachdem sie ein Verbrechen begangen hatten? Sie würde nie wieder irgendwelche Rechte erhalten, nie würde ihr jemand wieder vertrauen. Sie dachte an Neelix und Chakotay. Die beiden waren bereit, ihr entgegenzukommen und sie zog die freundliche Geste durch den Dreck. Wahrscheinlich hatte sie es nicht besser verdient.

Die vier sahen sich noch einmal eindringlich an, dann nickte Noah und sie setzten sich gerade in Bewegung, da schallte ein Ruf aus Marlas Kommunikator. »Captain Janeway an Gilmore, bitte melden Sie sich in meinem Bereitschaftsraum.«
Starr vor Schreck hielten sie an. Keiner traute sich auch nur ein Wort zu sagen, bis James anfing wild in Marlas Richtung zu gestikulieren. Der Captain erwartete schließlich eine Antwort.
»Crewman Gilmore?
Marla räusperte sich. »Verstanden, Captain, ich bin unterwegs.«
Wütend hob Noah die Arme, als wolle er sagen, „was soll das denn bitte?“
»Was denn?«, flüsterte Marla eindringlich. »Was hätte ich denn sagen sollen? Entschuldigung Captain, wir stehlen gerade ein wertvolles Objekt und fliehen vom Schiff?«
Ihre letzten Worte wurden unterbrochen von einem erneuten Ruf, diesmal aus James Kommunikator. Wieder war es Captain Janeway und wieder erschraken alle vier so heftig, dass sie beinahe ihr Gepäck fallen ließen. Auch James wurde in den Bereitschaftsraum beordert und auch er bestätigte den Ruf. So ging es weiter, in kurzen Abständen meldete sich Janeway noch bei Noah und Angelo.
»Was jetzt?«, fragte Letzterer leise und eindringlich.
»Keine Ahnung«, flüsterte James. »Meint ihr, wir sind aufgeflogen?«
»Quatsch«, konterte Noah. »Wer weiß, was die Hexe wieder will. Lasst uns jetzt gehen, wir haben Brian schon lang genug warten lassen!«
Wie auf Kommando tauchte der fünfte im Bunde hinter der Ecke auf, an der sie standen und zum dritten mal fuhr allen der Schreck in die Glieder.
»Brian!«, beschwerte sich James.
»Was denn?«, zischte er zurück. »Ich konnte nicht auf meinem Posten bleiben, Captain Janeway will mich sehen.«
»Uns auch«, erklärte Marla die Situation kurz und knapp.
»Uns alle? Das kann ja nur etwas schlechtes zu bedeuten haben.«
»Nicht unbedingt.«
So ging es eine Weile hin und her. Noah bestand darauf, den Plan wie besprochen durchzuführen, wurde aber von allen anderen überstimmt. Wenn der Captain einen zu sich beorderte, dann folgte man dem Befehl, egal, ob man gerade dabei war, vom Schiff zu flüchten, oder nicht. Zumindest spielten sich diese Gedanken in den Köpfen der vier ab. Sie wussten alle, dass Noah nochmal eine besondere Beziehung zu Captain Janeway hatte. Er schien noch viel größeren Hass gegen sie zu hegen, als die anderen, aber er hatte ihnen nie erzählt, warum.
Letztendlich siegte die kollektive Mehrheit und sie kehrten um in Richtung Brücke. Zwischendurch gingen sie an James‘ und Brians Quartier vorbei und versteckten dort die gepackten Reisetaschen. Dann teilten sie sich auf. Zuerst ging Marla, dicht gefolgt von James. Nach etwa zwei Minuten machten sich Angelo und Noah gemeinsam auf den Weg und noch eine Minute später verließ Brian das Quartier.
Schließlich trafen sie sich alle in Janeways Bereitschaftsraum wieder und taten so, als seien sie überrascht, ihre Kollegen dort anzutreffen.

Marla war die Zeit ewig vorgekommen, bis sie alle wieder an einem Ort versammelt waren. Im Bereitschaftsraum wurden sie neben Captain Janeway auch von Chakotay erwartet, der ihr freundlich und beruhigend zunickte. Sie musste furchtbar aussehen. Tiefe Ringe unter den Augen und dazu verschreckt wie ein scheues Reh, obwohl sie sich größte Mühe gab, sich diesen Teil ihrer Emotionen nicht anmerken zu lassen. Janeway hatte noch nicht preisgegeben, warum sie dieses Treffen anberaumt hatte, nur etwas vom Replikator hatte Marla angeboten bekommen, was sie dankend abgelehnt hatte, und eine kurze Notiz, dass sie noch auf die anderen der Equinox-Crew warten würden. Marla hoffte, dass sie sich angemessen überrascht gegeben hatte, doch nichts an Janeway verriet, dass sie etwas von dem Plan der Fünf wusste.
Schließlich standen sie alle nebeneinander und in angedeuteter Haltung vor dem Captain, während Chakotay es sich in der Sofaecke des Raums gemütlich gemacht hatte und das folgenden neugierig beobachtete.

»Gut, nun da Sie alle hier sind«, begann Janeway ihre kleine Rede, »kann ich mitteilen, dass ich heute gute Nachrichten für Sie habe. Sie sind jetzt zehn Tagen wieder an Bord der Voyager und wie ich bei ihrer erneuten Ankunft sagte, Sie haben unser aller Vertrauen missbraucht und müssen es sich erst wieder hart erarbeiten.«
Marla spürte, wie Noah sich neben ihr anspannte. Er schien sich sehr zurückhalten zu müssen, nicht einen unangebrachten Kommentar dazu abzugeben.
»In den letzten zehn Tagen hat ausnahmslos jeder von Ihnen beispielloses Verhalten gezeigt. Ich habe keinerlei Beschwerden gehört. Sie scheinen sich langsam auf der Voyager einzuleben und das möchte ich Ihnen Stück für Stück erleichtern, wenn es weiterhin keine Probleme geben sollte. Commander Chakotay hat mich davon überzeugt, dass es Zeit ist, Ihnen ein Stück entgegenzukommen.« Bei diesen Worten warf sie ihrem Ersten Offizier einen kurzen, vielsagenden Seitenblick zu. Marla konnte hören, dass es ihr schwerfiel, diese Worte auszusprechen, musste aber auch zugeben, dass sie überrascht war. Nun kam es darauf an, wie groß der Schritt wirklich war, den sie ihnen entgegenkam.
»Die tägliche Kontrolle Ihrer Arbeit wird aufgehoben. Ab heute wird Ihre Arbeit nur noch einmal in der Woche von ihrem vorgesetzten Offiziere durchgesehen und auch nicht mehr in dem Ausmaß, in dem es bisher geschehen ist. Sie bekommen wieder Autorisationscodes zu unkritischen schiffsweiten Systemen, um selbstständiger arbeiten zu können. Es ist ein kleiner Schritt, ich weiß«, setzte sie hinzu, da sich die offene Begeisterung der Fünf in Grenzen hielt. »Aber ich hoffe, dass wir mit der Zeit immer mehr solcher kleiner Schritte unternehmen können, bis Sie wieder vollständig die Rechte eines Crewman der Voyager innehaben. Es ist nicht meine Absicht, Sie für die Jahrzehnte, die wir noch bis zur Erde vor uns haben, wie Verbrecher zu behandeln, wenn Sie sich entsprechend verhalten.«
Marla wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, also nickte sie nur kaum merklich. Sie sah Janeway dabei nicht in die Augen. Gleichzeitig fiel ihr ein Stein vom Herzen. Der Captain hatte den Befehl gegeben, ihre Arbeit nicht mehr täglich zu kontrollieren, das bedeutete, dass Vorik ihr PADD in voller Absicht am heutigen Tag noch nicht angefasst hatte. Und das wiederum bedeutete, dass sie nicht fürchten musste, entdeckt zu werden. Zumindest nicht heute. In ihrem Kopf rotierten die Fragen, nachdem sie vor ungefähr zwanzig Minuten noch in der vollen Absicht, das Schiff sofort zu verlassen, ihre Tasche gepackt hatte. Nun stellte Janeway ihr eine normale Zukunft auf der Voyager in Aussicht. Natürlich hatte sie erwartet, dass es mit der Zeit besser werden würde, aber jetzt war es doch schneller geschehen, als sie gedacht hatte. Vielleicht, wenn Sie sich weiter so verhielt, wie bisher, würde es in wenigen Wochen eine viel angenehmere Reise sein als jetzt. Ihr fiel ihre Verabredung mit Chakotay wieder ein, die sie über all die Fluchtgedanken ganz vergessen hatte.
»Ich hoffe, Sie sind alle damit einverstanden«, hakte Janeway nach, als die Reaktion so knapp ausfiel.
Alle Fünf verfielen in ein erschrockenes »Ja, Captain!«, das Janeway zum Glück als Reaktion ausreichte.
»Gut. Damit sind Sie alle entlassen, bis auf Mr. Lessing. Ich würde Sie gerne unter vier Augen sprechen.«
Es blieb ein merkwürdiger Tag. Nach Janeways Ansprache war für alle klar, dass eine Flucht nicht in Frage kam, zumindest nicht heute. Und nachdem Marla den anderen ihre Erkenntnis bezüglich des Eintrags im Katalog mitteilte, kehrte auch allgemein wieder mehr Ruhe bei allen ein. Sie warteten noch kurz auf Noah, aber nach wenigen Minuten entschieden Sie, dass es wohl länger dauern würde und fuhren mit dem Turbolift wieder hinunter in den Bauch des Schiffes. Ohne viele Worte machten sich alle auf dem Weg in ihre Abteilungen.

Mittlerweile war die Arbeit im Frachtraum in vollem Gange. Niemand hatte Marlas PADD angerührt, das noch auf einem der Tische lang, exakt so, wie sie es verlassen hatte. Diesmal war Marla sich sicher. Zögerlich hob sie es auf und wog es in der Hand. Sie erschrak ein wenig, als Vorik auf sie zukam und sie ansprach. »Crewman Gilmore, ich nehme an, Captain Janeway hat sie informiert?«
Marla nickte.
»Das hier ist der Schlüssel zum Katalog im Schiffscomputer.« Er nannte ihr eine kurze Kombination aus Buchstaben und Zahlen. »Sie dürfen Ihre Ergebnisse von gestern selbst eintragen.«
»In Ordnung, Sir«, antwortete sie beflissen und konnte es immer noch nicht glauben. Sie waren heil aus dem Schlamassel wieder herausgekommen.

Am Abend traf sich die kleine Gruppe wie üblich im Casino, doch alle waren ungewöhnlich schweigsam. Die geheimnisvolle, verbotene Aufbruchstimmung war verschwunden und hatte einer seltsamen Resignation Platz gemacht. Nachdem sie schweigend ihr Essen verzehrt hatten, ergriff schließlich James das Wort. »Und, was denkt ihr?«
Marla dachte an den zurückliegenden Tag, an den Code, den Vorik ihr gegeben hatte und an das Mittagessen mit Chakotay. Es hatte sich fast angefühlt wie ein normaler Tag auf einem Raumschiff im Alphaquadranten. Die Besucher waren heute vom Schiff verbannt worden, da die Voyager ihre Weiterreise geplant hatte. Und in der Gesellschaft des Ersten Offiziers hatte Marla sich beinahe wieder wie ein normales Wesen gefühlt. Es war unbeschwert gewesen, sie hatten viel über Belangloses geredet und gelacht. Das Thema Equinox hatten sie nicht angeschnitten, das würden sie ein andermal tun. Noch war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Zwar gab es immer noch misstrauische Blicke auf dem Gang und niemand setzte sich im Casino zu ihnen an den Tisch, aber heute war Marla im Frachtraum dem schüchternen Blick von Tal Celes mit einem Lächeln begegnet und es war eine kurze, aber freundliche Unterhaltung daraus entstanden.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte Marla. »Niemand weiß von dem Topf. Wir können damit tun, was wir wollen. Aber was mich angeht, ich denke nicht, dass ich das Schiff verlassen werde.«
»Ich auch nicht«, pflichtete Angelo ihr bei, ohne einen Grund zu nennen.
Brian schüttelte nur den Kopf, um seine Zustimmung auszudrücken. James und Noah weigerten sich es zuzugeben, aber keiner fragte weiter nach. Für Marla stand fest, es gab nicht mehr nur sie fünf. Sollten Noah und James sich letztendlich doch entscheiden, die Voyager zu verlassen, gab es für sie keinen Grund mehr, sich dem bedingungslos anzuschließen.
»Was wollte Janeway eigentlich noch von dir?«, fragte Marla schließlich in Richtung Noah. Er starrte eingesunken auf seinen Teller und brauchte eine Weile, um zu antworten. »Sie wollte sich entschuldigen. Ihr wisst nichts davon, aber sie hat während der ganzen Eskalation um die Equinox etwas getan, das eigentlich nicht entschuldbar ist, ohne an dieser Stelle zu sehr ins Detail zu gehen. Jedenfalls wollte sie klarstellen, dass sie damals die Linie ganz klar überschritten hat und dass ihr bewusst ist, dass so etwas nie wieder passieren darf.«
»Was hast du ihr geantwortet?«
»Dass ich ihr vielleicht irgendwann verzeihen kann.«
Eine vielsagende Stille breitete sich zwischen ihnen aus. Die Worte „vielleicht“ und „irgendwann“ waren welche, die sie alle in den letzten Tagen viel zu häufig gedacht hatten.
»Was machen wir mit dem Topf?«, fragte James schließlich.
»Ich bin dafür, wir behalten ihn«, meinte Noah. »Er liegt gut versteckt in unserem Quartier, da kann er erst einmal bleiben.«
Wieder kollektive Zustimmung. Zwar sagte Marlas Vernunft, dass sie den Topf zurückstellen und einfach noch einmal katalogisieren sollten, doch die kleine misstrauische Stimme in ihrem Kopf war diesmal stärker. Das Vertrauen war nicht nur von Janeways Seite noch lange nicht wieder vollständig zurückgekehrt. Da war es immer besser, einen Notfallplan in der Hand zu haben.
Ein leichter Ruck durchs Schiff und die ehemalige Equinoxcrew sahen durch die Panoramafenster, wie sich die Voyager langsam aber sicher von der Raumstation entfernte.
Aus Zeit- und Motivationsgründen ist diese Geschichte kürzer ausgefallen, als ich eigentlich wollte. Meinem Gefühl nach hätte ich mehr aus dem Plot machen können, aber ich bin mit dem Endergebnis trotzdem ganz zufrieden. Ich hoffe, ihr hattet Freude am lesen. Vielen Dank euch :)
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