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Glowing Heart

von Julian Wangler

Kapitel 2

2380 (Gegenwart)

„Es ist fünf Uhr. Sie wollten geweckt werden.“

Auf ganzer Linie mit seiner Programmierung am Vorabend wiederholte der Computer in schier seelenruhiger Monotonie die Worte noch zweimal, ehe die körperlose Stimme verklang, wie sie gekommen war.

In dem Moment, als das Licht auf ihrem Nachttisch aufflammte, kehrte Kira Nerys’ Bewusstsein schlagartig zurück aus dem Innerkosmos, wo ein Teil von ihr sich tief eingegraben hatte in dem vergeblichen Bemühen, dem Fortgang der Zeit ein Schnippchen zu schlagen. Mit einem noch trüben Schleier vor Augen blickte sie in ein kaltes, leeres Quartier, an dem nichts mehr daran erinnerte, dass es elf Jahre lang Rückzugsort gewesen war. Heimat.

Sie schlug die warme Decke zur Seite und richtete sich mit leisem Stöhnen auf. Ihr ganzer Körper war verspannt, der Rücken voll stechender Knoten. Sie ahnte, dass dieser Morgen schlechter für sie anfing als befürchtet.

Er war also schließlich doch gekommen. Der Tag des Abschieds. Aber mit ihm auch der Tag des Wiedersehens, rief sie sich sogleich zu Bewusstsein. Es war so wie oft an Scheidepunkten im Leben: Man konnte die Zukunft nicht umarmen, wenn man an der Vergangenheit klammerte. Und so wollte Kira Nerys sich bereitwillig in die Wärme stürzen, die vor ihr lag, um die Kälte, die ihr Herz in diesem Augenblick umgab, schnell vergessen zu machen.

In den zurückliegenden Wochen seit dem Abflug der Enterprise und der Copernicus hatte sie sich mit dem Gedanken vertraut gemacht. Sie hatte die Entscheidung getroffen, die sie viel zu lange vor sich hergeschoben hatte. Und jetzt musste sie nur noch die Konsequenzen tragen, dem Pfad folgen, welchen ihr Herz im Grunde längst vorgezeichnet hatte. Ein ehemaliger Captain der Sternenflotte, ein Mensch, der sich selbst vor einer Weile neu fand, hatte ihr das klar gemacht.

Eine Reise würde enden, eine neue beginnen. Odo. Nach so vielen Jahren unerfüllter Sehnsucht würde sie endlich wieder mit ihm vereint sein. Auf der anderen Seite der Galaxis würde er sie erwarten. War das nichts, worauf es sich zu freuen lohnte? Jäh begann ihr Herz schneller zu schlagen. Sie würde ihn tatsächlich wieder sehen. Nach all den Jahren der Trennung, seit er in die Wiege seines Volkes zurückgekehrt war.

Wie sollte sie sich nur verhalten, sobald er vor ihr stand? In diesem wundersamen Augenblick wollte sie nichts falsch machen, nichts zerstören. Fallen lassen., sagte sie sich. Du wirst Dich einfach fallenlassen. Und er wird Dich auffangen, so wie früher. Du musst es nur noch bis dorthin schaffen, und dann beginnt ein neues Leben. Du wirst schon sehen.

Ein Teil ihres Selbst würde heute hier zurückbleiben, im kosmischen Staub des Denorios-Gürtels, wo es den langen Weg bis nach Bajor nichts mehr geben würde. Nicht mehr das Vertraute. Große Veränderungen standen bevor. Und Kira wollte sie begrüßen. Sie würde nicht trauern. Sie würde nach vorn schauen. Das war das Versprechen, welches sie sich gegeben hatte, und es war an der Zeit, dieses Versprechen einzulösen.

Nachdem sie sich angezogen hatte und zum Waschbecken in die Hygienezelle hinübergegangen war, um sich kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen, fühlte sie sich bereits ein wenig besser. Sie schaute in den Spiegel vor sich, studierte die Details ihres Gesichts und fand sich nur ein kleinwenig fremdartig. Die Augen hatten die richtige Grautönung; die Riffel über der Nase waren in richtiger Weise geformt und tief.

Dennoch war da – wie eigenartig – etwas nicht Wiederzuerkennendes an der Frau, die sie anstarrte. Es war, als ob sie in das Gesicht einer Bekannten schaute, einer Kollegin, die es nicht mehr gab. Nicht gerade eine Fremde, aber keinesfalls ein Gesicht, das ihr gänzlich vertraut erschien.

Dann wusste sie wieder um den Traum, den sie vergangene Nacht gehabt hatte. Rührte die Befremdung vielleicht von ihm? Sie konnte sich nicht entsinnen, in letzter Zeit geträumt zu haben. Das entsprach gar nicht ihrer Natur, welcher sie und andere Leute stets einen Mangel an Fantasie bescheinigt hatten. Warum also träumte sie ausgerechnet in dieser allerletzten Nacht? Kira ahnte, dass sie keine Antwort auf ihre stumme Frage erhalten würde. Also ging sie in sich und versuchte die Fragmente zusammenzutragen, die ihr im Gedächtnis haften geblieben waren.

Es war ein seltsamer Traum gewesen. Sie erinnerte sich, wie sie beinahe das Opfer eines Flusses geworden wäre, dessen gewaltige Strömung sie unterschätzt hatte. Es hatte sich wie Fallen angefühlt, und gleichzeitig war sie vorwärts gezogen worden, durch den gnadenlosen Sog von etwas, das sie nicht hatte sehen können. Es war erschreckend gewesen, und selbst als ihre Mutter sie nur wenige Sekunden, nachdem sie über Bord gefallen war, wieder herausgezogen hatte, war ihr die Zeit im Wasser wie eine Ewigkeit vorgekommen.

Meru. Sie hatte lange nicht mehr an sie gedacht. Seit sie vor sechs Jahren herausgefunden hatte, dass ihre Mutter sich während der Besatzung auf eine Affäre mit Skrain Dukat einließ, war sie von Scham und Schande ergriffen worden. So begann sie, die wenigen, vagen Erinnerungen, die sie über Meru besaß, konsequent zu verdrängen. Nun waren sie also wieder an die Oberfläche gestoßen.

Mit drei Jahren war sie von ihrer Mutter im Singha-Flüchtlingslager getrennt worden. Alles, was sie über Meru im Kopf behielt, waren ihre wunderschönen Malereien. Und es waren vor allem diese irisierenden Augen, die einen mit solcher Intensität und kristallener Reinheit durchdrangen, dass das fast vergessen machte, welchen Verrat sie an ihren eigenen Leuten beging, als sie sich – mit noch so rechtschaffenen Motiven – dem grausamen cardassianischen Präfekten in die Arme warf.

In ihrem Traum hatte das Gesicht ihrer Mutter gestrahlt wie das Antlitz eines Engels. Von ihr war diese übersteuerte Helligkeit ausgegangen. Es war so real gewesen. Meru hatte sie schweigend angesehen und gelächelt. Und dann, nach einer Weile, hatten sich ihre Lippen in der Ankündigung von etwas Bedeutsamem geteilt. Sie hatte irgendetwas gesagt. Doch die Worte blieben Kira jetzt verborgen. In ihrer verblassenden Erinnerung blieb ihre Mutter stumm, ohne eine Stimme.

Verhalten ächzte sie. Das Gehirn war schon eine verrückte Sache. Selbst eine ehemalige Widerstandskämpferin, die sich oftmals für grobklotzig hielt, führte es zuweilen an die eigentümlichsten Orte. Das war auch einer der Gründe, weshalb sie es immer vorgezogen hatte, nicht zu schlafen – und sich stattdessen nützlich zu machen. Als junge Frau hatte sie nicht genug Cardassianer im Schutze der Nacht töten können, und während des Kriegs gegen die Jem’Hadar war Ruhe ein Luxus gewesen, der unter Umständen mit dem Preis des ganzen Alpha-Quadranten bezahlt worden wäre.

Die Besatzung, der Krieg… Das alles war jetzt Geschichte. Und die größere Geschichte, in die sie eingebettet lag, würde ihrerseits heute enden. Unwiderruflich. Der Lauf der Dinge. Es war an der Zeit, ein letztes Mal Lebewohl zu sagen, zu gehen und sich nicht mehr umzudrehen.

Langsam heftete sie sich den einzelnen Ohrring an, der für die Verbindung zu den Propheten stand. „Du bist Kira Nerys.“, sagte sie und beobachtete, wie sich ein dünnes Lächeln in ihr Gesicht stahl. „Du bist Kira Nerys.“

Sie stellte sich nicht mehr der Frage, wer Kira Nerys eigentlich war. Was sie ausmachte und was aus ihr wurde. Diese Überlegungen waren abgeschlossen. Und nun lag der Weg vor ihr. Sie beschritt ihn, als sie ihrem alten Quartier für immer den Rücken kehrte.

Die Zukunft war endlich in Kira Nerys‘ Schoß zurückgekehrt.
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