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5x01 - Aftermath (Teil 1)

von Julian Wangler

Kapitel 1

Original-PDF verfügbar unter: http://www.startrek-companion.de/STC2008/download/enterprisedownload/5x01.pdf


Kapitel 1 (Prolog)

2122

Jonathan Archer war gefallen, und ihm dünkte, er hatte fallen müssen.

Während er am Boden lag, in Schwüle und Staub von Indiana, gekrümmt vor Schmerz, und sich das verletzte Bein hielt, sah er vor seinem inneren Auge Henry Archer und fragte sich, was sein Vater wohl von ihm denken würde.

Er war überschwänglich geworden, übermütig, impulsiv. Dieser Charakterzug war ihm eigen, seit er sein junges Leben an der Seite seines Vaters verbrachte, während Sally – eine begnadete Journalistin – auf der ganzen Welt herumkam.

In Jonathan stiegen Erinnerungen an seine Großmutter auf. Einmal, nachdem der Junge etwas angestellt hatte, stand sie mit erhobenem Zeigefinger da. Der Hang zum Übermut liegt in den Genen der Archers., hatte sie gemeint. Wenn Ihr beide sie nicht zu zügeln lernt, werden sie Euch noch viel Ärger machen.

Henry hatte damals eigenartigerweise keine Widerrede geleistet, sondern nur gesagt, Übermut sei nicht schlimm, wenn man ihm eine Form gebe, in der er nicht gefährlich, sondern schöpferisch angelegt sei. Auch andere Leute wollten hoch hinaus., sagte er. Und nach einigen Anläufen haben sie es geschafft. Sonst stünden wir heute nicht davor, die Sterne zu entdecken. Seine Hand ruhte auf der Schulter Jonathans.

So war es gewesen. Sein Dad hatte ihn darin bestärkt, so zu sein, wie er war, sein Wesen zu leben, schon damals.

Trotzdem keimten in Jonathan gelegentlich Zweifel: Er war nicht so wie sein Vater, sondern viel sprunghafter, unsteter, wankelmütiger. Vielleicht war Henry früher, bevor der Junge zur Welt kam, anders gewesen, aber, so wie Jonathan ihn kennen gelernt hatte, erinnerte ihn sein Vater mit seiner Zielsicherheit an ein Raumdock, fest mit der Welt verbunden, nicht haltlos schwebend und träumend wie er. Henry war bodenständig, und er stritt für seine Ziele, legte sich sogar mit den Vulkaniern an, forderte seine Rechte ein, ging neue Wege, ohne jemandem in die Rippen zu stoßen. Jonathan hingegen hatte in den Momenten, wo er schonungslos mit sich ins Gericht ging, das Gefühl, sein Stürmen und Drängen besitze mehr Nachteile als Vorzüge.

Vielleicht hatte er ja deshalb diesen Ausflug unternommen, auf eigene Faust. Um seinem Vater etwas zu beweisen; dass er nämlich auch das Zeug hatte, selbstsicher und im Verlassen auf die eigenen Fähigkeiten seinen Weg zu gehen.

Lerne, dem Wind zu vertrauen., hatte Henry ihm vor einigen Tagen gesagt. Es war geschehen, als sie in der Abenddämmerung jenes von Jonathan mühevoll bepinselte Raumschiffmodell eines Marsliners hatten abheben lassen. Zunächst hatte der Junge Probleme gehabt, es über die Fernbedienung in der Meeresbrise zu steuern, doch nachdem sein Dad diese Worte ausgesprochen hatte, schien ein ganz subtiles Bewusstsein dafür entstanden zu sein, wie er durch die Turbulenzen navigieren musste. Lerne, dem Wind zu vertrauen…

Ja, Jonathan war früh genug mit der Magie des Lebens konfrontiert worden, um zu wissen, dass die Art und Weise, wie man Dinge tat – wie man sie lebte –, unter Umständen bedeutsamer sein mochte, als die bloße Tatsache, dass man sie tat. Erst im Wie lag die besondere Erfüllung – und die Individualität, welche jeden Menschen vom anderen unterschied.

Jonathan beneidete Henry. Er wollte auch so selbstbewusst auftreten. Das war der Grund gewesen, wieso er mit Tango, ohne es vorher angekündigt zu haben, ausritt, um sich jener Schlucht zu stellen, vor der er immer so große Angst gehabt hatte.

Tango war der gutmütige Hengst, den ihm sein Onkel auf dessen Farm in Indiana reserviert hatte, auf dass er, wann immer Henry und er ihn besuchten, mit ihm Ausflüge unternehmen konnte. Das Reiten zu lernen hatte für Jonathan anfänglich eine Mühe dargestellt, doch ab einem gewissen Zeitpunkt – mit etwas Unterstützung von Aldus Archer –, war es ihm ins Blut übergegangen.

Womöglich mochte der Sprung über die Schlucht – einer seiner urpersönlichen Dämonen – genauso zu bewältigen sein wie das Beherrschen der Reitkunst.

Jonathan ritt durch die grüne, üppige Landschaft, hindurch die flirrende Hitze, die mancherorts für Fata Morganen sorgte. Als die Schlucht in Sichtweite gekommen war, hatte Jonathan immer wieder und wieder den Satz gesprochen, den ihm sein Dad angetragen hatte.

Lerne, dem Wind zu vertrauen…

Er hatte die Zähne zusammengebissen und Tango angetrieben, unverdrossen seinem Ziel entgegen, bar jeglichen Zweifels, die Dämonen bezwingen, die eigenen Grenzen am heutigen Tag sprengen zu können.

Mit klopfenden Hufen und rasendem Herz war der Ritt immer wilder geworden. Der Wind war an ihm vorbeigepfiffen und hatte ihn beinahe aus dem Sattel geworfen.

Und dann war schließlich der Absprung gekommen. Er presste die Hacken in die Flanken seines Rosses, und zunächst vollführte Tango einen eleganten, viel versprechenden Bogen…

Doch die Unsicherheit war da, tief in ihm. Sie hatte nur gelauert. Sie hatte gelauert, bis er sich blamierte. Jonathan rutschte, machte angesichts der für Tango unerwarteten Situation eine falsche, plumpe Bewegung, und das Pferd warf ihn ab, wieherte und lief von dannen.

Und nun lag er da, mit aufgeschlagenem Knie und einem Bein, das höchstwahrscheinlich gebrochen war.

Das Feuer der Desillusionierung loderte in ihm. Vielleicht war es falsch gewesen, Henry hinterher zu eifern. Vielleicht war es an der Zeit, sich einzugestehen, dass er einfach nicht gut genug dafür war. Ewig im Schatten des eigenen Vaters… Diese Vorstellung raubte ihm, zusätzlich zu seiner körperlichen Verfassung, jegliche Kraft. Plötzlich fragte er sich, welchen Sinn das Leben für einen Sohn machte, der ewig Sohn blieb, der niemals erwachsen wurde, unfähig sich abzusetzen und seinen eigenen Weg zu gehen.

Schließlich fand ihn sein Vater. Sein Gesicht mit den ausdrucksstarken Augen sah besorgt aus, aber keineswegs wütend. Als Jonathan diese Tatsache realisierte, fühlte er sich sogar noch etwas mieser. Er konnte sich nicht vorstellen, an Henrys Stelle, als Vater eines eigenen Sohnes, ebenso ruhig zu bleiben. War er ein perfekter Mensch? Konfusion zerbarst im Jungen.

Henry hob Jonathan behutsam auf seine kräftigen Arme und trug ihn den ganzen Weg zurück zur Farm – wohin Tango wieder aus eigenen Stücken zurückgekehrt war –, und Aldus rief einen Arzt.



An diesem Abend, da Jonathan mit einem Gipsbein in seinem Bett lag, setzte sich Henry schweigend neben ihn und hielt seine Hand. Der Junge glaubte, vielleicht werde sein Vater ihn jetzt maßregeln, doch nichts dergleichen geschah. Henry saß einfach nur da, betrachtete ihn aus Augen, in denen sich alle Liebe der Welt zu widerspiegeln schien. „Ich bin froh, dass Dir nichts Schlimmeres zugestoßen ist.“, sagte er nach einer Weile.

Da konnte Jonathan sich nicht mehr helfen, spürte die Bitterkeit persönlicher Niederlage – und fing an zu weinen. „Ich wollte Dich nicht enttäuschen, Dad.“, schluchzte er tränenverklärt.

Henry schloss ihn in den Arm, war für ihn da, so wie immer. Und dann sprach er, zukunftssicher wie jemand, der sich nicht darauf verlassen wollte, dass er diese Zukunft noch selbst erlebte, Worte, die sein Sohn niemals wieder vergessen würde:

„Warum fallen wir, Jonathan? Damit wir wieder aufstehen. Deine Zeit wird noch kommen.“
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