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XIII Eine Reifeprüfung

von Racussa

Nackt baden

Der Schrei eines Falken durchtönte die Nacht. Icheb hatte die zwei benützten Dessertteller gestapelt.

„Es ist schade um die Tarte. Du hast dir da wirklich viel Mühe gegeben.“, meinte Jono mit Blick auf den erst zur Hälfte verzehrten Kuchen.

„Heute ist wohl nicht der richtige Abend für zwanglose Konversation. Ich werde leise das Geschirr hineinstellen und dann nach oben gehen. Kommst du mit?“

Jono schüttelte den Kopf. Er zögerte ein wenig, dann sagte er: "Ich kann nicht hineingehen.“

Icheb war verwundert und hielt den Kopf schräg, während der Falke ein weiteres Mal schrie. „Wir haben doch weder mit Wesley noch mit Duncan gestritten. Es ist wahrscheinlich sogar so, dass die beiden schon schlafen. Schließlich haben wir jetzt über drei Stunden hier bei der Tarte gesessen und die Sterne sowie das Meer betrachtet. Du brauchst ja nur zu Wesley zu gehen und dich in deine Schlafhöhle zu legen. Ich muss mich zu Duncan in Doktor Crushers Zimmer schleichen, in dem ich vorher noch nicht war, und muss dort ein Bett finden.“

„Ich kann nicht hineingehen.“, wiederholte Jono nun bestimmter. Er trank noch einen Schluck Limonade.

„Wegen Wesley?“, fragte Icheb noch verwirrter.

Jono schüttelte den Kopf: „Nein, wegen seiner Mutter. Sie liegt im Wohnzimmer und schläft auf der Bank beziehungsweisediesem risanischen Pölsterhaufen.“

„Na und? Wir werden ja nicht viel Lärm machen, wenn wir durch das Zimmergehen. Das Geschirr können wir ja auch morgen abwaschen.“

„Ich gehe nicht durch ein Zimmer, in dem eine Frau schläft.“ stellte Jono fest, stand auf und ging an das Geländer des Balkons.

„Wieso das?“, fragte Icheb erstaunt. „Ich bin sicher, dass Doktor Crusher ein adrettes Nachthemd anhaben wird, wahrscheinlich hat sie auch noch eine Decke, die sie zudeckt. Du wirst also nicht mehr von ihrem Körper sehen als beim Schwimmen, eher sogar weniger.“

Jono schüttelte vehement den Kopf: „Nein, in meiner Heimat wäre es absolut undenkbar, dass Männer durch Zimmer gehen, in denen Frauen schlafen. Ich werde noch eine Runde schwimmen, es ist warm genug und das Wasser speichert die Wärme noch besser als der Smaragdsand. Und dann bastle ich mir einen Unterstand und schlafe am Strand. Morgen vor dem Frühstück in ich da; bereit, beim Aufdecken und Kochen zu helfen. Du wirst gar nicht merken, dass ich heraussen geschlafen habe. Wir Talarianer haben zu vielen Gelegenheiten im Freien zu schlafen, da ist das hier geradezu ein Kinderspiel.“

Icheb stellte das Geschirr ab und begab sich neben Jono, um aufs Meer hinaus zu blicken. „Du weißt schon, dass das sehr seltsam aus deinem Mund klingt? Du bist genetisch gesehen ein Mensch. Warum dominiert deine kulturelle Prägung durch deine Entführer deine Abstammung?“

Jono grinste, während er sein Hemd aufknöpfte. „Das fragst du gerade? Bist du Brunali oder BORG?“

„Was für eine törichte Frage. Ich bin beides.“

Jono zuckte kurz zusammen, als der Falke im Sturzflug an ihnen vorbeizog.

„Du bist also beides; und lebst jetzt bei den Menschen und studierst auf der Erde. Irgendwie bist du wohl weder gern Brunali noch gerne BORG, aber ich bin gern Talarianer, ich finde darin Erfüllung und Genugtuung. Und hätte nicht mein Vater Endar gewünscht, dass ich etwas Zeit auf der Erde zur Ausbildung verbringe, wäre ich jetzt immer noch an seiner Seite, würde Wälder und Felder durchstreifen, Abenteuer erleben und nach Herzenslust das Leben genießen.“

Icheb überlegte intensiv, ihm fiel aber vorerst nichts ein. Erst zögerlich sagte er: „Ich vermisse das Kollektiv mehr als meine Eltern, die mich als Biowaffe gezüchtet und eingesetzt haben. Und ich vermisse ein bisschen die Voyagercrew, am meisten Seven of Nine. Sie hatte Verständnis für mich, wo die anderen nur Abscheu oder Neugier gegenüber der Brunalidrohne zeigten, auch nachdem ich aus dem Kollektiv gelöst war. Ich bin deshalb gerne bei den Menschen, weil sie mutig sind. Die Brunali haben mich aus Angst vor den BORG gezüchtet, die BORG assimilieren aus Angst vor dem Anderen alles, was lebt. Nur die Menschen sind mutig, unendliche Vielfalt in mannigfachen Kombination zu akzeptieren, Neues als solches zu erproben und mutig selbst jahrhundertealte Probleme zu lösen. Deshalb fühle ich mich wohl auf der Erde, bei Duncan, bei Wesley und bei Doktor Crusher. Und bei Professorin Nåmè.“

Jono hatte sich inzwischen ausgezogen und sein Gewand ordentlich gefaltet neben einen der Steher gelegt.

„Naja, dann wirst du aber noch einige Jahre brauchen, bis du von den Menschen abfärbst. Denn recht mutig bist du nicht. Denk doch daran, dass du sogar beim Schwimmen deine Uniform angelassen hast.“

Jono sprang ins Wasser und jauchzte leise, was der im Dunkeln kreisende Falke mit einem scharfen Schrei beantwortete. Jono stand im brusttiefen Wasser unterhalb des Balkons und schaute zu Icheb hinauf.

„Na, von jemandem der Angst hat, durch ein Zimmer zu gehen, in dem Doktor Crusher schläft, muss ich mir keine Erläuterungen zu Mut und Feigheit anhören.“, sagte Icheb, nahm die Teller auf und ging durch das Nanonetz ins Haus.

Jono schüttelte den Kopf und begann, ins offene Meer hinauszuschwimmen. In seinem Rücken zog der Falke immer engere Kreise um den Balkon, landete schließlich auf dem Tisch und begann genüsslich, seinen Schnabel in die Fruchttarte zu versenken.

Jono schwamm und schwamm und genoss das Gefühl des Wassers, das ihn umschloss. Obwohl es inzwischen absolut dunkel war und er nicht sehen konnte, was unter und was über ihm war, so fühlte er doch eine tiefe Einheit mit der Natur. Das nackt Baden gab ihm den Eindruck, er wäre eins mit dem Wasser, das jede Zelle seiner Haut umspülte.

‚Wenn ich ein Fisch wäre, könnte ich bis zum Grund des risanischen Ozeans tauchen.‘ ging es Jono durch den Kopf. ‚Und wäre ich ein Falke, stünde mir der ganze Himmel zur Verfügung.‘

Jono schwamm weiter und weiter.

‚Meine menschlichen Eltern? Was weiß ich schon über sie. Außer ein paar alte Holoaufnahmen habe ich keine Erinnerungen an damals. Aber Endar? Er war mir Vater und Mutter zugleich, und Großvater und Großmutter. Er hat mich aufgerichtet, wenn ich gestolpert bin. Er hat mir Salbe auf die Wunden gestrichen, wenn ich wieder zerschürft von einer Klettertour zurückkam, oder zerschlagen von einer Rauferei. Er hat es nie ausgesprochen, aber er hat in gewisser Weise Scham dafür empfunden, dass ich nicht so robust war wie die geborenen Talarianer. Aber ich habe es ihm bewiesen, ich habe es allen bewiesen, dass ich jede Grenze überwinden, jeden Schmerz aushalten und jede Verletzung verheilen lassen kann. Wille besiegt Abstammung.“

Jono spürte etwas Weiches, Nestelndes an seinen Beinen. Es war viel zu dunkel, um etwas zu erkennen, aber das Gefühl war seltsam. Wie seidenweiche Tentakeln einer Qualle.

‚Ich habe keine Angst.‘ Jono schwamm weiter, machte aber schließlich einen Bogen, um wieder zum Strand zurück zu kommen. Das Außenlicht der Strandhütte brannte noch, weshalb er erkannte, dass er sehr weit draußen war. ‚Gibt es hier Strömungen, die mich weiter hinausgetrieben haben, als ich geschwommen bin?‘

Jono ließ sich noch nicht beirren ‚Angst ist der kleine Tod. Die Angst tötet die Vernunft.‘ hatte Endar ihm aus den alten heiligen Texten oft vorgelesen. Auch nach einer Zeit des Schwimmens schien ihm das Haus nicht viel nähergekommen zu sein. Wenigstens waren die Tentakel nicht mehr zu spüren. Jono änderte seine Taktik. Er versuchte nun, nicht mehr direkt auf das Haus zu zuschwimmen, sondern zu erspüren, wie die Wellen schwangen. Ein Vorteil des Nacktbadens war, dass jede Faser seines Körpers Jono nun bei der Orientierung dienen konnte. Er hielt inne und erspürte einfach das Wasser.

Die Strömung zog ihn nach Links. Mit diesem Wissen setzte er die neuen Züge, er schwamm selbst Richtung Links, mit der Strömung, aber leicht schräg versetzt, so dass er zwar immer weiter vom Haus wegkam, aber doch gefühlsmäßig näher zum Strand.

'War das wieder der Schrei des Falken? Kreist der Vogel über mir?' Jono beschloss, dem Vogel keine unnötige Aufmerksamkeit zu gönnen. Er war durch das talarianische Training bei guter Kondition, aber er merkte, dass er langsam müde wurde, zumindest erschöpft.

‚Angst ist der kleine Tod‘ wiederholte er monoton, während er einen Zug nach dem anderen setzte. Obwohl das Wasser kühler wurde, trieb ihm die Anstrengung Schweiß auf die Stirn. Das Haus war irgendwie aus dem Blick und das Dunkel ließ nicht recht zu, mithilfe der Umrisse der Palmen die Nähe zum Strand abzuschätzen. Aber ein anderes, schwaches Glimmen am Strand zog seine Aufmerksamkeit an. Irgendwie schien es der Falke zu sein, der ihn mit seinen Rufen dorthin lockte. Jono hielt wieder inne. Er musste eine Pause einlegen, wenn er sich nicht völlig erschöpfen wollte. Das schwarze Wasser rund um ihn wogte sanft, gab aber keinen Laut von sich. Als er sich wieder abstoßen wollte, spürte er plötzlich unter seinem Unterschenkel etwas Festes.

Eine kurze Schrecksekunde lang dachte er an Barrakudas und Baranaras, an talaritische Schwertrochen und irdische Koboldhaie.

‚Der Angst ist der kleine Tod.‘ Jono drehte sich vorsichtig im Wasser um, aber in der Finsternis war nichts zu sehen. Ein anderes talarianisches Sprichwort fiel ihm ein: ‚Der Angreifer stirbt wenigstens mit Würde, den Feigen fressen hämisch lachend nur die Würmer.‘ Mit einem geschickten Sprung, für den er alle seine Kräfte zusammenzog, tauchte Jono in die Tiefe, um das vermeintliche Ungeheuer zu stellen, nur um zu bemerken, dass es smargadsandbedeckter Boden war, den sein Fuß gestreift hatte.

‚Eine Sandbank?‘ Jono tauchte auf, lachte aus vollem Herzen und stellte sich auf den Boden. Das Wasser ging ihm nur mehr bis zum Bauchnabel. ‚Deshalb verwenden sie Luftkissenboote und keine richtigen Kähne.‘

Er atmete dreimal tief durch. Erst jetzt, in der relativen Entspannung merkte er, wie verkrampft sein linkes Bein schon war. Auch die Kraft in seinen Armen war ziemlich erschöpft. ‚Wenn es nicht sein muss, schwimme ich nicht zurück, sondern gehe.‘

Vorsichtig setzte er in der Dunkelheit einen Schritt vor den anderen. Immer das schwache Glimmen am Ufer im Blick und mehr und mehr Kraft aufwendend, nicht von den Uferwellen zurückgeworfen zu werden. Mit einigen höheren und tieferen Stellen – einmal ging ihm das Wasser wieder bis zum Hals, einmal nur mehr bis zum Knie, dann wieder hüfthoch – kam er schließlich am Strand an.

Völlig erschöpft ließ Jono sich in den Sand fallen und sog die kühle Abendluft ein.

Als eine kleine Krabbe ihn zwickte, sprang er erschrocken auf. ‚Vielleicht hatte Icheb recht, nicht nackt zu baden. Kleidung schützt vor Krabben.‘

Jono ging den dunklen Strand höher hinauf, das Rauschen des Meeres war stärker geworden und auch die Kraft der brechenden Wellen hatte zugenommen, so dass man jetzt auch schwach leuchtende Schaumkronen wahrnehmen konnte. Das mysteriöse Glimmen, dem Jono gefolgt war, stellte sich als blätterverhangener Eingang zu einer Höhle dar, aus dem ein kleines Rinnsal warmen Wassers träufelte.

‚Ist das die berühmte Grotte? Dann bin ich zwei Kilometer vom Haus entfernt.‘

Der Wunsch, zurückzugehen, und die Neugierde auf das Innere dieser Höhle kämpften in Jono, doch siegte schließlich die Neugierde. Vorsichtig, um sich an den Felsen nicht zu schneiden, stieg er über den Rand der Höhle in das Innere und fand das beschriebene Becken vor. ‚Das Prospekt hat nur gesagt, man soll nicht mit Personen hier hereingehen, mit denen man keinen zu engen Kontakt haben möchte, aber ich bin ja allein.‘ dachte sich Jono, bevor er bis zum Hals in das wohlig warme Wasser eintauchte, das von den seltsam glimmenden Steinen von oben und unten erleuchtet wurde.

‚Seltsam, ich fühle nichts.‘ dachte Jono, der nach dem kühlen Meer einfach das warme Wasser genoss. Ob es Duncan und Beverly wirklich nur durch das Wasser so erwischt hatte?
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