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5x06 - Day of the Vipers

von Julian Wangler

Kapitel 1

26. Oktober 2155
U.S.S. Enterprise, NX–01

Hoshi Sato wusste nicht, was sie von Malcolm Reed halten sollte.

Es war nicht das erste Mal, dass ihr Verhältnis zum Sicherheitschef der Enterprise sie in tiefe Verwirrung stürzte. Andererseits: Vielleicht war eben seine Kompliziertheit der Grund, warum sie ihm einstweilen das heutige Date vorgeschlagen hatte. In den vergangenen Monaten hatten sie sogar erste klärende Gespräche dahingehend geführt. Doch selbst am erwählten Tag hatte sie keinen blassen Schimmer, in welche Richtung die Beziehung ging oder ob sie überhaupt zu etwas führte.

Auch deshalb, weil sie das praktische Austesten für eine sinnvolle Lösung hielt, hatte sie Malcolm zu einem netten Abendessen eingeladen, das sie selbst zubereitet hatte. Obwohl sie sich stets für eine gute und vor allem passionierte Köchin gehalten hatte, waren ihre Gastauftritte in der Kombüse bislang nur bedingt bei der Crew angekommen. Das hatte sie – auch, wenn sie es nicht offen zugab – in ihrem Stolz verletzt. Sie wusste nicht, ob sie eine solche Demütigung noch einmal verkraften würde, aber zu diesem Anlass – ihr erstes Rendezvous seit Jahren – war sie bereit, ein kleines Risiko einzugehen – und hoffte natürlich, dass die Geste als solche schon etwas zählte.

Aber ob Malcolm es verstehen würde, sie richtig zu deuten? Immerhin hatte der spartanische Kerl ja selber bei einer Gelegenheit amüsiert erklärt, er sei auch daher zum Militär gegangen, damit er sich nie wieder Mühe machen müsse, sich selbst ein Essen zuzubereiten. Kantine, und mehr nicht.

Hinzu kam, dass das Thema Essen in ihrer bisherigen Beziehung eine durchaus zwiespältige Rolle gespielt hatte. Im ersten Missionsjahr hatte Captain Archer Malcolm eine Freude machen und ihn zu seinem Geburtstag mit seinem Lieblingsgericht überraschen wollen. Er hatte Hoshi darauf angesetzt, dieses in Erfahrung zu bringen. Genau das aber hatte sich als weit schwerer herausgestellt als ursprünglich gedacht. Nachdem weder seine Eltern noch seine Schwester oder der beste Freund Auskunft über Malcolms Lieblingsessen geben konnten, hatte Hoshi entschieden, ihn persönlich darauf anzusprechen, ohne dabei Captain Archers gute Absicht preiszugeben. Sie hatte zwar ihr Ziel immer noch nicht erreicht, dafür jedoch durch ihr vages Vorgehen bei Reed den Verdacht erweckt, sie wolle privat mit ihm speisen – und eine Liaison beginnen. War das ein gutes Omen für den heutigen Tag?

Trotz dieser Vorzeichen wollte Hoshi frohen Mutes sein. Um Punkt zwanzig Uhr traf sie sich mit Malcolm, und sie wollte, dass es ein besonderer Abend wurde. Das Problem war nur, dass in den Quartieren grundsätzlich keine Kochgelegenheit mehr bestand, seit die Sicherheitsvorschriften vor einigen Jahren verschärft worden waren.

Also war sie direkt nach Schichtende in die Kantine gegangen und hatte eine Komposition erstellt, die sie Malcolm halbwegs guten Gewissens vorsetzen konnte. Für seine Geschmacksnerven bedeutete dies vor allem etwas Fleischlastigeres und tunlichst nichts Vegetarisches.

Doch als der Chronometer bereits halb neun schlug, verspürte Hoshi eine erste Eintrübung ihrer anfänglich guten Laune.

Endlich, eine gute Stunde später als mit Malcolm verabredet, ging ihr Türmelder. Das Essen mochte vielleicht nicht mehr warm sein, dafür aber kochte Hoshi.

„Herein.“, sagte sie in einem Tonfall, der anzeigte, dass derjenige, der hereinkommen würde, alle Hoffnung fahren lassen konnte.

Malcolm zögerte kurz und erwog möglicherweise einen Moment lang, davonzurennen, doch wäre das nicht die feine englische Art gewesen. Außerdem schien er einen Notfallplan im Ärmel zu haben.

Stolz streckte er ihr eine wunderschöne, kleine Pflanze mit orangefarbenen, schlüsselförmigen Blüten hin und sagte: „Tut mir Leid, dass ich zu spät komme. Die letzten Tests auf dem Waffendeck mussten vorschriftsgemäß beendet werden.“

In ihrem blauen Trägerkleid verschränkte sie die Arme. „Wenn Du Dich tatsächlich entschließt, dieses Quartier zu betreten, wirst Du Deine Vorschriften draußen lassen müssen. Verstanden?“

Er nickte ein wenig entgeistert.

„Außerdem: Um so spät zu kommen“, hielt Hoshi eine eisige Stimme, „müsstest Du mindestens drei sichtbare Wunden vorweisen können.“ Gegen ihren Willen richtete sich ihr Blick auf die Blume, die er ihr weiter hinhielt. „Du kommst zu spät zu meinem wunderbaren Abendessen, das ich übrigens im Schweiße meines Angesichts für Dich zubereitet habe, und denkst, Du könntest Dich mit einer Blume wieder bei mir einschmeicheln?“

„Das entspricht ziemlich genau meiner schwachen Hoffnung, ja.“, gab er zu.

Sie stieß ein Schnauben aus und streckte die Hand nach der Blume. Er trat näher und überreichte sie ihr. Sie hob sie an die Nase, atmete tief ein, um dann – wider alle besseren Vorsätze – vor Vergnügen zu stöhnen. „Mein Gott,“, brachte sie mit schon fast orgastisch klingender Stimme, „wo hast Du die denn her?“

Malcolm, schier zufrieden über den Coup, lächelte und zuckte die Achseln. „Die Vorteile, wenn die Erde zum Mittelpunkt einer intergalaktischen Allianz werden soll. Du würdest Dich wundern, wer so alles seine Stände in San Francisco aufgeschlagen hat. Du wirst Dir wahrscheinlich eine Lampe beschaffen müssen, die Sonnenlicht stimuliert.“

Sie hob die Hände, als würde sie sich ergeben. „Meinetwegen. Deine Nachlässigkeit bei unserem ersten Rendezvous sei Dir verziehen. Aber jetzt komm ’rein und schlag keine Wurzeln.“ Sie packte ihn beim Arm, und die Tür hinter ihnen schloss sich.



Die Steaks waren natürlich eiskalt, und ihrer – natürlich nicht veräußerten – Meinung nach waren sie zäh wie Schuhsohlen. Doch Malcolm war gut darin, so zu tun, als würde er jeden Bissen genießen. Möglicherweise fehlte ihm auch einfach nur das Verständnis von gutem Essen. In diesem Fall wäre die ganze Mühe ohnehin umsonst gewesen. Wie auch immer: Bis zum Ende des Speisens stachelte sein Verhalten Hoshi an, denn lieber hätte sie es gesehen, wie er das Essen wieder auf seinen Teller spuckte.

Nach einer ganzen Zeit, da niemand etwas gesagt hatte, räusperte Hoshi sich andeutungsweise. Dummerweise reagierte er nicht darauf.

„Malcolm?“

„Ja?“

Sie versuchte, es nicht zu drastisch klingen zu lassen. „Hast Du nicht etwas vergessen?“

Er blickte, noch kauend, von seinem Teller auf. „Vergessen, was denn?“

„Na ja, bei so einem Date…redet man für gewöhnlich miteinander.“ Hoshi stützte den Kopf auf einen Arm.

Malcolm lächelte verlegen. „Aber über was soll ich denn reden?“

„Keine Ahnung. Was Dir so in den Sinn kommt. Was Dich beschäftigt.“

Er rollte die Augen, schien zu überlegen. Dann spülte er den letzten Bissen mit einem Schluck seines Getränks herunter. „Okay. Ich hab’ Dir doch von den Tests auf dem Waffendeck erzählt. Wir wollen versuchen, den Wärmeleitstrahl der Photonik–Torpedos entscheidend zu verbessern, damit sie auch größere Hindernisse umfliegen und ihr Ziel trotzdem erwischen können.“ Plötzlich strahlte er wie ein Schneekönig. „Die Idee und die Blueprints dazu stammen von General Casey. Wenn Du mich fragst: Der Mann ist wirklich genial. Ich bewundere ihn.“

Hoshi, die ihm gelangweilt bei seinen allzu jungenhaften Ausführungen zugehört hatte, war überrascht, dass er nicht weiter sprach. Gleichzeitig änderte diese geringfügige Glimpflichkeit nichts an den harten Fakten.

„Malcolm, wir kennen uns jetzt schon ’ne Weile, deshalb will ich ehrlich mit Dir sein.“

Obwohl er dumpf ahnte, was ihm bevorstand, gab er sich bewusst jovial. „Ja, bitte, mach aus Deinem Herzen keine Mördergrube.“

„Wie soll ich’s am besten sagen? Vielleicht einfach frei heraus: Deine Art mit Frauen umzugehen, ist ehrlich gesagt…hundsmiserabel. Kann ich daraus schließen, dass Du es bislang nur mit Wenigen zu tun hattest?“

Er starrte sie an. „Na ja, da waren schon…“ Im Nachdenken formte er eine Schnute. „Doch, schon, einige Freundinnen.“

Sie mustere ihn aufmerksam. „Aber richtig ernst wurd’s nie, oder?“

Malcolm schien empfindlich getroffen. „Hör mal, Hoshi.“, sagte er. „Tun wir doch nicht so, als wäre nur ich hier der Exot. Diese Karriere, dieses Leben… Dir geht’s doch ähnlich.“

„Ja, ja… Abgesehen von einer kurzen Zeit. Da war ich verheiratet.“

Er riss die Augen auf. „Ist es tatsächlich einem Mann gelungen, Dir die Fesseln der Ehe anzulegen? Und nachdem er es geschafft hatte, den harten Panzer zu knacken, hat er Dich gehen lassen?“ Er ächzte. „Unfassbar. Das muss der größte Versager der Galaxis sein.“

„Versager…“, rollte sie über die Zunge. „Ich bitte Dich, das ist ja noch geschmeichelt.“

„Hat der Typ einen Namen?“ Er griff nach dem Glas, um seinen schlagartig trocken gewordenen Gaumen zu befeuchten.

Just in diesem Moment erwiderte sie: „General Casey.“

Eine Fontäne verteilte sich über Reeds Teller und darüber hinaus. „Du hast extra gewartet, bis ich trinke.“

Hoshi lachte. „Du hast nicht gewartet, bis ich ausgeredet habe.“

„Wie seid Ihr zwei…?“

„Zusammengekommen?“ Sie stand auf und holte Servietten für ihn heran. „Frag nicht. Reine Verzweiflung, schätze ich. Im zweiten Praxismonat war er mein Kompaniekommandant. Er wollte meine Pokerrunde beenden, und irgendwie brach ich ihm dafür den Arm.“

„Wie bitte?“ Reed wischte, leicht errötet, die vielen kleinen Pfützen in seiner Tischhälfte auf.

„Hat sich das mittlerweile noch nicht herumgesprochen?“ Immerhin hatte sie doch im letzten Jahr Tucker davon erzählt.

Er schüttelte den Kopf.

„Jedenfalls wachte ich wenige Tage später neben ihm auf, und er machte mir einen Antrag. Wir waren genau drei Wochen verheiratet, dann war die Luft ’raus.“

Hoshi vernahm seinen perplexen Blick. In der gedämpften Beleuchtung des Quartiers waren Malcolms Augen wie zwei Eierschalen im Mondschein.

„Malcolm, jetzt sieh mich nicht so an, als hätte ich mich in ein Gespenst verwandelt. Letzen Endes, denke ich, hat keiner von uns gefunden, was seinen Hoffnungen entsprach. Sonst wären wir heute nicht hier.“

Irgendwie schöpfte er neuen Mut, und kurz darauf stießen sie beide mit zwei Sektgläsern an…

– – –

Sie hatte sich bereit erklärt, die Nachtschicht zu übernehmen. Als ihr Dienst begann, verließ Lieutenant Commander T’Pol mit einer obligatorischen Tasse Kamillentee in der Hand ihr Quartier…

…und wäre beinahe mit einer unmittelbar vor der Tür knienden Gestalt kollidiert.

Es war Phlox.

„Doktor, was tun Sie hier?“, fragte die Vulkanierin.

Der Arzt sah zu ihr auf.

T’Pol hatte sich immer noch nicht gänzlich an den blau gestreiften Sternenflotten-Overall gewöhnt, welchen er seit einigen Monaten trug. Das war Folge seiner Entscheidung, nach dem Rückzug Denobulas aus dem Interstellaren Austauschprogramm für Ärzte auf der Enterprise zu bleiben. Wenngleich er dafür nun ein politisches Exil in Kauf nahm, das er mit einem offiziellen Asylantrag bei der Erdregierung hatte unterfüttern müssen.

Es stimmte: Denobula hatte sich vor einem halben Jahr gravierend gewandelt, und Phlox war der erste gewesen, welcher daran Verluste beklagen und bittere Konsequenzen ziehen musste. In gewisser Weise verband T’Pol und Phlox nun weit mehr: Sie waren nicht mehr länger Zwischenweltler – heute waren sie beide Ausgestoßene auf ihren Heimatwelten. Sie hatten beide eine neue Heimat bei den Menschen, auf der Enterprise, gefunden.

„Tut mir Leid, Captain.“, erwiderte er. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“

„Vulkanier pflegen nicht zu erschrecken.“, sagte sie mit einem Hauch von Pikiertheit in der Stimme.

Er erübrigte ein charmantes Schmunzeln. „Hm. Und Denobulaner kauern spätabends nicht vor fremden Türen. Ich war gerade auf dem Weg zur Messe, als ich an Ihrem Quartier vorbeikam – und das hier fand.“ Phlox wich zur Seite, und zum Vorschein kam ein fremdes Objekt, zweifellos sehr, sehr alt. Es war tönern und zugleich fein geschnitten, im Ganzen eine antike Urne.

T’Pol erkannte eine IDIC-Gravur. Ein vulkanischer Gegenstand.

Wie war er hierher gelangt?

„Ich wollte gerade den Sicherheitsdienst rufen.“, sagte Phlox.

– – –

Warp–fünf–Komplex

Drinnen verstummte das Publikum nicht länger.

Denn die ausgeschleuste Sektflasche hatte ihr Ziel keineswegs verfehlt, war planmäßig an ihm zerschellt.

Reger Applaus erscholl von den Balkongalerien des Warp–fünf–Komplexes, und als Jonathan Archer ihn hörte, spürte er zugleich eine Art von Erfüllung in seinem Innern, wie er sie vielleicht seit dem Stapellauf der Enterprise nicht mehr vernommen hatte. Was sich hier und heute abspielte, schickte sich an, sich ihm dauerhaft einzuprägen, so gravierend war es. Denn in gewisser Weise stellte es die Fortsetzung und Konsequenz all dessen dar, wofür er seit dem Jungfernflug der NX-01 gearbeitet und gekämpft hatte.

Lange hatte er auf diesen Tag gewartet, auf diesen einen Moment hingefiebert, und nun war es endlich soweit. Er war eine Wegmarke, für ihn ganz persönlich, aber genauso für den Planeten Erde.

Die Aufmerksamkeit der Gäste – Würdenträger, Offiziere, Emissäre, Journalisten – richtete sich nicht auf das Innere der silbrig glänzenden, kokonförmigen Filigrankonstruktion (so wie im April 2151 bei der Indienststellung der Enterprise), sondern auf ein eher unscheinbares metallenes Gebilde im hohen Orbit um den Blauen Planeten.

Im Prinzip war es kaum mehr als ein kleines Modul samt atembarer Atmosphäre und Stabilisierungsdüsen. Daher nahm es nicht Wunder, dass in Wahrheit etwas anderes an ihm so bedeutungsvoll war, damit Hunderte Paare Augen ihm sehnsüchtig entgegenblickten und zu seinen Ehren ein ganzes Festival veranstaltet wurde:

Die Plakette war es, um die es ging. Auf ihr prangte in großen Lettern die Aufschrift:

KOALITION DER PLANETEN
Sternenbasis 1
– Final Unity –

Es war ein Versprechen. Ein Versprechen an die Zukunft. Die Koalition der Planeten war dabei, vor den Augen aller Wirklichkeit zu werden. Vier unterschiedliche Völker mit sehr unterschiedlichen Mentalitäten wurden über einen historisch beispiellosen Vertrag miteinander verbunden (die eigentliche große Feier zu diesem Durchbruch würde übrigens erst in den nächsten Wochen begangen werden).

Aber die Koalition begnügte sich nicht einfach damit, in den Grenzen dieses Vertrags zu bleiben. Noch vor der offiziellen Verabschiedung der sechshundertneunzig Seiten schweren Charta war die enorme Dynamik bereits absehbar gewesen, die der Völkerbund in kurzer Zeit entwickelt hatte – politisch, wirtschaftlich, militärisch und ganz persönlich.

Es war beinahe wie ein Traum…

„Stell Dir vor, Trip: Sie wird eines Tages die größte Raumstation sein, an der die Erde jemals beteiligt war.“, sagte Archer mit leuchtenden Augen.

Charles ‚Trip’ Tucker III. zu seiner Rechten schürzte die Lippen. „Ein Grundstein ist ein Grundstein. Bin echt gespannt, wer als erster mit dem Projekt hinschmeißt – Vulkanier, Andorianer oder Tellariten.“

„Optimismus, Captain.“, zitierte Archer eine wohl bekannte Gestalt und lächelte breit. Gleichzeitig wurde ihm wieder einmal bewusst, wie sehr sich sein Freund in den vergangenen Jahren gewandelt hatte. Er war so bitterernst geworden. „Pass ja auf, dass Du am Ende nicht noch weniger Sinn für so was hast als Soval. Oder Vanderbilt.“

Der amtierende Kommandant der Enterprise zog einen Mundwinkel nach oben. „Verstehe. Es gibt doch immer einen Miesepeter. Dafür braucht man neuerdings auch keine spitzen Ohren mehr.“

Archer stutzte über die Reaktion, obgleich er fand, dass Trip den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. In jüngster Zeit hatten sich die alten Fronten derart aufgelöst und waren neuen, unorthodoxen Konstellationen gewichen, dass er manchmal fast sehnsüchtig an seine einstigen Konfrontationen mit einem notorisch misstrauischen vulkanischen Botschafter zurückdachte. Heute gehörte Soval, der sich schließlich geöffnet und zur Erde bekannt hatte, zum engeren Vertrauenszirkel Archers, und das Vakuum seiner frei gewordenen Rolle hatte jemand anderes gefüllt. Archer wandte den Blick kurzweilig vom All ab und erkannte Thomas Vanderbilt auf der Empore des Saals.

„Im Ernst, Jon…“, meinte Trip nach einer Pause. „Ich hab‘ nur ein gutes Gedächtnis. Das letzte Mal kamen Politiker um die Ecke, redeten schwülstig daher und reklamierten das ganze Brimborium für sich.“

Zweifellos spielte er auf die ursprüngliche Eröffnungskonferenz im Januar an, die, unter allerhand Komplikationen leidend, ihren ehrgeizigen Plan einer Chartaformulierung in wenigen Wochen nicht im Entferntesten hatte aufrechterhalten können. Ganz im Gegenteil: Infolge der dramatischen Terra Prime-Krise waren die meisten der geladenen Delegationen wieder abgereist, und das Projekt ‚Koalitionsgründung‘ hatte im Grunde wieder bei Null beginnen müssen. Nur die Erde, Vulkan, Andoria und Tellar waren nach einer Phase des Neustarts bereit gewesen, es noch mal mit einem Bündnis zu probieren. Archer hatte sofort gewusst, dass es auf absehbare Zeit nur noch diesen einen Versuch geben würde, und er hatte fortan alles in seiner Macht Stehende daran gesetzt, ihm zum Erfolg zu verhelfen.

„Die Jungs und Mädels aus der Regierung haben sich in Selbstlob ergossen, sich mit fremden Federn geschmückt und die Sache am Ende schwieriger gemacht, als sie hätte sein müssen. Vor allem dieser Samuels. Der hatte sich schon als nächster Präsident geseh’n, und was hat’s ihm eingebracht? Und jetzt werden wieder große Töne gespuckt und eine glorreiche Zukunft angepriesen. Geht’s vielleicht auch ‘ne Nummer kleiner? Dieser ganze politische Pomp behagt mir nicht. Außerdem muss ich Dich nicht daran erinnern, dass so ein Vorhaben kein Pappenstiel ist.“ Er deutete aus dem konvexen Fenster. „Wer weiß, wie lange die Bauarbeiten an dieser Station dauern werden.“

Archer nickte zuversichtlich. „Gib der Sache Zeit. Ich glaube, dass wir Erfolg haben werden. Gemeinsam.“

„Und was macht Dich so sicher, wenn ich fragen darf?“ Der Andere klang nicht überzeugt.

„Ganz einfach: Diesmal bin ich der Politiker.“

Trip schmunzelte zwar über den Scherz, aber in seinen Augen meinte Archer mehr Entsetzen zu erkennen. „Starker Tobak.“, kommentierte er. Was stimmte nicht mit ihm? „Von wem stammt eigentlich die glorreiche Idee, die Koalition mit einer gemeinsamen Raumbasis zu krönen?“

„Eigentlich ist sie auf Vanderbilts Mist gewachsen.“, ließ Archer ihn wissen.

„Sieh einer an. Da ist doch jemand nicht etwa aufgetaut?“

Archer zuckte die Achseln. „Aus seiner Sicht ist ein technologisches Jointventure den Interessen der Erde dienlich – soweit alles vertraglich genau geregelt ist. Wir hatten ja schon den erfolgreichen Vorlauf durch die gemeinsame Entwicklung der Sensorphalanxen. Und mithilfe dieser Station werden wir die Erde zu einem Zentrum für Handel und Diplomatie in der Region machen. Vanderbilt sieht das als langfristige Investition, so wie ich.“

„Ja, vorausgesetzt, das Teil wird eines fernen Tages tatsächlich fertig.“, meinte Trip trocken und verschränkte die Arme. „Und was wollt Ihr Euch als nächstes einfallen lassen? Toiletten mit Multispezieskonfiguration? Oder doch eher ein intergalaktisches Vergnügungszentrum?“

Aus diesen Worten sprach barer Zynismus. Archer betrachtete seinen Freund sorgenvoll. „Scheint es mir nur so, oder bist Du heute auf Krawall gebürstet?“

„Das scheint Dir nur so.“, erwiderte Trip übermelodisch.

„Ich glaube, ich muss der Enterprise beizeiten ‘nen Besuch abstatten.“, sagte Archer mit ermunterndem Lächeln. „Wenn das der Führungsstil sein soll, mit dem Du die Moral aufrecht erhalten willst…“

„Ich hab’ ja noch T’Pol.“, entgegnete Trip trocken. „Die ist, wie Du weißt, ‘ne echte Stimmungskanone.“

Ein ernster Blick wechselte zwischen beiden Männern. „Du konntest mir noch nie ‘was vormachen. Irgendeine Sache hat Dir doch auf die Leber geschlagen.“

Urplötzlich fiel jede Fassade vom Anderen ab. Trips Gesicht verfinsterte sich. „Ich will Dir wirklich nicht zu nahe treten, Captain… Aber glaubst Du ernsthaft, das hier ist das richtige Projekt?“

Archer warf die Stirn in Falten. „Wie meinst Du das?“

„Was könnte ich wohl meinen? Die Sicherheitslage für die Erde hat sich seit Sommer dramatisch zugezogen.“, führte Trip aus. „Denk nur mal daran, was der Bau dieses Dings für Ressourcen verschlingen wird. Ressourcen, die wir anderweitig besser gebrauchen könnten. Wie kann das Oberkommando in Anbetracht solcher Probleme… Ich meine: Habt Ihr verdammt noch mal Tomaten auf den Augen?!“

Etwas geriet zur Eskalation. Es war in keinster Hinsicht das von Archer gewohnte Gesicht seines ehemaligen Chefingenieurs, sondern eine verzerrte, um nicht zu sagen verbitterte Grimasse.

„Ganz bestimmt nicht. Wir sind dabei, neue Programme zur Verbesserung der Sicherheit zu entwickeln. Bald wird es auch bei der gemeinsamen Verteidigung unserer Grenzen Fortschritte geben.“

„Wie bald?“, wiederholte Trip empört. „Du weißt so gut wie ich, dass es bereits morgen zu spät sein könnte. Aber hier werden lieber Grundsteine im Orbit eingeweiht als etwas Substanzielles zum Schutz unserer Welten beizutragen.“

„Ich glaube, Du überdrehst gerade etwas.“, sagte Archer warnend.

Sein Gegenüber schüttelte den Kopf und schnaubte leise. Jetzt wirkte er wie ein Kessel unter Hochdruck. „Das tu’ ich weißgott nicht. Im Gegensatz zu manch Anderem ist mein Gedächtnis seit dem 4. April ’53 nur nicht ausgelaufen. Man könnte auch von allgemeinem Realitätsschwund sprechen. Das scheint mir ohnehin ein zunehmendes Problem im Oberkommando zu sein. Vielleicht haben die mal wieder ’nen Ölwechsel nötig.“

Archer ging es darum, die umgeschlagene Stimmung wieder in etwas Positives umzumünzen. „Sag mal, wann hattest Du Deinen letzten Landurlaub?“

Er erreichte das Gegenteil. „Siehst Du, genau das mein‘ ich.“, stierte Trip. „Wie verbohrt in Deine Politmaterie bist Du nach diesem Dreivierteljahr eigentlich, dass Du Dich nicht mal an meinen letzten Bericht erinnerst? Vielleicht hat unser Mister Sonderbevollmächtiger ihn auch einfach nicht gelesen. Zu unbedeutend, oder er passt nicht ins Schema. Also, um Dir auf die Sprünge zu helfen: Ich war auf Risa, und da hab‘ ich wieder mal erlebt, welche Hölle auf uns zukommt!“

Eine Gruppe dekorierter Offiziere in der Nähe drehte sich bereits um, verwundert über Trips ausfallenden Ton.

„Was bei Risa geschehen ist, war ein Unfall. Ein Missverständnis. Dieser rigelianische Frachter –…“

„Das hatten wir doch schon. Es waren keine Rigelianer, bestimmt nicht.“, schnitt Trip ihm das Wort ab. „Auf die Sensorphalanx wurde ein gezielter Anschlag verübt. Das ist die Wahrheit!“

Archer erinnerte sich: Der Koalition war es gelungen, exklusive Verträge mit mehreren blockfreien Welten zu schließen. Diese erklärten sich bereit, Sensorphalanxen auch bei sich zu installieren und so dem Detektionsgitter gegen romulanische Drohnenschiffe einen größeren Radius zu verleihen.

Kurz bevor das Modell im Orbit der Touristenwelt Risa eingerichtet werden konnte, war es im letzten Monat zu einem ernsten Zwischenfall gekommen, als ein rigelianischer Frachter, beim Dockmanöver mit einer Handelsstation, einer Kollision erlag. Dabei war nicht nur das Schiff, sondern auch die Phalanx zerstört worden.

Die Risianer hatten bereits eine neue Phalanx von den Koalitionsingenieuren angefordert, doch da keine Möglichkeiten zur Massenproduktion gegeben waren, stellte jedes Stück ein Unikat dar und musste mit großem Aufwand vollständig manuell hergestellt werden.

Archer seufzte leise. „Die Ermittlungen sind bereits abgeschlossen. Die risianischen Behörden sagen, es sei höchstwahrscheinlich ein Pilotenfehler gewesen.“

„Die Behörden haben keine Ahnung. Nein, wenn ich es Dir doch sage: Dahinter stecken die Romulaner.“

„Romulaner hätten Spuren hinterlassen.“, wandte Archer ein. „Wenn ein Drohnenschiff auseinander bricht, versagt zuerst seine Tarnvorrichtung.“

„Sie sind raffiniert – und sie können sich anpassen. Das haben sie oft genug unter Beweis gestellt. Verstehst Du denn nicht? – Die Invasion hat längst begonnen. Und wir haben ein Auge im risianischen Sektor verloren.“ Trip ächzte verächtlich. „Eine riesige zivile Raumstation aus dem Boden stampfen, die unnötig viele Kräfte bindet, während um uns herum der Feind seine Kreise immer enger zieht… Wenn Du mich fragst: Wir brauchen kein Zentrum für Handel und Diplomatie – wir sollten unsere Kampfflotte ausbauen und uns verflucht noch mal wappnen.“

„Ich glaube, das ist genug.“

Trip schob den Unterkiefer vor, senkte die Lider auf Halbmast. „Früher hättest Du nie so fahrlässig gehandelt. Du hättest die richtigen Prioritäten gesetzt.“ Seine Stimme glitt immer mehr in ein vorwurfsvolles Crescendo ab. „Du bist ja ganz geblendet von Deiner neuen Rolle: Ich baue mir eine hübsche, kleine Planetenkoalition. Wach endlich auf aus Deinem Dornröschenschlaf, Captain – bevor es zu spät ist. Wie lange gedenken wir noch Vogelstrauß zu spielen und den Kopf in den Sand zu stecken?!“

„Das reicht jetzt, Trip!“, rief Archer. „Was zum Teufel ist mit Dir los?!“

„Das hab’ ich Dir in den letzten Wochen oft genug zu sagen versucht. Offenbar hat es nicht zu mehr Einsicht geführt. Genieß‘ die Feier; ich bin auf meinem Schiff.“

Meinem Schiff…, war Archer zu sagen versucht, verfolgte aber stattdessen sprachlos, wie Trip unverzüglich von ihm weg trat und in der Menge verschwand.

Eine Weile stand er da und fragte sich, welche Zeichen der Zeit es ihnen beiden neuerdings so schwer machten?

Fakt war: Seit diesem – zugegeben: völlig ins Wasser gefallenen – Sommer benahm sich Trip mehr und mehr wie ein anderer. Archer konnte ihm nicht folgen: Wenn diese Koalition Bestand haben wollte, musste sie auf Gebieten jenseits der militärischen Kooperation Wurzeln schlagen – das erst machte sie stark und robust. Diese Perspektiven zu realisieren, darin erkannte Archer seine Verantwortung.

Trip hingegen hatte seit dem ersten Angriff auf das Sol–System dafür plädiert, im Rahmen einer allianzweiten Initiative schnellstmöglich neue Kampfmechanismen zu entwickeln, die Flotte auszubauen und offensiv gegen die Romulaner vorzugehen. Er wollte eine Abschreckungsstrategie durch eine massive Demonstration der Stärke.

Doch dieser Weg machte die Koalition aus Archers Sicht erst recht anfällig, denn es war fraglich, ob sich eine gemeinsame Strategie finden ließ. Hinzu kam: Wenn die Romulaner ihr Verhalten als bewusste Herausforderung auffassten, mochten die Folgen unkalkulierbar sein. Ein offener Krieg mochte die Folge sein, und ob das eine bessere Situation als die jetzige war, bezweifelte Archer. Schließlich war auch zu bedenken, wie eine kriegslüstern auftretende Koalition auf andere, umliegende Welten wirkte – nämlich nicht gerade einladend. Und Archers Wunsch war es, längerfristig möglichst noch mehr Völker an diesem Bund zu beteiligen.

Natürlich hatte Trip im Kern Recht. Die Romulaner stellten ein großes Übel dar. Sie hatten unter Beweis gestellt, zu was sie in der Lage waren. Der Captain hatte keineswegs vor, diese höchst problematische Lage ewig über die Erde und sich ergehen zu lassen. Aber in der jetzigen Situation war es einfach noch zu früh, um aus der Defensive hervorzupreschen und etwas Unüberlegtes zu tun. Sie durften jetzt nicht die Nerven verlieren. Denn diese Koalition selbst war der Schlüssel für die Sicherheit der ganzen Stellarregion, das spürte er. Nur wenn sie gefestigt war, konnte sie sich erheben und erfolgreich sein.

Und Trip? In der derzeitigen Situation riss bei ihm vermutlich eine Wunde auf, die niemals vollständig verheilen würde. Die Ermordung seiner Schwester – zusammen mit sieben Millionen anderer Menschen – hatte ihm auf einen Schlag und brutalstmöglich vor Augen geführt, wie plötzlich die verlockende Weite des Alls in tödliche, erdrückende Leere umschlagen konnte.

Und darin waren sich beide Männer wieder einig: Niemals wieder durfte die Erde Opfer eines Überfalls werden.

Als Archer in die Delphische Ausdehnung aufbrechen und nach den Xindi suchen musste, hatte er erlebt, was es bedeutete, unter Zugzwang zu stehen, sich von brennender Sorge treiben zu lassen, von Hass, von Paranoia, aus Angst Unrecht zu begehen. Heute wollte er nicht mehr Getriebener sein: Die Erde musste auf eine ungewisse Zukunft vorbereitet werden. Und wenn sie in den vergangenen Jahren eine Lektion zu lernen hatte, dann, dass man nur im Verbund stark sein konnte.

Tut mir Leid, mein Freund., dachte er. Ich wünschte, ich könnte Dir helfen. Aber wir haben zwei unterschiedliche Wege eingeschlagen.

„Captain Archer?“ Der Vulkanier Soval kam auf ihn zu. „Es wird Zeit für unsere gemeinsame Ansprache. Der Kollege Graal und Vhendrenis Vertreter warten bereits beim Podium.“

Stimmt ja. Vhendreni ist immer noch auf Andoria.

Er riss sich aus seinen Gedankengängen. „Ja, natürlich.“

Seltsam. In den vergangenen acht Monaten hatte er eine Rede nach der anderen gehalten, und im Rückblick vermochte er sich an kaum eine mehr zu entsinnen. Nur daran, dass es wichtig gewesen war. Wichtig für die Zukunft der Erde. Wichtig für dieses Weltenbündnis.

Soval betrachtete ihn. „Ist alles in Ordnung, Captain?“

„Ja, alles bestens.“, versicherte Archer.

„Sie wirkten einen Moment besorgt.“

„Nein, ich hab‘ nur über etwas nachgedacht. Lassen Sie uns gehen.“

Eine Minute später empfingen die Geladenen vier vertraute Verhandlungspartner mit rauschender Ovation.

Manchmal wohnt der denkbar größten Freude die größte Trauer inne, so hieß es doch bei einem Philosophen. Mochte es sein, dass er in diesem Augenblick einen Bruder im Herzen verlor?

Er wusste nur eines: Selten zuvor hatte Jonathan Archer sich einsamer gefühlt. Denn was waren schon die größten Siege wert, wenn man sie nicht mit jemandem teilen konnte, der mit einem durch Dick und Dünn gegangen war, der einen wirklich verstand? Jemandem wie Trip Tucker. Aber vielleicht lebte er im Gestern, und die Zeit ließ sich nicht mehr zurückdrehen.
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