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Voyager Companions In Fate - Teil 3: Crossing the Line

von Julian Wangler

Kapitel 1

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Hallo, Seven,

die vergangenen Tage seit unserer Rückkehr waren ziemlich ereignisreich, nicht wahr? Ich hoffe, Du hast sie gut überstanden. Leider habe ich seit der Willkommensfeier auf dem Sternenflotten-Campus nichts mehr von Dir gehört. Geht es Dir gut? Wie war der Besuch bei Deiner Tante?

Ich melde mich, weil ich in den letzten Tagen über uns nachgedacht habe. Du sollst wissen: Unsere gemeinsame Zeit habe ich sehr genossen. Ich hoffe, ich konnte Dir einen Eindruck davon vermitteln, wie wundervoll und erfüllend menschliche Beziehungen sein können. Aber ich denke, wir beide wissen, dass wir nicht füreinander bestimmt sind. Wir zwei sind sehr verschieden. Das ändert nichts daran, dass ich Dich sehr mag und für eine ganz besondere Persönlichkeit halte…und für eine sehr attraktive Frau.

Doch siehst Du… Als wir unsere Beziehung begannen, waren wir noch im Delta-Quadranten. Das war eine vollkommen andere Ausgangslage. In der Ferne haben wir uns gegenseitig Halt gegeben – zumindest ging es mir so. Ich habe nicht damit gerechnet, dass wir so rasch heimkehren würden. Aber jetzt sind wir wieder in der Föderation.

Du hast nun nicht mehr hundertfünfzig Besatzungsmitglieder, aus denen Du wählen kannst, sondern Milliarden von Personen. Ich bin überzeugt, Du wirst die richtige für Dich finden. Mit der Zeit. Du musst herausfinden, wer Du bist, und das musst Du ohne mich tun.

Was ich Dir sagte, meinte ich aufrichtig. Ich werde immer in Transporterreichweite sein. Ich werde Dir mit Rat und Tat zur Seite stehen. Als Freund.

Es tut mir Leid, sollte ich Dir mit diesem Brief Kummer bereiten oder Dich verletzen. Nichts davon ist meine Absicht. Tatsächlich möchte ich nur das Beste – für uns beide.

Ich hoffe, wir hören bald wieder voneinander.

Chakotay

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22. Januar 2378
Erde, New York

Der Doktor war gerade damit beschäftigt, seine Vokalroutinen zu eichen – und nebenbei ein wenig Spaß zu haben. Er hatte begonnen, eine Oper von Puccini anzustimmen, was Barclay und Neelix zeitgleich dazu veranlasste, die Etage des Appartements zu verlassen – Kunstbanausen.
Nun, nicht jeder war mit der Gabe gesegnet worden, ein wahrer Tenor zu sein. Obwohl der Doktor den Gesang bisweilen nicht mehr als sein primäres Schaffensgebiet erachtete, bot er ihm immer noch einen erfüllenden Zeitvertreib und die Möglichkeit, auf andere Gedanken zu kommen. Und diese Art von gedanklicher Hygiene war notwendig, wenn man mit seinem kommenden Buch vorhatte, eine friedliche Revolution im Namen aller intelligenten Hologramme in die Wege zu leiten*.

Vertieft in seine Musik und aus voller Kehle singend, hörte der Doktor, wie es an der Tür klingelte.

„Reg, hätten Sie die Güte, aufzumachen?“, rief er sogleich.

„Tut mir Leid, Doktor, ich habe hier oben zu tun.“, ertönte die Antwort aus dem Obergeschoss der Wohnung.

„Hm…“ Der Doktor reduzierte die musikalische Begleitung des Computers auf ein Minimum und schritt zur Tür. Er war überzeugt, es handelte sich entweder um einen weiteren seiner zahlreichen Verehrer – oder Verehrerinnen, was noch schöner war – oder womöglich um Counselor Deanna Troi von der Enterprise, die versprochen hatte, Reg zu besuchen.

Umso erstaunter war der Doktor, als er Seven of Nine am Eingang vorfand. Ihre Augen waren gerötet und verquollen, Feuchtigkeit lag auf ihren Wangen, ihre vollen Lippen bebten. „Chakotay hat mir mitgeteilt, dass er nicht mehr mit mir zusammen sein will.“, schluchzte sie.

Der Doktor zog sie unverzüglich in die Wohnung. Er trieb einen heißen Tee auf und setzte sich für den Rest des Tages mit Seven zusammen. Es gab nur sehr, sehr wenige Dinge, die wichtig genug waren, damit er die Arbeit an seinem großen Werk unterbrach. Seven gehörte definitiv dazu.

Er hörte sich an, was sie ihm über Chakotays Brief erzählte. Der Doktor kannte die Beweggründe des Commanders nicht, die Beziehung mit Seven zu beenden, doch hatte sein Sinneswandel vermutlich in direkter Weise mit der Rückkehr der Voyager in die Heimat zu tun.

Seven tat ihm Leid, rührte ihn an, das hatte sie immer, wenn es ihr schlecht ging, ebenso wie wenn es ihr gut ging. Sie war aufgewühlt. Die Erde war ein Umfeld, das sie nicht gewohnt war; es drohte, sie zu überfordern und zu überlasten. Die Bindung an Chakotay hatte ihr eine gewisse Stabilität gegeben, um den Übergang in diese neue Zeit zu meistern. Doch Chakotay war nun offenbar nicht mehr gewillt, die Beziehung fortzusetzen.

So neidisch es den Doktor auch gemacht hatte, als er erstmals davon erfuhr, dass Seven sich an den Ersten Offizier der Voyager heranmachte, so sehr hätte er sich jetzt seiner Freundin zuliebe gewünscht, dass das Verhältnis mit Chakotay nicht zu Bruch gegangen wäre. Sie kam sich nun nackt und verletzlich vor, in einer Welt voller Kakophonie und Fremde.

Der Doktor konnte nicht anderes tun, als für Seven da zu sein. Er musste sie wiederaufbauen. Prompt kam ihm ein Einfall. Sicher würde Reg nichts dagegen haben, wenn sie für ein paar Tage hier einzog.

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24. Januar 2378
Erde, San Francisco

Kathryn Janeway betrat ihr Appartement, ging hinein und warf die Tür zu. Sie machte das Licht an, zog ihre Uniformjacke aus und legte sie über die Lehne ihres Stuhls, in den sie sich sofort fallen ließ. Janeway seufzte, ließ den Kopf zurückfallen, um einen Augenblick Ruhe zu finden.

Die ständigen Debriefings der vergangenen Tage hatten sie an den Rand der Erschöpfung getrieben. Das Oberkommando leuchtete jeden Aspekt des siebenjährigen Aufenthalts der Voyager im Delta-Quadranten aus; alles kam zur Sprache, wurde seziert und hinterfragt. Insbesondere Admiral Hayes, der das ganze Verfahren leitete, war unerbittlich. Er gefiel sich sichtlich in der Rolle des Verhörmeisters.

Doch die wahre Prüfung hatte noch gar nicht erst begonnen. Ab morgen würden Chakotay, B’Elanna und die ehemaligen Maquis intensiv befragt werden. Janeway würde den Sitzungen nicht beiwohnen, geschweige denn einspringen und helfen können. Es war ihr strikt untersagt.

Dabei war absehbar, wie die Dinge laufen würden. Die einstige Besatzung der Liberty würde ausgequetscht, ja zu Tode befragt werden – nicht nur zu ihren Aktivitäten als Maquis, sondern insbesondere zu ihrer Zeit auf der Voyager und der Möglichkeit eines Aufbegehrens oder einer Meuterei. Hayes und seine Vasallen würden jeden Satz und jedes Mienenspiel nach vermeintlichen Beweisen dafür absuchen, dass die Maquis nicht loyal zu Janeway gewesen waren. Sie würden sich auf jeden Hinweis – egal, wie fadenscheinig er auch sein mochte – stürzen, um Chakotays Leistungen und Erfolge zu schmälern und ihn zu diskreditieren. Und vor allem: um zu zeigen, dass er die Absicht hatte, die Voyager in seine Gewalt zu bringen.

Im Laufe der Reise hatte es ein, zwei Situationen gegeben, die auf den ersten Blick und bei falscher Interpretation so wirken mochten, als sei eine Maquis-Rebellion wenigstens geplant gewesen. Situationen wie Teero Anaydis‘ Versuch, via Gedankenkontrolle das Schiff vom Maquis übernehmen zu lassen**. Doch in Wahrheit hatte der Maquis niemals vorgehabt, zu meutern.

Janeway war trotzdem nicht naiv. Sie wusste, dass es in den ersten Tagen und Wochen der Reise im Delta-Quadranten durchaus nachtragende Mitglieder in der Maquis-Crew gegeben hatte. Aber Chakotay hatte Janeways Entscheidung, eine gemeinsame Sternenflotten-Besatzung zu bilden, stets respektiert und mitgetragen. Er hatte von Anfang an demonstriert, dass er sie nicht hintergehen würde, weil sie nun alle im selben Boot saßen. Die allermeisten Maquis waren seinem Beispiel gefolgt. Diejenigen, die das nicht getan hatten – allem voran Seska und Jonas –, waren früher oder später kein Teil der Gemeinschaft mehr gewesen, oder sie hatte ein unerfreuliches Schicksal ereilt.

Doch natürlich war sich Janeway darüber im Klaren, dass die Existenz von Verrätern wie Seska und Jonas in den Reihen der Maquis Wasser auf die Mühlen von Hayes war. Er würde versuchen, eine Verbindung bis hin zu Chakotay nachzuweisen und ihn als Drahtzieher ihrer Intrigen und Alleingänge hinzustellen. Ein harter Gang stand ihrem treuen Freund und Ersten Offizier bevor. Sie würde ihn bei allem unterstützen, was vor ihm lag. Fürs Erste allerdings würde sie nur warten und auf das Beste hoffen können.

Janeways Lippen kräuselten sich zu einem traurigen Lächeln. Da hatte sie jahrelang alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihre Crew nachhause zu bringen, um das Überleben und das Wohlergehen aller zu sichern und die Gemeinschaft zusammenzuhalten. Prinzipien oder Pragmatismus? Schnellere Heimfahrt oder Sicherheit vor allem anderen? Sie hatte gewusst, was von ihren Entscheidungen abhing. Und jetzt, da sie wieder zuhause waren, war sie gezwungen, das Schicksal ihrer Leute Admirälen, Sachverständigen und Juristen zu überlassen. Die Ironien des Lebens waren manchmal schlichtweg brutal.

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Erde, San Francisco

Tom Paris war völlig geschafft von den Befragungen, aber noch mehr als sein eigener übernächtigter und ausgelaugter Zustand belastete ihn das Wissen, dass als nächstes B’Elanna, Chakotay und die anderen Maquis von Hayes und seinen Bluthunden in die Zange genommen würden. Er hatte ihr versprochen, sie würden diese Sache gemeinsam durchstehen – was auch passierte –, und das würden sie. Dennoch war seine Stimmung aufgewühlt.

Um ein wenig auf andere Gedanken zu kommen, suchte er im Anschluss an sein Verhör das Quantum Café im Herzen des Sternenflotten-Hauptquartiers auf. Dort traf er den Akademiegärtner Boothby persönlich, wie er einer seiner nebenberuflichen Leidenschaften nachging. Nein, nicht dem Boxkampf, sondern dem Mixen von anspruchsvollen Cocktails. Der Alte mit dem Strohhut war ein Mann mit vielen Talenten, soviel stand fest.

Paris hatte nicht widerstehen können und beim schrulligen Barkeeper eine Bestellung aufgegeben: Canopus Sunrise. Nun schlürfte er seinen farbenprächtigen Drink und genoss die Atmosphäre des kleinen Etablissements. Es mochte zwar nicht so beeindruckend sein wie das Quark’s auf Deep Space Nine, aber die leise Jazzmusik und die gedämpften Stimmen der anwesenden Offiziere und Kadetten besaßen das Potenzial, Erinnerungen zu wecken.

Paris wusste es noch genau. Hier, im Quantum Café, hatte er sich in seinem ersten Jahr auf der Akademie häufiger mal mit Susie Crabtree getroffen. Sie hatten die ganze Nacht exotische Drinks konsumiert und geflirtet, bis sie ihn schließlich an sich heranließ. Paris war ganz verrückt nach ihr gewesen. Weniger erinnerungswürdig war hingegen der Nesselausschlag, den er bekam, als Susie mit ihm Schluss machte. Er hatte fast ein Jahr gebraucht, um über die Trennung hinwegzukommen. Im Quantum Café hatte der junge Paris noch eine weitere Frau kennengelernt und sich auf Anhieb in sie verschossen. Das Mädchen hieß Alice Battisti. Er hatte seine besten Anmachsprüche herausgekramt, doch Alice verstand es, ihn wie einen Idioten auflaufen zu lassen. Schließlich gestand er sich ein, dass er keine Chance bei ihr hatte.

Hier zu sitzen und zurückzublicken, mochte nicht immer die schönsten Erfahrungen wachrufen, doch es machte Paris bewusst, wie fundamental sich sein Leben im Laufe der vergangenen sieben Jahre gewandelt hatte. Früher war er ein Hallodri gewesen, der häufig in den Tag hineinlebte, nur arbeitete, wenn es unbedingt sein musste, und jeder hübschen Frau nachstellte. Auf der Flucht vor seinem autoritären Vater und sich selbst, war es ihm um Zerstreuung und seichte Freuden gegangen. Er hatte nichts ernst genommen – außer vielleicht den Poolrunden im Chez Sandrine. Heute hingegen waren Verlässlichkeit und Verantwortungsbewusstsein in sein Leben eingekehrt. Er war glücklich verheiratet. Er war Vater. Ein Offizier der Sternenflotte, dem diese Uniform etwas bedeutete. Selbst der ewige Konflikt mit dem überlebensgroßen Admiral Owen Paris gehörte der Vergangenheit an.

„Tom Paris. Dass ich Dich hier wiedersehen würde, hätte ich nun wirklich nicht erwartet.“

Die Stimme war vertraut. Paris drehte den Kopf und sah plötzlich einen Geist aus seiner Vergangenheit vor sich stehen. Gut, nicht einmal an diesem Geist war die Zeit vorbeigegangen. An den Schläfen des Mannes zeigten sich Ansätze vorzeitigen Ergrauens, und sein Haupthaar war merklich schütterer geworden. Pete Lennox war jedoch so schlank und athletisch wie er ihn in Erinnerung behalten hatte.

„Pete. Na, das nenn‘ ich eine Überraschung…“ Paris kämpfte sich aus seiner anfänglichen Erstarrung. „Was… Was tust Du hier?“

„Ich arbeite derzeit in San Francisco.“, erwiderte der Mann, an dessen Uniformkragen nun die Pins eines vollwertigen Lieutenants prangten.

Die beiden goldenen Punkte erinnerten ihn für einen Augenblick daran, dass er auch mal in ihre Gunst gekommen war. Dann hatte er während der Begegnung mit den Moneanern im fünften Jahr der Voyager-Reise eine eigenmächtige Entscheidung getroffen, die Captain Janeway entrüstet hatte. Sie hatte ihn zum Fähnrich degradiert und dreißig Tage Einzelhaft ausgesetzt – eine harte Entscheidung. Es waren fraglos nicht gerade rosige Tage gewesen, aber langfristig hatte Paris aus ihnen gelernt. Und was seinen Captain betraf, so hatte sie ihm die Gelegenheit gegeben, sich zu rehabilitieren. Anderthalb Jahre später hatte Janeway ihm mit sichtlicher Freude wieder den Rang eines Junior-Lieutenants verliehen.

„Ach so. Ich meine natürlich: Toll. Offensichtlich hast Du’s ziemlich weit gebracht.“ Paris räusperte sich nervös. „Und… Geht’s Dir gut?“

Das letzte Mal hatten sie sich als Mitglieder der Kepler-Staffel gesehen, vor neun Jahren. Damals waren sie gute Freunde gewesen. Sie hatten sich gleich an ihrem ersten Tag an der Akademie kennengelernt und schnell festgestellt, dass sie gut zueinander passten, denselben Humor teilten, eine Faszination für schicke Fahrzeuge und hohe Geschwindigkeiten. Es war schnell mehr daraus geworden. Schon nach kurzer Zeit schien kein Blatt Papier mehr zwischen sie zu passen. Nachdem sie infolge vierer teils turbulenter Studienjahre ihren Abschluss in der Tasche hatten, waren sie beide vorübergehend nach Caldik Prime versetzt worden. Dort sollten sie der Fliegerstaffel beitreten, bis sie ihre letztendliche Versetzung auf ein Schiff erhielten. Alles hatte so verheißungsvoll angefangen. Das schien eine Ewigkeit her zu sein.

Dann kam Paris‘ Pilotenfehler. Seine Lüge. Sein verspätetes Geständnis. Der unehrenhafte Ausschluss aus der Sternenflotte. Es hatte auch das Ende der Freundschaft mit Pete bedeutet, der heute vermutlich nur deshalb noch lebte, weil er an jenem dramatischen Tag mit der deltanischen Grippe im Bett lag und seine vier Staffelkameraden nicht zum Trainingsflug begleiten konnte, welcher bekanntlich in einer Katastrophe endete.

Paris würde wohl nie Petes fassungsloses Gesicht vergessen, als er ihm schließlich gestand, was wirklich während des Manövers in der Atmosphäre von Caldik Prime geschehen war. Dass drei Offiziere wegen ihm, aufgrund seiner Fahrlässigkeit und Verantwortungslosigkeit, gestorben waren. Zu diesem Zeitpunkt war Paris bereits Fähnrich an Bord der Exeter. Doch sein Dienst an der Navigationsstation währte nicht lange. Drei Monate schlafloser, schweißgebadeter Nächte, in denen ihn die Geister seiner toten Kameraden aus der Kepler-Staffel heimsuchten, hatten ihn am Ende weichgekocht.

Nachdem er nicht nur sein Offizierspatent, sondern auch Pete und das letzte Bisschen Achtung seines Vaters losgeworden war, hatte Paris keinen Grund mehr gesehen, in San Francisco zu bleiben. Im Gegenteil, dieser Ort erinnerte ihn nur noch an all das, worin er versagt hatte. Er war nach Marseilles gegangen und hatte die nächsten neun Monate bei mehr oder weniger klarem Verstand im Chez Sandrine verbracht. Dort war er eines Tages einem Typen über den Weg gelaufen, der ihn mit dem Maquis und einem ehemaligen Sternenflotten-Offizier namens Chakotay bekannt machte – und ehe er sich versah, nahm ein weiteres unrühmliches Kapitel seines Lebens seinen Lauf, dieses Mal ein besonders kurzes. Nur wenige Wochen, nachdem er sich dem Maquis angeschlossen hatte, durfte er die Annehmlichkeiten einer der berühmtesten Strafkolonien der Erde genießen, verdonnert zu achtzehn Monaten Rehabilitation***.

„Alles im grünen Bereich, danke.“ Paris beobachtete, wie Pete auf einem Barhocker neben ihm Platz nahm. Er vermied es zunächst, ihn direkt anzusehen. „Ob Du’s glaubst oder nicht: Nachdem die Voyager verschwunden war, hab‘ ich einige Male an Dich gedacht. Und als ich hörte, dass dort draußen doch noch ein anständiger Offizier aus Dir geworden ist, hab‘ ich mich aufrichtig für Dich gefreut.“ Paris entblößte ein peinlich berührtes Lächeln. Es erstarb schnell. „Trotzdem ändert das nichts daran, dass ich Dir nie werde verzeihen können. Manche Fehler im Leben, die kann man nicht wieder gutmachen. Die Lüge, die Du damals in die Welt setztest, gehört dazu.“

Paris umschloss sein Glas mit beiden Händen und nickte nachdenklich. Er wäre nicht einmal auf den Gedanken gekommen, Pete um Vergebung zu bitten, denn er hatte Recht. „Glaub mir, ich habe für meine Fehler bezahlt. Ich habe abgerechnet mit meinem früheren Leben.“

„Das würde ich gern glauben. Deinetwegen.“ Pete glitt vom Hocker. „Ich bin jetzt leider auf dem Sprung. Meinen Glückwunsch zu Deiner erfolgreichen Heimkehr. Und natürlich zu Deiner Rückkehr in die Flotte.“

„Danke.“

„Wenn ich Dir einen Rat geben darf…“, ließ sich Pete noch vernehmen. „Sieh Dich vor. Das ist nicht mehr die Sternenflotte, die Du verlassen hast. Ein paar Dinge haben sich geändert. Die letzten Jahre waren hart. Es ist nicht Utopia, in das Du zurückgekehrt bist. Genieß Deinen Drink.“

Paris schenkte dem anderen ein vorsichtiges Lächeln. „War schön, Dich wieder zu sehen, Pete. Alles Gute.“

„Das wünsch‘ ich Dir auch.“

Er verfolgte, wie der Freund, den er vor neun Jahren für immer verloren hatte, das Quantum Café verließ. Und da schwor Tom Paris sich, nie wieder der Mann zu werden, der einst den Tod von drei Personen verschuldete. Der Mann, der anschließend versuchte, auf dem Rücken seiner toten Kameraden trocken aus dem Wasser zu kommen. Der Delta-Quadrant und ein Raumschiff namens Voyager hatten einen anderen Menschen aus ihm gemacht. Ohne Kathryn Janeway, so wusste er, hätte seine Existenz nie eine so dankbare Wendung erfahren.

Sein Leben lang hatte er sich als Pechvogel gesehen, als jemanden, dem alles misslang. Doch in jenem Moment, als der Fürsorger dieses Schiff Zigtausende von Lichtjahren in die Ferne zog, da hatte er Glück gehabt. Und was für ein Glück. Er hatte es nur noch nicht gewusst.

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25. Januar 2378
Erde, San Francisco

Unter einem stahlgrauen Himmel gingen Chakotay und B’Elanna Seite an Seite auf das hoch aufragende Hauptquartier der Sternenflotte zu, einen gewaltigen Komplex, dessen Bauteile aus Dutzenden Welten stammten und damit das Motto ‚Ex Astris Scientia‘ erfüllten. Heute waren sie beide zur Anhörung geladen. Es würden äußerst intensive Stunden werden, und der Ausgang war ungewiss. Der Umstand, dass die Admiräle Hayes und Nechayev die Befragungen leiteten, war jedenfalls nicht besonders erbaulich. Sie galten als das, was man salopp ‚Maquis-Hasser‘ nennen konnte.

„Sag mal, Chakotay…“, sagte B’Elanna. „Hast Du eigentlich jemals bereut, dass wir uns dem Maquis angeschlossen haben?“

Er konnte sich denken, weshalb sie ihm diese Frage stellte. Vielleicht würde ihnen der Entschluss, damals auf Seiten der Rebellen gekämpft zu haben, nun teuer zu stehen kommen. Es wurde gemunkelt, dass Hayes nach wie vor das Ziel verfolgte, die ehemaligen Maquis in der Voyager-Besatzung einzubuchten.

„Nein.“, erwiderte Chakotay entschlossen. „Ich mag beim Maquis einige fragwürdige Entscheidungen getroffen haben, die ich bedaure, aber dass ich mich ihm anschloss, bereue ich keine Minute. Es ging mir nicht nur um die Verteidigung meiner Heimat. Nach meiner Überzeugung hatte die Föderation sich moralisch kompromittiert, um einen Frieden mit den Cardassianern um jeden Preis möglich zu machen. Viele linientreue Offiziere sahen das anders, aber ich hatte das starke Gefühl, dass ich diese Uniform nur ehren kann, indem ich sie aufgebe…und dadurch die Prinzipien der Föderation bewahre. Denn die Politiker hatten sie verraten.“

B’Elanna neben ihm lächelte. „Du warst schon immer ein Idealist.“

„Glaub mir, B’Elanna…“, fuhr er fort. „Wir hatten das Glück, dass wir die weitere Entwicklung des Maquis nicht mehr mitbekamen. Es bekamen Leute das Sagen, die nicht einmal davor zurückschreckten, Massenvernichtungswaffen gegen cardassianische Zivilisten einzusetzen. Sie verloren das wahre Ziel aus den Augen: den Schutz unserer Kolonien. Ihnen ging es nur noch um Rache, Blut um des Blutes willen. Das ist nicht der Maquis, dem ich mich einst angeschlossen habe. Ich glaube, ich hätte meine Ideale schnell verloren, hätte uns nicht der Fürsorger geholt. Das ist mir in den vergangenen Jahren klar geworden.“

„So hab‘ ich das noch nie betrachtet.“, gestand B’Elanna, und ihre Stimme wurde nachdenklicher. „Du hast Recht. Der Maquis hat sich verändert, nachdem wir im Delta-Quadranten strandeten. Vielleicht war es ein Segen, dass wir das alles nicht erlebten.“

„Es gibt weit schlimmere Dinge als im Kampf zu sterben.“, stellte Chakotay fest. „Seine Prinzipien und seine Moral zu verlieren, gehört dazu.“ Er wandte sich wieder an B’Elanna und stellte ihr die Frage, mit der sie ihn konfrontiert hatte. „Was ist mit Dir? Bereust Du, Dich dem Maquis angeschlossen zu haben?“

Sie zögerte einen Augenblick. „Meine Gründe waren nie so nobel wie Deine, wie Du weißt. Ich bin zum Maquis gegangen, weil ich nach Arbeit suchte. Und Ihr Guerillas brauchtet gute Ingenieure. Es wurde schnell mehr daraus.“

Chakotay nickte, voll der Erinnerung an diese stürmischen Jahre, in denen jedoch auch besondere Freundschaften entstanden waren. „Das wurde es.“

Für einen Moment stand ihm ihre erste Begegnung vor Augen. War das wirklich schon neun Jahre her? B’Elanna hatte sich – in dem Bestreben, schnelles Geld zu machen – wegen eines manipulierten Dom-Jot-Tisches in ganz schöne Schwierigkeiten manövriert, und es war an Chakotay gewesen, sie aus diesem Schlamassel zu befreien. Er hatte sich nur zufällig in dieser Bar auf Limbaria IX aufgehalten. Sie vor den drei schießwütigen und auf Rache sinnenden Nausicaanern zu retten, hatte ihm überhaupt nichts einbringen können außer sie gegen sich aufzubringen. Er hatte B’Elanna nicht gekannt, aber als er sah, dass ihr Leben bedroht war, hatte er sich für sie eingesetzt, als stehe sie ihm nahe. Mit seinem Schiff hatte er ihr zur Flucht verholfen, ehe die wütenden Nausicaaner ihr ein neues Gesicht schnitzen konnten.

B’Elanna hatte ihm einmal gesagt, dass sie sich ihm auch deshalb anschloss, weil er sie mit seiner Selbstlosigkeit und seinem großen Mut beeindruckt habe. Sie war eine ungezügelte, mit ihren starken Emotionen und ihrem inneren Konflikt ringende junge Frau gewesen, aber der ‚Indianer‘ (so titulierte sie ihn anfangs per Kosename) begann sie an die Hand zu nehmen, sie zu führen. Er half ihr, ihr Temperament zu drosseln und machte sie mit seinen Methoden der Kontemplation und Selbstfindung vertraut. Er machte sie sogar mit ihrem tierischen Berater bekannt. Auch, wenn Chakotays Bemühungen nicht immer Früchte trugen: Er brachte Stabilität in ihr Leben wie seit langer Zeit niemand mehr. Er hatte eine besondere Person und unglaubliche Begabungen in ihr erkannt. Von Anfang an hatte er an sie geglaubt – und sie hatte bewiesen, dass dieser Glaube mehr als gerechtfertigt gewesen war.

„Bereuen?“, wiederholte B’Elanna, und ihr Gesicht nahm einen unerschütterlichen Ausdruck an. „Nein, nicht mal so ein Stück. Selbst, wenn wir verurteilt werden sollten: Wir haben für eine gute Sache eingestanden, und ich möchte die Zeit mit Dir niemals missen, Chakotay.“

Er schenkte ihr ein erbauliches Lächeln. „Kommen Sie, Lieutenant… Bringen wir’s hinter uns.“

Zusammen betraten sie das Gebäude, wo bereits zwei Sicherheitsoffiziere warteten, die sie zum Verhörraum eskortierten.

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30. Januar 2378
Utopia Planitia, Marsorbit

Janeway betrachtete die Voyager, wie sie still im Dock hoch über dem Mars ruhte. Zufälligerweise war es eben jenes Trockendock, aus dem sie vor ziemlich genau sieben Jahren vom Stapel gelaufen war. Janeway würde den Moment nie vergessen, als das Schiff sich auf ihren Befehl zum ersten Mal in Bewegung gesetzt hatte. Damals war sie fest davon ausgegangen, lediglich eine mehrwöchige Aufklärungs- und Aufbringungsmission durchzuführen.

Ein Dutzend Arbeitsbienen, Shuttles und Runabouts umschwirrten die Voyager, als befänden sich Rudel von schaulustigen Touristen in ihnen. Das Ingenieurcorps bereitete sich darauf vor, das Schiff eingehend zu studieren und die technischen Erweiterungen, die in ihr verbaut worden waren, unter die Lupe zu nehmen. Die Teams waren handverlesen; es galt die höchste Sicherheitsstufe.

Sie konnte sich schon vorstellen, was das besondere Interesse des Ingenieurscorps auf sich zog: der von B’Elanna entworfene Kompositor zur Rekristallisierung der Dilithiumkristalle oder die regenerativen Schaltkreise und Relais, die Seven zu verdanken waren. Vor allem aber wohl die Ablativgeneratoren oder die Transphasen-Torpedos. Beides waren Geschenke von der Admiral Janeway aus einer Alternativzukunft gewesen, um der Voyager während ihrer finalen Konfrontation mit den Borg von Nutzen zu sein, bevor das Schiff Hals über Kopf nachhause zurückgekehrt war.

Ganz sicher würde in Kürze die Behörde für temporale Ermittlungen an ihre Tür klopfen. Sie würde ein paar Erklärungen abgeben müssen betreffs möglicher Verunreinigungen der Zeitlinie. Von diesen theoretischen und hoffnungslos verkopften Bürokratenleuten bekam man definitiv Kopfschmerzen.

Janeway war zur ordnungsgemäßen ‚Übergabe‘ der Voyager nach Utopia Planitia zitiert worden, wo ein Haufen Admiräle ihr allerhand Fragen zum aktuellen Zustand des Schiffes sowie den im Laufe der Reise vorgenommenen Modifikationen und Umrüstungen stellte. Janeway hatte die Fragen als teilweise spitzfindig und pedantisch empfunden, andererseits konnte sie verstehen, dass das Oberkommando neugierig war.

Vielleicht rührte ihre Enerviertheit auch daher, dass sie die Voyager inzwischen als ihr Schiff betrachtete und es ungern sah, wenn jemand anderes sich ihrer bemächtigte, sich anschickte, sie zu zerlegen und auseinanderzunehmen. Es ging gegen den natürlichen Instinkt und Reflex, den sie in all den Jahren im Delta-Quadranten entwickelt hatte, wo jeder Tag ihr letzter hätte sein können.

Inzwischen war die Sitzung vorbei. Gleich würde Janeway einen Transport zurück zur Erde nehmen. Die verbleibenden Minuten verbrachte sie damit, aus einem der Panoramafenster der Dockstation zu sehen und die Voyager zu betrachten.

Wehmut flackerte in ihr auf. Es würde ihr schwer fallen, von diesem Schiff getrennt zu sein. Schwerer als gedacht…

Schritte näherten sich ihr. „Die halbe Föderation ist wie besessen von diesem Schiff. Die Presse ist voll mit Interviews und Heldenverehrungen. Merchandisinggartikel werden auf den Markt geschmissen und kleinen Kindern der Kopf verdreht.“

Das Spiegelbild von Admiral Hayes – er war auch an der Sitzung beteiligt gewesen – zeichnete sich im konvexen Glas neben ihr ab wie ein bedrohlicher Schatten. Ihn vor dem Hintergrund der Voyager zu sehen, gefiel ihr nicht. Sie wandte sich zu ihm um.

„Ehre, wem Ehre gebührt,“, fuhr der Admiral mit grimmigem Ausdruck fort, „aber wenn Sie mich fragen, ist es an der Zeit für Sie und Ihre Leute, auf den Boden der Realität zurückzukommen.“

Janeway blieb gefasst. „Und der wäre, Admiral?“, fragte sie blinzelnd.

Ihr Gegenüber straffte seine Gestalt. „Suchen Sie sich etwas aus, Captain. Hier hat ein Krieg getobt – ein Krieg, den wir unter größten Mühen gewonnen haben. Er hat den halben Quadranten verwüstet. Säbelrasseln mit Romulanern, Wiederaufbau von Cardassia, Neuordnung der interstellaren Beziehungen… Wir hatten weißgott genug zu stemmen. Nehmen Sie es mir nicht krumm: Was Sie im Vergleich dazu geleistet haben, ist überschaubar. Also seien Sie gefälligst etwas demütiger und blasen Sie sich beim nächsten Mal nicht mehr so auf, wenn Ihnen ein Reporter sein Aufnahmegerät vor die Nase hält.“

Janeways Züge verhärteten sich. Wie kam Hayes dazu, so abschätzig über ihre Zeit im Delta-Quadranten zu sprechen? Was gab ihm das Recht, Vergleiche anzustellen? Was zum Teufel wusste er schon, wie schwer es gewesen war? Verdammter Hornochse…

Sie ließ sich ihre Kränkung nicht anmerken. „Bei allem Respekt, Admiral: Wir haben Daten über mehr als vierhundert bis dahin vollständig unbekannte Spezies gesammelt. Wir haben neue Elemente entdeckt. Wir hatten mehr Kontakt mit den Borg als irgendjemand sonst in diesem Quadranten, und wir haben sie so gut wie jedes Mal besiegt. Wir haben erfolgreich einen menschlichen Jungen befreit sowie eine Frau, die im Alter von sechs Jahren assimiliert wurde. Mit Spezies 8472, einem der gefährlichsten Völker, auf das wir je trafen, haben wir Frieden geschlossen. Wir haben ein MHN, das seine Programmierung weit jenseits des Erwartbaren erweitert hat. Wir haben uns alle sehr gut geschlagen, würde ich sagen, und wir können zufrieden sein.“

Hayes sah auf sie herab und lächelte gespielt. „Das klingt sehr selbstgefällig.“

„Ich versichere Ihnen, Selbstgefälligkeit liegt mir fern. Aber das da drüben war kein Spaziergang. Es war harte Arbeit. Jeden Tag.“

Hayes verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Nun, Captain, diese Zeit liegt jetzt hinter Ihnen. Ich hoffe, Sie werden sich an die Realität unserer Situation hier im Alpha-Quadranten rasch wieder gewöhnen. Sie werden vielleicht etwas reizüberflutet sein bei all den Dingen, die auf Sie einströmen werden. Wenn man auf hundertfünfzig Seelen konzentriert war, könnte es ein wenig schwer sein, den Überblick zu bewahren. Man sieht sich, Captain.“

* Im Delta-Quadranten hatte der Doktor Erfahrungen mit Zivilisationen gemacht, die durch den gewalttätigen Aufstand der von ihnen geschaffenen Hologramme schweren Schaden nahmen oder vom rechten Weg abkamen (z.B. Lokirrim, vgl. Episode Körper und Seele). Zudem hatte er bei seinem Kontakt mit dem Isomorph und in Idens Gruppe erlebt, wohin der Wunsch nach Rache an den Organischen führen konnte (vgl. Episode Der Isomorph, Fleisch und Blut). In Summe all dieser Eindrücke war in ihm die feste Überzeugung gereift, dass es friedliche Wege zur Erstreitung der Freiheit photonischer Lebensformen geben musste. ** Wie sich später herausstellte, hatte der geisteskranke Vedek sich in den Kopf gesetzt, den Maquis im Delta-Quadranten wiederzubeleben. Mit den technologischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten der Voyager sollte von langer Hand ein Rachefeldzug gegen die Cardassianer mit möglichst vielen Opfern vorbereitet werden (vgl. Episode Verdrängung). ***Von den vorgesehenen achtzehn Monaten verbüßte Paris letztlich nur etwa viereinhalb Monate, da ihm die Sternenflotte eine Bewährung in Aussicht stellte, wenn er dabei half, Chakotays Schiff in den Badlands ausfindig zu machen. Paris ließ sich auf das Angebot ein (vgl. Episode Der Fürsorger, Zeitschiff Relativity).
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