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5x04 - Mummy's Wedding

von Julian Wangler

Prolog

Andoria, Nördliche Eiswüsten

Du hast Dein Volk bereits einmal verraten. Damals, als Du gingest, um Deinen Bruder zu retten. Du hast uns verraten, hörst Du?

Die Worte hinter Jhamels Stirn brandeten hart gegen das fragile Gerüst ihrer Hoffnungen. Sie hatte geglaubt, es lasse sich eine Lösung finden; dass man sie gehen ließe, ohne ihr derartige Anschuldigungen zu bereiten. Nun schien nicht einmal ihr Fortgang gesichert.

Da standen sie vor ihr, die Weisen der Population, gleich einem gefügten Block, das große Fenster in ihrem Rücken ausgefüllt mit der fremdartigen Metropole. Die Stadt in der unterirdischen Felsgrotte – viele Kilometer im Durchmesser – war umsäumt von stalaktit- und stalagmitartigen Ausläufern, welche ein Konglomerat aus unbearbeitetem Gestein bildeten. Dazwischen verliefen riesige, hell erleuchtete Habitatmodule, die wie überdimensionale Untertassen anmuteten und zu Dutzenden aus den blaugrauen Felsformationen ragten. Sie waren nicht nur jeweils über dicke Verbindungsstengel und –streben mit dem Höhlengestein verbunden, sondern über Brücken und kleinere Laufstege auch untereinander, was ein feingliedriges Netzwerk schuf und im gesamten Erscheinungsbild an eine besonders exotische Sukkulente erinnerte.

Die Blicke der Weisen waren bitterernst. Ihre Fühler – anders als bei Andorianern nicht nur für EM-Ausstöße, sondern auch für telepathisch vermittelte Gedanken und Emotionen empfänglich – tänzelten nervös unter dem langen, weißen Haar der zierlichen weiblichen und männlichen Gestalten.

Jhamel glaubte, vor Gericht zu stehen. Streng genommen tat sie das auch. Sie war der Desozialisation angeklagt.

Denn die Aenar waren so, wie sie immer gewesen waren: Isolationisten. Leute, denen es mit das Wichtigste war, unter sich zu bleiben.

Verhielten sich alle kodexkonform, dann schmückte diese Gesellschaft sich gerne mit Prädikaten wie Toleranz und Pazifismus. Tatsächlich kam erst im Konflikt mit einem ihrer Mitglieder ans Licht, wie eisern das soziokulturelle Korsett einer Spezies war, die so viele Generationen abgeschieden in den Nördlichen Eiswüsten Andorias gelebt hatte – und stolz darauf war.

Jhamel war es auch gewesen – bis zwei Fremde in dieses wie hermetisch abgeschirmte Reich im ewigen Eis kamen: Captain Jonathan Archer und Commander Shran. Sie weckten in ihr die Überzeugung, dass es nur richtig war, für ihren Bruder über festgelegte Grenzen hinauszuschreiten: die Heimat zu verlassen.

Zwar hatte Gareb, der irgendwie in die Gewalt eines feindseligen romulanischen Marodeurs geriet, den Tod gefunden. Doch war dies geschehen, nachdem Jhamel ihn mittels einer Telepräsenzeinheit auf Archers Schiff aus seiner drogenbereiteten mentalen Verwirrung befreien und sich von ihm verabschieden konnte. Gareb, gepeinigt durch Schandtaten, zu denen er durch die Romulaner gezwungen worden war, hatte mit seinem Opfer womöglich viele weitere Leben gerettet.

Die Reise war nicht umsonst gewesen, wahrlich nicht.

Denn vom ersten Augenblick an, da sie Shran sah, hatte er sie fasziniert, ihr Herz in Beschlag genommen, mitsamt einer fremdartigen Vertrautheit. Nicht seine Kämpfernatur beeindruckte sie, sondern die Zerbrechlichkeit und tatsächliche Stärke dahinter: die Fähigkeit, zu hinterfragen und wahrhaftig zu sein. Wie viele Entbehrungen hatte er hinnehmen, wie viele Verluste erleiden müssen, um sich am Ende immer wieder zu berappeln und seinen Weg von Ehre und Pflichterfüllung weiterzugehen? Er hatte nie aufgegeben.

Jhamel konnte verstehen, weshalb gerade Shran so wichtig für die Zusammenarbeit der alliierten Völker geworden war, denn auf ihn war Verlass. Er war der Fels in der Brandung. Ihr war keine zweite Person bekannt, die sich derart integer ausnahm. Doch vor allem war er wichtig für sie geworden. Als er sie nach dem Tode Garebs tröstend festhielt, da erkannte Jhamel, dass sie das Rad der Zeit nicht einfach der Vergessenheit entgegendrehen und in die Eiswüsten zurückkehren konnte. Sie erkannte, dass sie ihn liebte. Und dass es ihr Wunsch war, all die wundersamen Geheimnisse zu ergründen, die das Universum bereithielt – an seiner Seite.

Deswegen stand sie hier und musste sich rechtfertigen. Rechtfertigen, für die Person, die sie war, für das, was sie fühlte.

Lissan stand schweigend zur rechten Flanke des Trosses von in grellbeige Roben gehüllten Aenar. Seit ihrer sakrileghaften Entscheidung im vergangenen Zyklus, Jhamel gehen zu lassen, auf dass sie Gareb suchen konnte, hatte sie nichts mehr zu sagen, war ob ihrer Ämter entmündigt worden. Lissan, die im Übrigen stets eine Schwäche für Leute mit alternativem Lebensstil besessen hatte, zahlte einen hohen Preis für ihre Sympathien Jhamel gegenüber. Wer darauf bestanden hatte, sie an der unfreiwilligen Anhörung teilnehmen zu lassen, darüber konnte die junge Frau nur spekulieren. Genau genommen spielte es aber für Jhamels Entscheidung, fortzugehen, keine Rolle mehr, wenngleich Lissan ihr Leid tat.

Der Älteste im Zentrum der Versammlung trat einen Schritt vor und reckte die Fühler tentakelhaft.

Womöglich liegt der Hang zum Aufbegehren in Deiner Sippe., ertönte seine Stimmte hinter ihrer Stirn.

Jhamel war entrüstet. Gareb hat nicht aufbegehrt., widersprach ihr Geist harsch. Kurzweilig gingen ihre Gedanken an ihre bei einem Grubenunglück ums Leben gekommenen Eltern. Wie sehr sie sich jetzt eine schützende Hand gewünscht hätte…

Stattdessen sah sie sich neuerlichen Anschuldigungen ausgesetzt: Wenn er sich nicht so weit entfernt und an die Oberfläche gegangen wäre, hätten ihm die Gezeiten nie ein solches Schicksal beschieden.

Er hat Eisbohrer gesammelt., übermittelte Jhamel. Und überhaupt: Was ist so schlimm daran, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen?

Es ist nicht unsere Lebensweise., sagte nun die buckelige Frau neben Lissan.

Jhamel schnaufte aufgebracht. Wer legt fest, was unsere Lebensweise ist? Wer hat das Recht dazu? Jeder von uns sollte das selbst entscheiden; wir sind Individuen.

Das sind wir., räumte der Älteste ein. Aber wir stehen untereinander in Verbindung. Wir sind letzten Endes eins.

Dann seht es als Chance und erweitert Euren Horizont.

Sie erntete Sturm: Nicht nur Dein Weggehen ist inakzeptabel, weil es mit der traditionellen Abgeschiedenheit von uns Aenar bricht. Du gedenkst, Dich mit ihm zu vermählen, Jhamel. Mit einem Andorianer. Der all das repräsentiert, wogegen sich unsere Vorfahren entschieden haben.

Jedoch nicht ich., formulierte sie ihre Gedanken. Ich liebe ihn, ob Euch das passt oder nicht. Und eigentlich bin ich nur ein letztes Mal hierher gekommen, um meine persönlichen Sachen mitzunehmen. Sie bedeutete die Tasche in ihrer Hand.

Noch nie wurde eine Verbindung mit einem Außenstehenden eingegangen.

Dann bin ich eben die erste.

Die buckelige Frau hob wie beschwörend beide Hände. Du darfst nicht gehen.

Jhamel erzeugte ein heiseres Lachen. Dann müsst Ihr mich wohl mit Gewalt aufhalten, im Namen von Toleranz und Pazifismus. Sie schickte zum Umdrehen an.

Jhamel…, intonierte der Älteste. Wenn Du jetzt gehst, wirst Du nie wieder hierher zurückkehren können. Du wirst für alle Zeiten eine Ausgeschlossene sein.

Jhamel musterte die Anwesenden. Ausgeschlossen sein?, wiederholte sie. Das kann ich gar nicht. Ich bleibe eine Aenar. Und damit müsst Ihr leben.

Sie wandte sich um und ging.

Dieses Mal versuchte niemand, sie aufzuhalten oder sie im Kreis laufen zu lassen, in der Hoffnung, sie würde irgendwann vor lauter Verwirrung Kehrt machen. Man akzeptierte ihre Entscheidung und ließ sie ziehen.

Doch Jhamel ahnte, dass das seinen Preis hatte: nie wieder in die Heimat zurückzukehren. Von nun an würde ihr nur noch Shran bleiben.
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