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Ein Weihnachtsmärchen

von Adriana

Kapitel 1

Generalprobe
USS Defender, Holodeck 3


Lieutenant Commander Jeremy Prescott schüttelte sich den Schnee aus den Haaren, warf das Monokel, welches unangenehm auf seiner Nase klemmte, in die Requisitentasche, und ließ mit einem Stoßseufzer die schweren Eisenketten fallen, die er für den Ersten Akt des Theaterstücks mit sich herum geschleppt hatte.
Die malerisch verschneite Winterlandschaft um ihn herum – ein Dörfchen aus dem neunzehnten Jahrhundert – entlockte ihm nichts als ein Stirnrunzeln. Er blickte seinen besten Freund, Lieutenant Commander Marc van de Kamp, ungnädig an. „Wenn ich gewusst hätte, dass ich zwanzig Minuten lang eine Kette aus Metall mit mir rumschleppen muss, hätte ich die Wette niemals angenommen!“
„Das Script zu lesen hilft.“Marc grinste. „Marley schleppt nun mal eine meterlange Kette mit sich herum. Sie besteht aus Geldkassetten und anderem Krimskrams, den er in seinem Leben als reicher Mistkerl angehäuft hat.“
Zum ersten Mal, seit er das Holodeck betreten hatte, um mit seinen Kameraden Marc van de Kamp, Vixpan und Ron Tygins für diese alberne Weihnachtsvorführung zu proben, musste Prescott schmunzeln. „Wenn das so ist, hoffe ich, mein Alter Herr kommt als Geist zurück. Vorausgesetzt, er spukt nicht bei mir.“
Vixpan und Tygins warfen ihm verständnislose Blicke zu. Nur Marc wusste, dass Prescotts Vater ein Nachfahre stinkreicher Industrieller war. Der Konzern „Prescott Industries“ war zwar nach Gründung der Föderation zerschlagen worden, aber auf einigen Nicht-Föderierten Randwelten existierten weiterhin Tochtergesellschaften, deren Eigentümer Isaac Prescott war. Mehr als genug Gelegenheit, seinen krummen Geschäften nachzugehen, während der Föderation die Hände gebunden waren …
Ob ein paar Geister es schaffen würden, Jeremy Prescotts Vater in einen guten Menschen zu verwandeln?, überlegte Marc.
Sicherlich nicht, denn Charles Dickens’ Weihnachtsmärchen war letztendlich nur ein Märchen.
Ron Tygins, der untersetzte dunkelhäutige Schiffsarzt, beugte sich zu Marc herüber und raunte ihm zu: „Sie haben doch nicht etwa richtige Eisenketten repliziert, oder?“
Van de Kamp grinste. „So authentisch wie möglich, ist meine Devise.“
„Gehört diese klirrende Kälte auch dazu?“, fragte Prescott, während er seine geröteten Hände aneinander rieb.
„Rassel doch ein bisschen mit deinen Ketten, dann wird dir wieder warm.“
Prescotts Mund formte lautlos die Worte „Nie wieder!“
Marc ließ sich davon nicht beeindrucken. „Ihr Auftritt, Vixpan.“ Mit diesen Worten reichte Marc dem feingliedrigen Axanati eine weiße Lockenperücke und zog sich selbst die Schlafmütze des Ebenezer Scrooge tiefer ins Gesicht. „Wenn Sie gestatten, geh ich jetzt ins Bett.“
Vixpan drehte die Perrücke in seinen Vorderklauen und meckerte enttäuscht. „Ich darf wieder das Schaf spielen – war doch klar.“
„Das Schaf?“
„Ich war immer das Schaf – bei den Krippenspielen auf der Akademie … und auch sonst.“
Vixpan Ohren hingen herab. Ein Anflug von Traurigkeit stahl sich in die kobaltblauen Augen mit den ziegenähnlichen Querpupillen.
Marc seufzte ungeduldig. „Es gibt kein Schaf in dieser Geschichte!“
Vixpan hob erwartungsvoll den Kopf, seine Ohren richteten sich abrupt wieder auf.
„Hat eigentlich überhaupt einer das Script gelesen?“, grummelte Marc.
„Ich habe es gelesen!“, protestierte der Axanati. „Allerdings nur meinen Teil.“
Marc verdrehte die Augen. „Dann wissen Sie sicher auch, dass der Geist der vergangenen Weihnacht kein Huftier ist!“
„Aber ich bin eins“, widersprach Vixpan ernst.
Marc schmunzelte. „Wohl wahr. Nichtsdestotrotz passen Sie perfekt in diese Rolle.“
„Aber nicht in diese Perücke.“ Vixpan gab van de Kamp das Teil zurück und der junge Ingenieur erkannte mit einem Blick, dass etwas fehlte: Die Perücke hatte keine Löcher für Vixpans Hörnchen.
„Gib her“, meldete sich Prescott forsch.
Van de Kamp kam der Aufforderung nach, Jeremy legte die Perücke mit der Haarpracht nach unten in den Schnee, justierte seinen Phaser, kniff ein Auge zu und zielte.
„Halt, was machst du da!“, protestierte sein Freund.
„Löcher für die Hörnchen, was sonst?“
„Aber doch nicht mit …“
Prescott grinste und heftete den Phaser wieder an seinen Gürtel. "Kleiner Scherz. Ich riskiere doch keinen Alarm, indem ich mitten auf dem Schiff eine Waffe abfeure."
"Du ..." Marc fand keine Worte. Das war die Rache für den Streich mit den Ketten, vermutete er.
Dr. Tygins trampelte mittlerweile von einem Bein aufs andere und hauchte seine steifgefrorenen Finger an. „Wie lange müssen wir eigentlich noch auf den Captain warten?“
„Dass Frauen auch immer zu spät kommen müssen“, schloss sich Prescott an.
„Sie tritt ja erst in der vorletzten Szene auf“, sagte Marc zu ihrer Verteidigung.
„Wenn man vom Teufel spricht…“, murmelte Tygins.
Die Holodeck-Schotts glitten auseinander und eine große schlanke Bajoranerin mit langem kastanienbraunem Haar trat ein. Sie wirkte blass und abgekämpft, trug noch ihre Uniform, die an einigen Stellen rußgeschwärzt war.
Nach den letzten Angriffen der Jem’Hadar glich die Brücke einem Trümmerhaufen und der Captain hatte sich nie gescheut, bei den Aufräumarbeiten mit anzupacken.
„Schön, dass Sie kommen konnten“, begrüßte sie der Ingenieur. „Sie haben leider den Geist von Marley verpasst.“
Lairis warf ihm nur einem müden, fragenden Blick zu und machte den Eindruck, als wäre sie am liebsten ganz woanders.
„Mein Gott, ich fürchte, wir brauchen sie gar nicht zu verhüllen, damit sie gruselig aussieht“, flüsterte Marc dem neben ihm stehenden Tygins zu.
Lairis war eine Schönheit, zweifellos – doch der Krieg gegen das Dominion hatte Spuren hinterlassen. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen und die Wangen wirkten eingefallen, als hätte sie in den letzten zwei Tagen mindestens fünf Kilo abgenommen.
„Als Arzt schlage ich eine Aufbaudiät mit Truthahn und Christstollen vor“, flüsterte Tygins zurück.
Prescott schnaubte. „Verpasst haben Sie gewiss nichts, Captain. Meine Vorstellung morgen wird sicher viel authentischer sein, weil ich vor Muskelkater wimmern und heulen werde.“
„Wenigstens müssen Sie keinen albernen Stechpalmenkranz tragen“, konterte Tygins.
Prescott grinste. „Sie wissen, ich habe meinen Phaser für solche Probleme“, flachste er, was ihm einen warnenden Blick von Marc einbrachte.
Der Captain ging nicht auf das Geplänkel ein. „Sagen Sie mir einfach nur, was ich zu tun habe“, forderte sie ihren Chefingenieur auf.
„Herumstehen, cool aussehen und namenloses Grauen verbreiten. Das war’s eigentlich.“
„Aha. Also wie jeden Tag auf der Brücke.“
Die anderen Offiziere konnten sich das Schmunzeln nicht verkneifen.
„Hier ist Ihr Kostüm.“ Marc warf ihr einen schwarzen Umhang zu.
„Sieht aus wie ein Leichentuch“, bemerkte sie mit finsterem Blick.
„Nun ja, Sie sind ein Gespenst.“
„In letzter Zeit fühle ich mich auch so.“
Lairis ließ sich auf eine Bank unter einer flackernden Gaslaterne fallen. Prescott und Tygins setzten sich neben sie, während Lieutenant Commander van de Kamp Lieutenant Vixpan seine Rolle im nächsten Akt erklärte.
„Wenn es Sie tröstet, Captain, ich sehe auch keinen großen Sinn in dieser Theateraufführung – aber wenn es die anderen glücklich macht und die Moral der Truppe hebt, können wir meinetwegen diese angestaubte Geistergeschichte im Versammlungssaal von Deep Space Four aufführen“, meinte Tygins.
„Ich war es Lieutenant van de Kamp schuldig, nachdem ich seine Weihnachtsfeier gestrichen und ihm dafür eine Doppelschicht im Maschinenraum aufgebrummt habe.“ Lairis reckte ihr Gesicht den holografischen Schneeflocken entgegen. „Wenn ich jetzt auch noch die Weihnachtsaufführung sabotiere, gibt’s wahrscheinlich eine Meuterei.“
„Von meiner Seite bestimmt nicht, widersprach Prescott, der diesem Fest ohnehin nicht viel abgewinnen konnte.“
„Aber von meiner.“ Tygins schmunzelte leicht.
Lairis fuhr herum. „Ich weiß ja, dass dieser Feiertag euch Menschen wichtig ist und dieser ganze Lichterschmuck ist ja auch nett anzusehen … aber wir dürfen uns im Kampf keine Ablenkung leisten!“
„Natürlich nicht“, gab der Doktor diplomatisch zurück. „Aber wir sind gerade nicht im Kampf. Wir an einer Sternenbasis angedockt und lassen unser halb zu Klump geschossenes Schiff reparieren.“
Die Bajoranerin lächelte schwach. „Schon gut. Ich habe zugesagt, ich halte mein Wort und …“ Mit einem skeptischen Blick hielt sie den schwarzen Umhang hoch. „Was soll ich eigentlich damit machen?“
„Sie werfen sich das Ding über den Kopf, schweben lautlos über die Bühne und zeigen Scrooge seine Zukunft, ohne ein Wort zu sprechen.“
„Aha.“ Lairis runzelte die Stirn und untersuchte das „Kleidungsstück“ genauer. „Kann mir bitte jemand sagen, wo bei diesem modischen Totalausfall hinten und vorne ist? Das Ding hat nicht einmal Schlitze für die Augen“, rief sie so laut, dass van de Kamp herumfuhr.
„Hat denn kein Aas hier das verdammte Script gelesen?“, nörgelte er erwartungsgemäß. „Hand hoch, wer das Script gelesen hat – der bekommt sofort einen Keks.“
Dr. Tygins meldete sich und lächelte den blonden Ingenieur unschuldig an. „Ich hab’s gelesen – und ich erwartete mindestens eine Schachtel selbst gebackene Plätzchen dafür.“
„Und einen Glühwein obendrauf!“, ergänzte Prescott und rieb sich missmutig die Hände. „Ehrlich, Marc – du könntest mal ein bisschen die Heizung aufdrehen.“
„Also gut“, lenkte van de Kamp ein. „Computer – die Raumtemperatur bitte um zwanzig Grad erhöhen.“
Während es allmählich wärmer wurde, wirkten die tanzenden Schneeflocken surreal.
Lairis kämpfte mit dem Umhang, verhedderte sich darin, stolperte über den Saum und fluchte. „Was haben Sie sich nur dabei gedacht, van de Kamp!“, schimpfte sie. „Entweder, Sie besorgen mir ein Kostüm, in dem ich laufen und etwas sehen kann …“
„Das wäre leider nicht dasselbe“, widersprach Marc.
„Dann bin ich raus“, entgegnete sie knapp und überreichte ihrem Chefingenieur den Umhang.
„Aber …“ Tiefe Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Sie hatten es versprochen! Sie hatten eingesehen, dass es der Mannschaft gut tun würde …“
„Wenn ihr Captain von der Bühne fällt und sich den Hals bricht? Ja, ich bin sicher das baut die Mannschaft richtig auf“, gab sie sarkastisch zurück. „Es reicht, dass Charles wegen diesem albernen Weihnachtsbrimborium auf der Intensivstation liegt!“
Die anderen schwiegen betreten. Captain Charles Devereaux, frisch gebackener Kommandant der USS Voltaire, war mit seinem Schiff in einen Hinterhalt der Jem’Hadar geraten und bei einem Angriff so schwer verletzt worden, dass er seit vier Tagen im Koma lag. Aus Sicht von Lairis hätte diese Tragödie verhindert werden können, wenn Devereaux nicht auf der Weihnachtsfeier für seine Crew bestanden und lediglich eine Notbesatzung auf der Brücke zurückgelassen hätte.
„Aber wo bekomme ich jetzt auf die Schnelle einen neuen Geist der zukünftigen Weihnacht her?“, fragte Marc verzweifelt.
„Ernsthaft?“ Lairis hob die Augenbrauen. „Sie könnten nahezu jeden unter diesen Fetzen stecken. Den Putzroboter zum Beispiel. Der kann viel besser schweben als ich.“ Sie nickte Tygins, Vixpan und Prescott kurz zu. „Entschuldigen Sie mich, meine Herren – aber nach der letzten Schlacht wartet eine Menge Papierkram auf mich – ganz zu schweigen von einer komplett ruinierten Brücke!“
Mit diesem Worten wandte sie sich zum Gehen.
„Es ist erschreckend, was aus ihr geworden ist“, raunte Tygins dem neben ihm stehenden Prescott zu, als Lairis außer Hörweite war. „Sie hat in letzter Zeit nichts als ihre Arbeit im Kopf und permanent schlechte Laune. Wo ist unser freundlicher, zuversichtlicher, zu jeder Schandtat bereiter Captain hin?“
„Sie hat eine Menge durchgemacht im letzten Jahr. Dieser Krieg, Folter … Sie hat Crewmitglieder und Freunde verloren. Diese üble Verletzung von Devereaux nimmt sie offenbar mehr mit, als sie zugeben mag.“
Tygins nickte verständnisvoll. „Vielleicht gibt es etwas, womit wir sie ein bisschen aufmuntern können. Vielleicht …“
Ein lautstarker, bajoranischer Fluch unterbrach ihn.
„Alles in Ordnung, Captain?“, rief van de Kamp.
Lairis eilte ihm im Laufschritt entgegen und wirbelte dabei beträchtliche Mengen holografischen Schnee auf. „Sie müssen sich die Holodeck-Kontrollen ansehen, Marc.“
„Was stimmt nicht?“
„Der Computer reagiert nicht auf verbale Befehle“, antwortete Lairis. Um dies zu demonstrieren, rief sie laut: „Computer – Ausgang!“
Nichts passierte.
„Seltsam – eben hat es noch funktioniert. Jedenfalls bei der Temperatur“, wunderte sich Marc.
Er schnappte sich seinen kleinen kompakten Werkzeugkoffer, den er für Notfälle stets bei sich trug, und unterzog die Holodeck-Kontrollen einer gründlichen Diagnose.
Nach einer guten Viertelstunde angestrengten Starrens auf Tricorder-Werte und Bildschirmanzeigen schraubte er mit einem Achselzucken das Kontrollpult auf und überprüfte jedes einzelne Relais von Hand.
„Und?“, bohrte Lairis nach.
„Naja …“, van de Kamp kratzte sich den Kopf. „Das ist merkwürdig – aber mit der Holodeck-Steuerung scheint alles in Ordnung zu sein.“
„Wieso reagiert sie dann nicht?“
„Keine Ahnung“, antwortete Marc wahrheitsgemäß.
„Lairis an Maschinenraum …“ Der Kommunikator des Captains piepte, aber es kam keine Antwort. Ein wachsamer Ausdruck trat in die großen, grünen Augen der Bajoranerin. „Lairis an Sicherheit!“ Wieder keine Antwort.
„Hier stimmt etwas ganz und gar nicht!“, bemerkte Vixpan und sein Nackenfell sträubte sich.
Der Captain nickte. „Lieutenant – könnte hier eine Störung des Kommunikationssystems vorliegen?“
„Möglich wäre es“, antwortete Vixpan.
„Können Sie das herausfinden?“
Der Axanati überlegte einen Moment. „Also, wenn ich mit meinem Kommunikator über Commander van de Kamps Tricorder eine Verbindung zum Zentralrechner herstelle…“
„Tun Sie es“, ordnete Lairis an.
Vixpan arbeitete hoch konzentriert und bemerkte nicht die seltsame Veränderung seiner Umgebung.
Zuerst stieg Nebel vom Boden auf. Dichter Nebel. Er waberte um die Häuser und Bäume.
Nein – die Landschaft waberte, veränderte sich. Altertümliche Häuschen und Hütten verschmolzen zu einem modernen Gebäudekomplex – einem sehr vertrauten Gebäudekomplex.
„Die Akademie der Sternenflotte!“, stieß Prescott überrascht hervor.
„Van de Kamp, was machen Sie da?“, fragte der Captain scharf.
„Nichts!“, antwortete Marc mit großen Augen.
„Was zum Teufel geht hier vor?“, murmelte Tygins.
„Das wüsste ich auch gern“, meinte Prescott.
Vixpans Augen verengten sich, sein nachdenklicher Blick blieb am Eingang zum Audimax der Sternenlottenakademie haften.
„Ich war schon einmal hier“, stellte er langsam fest. Seine Stimme vibrierte vor Aufregung.
„Klar. Wir alle waren schon mal hier“, entgegnete Prescott leicht genervt.
„Vixpan schüttelte den Kopf. „Nicht an diesem Tag.“
„Gehen wir rein“, beschloss Lairis.
Aus einer spontanen Eingebung heraus marschierte sie auf das Hauptgebäude zu und die anderen folgten ihr.
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