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Die Hoffnung des Abschieds

von Martina Bernsdorf

Kapitel 1

Für Jutta

Die sanfte Brise, die von den Bergen in das Tal wehte, war mild und glitt wie eine streichelnde Hand über das graue Fell des Springers. Die längeren Fellhaare bewegten sich wie das Schilf am Rand des kleinen Sees, und das Tier legte kurz die großen Ohren an, ehe es sich wieder seiner wichtigsten Beschäftigung widmete – dem Fressen. Der Winter war noch fern, aber Springer waren eine vorsichtige Rasse, sie begannen früh damit, Vorräte in ihren unterirdischen Höhlen anzulegen.
Kira verlagerte ihr Gewicht behutsam, dennoch erhob sich das kleine Nagetier sofort auf die Hinterbeine, seine Nase und Barthaare zuckten, und ein schriller Pfiff ließ überall um Kira herum graubefellte Nager in ihre Löcher springen. Binnen Sekunden war die gesamte kleine Herde verschwunden.
Kira seufzte leise. Sie konnte den Springern ihre Flucht nicht verübeln, in früheren Zeiten war oft einer der kleinen Nager, über der Flamme ihres Lagerfeuers geröstet, ein kärgliches Abendmahl gewesen. In der Zeit des Widerstandes waren die Springer oft das einzige fleischliche Nahrungsangebot, das sich den Rebellen in den kargen Bergen bot.
Es kam Kira vor, als sei seitdem eine Ewigkeit vergangen.
Sie erhob sich aus ihrer liegenden Position und klopfte Staub und einige Gräserpollen von ihrer Uniform. In gewisser Weise war es auch eine Ewigkeit, die vergangen war, seit sie hier in den Bergen Springer gejagt hatte und selbst gejagt wurde, als Widerstandskämpferin gegen die cardassianische Besatzung.
Alles schien so fern, so, als sei inzwischen mehr als ein Leben vergangen, dabei waren es nur ein paar Jahre.
Kira erhob sich und ging langsam zum See. Große, graue Findlingsteine ragten hier und da am Ufer empor, umhüllt von hohem biegsamem Schilf.
Wie lange war es her, seit sie das letzte Mal hier gewesen war?
Es war vor dem Krieg gewesen.
Eine leise, höhnische Stimme in ihr fragte, vor welchem Krieg, denn sie hatte mehr als genug Kriege erlebt.
Es war vor ihrer Ernennung zum Colonel gewesen, bevor der Konflikt mit dem Dominion sich zum Krieg ausgewachsen hatte, zum gewaltigsten Krieg, der diesen Quadranten je heimgesucht hatte.
Jetzt war er vorbei.
Kira blickte auf die Wasseroberfläche. Die sanfte Brise von den Bergen genügte nicht, um sie nennenswert zu kräuseln. Hier und da trieben einige Blätter auf dem tiefblauen Wasser.
Blätter, keine Kirschblüten, wie einst, als sie hier mit Bareil den kurzen Sommer ihrer Liebe genossen hatte.
Kira schloss kurz die Augen und riss sie dann wieder auf, sie wollte nicht in Erinnerungen daran versinken. Sie wollte nicht diese rasche, einfache Flucht in Zeiten, die schöner gewesen waren.
Waren sie wirklich schöner gewesen? Auch diese innere Stimme war höchst unwillkommen und ärgerte Kira.
Es war eine Zeit gewesen, wo sie selbst so voller Zorn gewesen war, wo die Erinnerungen an die cardassianischen Grausamkeiten so frisch gewesen waren, wo die Angst um die Zukunft Bajors stetig in ihrem Herzen geschlagen hatte.
Doch es war auch eine Zeit gewesen, in der sie nicht allein gewesen war. Es war eine Zeit gewesen, wo sie ihre Ängste mit Bareil hatte teilen können, und vielleicht hatte dies alles geändert.
Jetzt war sie allein.
Kira starrte auf ihr Spiegelbild.
Seit sie das letzte Mal ihr Spiegelbild in diesem Wasser betrachtet hatte, waren Jahre vergangen. Die Zeit war, oberflächlich betrachtet, gnädig zu ihr gewesen, es zeigte sich nur hier und da eine schmale Falte, die früher nicht dagewesen war. Ihr Haar war noch immer so rot wie früher, nur in ihren Augen schien nicht mehr derselbe Glanz zu wohnen. Sie wirkten matt und müde, und Kira fühlte sich auch genauso - müde, unendlich müde.
Der Krieg war vorbei, und alle, die ihr etwas bedeutet hatten, waren gegangen.
Ein spöttisches Lächeln kräuselte ihre Lippen, es schien Kira, als wollte ihr Spiegelbild sie verspotten, und vielleicht verdiente sie diesen Spott auch.
Sie sollte eigentlich zufrieden sein.
Bajor war frei.
Die Cardassianer waren viel zu sehr damit beschäftigt, ihr Reich wieder aufzubauen und sich von der Besatzung des Dominions zu erholen, als dass sie eine Gefahr dargestellt hätten. Im Gegenteil, sie waren zumindest momentan auf das Wohlwollen anderer Völker und Planeten angewiesen, und Bajor zeigte sich großzügiger, als es Kira lieb war. Ein Teil von ihr sehnte sich immer noch nach Rache, ein Teil, den sie tief begraben wähnte und der doch immer wieder darum kämpfte, ihr Herz zu vergiften.
Man baute an der großen, glorreichen Zukunft von Bajor.
Auch dieser Gedanke war von Zynismus geprägt, und Kira schlug mit der flachen Hand auf die Wasseroberfläche. Kleine Wellen schwappten, ihr Spiegelbild zerfiel bei diesem winzigen, künstlich erzeugten Sturm. Kurz kam die ruhige, kleine Welt, die dieser See bedeutete, in Unordnung, ehe sich alles wieder in seinen Urzustand fügte und auch Kiras Zorn wieder abebbte.
Warum war sie so zynisch?
Sie blickte in die fragenden, müden, nachtschwarzen Augen ihrer Spiegelung. Warum konnte sie nicht einfach daran glauben, dass nun die Zeit des Kampfes vorbei war und die Zeit begann, in der Bajor endlich Ruhe und Frieden fand?
Vielleicht, weil sie nie etwas anderes als Kampf gekannt hatte, vielleicht, weil sie selbst nicht Ruhe und Frieden fand.
Sie hatten den Krieg gegen das Dominion gewonnen.
Es war ein harter, langer, verlustreicher Kampf gewesen.
So viele Verluste, so viele persönliche Verluste.
Hätte man Kira vor Jahren prophezeit, als sie noch im Widerstand kämpfte und der Tod ein stetiger Begleiter gewesen war, vertrauter als ein Familienangehöriger, dass sie einmal Colonel und Befehlshaberin der Raumstation, die damals noch Terok Nor geheißen hatte, sein würde, hätte sie gelacht oder denjenigen für verrückt erklärt, der solche Witze mit ihr riss.
Später, als die Cardassianer vertrieben worden waren und sie als widerwilliger Verbindungsoffizier zwischen Bajor und der Föderation zum Ersten Offizier von Deep Space Nine bestellt worden war, hatte sie sich gewünscht, einmal selbst diese Station zu befehligen. Hatte sie sich gewünscht, dass eine Bajoranerin die Herrin über das einstige Terok Nor sein würde, statt eines Föderationsoffiziers.
Sie hatte am Anfang Sisko verabscheuen wollen, und jetzt, jetzt sehnte sie sich danach, ihn wieder auf DS9 zu sehen. Ihn seinen albernen Baseball in den Händen halten zu sehen und nicht allein zu sein.
Doch Sisko war tot.
Ein Opfer mehr in diesem Krieg gegen das Dominion und gegen die bösen Geister, die danach trachteten, Bajor zu übernehmen. Im Grunde konnte man dem Dominion nicht einmal einen Vorwurf wegen Siskos Tod machen, er war eindeutig für Bajor gestorben, um die bösen Pah-Wraith-Geister zu bannen.
Der einzige Trost war, dass er nun bei den Propheten weilte. Nur tröstete dies Kira wenig. Er war der Abgesandte gewesen, er war ihr Freund gewesen, und nun war er vergangen, wie all die anderen.
Alles schien auseinanderzubrechen.
Sisko war tot.
Kasidy und Jake Sisko waren zurück zur Erde geflogen, und niemand wusste, ob sie zurückkehren würden. Sie fühlten nicht diese eindeutige Bindung zu Bajor, die Benjamin Sisko so sehr erfüllt hatte. Kira fragte sich, ob je das Haus auf Bajor entstehen würde, das Benjamin sich gewünscht hatte. Er hatte ihr das Modell gezeigt, diese akribische Arbeit an einem Traum, der sich nun für ihn nie mehr erfüllen würde.
Die Föderation war noch immer präsent, Ezri und Bashir waren noch auf der Station, es gab noch ein paar bekannte Gesichter, es gab noch ein paar Freunde. Doch viele waren es nicht mehr.
Miles O´Brien war seiner Familie zur Erde gefolgt und würde dort bleiben.
Sie fühlte sich unsagbar allein.
Bareil war tot.
Ihr Beziehung zu Shakaar gescheitert.
Furel und Lupaza waren auf DS9 gestorben, weil sie nicht fähig gewesen war, sie zu beschützen.
Jadzia war tot. Und auch wenn Ezri Dax die Erinnerungen von Jadzia besaß und Kira sich als Freundin der jungen Trill sah, war es nicht das Gleiche.
Ganz und gar nicht das Gleiche.
Jadzia war etwas ganz Besonderes in ihrem Leben gewesen, enge Freundin, Vertraute und mehr. Sie war tot, gestorben von Dukats Hand.
Dukat.
Kira ballte die Fäuste und sah, wie in den dunklen Augen ihrer wiederentstandenen Spiegelung Hass aufblitzte.
Dukat.
Er hatte nicht nur Jadzia getötet, sondern auch Sisko.
Sie waren gemeinsam in die Feuergruben gestürzt, und so hatte Sisko sie um ihr Schicksal betrogen. Sie hatte immer gedacht, sie würde Dukat töten, und vielleicht wäre es auch ihre Bestimmung gewesen, vielleicht hatte sie nur versagt.
Hätte sie ahnen müssen, was auf Bajor passierte?
Hätte sie Winns Betrug nicht bemerken müssen?
Hätte sie es nicht sein sollen, die gegen Dukat und die Pah-Wraith-Geister kämpfte?
Sie war einmal das Gefäß für einen Propheten gewesen, am Tag der Abrechnung, im Kampf gegen einen Pah-Wraith-Geist, der sich Jake Sisko als Gefäß genommen hatte. Das hätte der finale Kampf zwischen Gut und Böse sein müssen. Doch jemand hatte es verhindert. Jemand mit zu wenig Glauben, oder zeigte sich schon damals der dunkle Fleck des zukünftigen Verrats auf Winns Seele?
Es war ihr Kampf gewesen. Und doch lebte sie nun, und Sisko war tot.
Sie war allein.
Goldfarbenes Licht brach sich auf der glänzenden Oberfläche des Wassers. Die Sonne näherte sich langsam dem Horizont und würde bald hinter den Bergkuppen verschwinden, doch noch waren ihre Strahlen golden, ein Licht, wie es nur an wenigen schönen Herbsttagen möglich war.
Ein goldenes Licht.
Kira blickte auf die Lichtreflexionen, die auf dem Wasser tanzten.
Odo.
Sie schloss die Augen und kämpfte still mit sich. Sie kämpfte diesen einsamen Kampf seit dem Tag, an dem sie ihn hatte gehen lassen. Den Kampf darum, ihn zu verstehen. Sie wollte ihn verstehen, sie wollte seine Entscheidung akzeptieren, und ihr Verstand vermochte es auch, nur ihr Herz, ihr Herz war eine andere Geschichte.
Ihr Herz wollte nicht verstehen.
Ihr Herz wollte seine Liebe, nicht nur die Erinnerung daran.
Sie schlug erneut mit der flachen Hand auf die Wasseroberfläche, feine Tropfen des kühlen Nass besprengten sie, vermischten sich mit den Tränen, die sie nicht weinen wollte.
Sie zog sich zurück, setzte sich auf und blieb auf dem Findling sitzen, die Arme umschlangen die Knie. So verharrte sie, während die Sonne sich weiter dem Horizont näherte und die goldfarbenen Strahlen sich in dunklere Töne färbten, von rotgolden bis hin zu dunklen Violettschattierungen.
In der Ferne war ein langgezogenes Heulen zu hören, ein tiefer, melancholischer Klang, ein vertrauter Klang.
Kira blickte in die aufziehende Dunkelheit.
Sie hatte mit ihnen gerechnet, sie hatte auf sie gehofft, und gleichzeitig fürchtete sie sich ein wenig vor ihnen.
Die Nachtwölfe waren auf dem Weg zu ihr.
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