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Die Hoffnung des Abschieds

von Martina Bernsdorf

Kapitel 3

Das Gefangenenlager quoll über vor Unrat und Schmutz. Es war eine vertraute Umgebung, und doch hatte Kira gehofft, nie wieder ein Lager sehen zu müssen. Dies gehörte zu ihrer Vergangenheit, und sie wünschte sich sehnlich, dass der Griff dieser faulenden Hand der Erinnerung nicht länger ihr Leben beeinflussen konnte.
Es war vorbei, es war schon so lange vorbei, und sie wollte es endlich begraben.
Kira funkelte Winn an, die neben ihr ging. „Warum bringen Sie mich her? Soll ich meine Wurzeln begutachten? Ich weiß sehr gut, woher ich komme, und ich weiß inzwischen, wie ich diese Dämonen der Vergangenheit bekämpfen kann. Ich habe es bewiesen, als ich auf Cardassia half, den Widerstand aufzubauen, als ich an Damars Seite kämpfte.“
„Du hast es getan, weil der Abgesandte Dich darum bat. Du hast es getan, weil es für Bajor war, für unsere Zukunft. Die Vergangenheit ist ein Teil von Dir, Nerys. Der Hass auf die Cardassianer ist ein Teil von Dir, gegen den Du immer wieder kämpfen musst. Es ist ein Teil Deiner Bestimmung. Deshalb sind wir nicht hier. Wir sind hier, damit Du erkennst, wie ähnlich wir einander sind. Und wie leicht mein Weg in die Verdammnis Dein Weg hätte sein können.“
Kira gab einen Ton von sich, der zwischen Verachtung und Zorn lag. „Wir haben nicht das Geringste gemein, Winn.“
Die geisterhafte Erscheinung Winns schüttelte sanft den Kopf. „Wir sind uns viel zu ähnlich, Nerys. Vielleicht hast Du mich deshalb von Anfang an gehasst, weil Du Dich selbst in mir gesehen hast. In meinem Machtstreben, in meinem Hass auf die Cardassianer, in meinem Willen, Bajor zu beschützen, in meiner grenzenlosen Selbstüberschätzung und meinem Willen, alles dem höheren Ziel zu opfern, worüber ich vergaß, was dieses Ziel einst war.“
Kira schüttelte nur den Kopf. Sie hatte immer gekämpft, für Bajor, aber niemals war sie dafür zur Verräterin geworden, sie hatte immer auf der richtigen Seite gestanden, der Bajors.
Winn drehte sich zu ihr um, ein Hauch von Zorn schien in ihren grauen Augen aufzublitzen, ehe sie sich wieder im Schatten der Kapuze verbarg.
„Die richtige Seite, mein Kind? Deine Selbstgefälligkeit ist ohne Grenzen. Ich habe immer nur das getan, was ich für richtig gehalten habe. Ich wollte ein starkes, freies Bajor. Selbst als ich den Versuchungen der Pah-Wraith-Geister erlag, tat ich es, weil ich mir davon ein starkes Bajor erhoffte.“
Kira schüttelte den Kopf. „Zeigen Sie mir, was Sie wollen, es wird nichts an meiner Meinung über Sie ändern.“
Winn nickte leicht, und ihre Worte waren nur ein geisterhaftes Flüstern. „Vielleicht ändert es aber etwas an Deiner Meinung über Dich selbst“.

Das Gefangenenlager war von tagelangem Regen aufgeweicht, der Schlamm war ziegelrot, so, als sei das Blut der Bajoraner in die fruchtbare Erde gesickert. Und genug Blut war in diesem Lager geflossen, um diesen Gedankengang zu rechtfertigen.
Die toten Bajoraner lagen im Schlamm, ihre Schuhe hatten längst andere Lagerinsassen gestohlen. Tote brauchten keine Schuhe mehr. Die Lager machten aus allen Dieben, zumindest aus jenen, die vorhatten zu überleben.
Es waren zwanzig Bajoraner, die hier in der Mitte des Lagers lagen, dort, wo die Cardassianer sonst ihre Zählappelle abhielten. Die meisten waren nur noch in dünne Gewänder gehüllt, die mit Regen vollgesogen waren und vom roten Schlamm beschmiert. Es verhinderte jedoch nicht, dass man noch zu gut erkennen konnte, wo sie blutige Wunden davongetragen hatten. Ein paar hatten Glück gehabt, sie waren bei ihrem Fluchtversuch sofort von tödlichen Phaseremissionen getroffen worden, andere hatten weniger Glück gehabt und waren lebend ihren Häschern in die Hände gefallen. Ihr Tod war langsam und qualvoll gewesen. Es stand in ihren Gesichtern geschrieben, die selbst im Tod noch die unsagbare Qual cardassianischer Folter trugen. Keiner der zwanzig toten Bajoraner war älter als fünfundzwanzig, der jüngste von ihnen war gerade dreizehn gewesen. Sie alle hatten geschwiegen, niemand hatte den Namen derer verraten, die ihnen bei ihrem Fluchtversuch geholfen hatte. Ein Umstand, der fast an ein Wunder grenzte, es war allgemein bekannt, dass die Cardassianer sehr erfinderisch darin waren, um Dinge herauszufinden, die sie wissen wollten.
Regen trommelte auf die Körper der toten Bajoraner, zerplatzten auf blicklos starrenden Augen zu Myriaden von winzigen Tropfen, die wie Tränen über bleiche, verzerrte Gesichter rannen.
Zwischen den Toten bewegte sich nur eine einzelne Gestalt. Ihre Kleidung war zerschlissen, schmutzig und vom Regen durchweicht. Aber sie kniete ohne Hast und ohne Furcht zu zeigen neben jedem toten Bajoraner nieder, ihre Hände bewegten sich, ohne zu zittern in rituellen Mustern über den Leichen, bis sie durch die Reihe der Zwanzig war. Danach stellte sie sich vor die Toten, hob die Hände leicht an und sprach die rituellen Anfangsworte der Totenchatra der Bajoraner. Ihre Stimme war ohne Furcht. Sie erhob sich klar über den kleinen Platz und scheuchte die Bajoraner in ihren Baracken ebenso auf wie die cardassianischen Wachen, die sich vor dem Regen in den Schutz der warmen Aufseherhütten begeben hatten.
Man hatte den Bajoranern verboten, irgendwelche religiösen Zeremonien für die Toten abzuhalten. Man hatte sogar verboten, sie zu begraben. Wenn es nach dem Willen des Gul ging, der das Lager befehligte, dann würden sie dort verfaulen, wo sie lagen. Als Abschreckung für andere Bajoraner, die sich vielleicht Gedanken darüber machten, aus dem Gefangenenlager zu fliehen.
Die Flüchtlingslager waren schon Seuchenherde und Orte, in denen Bajoraner unter der Willkür der Cardassianer litten und starben. In den Gefangenenlagern jedoch hielt der Tod eine noch reichere Ernte.
Die cardassianischen Soldaten rannten durch den Schlamm, der unter ihren Stiefeln aufspritzte. Der erste von ihnen erreichte die Gestalt, die noch immer laut die Chatra aufsagte, und der Kolben seines Sturmgewehrs traf mit einem harten, hässlichen Geräusch den Kopf der Bajoranerin und schleuderte sie zu Boden.
Schlamm spritzte über ihre Kleidung, tropfte von ihrem Gesicht, und rote Tropfen ihres Blutes mischten sich mit dem Regen, der zu Boden fiel. Sie blickte mit brennendem Hass in den grauen Augen zu dem Cardassianer auf. Ein Lächeln, so unerwartet, dass der Cardassianer unwillkürlich einen Schritt zurückwich, blitzte auf ihren Lippen auf. Sie erhob sich wieder mühsam und streckte die Hände aus. Erneut begann sie die Totenchatra zu sprechen.
Die cardassianischen Wachen warfen sich nun fragende Blicke zu. Sollten sie die Frau erschießen? Sie fühlten die vielen Bajoraner in ihrem Nacken, die sich aus den Baracken ins Freie drängten, um zu beobachten, was nun geschah.
„Hör auf.“ Die Worte des Gul klangen kalt und hart über den Platz, einige der Gefangenen duckten sich unwillkürlich. Gul Moket war bekannt für seine Härte und Grausamkeit. Er herrschte über das Lager mit eiserner Hand.
Die Bajoranerin blinzelte nur einmal, ihr blondes Haar hing ihr wirr ins blutverschmierte Gesicht, aber in ihren Augen leuchtete ein Wille, der ungebrochen war. Sie sprach auch weiter die rituellen Worte.
Gul Moket zog seinen Phaser und hielt ihn der Frau an den Kopf. Er fühlte die Blicke der Bajoraner in seinem Rücken. Fühlte, wie sich die Stimmung veränderte, unmerklich war aus der Angst der Bajoraner etwas anderes geworden.
„Ich werde Dich töten, Bajoranerin, wenn Du nicht aufhörst zu predigen. Ich dachte, Du hättest zumindest diese Lektion gelernt.“
Ein Lächeln schlich sich wieder auf die Lippen der Frau, ein Lächeln, das nur aus dem Mut des Glaubens geboren worden war.
„Selbst ein Cardassianer sollte nicht noch gegen die Toten Krieg führen, Gul. Ich tue nur das, was meine Pflicht als Prylar ist. Und nichts wird mich daran hindern.“
„Außer dem Tod.“ Mokets Finger schwebte über den Auslöser, doch er zögerte, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. Sein Blick huscht unstet zu den anderen Bajoranern. Die Lippen mancher bewegten sich, und leise erst, aber dann lauter, sprachen sie die Totenchatra nach.
„Was gibt Dir die Kraft dazu, dies zu tun?“ Moket hatte bisher keine hohe Meinung über die Bajoraner gehabt. Sie waren seiner Ansicht nach minderwertig, feige und konnten nur aus dem Hinterhalt heraus kämpfen. Der Mut und der Hass in den Augen der Bajoranerin erschütterte ihn jedoch. Er hatte sie nicht gebrochen.
„Die Propheten sind mit uns, und eines Tages wird Bajor wieder frei sein.“
Allein für diese Worte hätte Moket sie töten sollen.
Doch er tat es nicht. Er ließ Winn die Totenchatra abhalten, und einen Tag später wurden die Leichen der Bajoraner entfernt und in einem der Massengräber verscharrt, die überall um diese Lager wuchsen.

Kira fühlte sich unbehaglich unter dem Blick der geisterhaften Winn. Sie blickte noch immer die junge Winn an, die, von ihrem Glauben beseelt, den Cardassianern getrotzt hatte. Mehr noch, die einen unvermuteten Sieg errungen hatte, allein mit der Macht ihres Glaubens und der Stärke ihres Hasses.
Obwohl sie es nicht wollte, bewunderte Kira den Mut der jungen Winn und ihren Glauben. Nicht viel unterschied diese Frau von der jungen Kira, die voller Hass und voller Glauben an die Freiheit gegen die Cardassianer gekämpft hatte.
„Das hättest auch Du sein können, Nerys.“ Winns Stimme war nur ein sanftes Wispern.
Kira hob den Blick von den toten Bajoranern und blickte die verhüllte Gestalt an, die sie auf diese Reise in die Vergangenheit mitgenommen hatte.
„Sie haben einmal an die Propheten geglaubt, Winn. Zu dieser Zeit mögen wir uns ähnlich gewesen sein, aber später haben Sie Ihren Glauben für Macht geopfert.“
Die geisterhafte Erscheinung seufzte tief. „Und Du selbst bist für Macht nie empfänglich gewesen?“
Winns Stimme war leise, und doch tobte sie durch Kiras Adern wie ein Sturm. Wirbelte sie zurück in Erinnerungen. Daran, wie sie ihrem Spiegelbild in die Augen blickte.
„Wenn Du mich nicht lieben kannst, Nerys, wer dann?“
Die Stimme der Intendantin, ihr dunklen Spiegelbild, wisperte in ihrer Erinnerung. Konnte Kira wirklich bestreiten, dass sie diesen Schatten in sich trug? Die Intendantin war eine machthungrige Herrscherin, die zum Erreichen ihrer Ziele jedes Mittel eingesetzt hatte. Sie waren zwei Seiten ein- und derselben Münze. Und Kira hatte sich oft, in schlaflosen Nächten, gefragt, ob sie so wie die Intendantin geworden wäre, wenn sie in deren Universum aufgewachsen wäre. Es war eine unschöne Frage, die sie gerne tief in sich begrub.
Sie erinnerte sich an ihre bitteren Gedanken, als sie den ersten Föderationsoffizier an Bord von Deep Space Nine sah. An den Wunsch, dass sie diese Station eigentlich befehligen sollte und kein Sternenflottencommander. Mehr als ein Wunsch war es gewesen, sie hatte gedacht, dass sie es verdienen würde, das Kommando zu führen.
Sie erinnerte sich an das Gefühl, Bajoraner in den Kampf zu schicken. Sie alle hatten für ein Ziel gekämpft, aber dennoch musste sie sich selbst eingestehen, dass es ihr auf beängstigende Weise gefallen hatte, Befehle zu geben.
„Es waren immer Männer mit Macht, die Sie angezogen haben, nicht wahr, Nerys?“ Dukats Stimme war spöttisch, und Kira hätte ihn damals gerne für diese Worte geschlagen, doch hatte er wirklich unrecht?
Sie erlebte die Genugtuung noch einmal, die sie fühlte, als sie auf Cardassia half, den Widerstand gegen das Dominion aufzubauen. Daran, wie es sich angefühlt hatte, Damar und anderen Cardassianern Befehle zu geben. Es war ein gutes Gefühl gewesen, ein verlockendes Gefühl, es war Macht.
Kira blinzelte und vertrieb damit die Schleier vor ihren Augen, sie sah Winn nun wieder klar und deutlich. Die Umgebung hatte sich jedoch verändert, sie waren zurück am See. Zwischen den Findlingen und dem Schilf glühten die Augen der Nachtwölfe.
„Nun gut, Winn. Ich bin nicht unempfänglich für Macht, doch ich habe nie die Propheten verraten.“
Winn nickte leicht, und Kira schien es, als könne sie unter der Kapuze sehen, wie ein Schatten über das Gesicht der ehemaligen Kai glitt.
„Das ist wahr, Du hast nie Deinen Glauben verraten. Doch Du erlebtest auch die Gnade, von den Propheten erhört zu werden. Du musstest Dich nie ausgeschlossen fühlen, von denjenigen, denen Du so viel geopfert hast.“ Winn seufzte. „Es ist einfach, mich zu hassen, da ich mich am Ende auf die Seite des Bösen geschlagen habe. Aber ich wurde verführt – auch wenn ich mich willig verführen ließ. Ich habe so viel den Propheten geopfert, und niemals hatte ich eine Vision. Opaka hatte Visionen, Bareil hatte Visionen, der Abgesandte, dabei war er nicht einmal ein Bajoraner, hatte Visionen – Du selbst hattest welche, mein Kind.. Mehr noch, Du wurdest am Tag der Abrechnung sogar erwählt, die Essenz eines Propheten in sich zu tragen, um den letzten Kampf zu auszufechten. Ich weiß, ich selbst habe verhindert, dass an diesem Tag die endgültige Schlacht geschlagen wurde. Weißt Du überhaupt, warum ich dies tat, mein Kind?“
„Weil Ihr Glaube nicht stark genug war, Winn.“ Kira hatte ihr dies auch gesagt, nachdem der Prophet sie verlassen hatte.
Winn schüttelte den Kopf. „Nein, weil ich es nicht ertrug, nicht auserwählt worden zu sein!“ Unter der Kapuze leuchteten ihre grauen Augen. „Ich hätte es sein sollen, zumindest dachte ich damals so. Ich fühlte mich übergangen, immer und immer wieder. Und dann kamen die Pah-Wraith-Geister und schenkten mir all das, was mir die Propheten verwehrt hatten. Sie boten mir alles an, was ich je wollte. Und in diesem Moment verriet ich meinen Glauben. Es war meine Prüfung, es war mein Schicksal, dieser Moment. Ich hatte die Wahl zwischen Gut und Böse, und ich wählte das Böse, weil es mich belohnen wollte, während ich von den Propheten nie eine Belohnung erhalten hatte.“
Kira wollte kein Mitleid mit Winn empfinden, sie wehrte sich dagegen, sie verstehen zu wollen. Winn trug direkte Schuld an Siskos Tod. „Dann haben zumindest Sie Ihr Schicksal nicht überlebt.“
Mondlicht schien durch die schemenhafte Gestalt der ehemaligen Kai, sie streichelte mit einer blassen Hand durch das Fell eines Nachtwolfes, der zu ihren Füßen kauerte.
„Nein, das habe ich nicht, denn ich erfülle mein Schicksal als Wanderin zwischen den Welten. Doch es geht nicht um mich, es geht um Dich, mein Kind. Ich bin hier, um Dir zu zeigen, dass es keinen Grund gibt, sich in Selbstmitleid zu ergehen, um Dir zu zeigen, was Dein Schicksal ist.“
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