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Gute Geister

von Laurie

Kapitel 2

Wie sich herausstellte, gab es Tage, an denen auch das wohlschmeckendste Glas Whiskey die Welt nicht unbedingt besser aussehen ließ.

Nach seinem zugegebenermaßen überstürzten Aufbruch aus der Krankenstation und einem letzten Kontrollgang durch den Maschinenraum seiner geliebten silbernen Dame hatte sich Scotty in sein Quartier zurückgezogen, in der festen Absicht, sämtliche Gehirngespinste zum Teufel zu jagen. Er war ein Mann der Wissenschaft, zwar nicht so strikt wie Mr Spock, aber immer noch genug, um ihn nicht an Gespenster glauben zu lassen. Vielleicht hatte er sich einfach verhört, oder vielleicht hatte McCoy tatsächlich Selbstgespräche geführt, ohne es zu merken; nach all den Jahren im All wäre es kein Wunder, wenn man gewisse Marotten entwickelte. Scotty würde sich Spock zum Vorbild nehmen und die einzig logische Möglichkeit ergreifen: eine Nacht über die Sache schlafen und abwarten.

Der Whiskey schmeckte in seiner tröstlichen Vertrautheit gut wie immer, aber irgendetwas war an diesem Abend anders, ein nagendes Gefühl, das sich nicht benennen ließ. Im einen Moment kam es Scotty vor, als seien seine Sinne ungewöhnlich geschärft, im nächsten tat er es als Folge seiner Erschöpfung ab; im einen Moment meinte er, unsichtbare Gestalten direkt neben sich flüstern zu hören, im nächsten Moment durchbrach nur das gedämpfte Summen des Warp-Antriebs die Stille in seinem Quartier.

Nach dem dritten Glas verschwanden wenigstens die eingebildeten Gespräche um ihn herum, das Gefühl der Unbehaglichkeit jedoch blieb, und je länger er darüber nachdachte, desto deutlicher wurde die Gewissheit, die ihm bereits in der Krankenstation gekommen war: Es lag nicht am Schiff, es lag an ihm selbst – oder, besser gesagt, an seiner Beziehung zum Schiff und zur Besatzung. Irgendetwas war anders, aber je angestrengter er dieses irgendetwas ergreifen wollte, desto mehr entzog es sich seiner Reichweite, und irgendwann gab Scotty es auf. Er war ein Mann der Taten, nicht ein Mann des Meditierens; dafür hatten sie Spock und das sollte auch so bleiben.

Er hatte gerade genug getrunken, um sich leicht berauscht zu fühlen, doch längst nicht genug, um sofort einschlafen zu können. Endlose Stunden lag er wach, lauschte dem nächtlichen Gesang seines geliebten Schiffes und fragte sich, ob er endlich auf Kirk hören und einen Urlaub einlegen sollte. Ein, zwei Wochen in einem ruhigen Pub irgendwo auf einem schönen Planeten, mit gutem Essen und einer hübschen Begleitung ... Nicht einmal Gedanken wie diese halfen ihm dabei, einzuschlafen.

Nach mindestens drei gefühlten Ewigkeiten gab er auch diesen Versuch auf und schwang sich mit einem Ächzen aus dem Bett. Das viele Nachdenken hatte ihn auf eine Idee gebracht, eine sicherlich nicht dumme Idee und eine, die er vielleicht irgendwann später als Hintertür oder als Beweis benutzen könnte, je nachdem. Wer behauptete schon, dass das, was er in der Krankenstation gehört hatte, nicht der Wahrheit entsprach, selbst wenn es nie ausgesprochen worden war?

~°~


Am nächsten Morgen zählte er in der Mensa die Sekunden, bis McCoy ihn abfangen würde, und seine Geduld wurde nicht lange auf die Probe gestellt.

„Scotty!“

Voller Tatendrang stellte McCoy sein Tablett auf Scottys Tisch ab und ließ sich ihm gegenüber nieder. Scotty wusste die Anwesenheit des Arztes durchaus zu schätzen, besonders nach den Ereignissen der letzten Stunden, aber er konnte nicht anders, als bei McCoys unbekümmert lauter Stimme das Gesicht zu verziehen. Die letzte Nacht war lang gewesen, danke vielmals, und ja, auch der Whiskey und die Anspannung hatten sich inzwischen durch latente Kopfschmerzen bemerkbar gemacht.

„Sie sehen aus, als hätten Sie nicht besonders gut geschlafen.“ McCoy kam direkt zum Punkt, und wie so oft traf er den Nagel auf den Kopf.

Scotty zuckte mit den Schultern. „Hab ich auch nicht.“ Und dabei beließ er es. Es gab keinen Grund, McCoy mitzuteilen, wieso er schlecht geschlafen hatte, noch nicht; und es gab ebenfalls keinen Grund, den Arzt direkt wissen zu lassen, womit er sich stattdessen die Zeit vertrieben hatte.

Die Früchte dieser nächtlichen Beschäftigung zeigten sich auch ohne sein Zutun.
„Was ich Sie fragen wollte, Scotty – haben Sie etwas mit der veränderten Beleuchtung in der Krankenstation zu tun?“

Dafür, dass er die Frage erwartet und vielleicht sogar erhofft hatte, gelang es Scotty – so hoffte er jedenfalls – bemerkenswert gut, jede verräterische Gefühlsregung aus seinem Mienenspiel zu verbannen.

„Na ja, als ich gestern nicht schlafen konnte, dachte ich mir, ich ändere etwas daran. Bei meiner Untersuchung ist mir aufgefallen, dass das Licht dort sehr grell ist, fast schon unangenehm. Ich kann mir vorstellen, dass man so nicht lange arbeiten kann. Wenn die Änderungen Sie stören, mache ich sie natürlich sofort wieder rückgängig.“

Es war nur eine halbe Lüge, im Grunde sogar mehr Notwendigkeit als Täuschung, und sie enthielt so viel Wahrheit, dass McCoy nicht misstrauisch wurde. Im Gegenteil, der Arzt schenkte Scotty ein dankbares Lächeln.

„Nein, es ist perfekt so, Scotty, danke. Ich wollte Sie schon länger mal darum bitten, etwas an der Beleuchtung zu ändern, aber Sie waren so beschäftigt, dass ich Sie nicht unnötig belasten wollte.“ So unvermittelt, wie es nur bei McCoy möglich war, verwandelte sich seine sanfte Miene in die strenge Maske des allzeit bereiten Arztes. „Und wenn Sie regelmäßig Probleme mit dem Einschlafen haben, melden Sie sich bei mir, ist das klar? So was ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.“

Gutmütig nickte Scotty, obwohl er innerlich glühte. McCoy hatte sich also doch eine verbesserte Beleuchtung gewünscht ... aber wie kam es, dass Scotty Kenntnis von diesem Wunsch hatte, wenn McCoy felsenfest behauptet hatte, kein Wort davon gesagt zu haben?

Es blieb ihm keine Zeit dazu, sich eingehender mit dieser schieren Unmöglichkeit zu beschäftigen, denn genau in diesem Moment geschah es wieder – ein leises, aber diesmal umso deutlicheres Gott sei Dank, wenigstens einer, der hier Mitleid mit dem medizinischen Personal hat. Jim könnte sich davon mal eine Scheibe abschneiden manifestierte sich in seinem Bewusstsein, ganz so, als machten sich entweder das Universum oder McCoy lustig über ihn, indem sie ihm immer dann ein neues Rätsel vor die Füße warfen, wenn er vor den Trümmern eines älteren stand.

„Scotty?“

McCoys besorgte Nachfrage verriet ihm, dass sich seine innere Unruhe auch diesmal deutlicher als gewünscht auf seinem Gesicht gezeigt hatte, und schnell bemühte er sich um ein besänftigendes Lächeln. Das Letzte, was er wollte, war, noch mehr Aufmerksamkeit als ohnehin schon auf sich zu ziehen. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was geschähe, wenn bekannt würde, dass der Chefingenieur der Enterprise Gespenster sah, oder, besser gesagt, Gespenster hörte – sie würden ihn durch eine Untersuchung nach der nächsten jagen, ihn mehr wie ein wissenschaftliches Objekt als einen Menschen behandeln und irgendwann entweder aufgeben, ihn zu überflüssigen therapeutischen Gesprächen zwingen oder ihm schlicht und einfach einen Urlaub aufzwingen.

Keine dieser Möglichkeiten wäre Scotty recht, und zu keiner dieser Möglichkeiten bestand eine Notwendigkeit, nicht, solange er sich selbst davon überzeugen konnte, dass alles in bester Ordnung war. Und eigentlich war ja alles in bester Ordnung, wenn man von der winzigen Kleinigkeit absah, dass er plötzlich Dinge hörte, die niemals ausgesprochen worden waren und dennoch der Realität entsprachen. Es bestand kein Grund zur Sorge – nicht, bevor er nicht abgewartet und mehr Erkenntnisse gewonnen hatte, irgendeine Basis, auf der er eine fundierte These aufbauen könnte.

Vielleicht hatte sein Leugnen auch den weitaus profaneren Grund, dass er darauf hoffte, diese verwirrenden Anwandlungen würden sich still und heimlich von selbst erledigen, wenn er ihnen nicht mehr Aufmerksamkeit als irgendwie nötig schenkte.

„Alles in Ordnung, Doc, ich war nur in Gedanken versunken“, rechtfertigte er sich mehr schlecht als recht.

McCoys skeptisch zusammengezogene Augenbrauen wiesen ungnädig darauf hin, dass Scotty noch nie gut darin gewesen war, Ausreden oder gar Lügen aufzutischen.

„Sie sahen aus, als hätten Sie ein Gespenst gesehen.“

Nicht gesehen, gehört. Beinahe hätte Scotty ihn verbessert, und nur die verborgenen Reste seines Selbsterhaltungstriebs hielten ihn zurück.

„Mir ist eingefallen, dass ich die Berichte über die Wartungsarbeiten im Transporterraum noch abgeben muss, aber so, wie Fähnrich Lincoln gearbeitet hat, werde ich sie eher noch mal komplett neu schreiben anstatt nur korrigieren müssen“, antwortete er stattdessen. Er klang ein wenig konfus und er wusste es, aber immerhin enthielt seine Erwiderung keine Lüge – nur eine alternative Herangehensweise an die Wahrheit.

McCoy wirkte alles andere als überzeugt. Scotty wappnete sich bereits für eine seiner gefürchteten, alles andere als subtilen Befragungen – manchmal erinnerte McCoy sich tatsächlich daran, dass er nicht nur ein einfacher alter Landarzt war, sondern durchaus einen Doktortitel in Psychologie besaß –, doch gerade, als jener selbsternannte einfache Landarzt den Mund zu einer scharfsinnigen Bemerkung öffnete, wurde Scotty durch niemand Geringeren als den Captain gerettet.

„Morgen!“

Viel zu munter für diese Uhrzeit und sogar für Scottys Geschmack ließ Kirk sein Tablett neben das von McCoy fallen und zog sich ohne Umschweife einen Stuhl heran. Beim Anblick von Kirks Frühstück vergaß McCoy auf der Stelle jede Erkundigung über Scottys Geisteszustand, und noch einen weiteren Vorteil hatte der ungestüme Auftritt des Captains: Jeder Gedanke an irgendwelche Abweichungen von der Routine wurde dadurch bis ins hinterste Eck von Scottys Bewusstsein verdrängt, und der Schatten einer namenlosen Präsenz zog sich zurück.

„Jim, du willst das doch nicht etwa alles essen?“, fragte McCoy entsetzt, in diesem Moment ganz der Arzt und definitiv nicht der verständnisvolle Freund.

„Wieso?“, gab Kirk unschuldig zurück und schob sich ein dick mit Nussnougatcreme bestrichenes Stück Toast in den Mund. Dem Toast folgte ein Croissant, dem Croissant folgte gebratener Speck, und dem Speck folgte eine Schimpftirade des gefürchtetsten Arztes der Enterprise.

„Herrgott, Jim, das ist nicht dein Ernst! Ich schwöre, ich sperre deine Essenskarte und setze dich auf Sellerie-Ananas-Diät, wenn du nicht endlich lernst, vernünftig zu essen. Ehrlich, man könnte meinen, ich hätte es mit einem Kleinkind zu tun ...Weißt du überhaupt, was dieses ungesunde Zeug mit deinen Blutzucker-Werten anstellt? Hast du schon mal etwas von gesunder, ausgewogener Ernährung gehört?“

„Irgendwann bestimmt mal“, gab Kirk ungerührt und mit vollem Mund zurück.

McCoy starrte ihn an, als könne er nicht begreifen, dass sich so viel Ignoranz auf eine einzige Person konzentrieren konnte; Scotty allerdings war noch nie so froh über die zugegebenermaßen etwas gewöhnungsbedürftigen Essgewohnheiten ihres Captains gewesen.

Während der nächsten Minuten dachte niemand mehr an körperlose Stimmen und merkwürdige Marotten, und als sich der Beginn der Alphaschicht näherte, lenkte Kirk ihre Aufmerksamkeit zusätzlich auf andere Dinge.

„Spock und ich haben für nachher eine spontane Personalversammlung angesetzt“, verkündete er, nun, da der letzte Rest seines Essens von seinem Teller verschwunden war, wieder ganz der seriöse Captain. Scotty schmunzelte angesichts der Einleitung – Spock und ich, so war es seit Beginn der Mission gewesen und so würde es immer sein.

„Wunderbar.“

Ausnahmsweise teilte Scotty die mangelnde Begeisterung McCoys. Normalerweise hatte er nichts gegen Personalversammlungen, im Gegenteil, aber an diesem Tag sah es anders aus; er riss sich nicht darum, sich von Spock endlos lange Statistiken vortragen zu lassen, wenn er stattdessen in den beruhigend vertrauten Eingeweiden des Schiffes nachdenken könnte.

„Abschlusssitzung über die vergangene Mission“, fügte Kirk erklärend hinzu, sich Scottys ketzerischen Gedanken dankenswerterweise nicht bewusst. „Wird nicht lange dauern.“

„Als ob auf dieser Mission etwas ansatzweise Interessantes passiert wäre“, knurrte McCoy. „Abgesehen von einem zerstörten Tricorder.“

„Vorschriften, Bones.“

„Seit wann kümmert sich auf diesem Schiff irgendjemand außer Spock um die Vorschriften?“

Das vertraute Geplänkel wurde zwischen den beiden Freunden hin und her gereicht und Scotty lehnte sich zurück, zum ersten Mal seit dem gestrigen Abend wirklich entspannt. Das hier war so viel besser als wissenschaftliche Publikationen über die neuesten Erkenntnisse in der Warptechnologie-Forschung, und es war auf alle Fälle besser als das Gefühl, neben sich zu stehen und den Gesprächen einsamer Phantome zu lauschen.

Es wäre zumindest besser gewesen, wenn eben jene Phantome nicht die Gunst der Stunde genutzt und sich erneut in seinem Bewusstsein eingenistet hätten.

Was würde ich nur ohne Bones machen? Er ist der Ausgleich zu Spock – Logik und Impulsivität, beides überlebensnotwendig. Ich glaube, wenn einem von ihnen jemals etwas zustoßen sollte, könnte ich die Waagschale nie wieder ins Gleichgewicht bringen.

Kirk hatte es nicht ausgesprochen, ganz bestimmt nicht; sein Mund bewegte sich, ja, aber heraus kamen völlig andere Wörter, und trotzdem hörte Scotty dieses im Grund überflüssige, weil offensichtliche Lob – wie eine zweite Tonspur, die über einen altmodischen Film gelegt wurde, nicht falsch, aber auch nicht das Original, und in jedem Fall ablenkend.

Diesmal hatte er seine Reaktion besser unter Kontrolle, doch Kirk wäre nie zum Captain geworden, wenn er nicht ein Meister darin gewesen wäre, seine Mitarbeiter zu durchschauen.

„Scotty, alles klar bei Ihnen? Sie sind so still heute“, stellte er unvermittelt fest.

Scotty winkte ab – wieder und wieder; wenn das kein Ende nähme, würde er bald einen Rekord brechen, falls er das nicht längst schon hatte –, und natürlich überzeugte das Kirk nicht völlig, nur gerade so viel, dass er die Sache vorerst auf sich beruhen ließ.

Als Scotty wenige Minuten später die Mensa verließ, folgten ihm nicht ein, sondern zwei besorgte Blicke, und langsam fragte er sich, was in Gottes Namen er verbrochen hatte, um den Hohn des Universums auf sich zu lenken.

~°~


Es wurde schlimmer.

Mit jedem Schritt kam es Scotty vor, als gesellte sich ein weiterer Geist zu der beständig wachsenden Schar seiner körperlosen Gesprächspartner. Anfangs hatte er nur die Stimmen einzelner Personen hören können, zuerst McCoys und dann Kirks; jetzt schien es, als legte es jedes einzelne Besatzungsmitglied darauf an, ihm einen Streich zu spielen.

Zuerst dachte Scotty an einen Scherz, eine wohldurchdachte Spielerei, in die jeder außer ihm eingeweiht war. Hatte Kirk vor, ihn auf diese Weise zum Urlaub zu zwingen – indem er Scotty mehr und mehr an seinem Verstand zweifeln ließ, bis irgendwann die drohende Dienstunfähigkeit ihm einem unüberwindbaren Hindernis gleich den Weg versperrte? Derartig niedere Verhaltensweisen sahen Kirk nicht ähnlich. Trotz seiner mitunter sehr fragwürdigen Anwandlungen war er ein Mann klarer Worte, und Scotty bezweifelte, dass der Captain ausgerechnet an ihm eine neue, haarsträubende Idee ausprobieren wollte.

Der nächste Gedanke war nicht beruhigender. Gedankenlesen. Denn das war es, es gab kein besseres Wort dafür. Wenn er hörte, was Personen dachten, ohne dass diese es aussprachen – war das nicht die standardmäßige Definition von Gedankenlesen?

Wenn ihn nicht jeder Schritt ein wenig mehr in die Untiefen unerwünschter Mysterien geführt hätte, hätte Scotty gelacht. Er und Telepathie – das passte zusammen wie Spock und Ballett, wie Chekov und Whiskey. Und dennoch ... dennoch hörte er die Stimmen. Nicht mehr nur jeweils eine, sondern beständig mehr von ihnen, bis er glaubte, einen unsichtbaren Chor in seinem Kopf flüstern zu hören. Einzelne Satzfetzen, Wortfragmente und Gedankenfäden, hier von einem ihm entgegenkommenden Fähnrich und dort von zwei ins Gespräch vertieften Freunden ... Fast nichts davon ließ sich tatsächlich erfassen und untersuchen, aber das war nicht einmal nötig, um Scottys Gefühl der Beklemmung zu verstärken. Empfindungen tröpfelten in seinen Geist wie längst vergessene Träume, und gerade in dem Moment, in dem er sich bewusst wurde, dass es ein Traum war, wachte er auf. Beinahe jedes Mal. Ohne Erklärung, ohne die Gewissheit, dass alles wieder in Ordnung werden würde.

Fing es so an – das Verrücktwerden? Zu viele einsam im Maschinenraum verbrachte Stunden, in denen er niemanden außer der Enterprise zum Reden gehabt hatte ... begann er deswegen, sich Dinge einzubilden?

Als er den Konferenzraum erreichte, hatten sich seine Nerven zu einem so angespannten Seil verknotet, dass er erwartete – befürchtete? hoffte? –, jeder Anwesende könnte ihm sofort vom Gesicht ablesen, dass etwas nicht stimmte.

Dass niemand es tat, war Fluch und Segen zugleich. Segen, weil er Nachfragen über seinen Gesundheitszustand hasste wie die sprichwörtliche Pest und nicht schon wieder ins Rampenlicht der Aufmerksamkeit gerückt werden wollte, und Fluch, weil er so völlig alleine blieb mit den körperlosen Stimmen, mit den Zweifeln und vor allem mit dem einen, alles beherrschenden Gedanken: Irgendetwas stimmt nicht mit mir.

Es steckte kein System dahinter, keine klar erfassbare Logik, und das war vielleicht das, was Scotty am meisten störte. In dieser Hinsicht konnte er wie Spock sein: Er brauchte wissenschaftliche Zusammenhänge, klar definierte Abgrenzungen und Klassifikationen, nur so ließ sich die Welt verstehen.

Nach und nach trudelten die restlichen Mitglieder ihrer trauten Runde ein, all diejenigen, die mit ihrer Mission über und auf Era-270 zu tun gehabt hatten. Der Captain und Spock, natürlich, D’Armato, Sulu, die beiden Fähnrichs, Uhura als Protokollantin aller Übermittlungen von der Planetenoberfläche zum Schiff, McCoy ... Alles Vertraute, die meisten von ihnen sogar gute Freunde, und doch fühlte sich Scotty in ihrer Gegenwart anders als sonst.

Wenn einem Stimmen zuflüsterten, dass McCoy seine dritte Tasse Kaffee an diesem Tag vermisste und Sulu lieber im Gewächshaus bei seinen neuesten Erwerbungen wäre, fiel es einem nicht unbedingt leichter, sich auf das Geschehen zu konzentrieren.

„Mr Scott?“

Und wieder hatte er sich dabei erwischen lassen, wie er geistesabwesend an die gegenüberliegende Wand gestarrt hatte – die Fortführung eines Musters, das sich seit dem letzten Abend kontinuierlich ausweitete. Irgendwann, wenn er keine Lösung dafür fände, würde dieses sich um ihn herum spinnende Netz ihn ersticken.

„Ja, Sir.“

Er setzte sich aufrecht hin, fühlte sich dabei zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder wie ein beim Träumen ertappter Schuljunge und versuchte, die skeptischen Blicke auszublenden.

„Das Duranium?“

Die Art, wie er das Wort formte, ließ keinen Zweifel daran, dass Kirk es nicht zum ersten Mal ausgesprochen hatte, und wäre Scotty dank langjähriger Erfahrung nicht so professionell gewesen, wäre er errötet. Das Duranium, ja ... Seltsam, dass er genau wusste, was D’Armato heute nach Dienstschluss vorhatte, ohne es je tatsächlich erfahren zu haben, aber dass er direkt an ihn gerichtete Worte nicht registrierte ... Seltsam und besorgniserregend. Wenn die Stimmen in seinem Kopf nicht bald verstummten, würde er wahnsinnig werden. Endgültig.

„Das Duranium“, wiederholte Scotty mit aller Würde, die er zusammenkratzen konnte. „Wir sind mit den Untersuchungen nicht ganz fertig, aber bis jetzt sieht alles gut aus. Wahrscheinlich entspricht es den Standards der Föderation, und falls nicht, könnte man es zur Not auch dazu verwenden, bestimmte Legierung aufzupolieren, namentlich ...“

Bitte, mach’s kurz. Ein an ihn gerichteter Gedanke, abgeschickt von McCoy, brachte ihn kurz aus dem Konzept, aber diesmal gelang es ihm, sich zu fassen, bevor irgendjemand etwas bemerkte. Der wissenschaftliche Vortrag über die unendlichen Möglichkeiten des Ingenieurswesens beruhigte ihn; es war vertrautes Terrain, nur mit dem Unterschied, dass er in der Vergangenheit nicht gefühlt hatte, was seine Kameraden von seinen Erklärungen hielten. Bis auf wenige Ausnahmen empfing er nach wie vor nichts als einzelne Satzfetzen und verschwommene Gefühle, doch selbst das reichte aus, um ihm ein grobes Bild der Gesamtsituation zu vermitteln. Es war ablenkend und nach wie vor verstörend.

Ein Teil von ihm, der wenig professionelle, spontane Teil, wollte aufspringen und aus dem Raum rennen und sich erst wieder unter Leuten blicken lassen, wenn die Stimmen in seinem Kopf verstummt waren oder er zumindest wusste, was genau mit ihm nicht stimmte. Nur der andere, stärkere und durch den Lauf einer langen Karriere bei der Sternenflotte geformte Teil sorgte dafür, dass er seinen Vortrag beendete und in der Lage dazu war, so zu tun, als wäre nie etwas Ungewöhnliches vorgefallen.

„Danke, Scotty“, sagte Kirk, als er geendet hatte. Ein wenig Skeptizismus haftete sowohl seiner Stimme als auch seinem Denken an, aber bevor Scotty sich eingehender damit beschäftigen konnte, lenkte ihn ein anderer Gedanke ab, natürlich auch diesmal keiner seiner eigenen.

Dieser neue Gedanke, der wie ein um Aufmerksamkeit heischendes Kind an seinem Bewusstsein zupfte, stammte nicht von Sulu, D’Armato oder McCoy, sondern von der einzigen Person – abgesehen von Spock – in dieser Versammlung, von der Scotty bisher kaum etwas gehört hatte, und das, obwohl sie diejenige war, bei der es ihm am wenigsten ausgemacht hätte. Rein objektiv betrachtet, natürlich. Auch ihr Geist begab sich auf Wanderschaft, und wer konnte ihr das verdenken? Selbst eine so kompetente und leistungsstarke Frau brauchte ab und an ein wenig Zeit zum Entspannen, und McCoy dabei zuzuhören, wie er sich lang und breit über eine mögliche Gewinnung von Medikamenten durch irgendeine von Sulus Pflanzen ausließ, galt nicht als das, was man landläufig als anregende Unterhaltung bezeichnete. Uhuras Gedanken ließen den Konferenzraum hinter sich, schwebten ziellos durch die Gänge des Schiffes und kamen, gerade, bevor Scotty ihre Spur verlieren konnte, im Aufenthaltsraum der Offiziere an.

Ich wünschte, es gäbe mehr interaktive Abende. Nicht nur die regulären Filmeabende, sondern einen Abend, zu dem jeder kommen und an dem jeder sich einbringen kann. Durch den vielleicht ein noch besseres Miteinander entsteht, ein besseres Gemeinschaftsgefühl. Man könnte gemeinsam kochen, gemeinsam musizieren ... Es gäbe so viele Möglichkeiten.

Die Gedanken, nicht seinem Bewusstsein entsprungen und dennoch so klar, als wären sie von vornherein ein Teil von ihm gewesen, setzten sich in Scottys Kopf fest und ließen sich von dort selbst dann nicht vertreiben, als die in Uhuras Stimme geflüsterten Sätze längst zu Einblicken in andere Empfindungswelten übergegangen waren und dann endgültig im wilden Kanon des Chores verschwanden. Eine Masse an zusammenhanglosen Wörtern und klar verständlichen Sätzen, Wünschen und Sorgen, Gedanken und Gefühlen ... Doch, es wurde schlimmer, auf jeden Fall. Was als vereinzeltes Tröpfeln begonnen hatte, hatte sich längst zu einem Wasserfall ausgeweitet, und dafür hätte es keinen schlechteren Zeitpunkt als eine Personalversammlung geben können, auch wenn es sich nur um eine mehr oder weniger informelle Versammlung in überschaubarem Rahmen handelte.

Wenn dieses Gedankenlesen, wie er es von nun an nennen würde, nicht bald ein Ende fände, würde er daran zerbrechen, dessen war er sich sicher. Ehrlich, wie konnten zur Telepathie begabte Spezies diese ungefilterte Flut an Informationen aushalten, ohne verrückt zu werden? Vielleicht sollte er Spock fragen, vielleicht sollte er sich auch gleich in die Psychiatrie einweisen lassen.

Kirk übernahm das Wort, und alles, was Scotty denken konnte, während der Captain sie mit einer letzten Zusammenfassung der Mission beglückte, war Wieso ich? Wieso nicht Sulu oder McCoy oder irgendeines der anderen vierhundertvierzig Besatzungsmitglieder an Bord? Wieso ausgerechnet er, der mit Übernatürlichem so wenig am Hut hatte wie sonst nur Spock?

„Noch Fragen?“

Kirks erwartungsvoller Blick streifte ihre traute Runde, und im Stillen dankte Scotty jeder Gottheit sämtlicher ihm bekannten Religionen, dass niemand die Chance für überflüssige Anmerkungen nutzte. Jede weitere Sekunde, die er in diesem Raum verbrachte, kam es ihm deutlicher so vor, als rückten die Wände ein wenig näher zusammen; er musste fort von diesem Ort, musste sich irgendeine stille, abgeschiedene Nische suchen und wahlweise in Selbstmitleid versinken oder Nachforschungen anstellen. Er könnte zu McCoy oder Spock oder dem Captain gehen und ihnen von seinem etwas speziellen Problem erzählen, natürlich; das Bild, das sich vor seinem inneren Auge entfaltete, sobald er sich das daraus resultierende Gespräch vorstellte, schreckte ihn allerdings so gründlich ab, dass er beschloss, sich diese Möglichkeit nur als einen der letzten Auswege offenzuhalten. Natürlich war das nicht die von Vorschriften und gesundem Menschenverstand empfohlene Handlungsweise, aber es war die menschliche.

Wie sollte ein solches Gespräch schon aussehen?

„Äh, Captain, ich habe da ein Problem.“

„Ja, Scotty?“

„Ich höre Stimmen. In meinem Kopf.“

„Äh, okay?“

„Und ich weiß, was Sie denken.“

„Aber sonst geht es Ihnen gut, ja, Scotty?“

„Verstehen Sie nicht, ich kann Ihre Gedanken lesen!“

Spätestens dann würde Kirk entweder nach einer Zwangsjacke verlangen oder ihn auslachen, zumindest flüsterte seine mühsam unterdrückte Panik Scotty das ein. Wahrscheinlich tat er seinem Captain damit unrecht und Kirks Reaktion fiele in Wirklichkeit sehr viel verständnisvoller aus, aber die Panik fragte nicht nach Rationalität. Die Panik hatte schlicht und einfach Angst davor, als verrückt geltend abgeschoben zu werden.

„Gut, dann wären wir am Ende. Ich erwarte die letzten Abschlussberichte bis spätestens übermorgen. Hab ich etwas vergessen, Spock?“

„Ausnahmsweise nicht, Captain.“

Der vertraute Austausch von Sticheleien brachte sie alle zum Grinsen, selbst Scotty. Ein Stückchen Normalität in einer an den Rändern zerbrechenden Welt ... mit dem kleinen, feinen Unterschied, dass er normalerweise nicht hörte, wie stolz Kirk in diesem Moment auf seinen Ersten Offizier war. Er hat es inzwischen wirklich raus, wie man mit uns unlogischen Wesen umgehen muss ...

Scotty flüchtete mehr aus dem Raum, als dass er ging, und er hätte nicht einmal das Erstaunen seiner Kameraden fühlen müssen, um zu wissen, dass jeder Blick auf ihn gerichtet war – und es kümmerte ihn nicht. In diesen ersten Stunden, nachdem der metaphorische Wasserhahn fremder Gedanken aufgedreht worden war, war er zu verwirrt, zu verängstigt, um sich dafür zu interessieren, wie sein zugegebenermaßen mehr als atypisches Verhalten auf die anderen Besatzungsmitglieder wirken mochte.

Ganz von selbst führten ihn seine Schritte in den Maschinenraum. Er speiste seine Mitarbeiter mit knappen Anweisungen ab, beugte jeder potentiellen Nachfrage über sein Wohlbefinden vor und verzog sich, nachdem das Unvermeidbare erledigt war, mit einer vorgeschobenen Ausrede in eine besonders abgeschiedene Ecke; und erst, nachdem er Stunden im Bauch der Enterprise verbracht hatte, nur er und das Summen der Motoren, hatte er sich so weit gefangen, dass sich ihm eine andere, positiver angehauchte Perspektive eröffnete.

Wer behauptete denn, dass er sein ... spezielles Talent, solange er es besaß, nicht zu etwas Gutem verwenden konnte?
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