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Voyager Companions In Fate - Teil 2: Path of Destiny

von Julian Wangler

Kapitel 3

17. Februar 2368
Trebus

Trebus. Er war seit mindestens acht Jahren nicht mehr hier gewesen. Zwar hatte er sich bemüht, den Kontakt mit seiner Mutter aufrechtzuerhalten, doch angesichts der vielen Missionen, durch die er quer durch beide Quadranten geschickt worden war, war das ein überambitioniertes Ziel gewesen. Wenigstens mit seiner Schwester Sekaya hatte er sich hin und wieder persönlich treffen können, während sie der Erde oder einem anderen Planeten einen Besuch abstattete.

Doch die würzige, unberührte Luft dieser Welt einzuatmen, er hatte beinahe vergessen, wie sich das anfühlte. Irgendein Teil von ihm musste zugeben, dass er es vermisst hatte. Nach so langer Zeit wieder hier zu sein, weckte ein Empfinden der Heimkehr in ihm. Wie oft hatte er auf diese Welt und sein eigenwilliges, traditionsliebendes Volk geschimpft? Wie oft hatte er sich geschworen, dass er weggehen und niemals wieder einen Fuß auf diese Erde setzen würde? Und nun, ausgerechnet jetzt, da er zurückgekehrt war, um seinem Vater die letzte Ehre zu erweisen, regten sich sentimentale Gefühle in Bezug auf Trebus in ihm. Chakotay durchlebte ein Wechselbad der Empfindungen.

Er war mit Kolopak im Streit auseinandergegangen, und sie hatten sich seitdem kaum noch ein Wort zu sagen gehabt. Über die Jahre hatte er sich daran gewöhnt, seinen traditionsvernarrten Vater für alles zu verurteilen, was ihn ausmachte. Aber nie hatte er damit gerechnet, dass der große Kolopak einmal sterben würde. Auch nach seinem Weggang war er wie ein überlebensgroßer Geist gewesen, der ihn ständig begleitet, ihm auf der Schulter gesessen und anklagende Worte gegen ihn gerichtet hatte.

Die Erkenntnis, dass dieser Geist nun nicht mehr da war, veränderte alles. Mit dieser Möglichkeit hatte er sich nie beschäftigt, es war ihm gar nicht erst in den Sinn gekommen. Menschen konnten sterben, andere Lebewesen, aber nicht Kolopak. Doch auch sein Vater war am Ende nur ein Mann aus Fleisch und Blut gewesen, und dieser Mann war in einem Akt der Selbstaufopferung getötet worden, um zu verhindern, dass Cardassianer sich an den Frauen und Kindern seines Stammes vergingen.

Chakotay hatte vor zwei Tagen von seinem Tod erfahren. Er hatte sich von seinem Captain freistellen lassen und war mit einem Shuttle von seinem Schiff, der U.S.S. Andromeda, hergekommen. Vor einer halben Stunde war er gelandet. Er hatte die Fähre absichtlich ein ganzes Stück abseits der Siedlung geparkt – nicht nur, weil er so wenig Aufsehen wie möglich erregen wollte (und ein Sternenflotten-Shuttle auf einer Welt, die Technologie so weit wie möglich verbannte, rief Aufsehen hervor), sondern auch weil er ein Stück zu Fuß hatte gehen wollen. Er wusste nicht, warum, aber es tat ihm gut, durch die saftigen Wiesen und Felder von Trebus zu laufen, ehe Gray Horse in Sichtweite kam.

Gray Horse lag auf dem Gipfel eines kleinen Hügels, umgeben von den steilen Schluchten des Gray Horse Creek. Die Landstraße führte nah an den Hügel heran, aber um zur eigentlichen Stadt zu gelangen, musste man einen kleinen Pfad emporsteigen. Auf einer Ebene im Westen standen große Windräder, die der Stadt Strom lieferten und sogar oft so viel davon produzierten, dass ein Teil davon an umliegende Siedlungen weiterverkauft werden konnte. Im Großen und Ganzen sah die Stadt nicht nach viel aus: ein Fleckchen auf einem stoppeligen Hügel, der vor langer Zeit zur neuen Herzkammer der Kautschukbaummenschen auserkoren worden war.

So viel Leid hatte dieser Stamm erfahren, wie viele andere Indianerstämme auch. Konnte es da Zufall sein, dass Gray Horse wie eine Burg auf einem Hügel lag, der nur wenige natürliche Zugänge besaß, dafür aber ein wunderbar freies Schussfeld und reichlich frisches Trinkwasser bot? Ohne diesen Hügel und die mit Transportblockierern verminte Stadt darauf wären die Siedler schon längst nicht mehr auf Trebus…oder sie wären alle tot.

Während die Sonne sank, stieg Chakotay den steilen Pfad hinauf, der zur eigentlichen Stadt führte. Er überholte Familien, die Zelte, Ausrüstung und Kinder den Pfad hochschleppten. Die Gesichter, die er im Vorbeigehen sah, kamen ihm nur flüchtig vertraut vor. Es waren so viele Jahre vergangen, dass er beinahe ein Fremder geworden war. Und doch war das Zugehörigkeitsgefühl heute ausgeprägter denn je zuvor, seit er sich vor nunmehr dreiundzwanzig Jahren entschloss, seiner Geburtswelt den Rücken zuzukehren.

Auf dem Plateau konnte er durch die Bäume ein großes Lagerfeuer erkennen, dessen Flammen munter am dunklen Abendhimmel leckten. Die Feuerstelle befand sich in der Mitte einer rechteckigen Lichtung mit langen, aus halbierten Baumstämmen bestehenden Bänken auf jeder Seite. Funken sprangen zu den ersten aufflackernden Sternen hinauf. Eine kalte, klare Nacht kündigte sich an. Zusammengedrängt zu kleinen Gruppen, standen Hunderte von Leuten auf dem großen Platz herum – erschöpft und verängstigt sahen sie aus. Denn immerhin war Kolopak, einer ihrer Anführer gestorben, auch wenn er mit seinem Opfer den Rest seines Stammes geschützt hatte. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis die Cardassianer zurückkommen würden.

Chakotay fand Sekaya und seine Mutter in der ersten Reihe am Feuer vor. Sie hatten Tränen in den Augen. Schweigend nahm er sie in den Arm und wusste nicht recht, was er sagen sollte. Gemeinsam beobachteten sie, wie die Flammen von mehreren Männern weiter geschürt wurden, bis ein großes, knisterndes Feuer die rapide hereinbrechende Nacht erhellte. Dann fand seine Mutter ihre Stimme: „In seinem letzten Moment hat er etwas gesagt. Du warst nicht da, aber es war an Dich gerichtet.“

„An mich?“, fragte Chakotay verwundert. „Was hat er gesagt?“

„Er sagte… Du darfst nicht zulassen, Chakotay, dass uns Trebus weggenommen wird…“

Seine Mutter rang mit ihrer Trauer, und kurz darauf verlor sie diesen Kampf. Chakotay legte den Arm um sie und versuchte zu begreifen, was sie ihm soeben offenbart hatte. Wenige Minuten später nahm die Zeremonie ihren Lauf. Es gab eine Ansprache des Stammesältesten. Die gesalbten und aufgebahrten Körper von Kolopak und drei anderen Männern, die während des Übergriffs getötet worden waren, wurden dem Feuer übergeben.

Das Holz war vorher getränkt worden. Die Flammen setzten sofort auf die mit Tüchern umwickelten Körper über. Als die Flammen die Leichname einhüllten, schienen diese beinahe leise zu seufzen. Einen Moment stieg silberweißer Rauch auf. Chakotay wollte gerne glauben, dass die Seele der Toten befreit worden war, so wie es die Kautschukbaummenschen glaubten, und erlöst von aller Pein des weltlichen Daseins, in die sternenklare Nacht aufstiegen, um ein Teil des großen Himmelskanus zu werden, behütet vom Großen Manitu in seinen Ewigen Jagdgründen. Erst jetzt merkte Chakotay, dass auch ihm Tränen in den Augen standen, dass er voller Trauer war. Einen Augenblick glaubte er durch den Schleier seiner Tränen das Gesicht Kolopaks in den Flammenschatten zu sehen. Es gab kein Anzeichen mehr dafür, dass er länger wütend oder enttäuscht war. Nein, das Gesicht lächelte ihn gutmütig und wohlwollend an.

Die Zeremonie endete irgendwie. Während des Rituals der Verbrennung hatten die Kolonisten sich an etwas Bewährtem festgehalten, aber sobald es abgeschlossen war, trat offensichtlich zutage, dass niemand wusste, wie es jetzt weitergehen sollte. Kolopak war ihre geistige Leitfigur gewesen, und nun, da er nicht mehr hier war, um Führung zu vermitteln, stand für die Zukunft das Schlimmste zu befürchten. Chakotay blickte in die Gesichter seines Volkes und fand diese vor Trauer, Furcht, Hilflosigkeit, Wut und drohender Verzweiflung verzerrt vor.

In seinem Innern spürte er, wie ein mächtiges Gefühl sich ausbreitete und ihn neu belebte. Am Anfang hatte er noch Zweifel, doch sie verflüchtigten sich rasch. Wie eine Welle schob ihn das Gefühl an, und ehe er sich versah, trat er ins Zentrum der Versammlung, und seine Lippen teilten sich. Es war, als ob sich eine Tür hinter ihm schloss und er eine neue durchschritt, hinter der ihn ein helles Licht erwartete.

„Mein Vater,“, sprach er mit kräftiger Stimme, „verkörperte die tiefe Achtung für alles Leben und die Natur. Diese Achtung ging so weit, dass er die Möglichkeiten und die Verheißungen der Moderne zurückwies. Wir waren oft nicht derselben Meinung. Aber eines weiß ich: Er liebte die Schöpfung, und deshalb war er bereit gewesen, diese Welt mit den Cardassianern zu teilen. Er glaubte, was unsere Vorfahren glaubten: dass wir dieses Land nicht besitzen können. Wir können nur ein Teil von ihm sein, eine Symbiose mit ihm eingehen. Denn alles ist nur geborgt. Doch die Cardassianer sahen das anders. Deswegen ist er gestorben. Aber sein Geist ist immer noch unter uns. Dieser Geist raunt uns Folgendes zu: Dieses Volk ist stark. Es hat eine lange Leidensgeschichte, und es wird auch in Zukunft wieder hart geprüft werden. Aber wir haben all das durchgestanden.“ Chakotay hielt inne. „Mein Vater war ohne jede Bedingung bereit, sich zu opfern, weil für ihn die Sicherheit und das Wohl dieses Stammes an erster Stelle kamen. Ich glaube, ich habe erst jetzt begriffen, wofür er stand… Und wie viel Hochachtung er mir entlockt. Er führte ein Leben der Wahrhaftigkeit und der reinen Prinzipien. Und solange wir uns danach richten und dem, was wir sind, treu bleiben, werden wir auch diese Krise meistern. Kautschukbaummenschen, hört mich an!“, rief Chakotay aus ganzer Inbrunst. „Vor uns liegt ein steiniger Weg! Er wird lang und blutig sein! Aber wir werden uns nicht von dieser, unserer Erde vertreiben lassen! Wir werden nicht zurückweichen, und wir werden nicht aufgeben! Wir sind ein Teil von Trebus! Und wir werden leben!“

Jubel erscholl. Jemand nahm sich eine Trommel und begann elektrisierende Rhythmen darauf zu spielen. Es waren die Rhythmen der Vergangenheit, aber sie wurden zu einem Schwur für die Zukunft: um die eigene Heimat zu kämpfen. Dieser Schwur erhellte die Nacht wie ein Leuchtfeuer.

Die Frauen und Männer des Stammes begannen sich nach altem Brauch mit Federn, Masken, Fellen und Perlen zu bedecken, und auch Chakotay erhielt ein traditionelles Gewand. Zusammen sang man und tanzte um das große Feuer, das entzündet worden war, um Abschied zu nehmen. Doch zugleich war es die Ankunft von etwas Neuem geworden.

Chakotay, Kolopaks Sohn, war unverhofft in die Arme seines Volkes zurückgekehrt. Er konnte es kaum fassen, wie bereitwillig und begeistert es ihn wiederaufnahm, wo er seine Abstammung so lang und hartnäckig von sich gewiesen hatte. Man verzieh ihm seine Sünden; er gehörte wieder dazu, als wäre er nie fort gewesen. Es fühlte sich so richtig an, hier zu sein, und alles andere, alles, was gewesen war, verblasste dagegen.

In dieser Nacht erhielt er seine Tätowierung, die er fortan zu Ehren seines Vaters trug. Bereits zwei Wochen später würde er seinen Dienst bei der Sternenflotte niederlegen. Alles, von dem er geglaubt hatte, Bedeutung zu besitzen, war auf einmal gänzlich bedeutungslos. Chakotay rechnete mit seinem bisherigen Leben ab. Er fühlte sich seinem Volk nah, und zwar weil er seinen Vater und dessen Beweggründe zum ersten Mal zu verstehen glaubte. Er begann zu begreifen, dass Kolopak Recht gehabt hatte, was ihn betraf. Dies hier war das wirkliche Leben, seine Bestimmung. Seine Verantwortung. Alles andere war nur Rauch und Schatten.

So wurde Chakotay ein neuer Mann.

- - -

21. Februar 2368

Es war sehr lange her, dass Chakotay auf Geistreise gegangen war. Wie allen seines Stammes war ihm die rituelle Introspektionstechnik zur Visionssuche als Jugendlicher beigebracht worden. Doch hatte er nur wenige Male von ihr Gebrauch gemacht, da er nicht glauben wollte, dass er tatsächlich mit einem tierischen Berater oder den lange verstoreben Ahnen seines Volkes sprach. Stattdessen hielt er die kontemplativen Rituale der Kautschuks für faulen Zauber, erzeugt durch Manipulation des Gehirns. Früher hatten sie psychoaktive Gräser verwendet, heute nutzten sie das Akoonah. Der Effekt blieb derselbe: Ein Geist im Drogenrausch konnte sich vieles einbilden, zum Beispiel auch einem Toten begegnet zu sein.

Doch heute merkte Chakotay, wie alte Überzeugungen und Gewissheiten, die er sich wie einen schützenden Panzer zurechtgelegt hatte, endgültig brüchig wurden. Wenige Tage nach der großen Versammlung im Herzen von Gray Horse ertappte er sich dabei, wie er Te-Actal, einen alten Freund der Familie, bat, ihn anzuleiten. Te-Actal war zunächst überrascht, aber er half Chakotay gern und bereitwillig und frischte sein Wissen über die Geistreise auf.

Einige Stunden später war er soweit. Chakotay breitete das Medizinbündel vor sich aus, welches er dereinst erhalten hatte. Trotz seiner Verachtung für die alten Bräuche seines Volkes hatte er es nie übers Herz gebracht, es wegzuwerfen. Nun legte er alles bereit, sich immer noch fragend, warum er das eigentlich tat und was er sich davon versprach. Er musste einräumen, er wusste es nicht.

Die Reise nach innen wurde vom Akoonah ausgelöst, das die Neuronen des Hypothalamus stimulierte und eine wache REM-Phase bewirkte. Chakotays Blick ruhte auf den Fetischen vor sich, nachdem er die Hand aufs Akoonah aufgelegt hatte. Zuerst spürte er überhaupt nichts, dann durchdrang ein sanftes Prickeln seine Hand und breitete sich im ganzen Körper aus.

Nach und nach merkte er, wie sich die Umgebung veränderte. Die Fetische verloren an Form, wurden zu vagen Schemen. Ihre Farben verschmolzen und gingen ineinander über, während sich auch die Qualität der Luft wandelte.

Chakotay schloss die Augen, und als er sie wieder öffnete, befand er sich im Bereich einer Waldlichtung. Instinktiv hielt er nach der Schlange Ausschau, jenem Wesen, das er als junger Mann als seinen tierischen Berater kennengelernt, dann jedoch rasch den Kontakt zu ihm abgebrochen hatte. Er erkannte, dass dies hier nicht die Stätte der Schlange war, sondern ein anderer Ort, eine andere Landschaft.

Da hörte er Schritte hinter sich, drehte sich um und blickte in den dunklen Wald, konnte aber nichts erkennen. Plötzlich kamen die Schritte aus einer ganz anderen Richtung. Chakotay wirbelte um die eigene Achse und trachtete danach, die unbekannte Präsenz zu lokalisieren.

Das Geräusch von Schritten erklang nun überall, wurde lauter und lauter, wie grollender Donner. Chakotay drehte sich immer wieder im Kreis und wappnete sich innerlich für die Ankunft eines schrecklichen Geschöpfes. Vielleicht war dieser sentimentale Versuch, Klarheit über eine Geistreise zu erlangen, die Rache des Großen Manitu, dafür dass Chakotay sein indianisches Erbe über den größten Teil seines Lebens hinweg mit Füßen getreten hatte.

Er war sogar bereit, diese Strafe zu akzeptieren. Vielleicht, dachte er, hatte er sie sogar verdient.

Chakotay lauschte den fast ohrenbetäubend lauten Geräuschen und spürte, wie der Waldboden unter den Schritten Tausender Wesen zu vibrieren schien, die sich ihm näherten. Gleich musste es soweit sein. Gleich würde der Sturm ihn erreichen.

Und dann, mit einem Mal, herrschte Stille.

Aus dem Welt vor ihm kam jemand. Im nächsten Augenblick sah er ins Gesicht seines Vaters, der vor ihm stand. „Es ist schön, Dich wiederzusehen, mein Sohn.“, sagte dieser. Seine weise blickenden Augen funkelten, in seinem dünnen Lächeln ebenso wie in seinen Worten lagen bedingungslose Liebe.

Chakotay spürte, wie ihm Tränen in die Augen quollen. Seine Knie gaben nach; er wankte, sank auf den feuchten Waldboden. Er weinte, während sein Vater ihn schweigend umarmte. Seine Tränen berichteten von Schmerzen, von Verlust und Verwirrung.

Irgendwann verklang sein Schluchzen, und aus geröteten Augen sah er zu Kolopak auf. „Du gehst jetzt durch ein langes, dunkles Tal, mein Sohn. Doch es werden bessere Zeiten kommen. Glaube mir, Chakotay: Die Zeit der großen Trauer wird vorüberziehen.“
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