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5x09 - The Way of D'Era

von Julian Wangler

Kapitel 1

Dartha, Regierungsviertel

Die Centurions an der Tür bewegten nicht einen einzigen Muskel, als Valdore i’Kaleh tr’Irrhaimehn sich ihnen näherte. Nichts an ihnen verriet, dass sie seine Anwesenheit registriert hatten. Er selbst sprach sie weder an noch würdigte er sie eines Blickes. Sie waren reglos wie Statuen.

Die Sicherheitsvorschriften im Prätorenpalast, der neben dem Senatsbau im Herzen Darthas lag, waren äußerst streng, das Protokoll kompliziert und ausgefeilt. Zwar überstieg sein Rang den ihren um ein Vielfaches, doch hätten sie ihn trotzdem aufgehalten, wenn sie nicht über sein Kommen informiert worden wären. Sie gehörten zur Leibwache, hatten eine einzigartige Schulung durchlaufen, die es ihnen erlaubte, mit ungebetenen Gästen gleichermaßen schnell und effizient zu verfahren. Und Valdore für seinen Teil hätte es niemals gewagt, den Prätor des Sternenimperiums ohne eine offizielle Vorladung aufzusuchen.

Er klopfte nicht an die Tür aus schwerem Ruatinit, sondern trat ein. Valdore hatte den Befehl erhalten, exakt zu diesem Zeitpunkt vor dem Prätor zu erscheinen, und das machte es nötig, weder eine Sekunde zu früh noch eine Sekunde zu spät zu kommen. Genauso wurde es erwartet.

In den vergangenen fvheisn hatte er sehr viel über die Menschen erfahren. Er hatte gehört, dass es in ihrer Gesellschaft als höflich empfunden wurde, vor dem Eintreten anzuklopfen. – Eine merkwürdige Verhaltensnorm, fand Valdore. Es amüsierte ihn oft, wenn er die Menschen studierte, gleichzeitig nahm er seine Forschungen sehr ernst. Seitdem sich der durchschlagene Erfolg seines Projekts gezeigt hatte, das sich mit den Vulkaniern beschäftigte, hatte Valdore seine Bemühungen intensiviert, nun alles Verfügbare über die Erdlinge zusammenzutragen. Mithilfe der sensiblen Daten, die das Imperium jüngst vom Sternenflotten–Offizier Malcolm Reed bezogen hatte, war es nicht nur möglich gewesen, der Koalition immer einen Schritt voraus zu sein, sondern auch tief ins kulturelle Bewusstsein der Menschen vorzudringen – weit tiefer, als es durch die bisherigen Eindrücke, mit denen die Tal’Shiar–Agenten heimgekehrten, möglich war. Valdore hatte eine intensive Studie angelegt, weil er die Überzeugung vertrat, dass man seinen Feind kennen musste; nicht zuletzt, um sich selbst zu kennen.

Viele Rihannsu, gerade in Flotte und Politik, leiteten aus D’Era ihre natürliche Überlegenheit dahingehend ab, dass eine Beschäftigung mit den Antagonisten des Imperiums überflüssig sei. Aber Valdore betrachtete diese Attitüde als gefährlich, ebenso wie er fand, dass D’Era nur allzu gerne einseitig ausgelegt wurde, als wäre der Sieg eine nachgerade natürliche Determinante des Imperiums. Wie viele große Reiche waren schließlich untergegangen, nur weil sie dekadent und überheblich geworden waren, den Wandel verschlafen und so dem Ansturm wilder Horden nicht hatten standhalten können?

Nicht wenige seiner Offiziere an Bord der Erebus hielten seine Beschäftigung mit den Menschen für eine störende Marotte. Auch der Prätor hatte es anfänglich belächelt, es sogar als unnötige Zeitverschwendung gebrandmarkt. Aber nachdem Valdores Engagement in dieser Sache, die fast schon zu einer privaten Leidenschaft erwachsen war, erste Erfolge gezeitigt hatte, stand der Prätor ihr deutlich aufgeschlossener gegenüber. Valdore war überzeugt: Kein Imperium, mochte es auch noch so überlegen sein, durfte jemals irgendetwas für selbstverständlich halten. Selbst ein überlegener Intellekt konnte Fehler machen, und ein unterlegener konnte schlichtweg Glück haben. Geschichte wiederholte sich nicht, und sie hatte die Eigenart, immer neue Herausforderungen zu produzieren, die alte Erfolgsrezepte obsolet machten.

Valdore brachte die Sensibilität eines Jägers in seine militärischen Pflichten ein. Er war in einer abgelegenen Provinz des Sternenimperiums aufgewachsen, einer primitiven Welt, die sich immer noch im Entwicklungsstadium befand. Dort hatte es keine einheimische Zivilisation gegeben, die bekämpft und unterworfen werden musste, sondern nur riesige, wilde und äußerst gefährliche Lebensformen, die sich überhaupt nicht von der angeborenen Überlegenheit eines Rihannsu beeindrucken ließen.

Valdore hatte bereits zu jagen gelernt, als er kaum laufen konnte, und sein Vater hatte ihn gelehrt, dass ein Jäger Respekt vor seiner Beute haben musste. Valdores Vater vertrat immer noch viele der alten Werte und Sitten der Rihannsu–Kultur, welche man auf den zivilisierten Welten des Imperiums heutzutage als überholt empfand. Die alten Sitten waren mystisch und zutiefst philosophisch.

Schließlich hatte Valdore sich ein Bild zurechtgelegt, in dem er die Menschen in fast buchstäblichem Sinne als Beute betrachtete. In dieser Hinsicht ging er völlig mit dem Denken Anderer in seinem Volk konform. Sein Respekt vor den Erdlingen unterschied ihn hingegen von seinesgleichen, und das machte ihn gewissermaßen zu einem Außenseiter. Viele Rihannsu hielten Menschen für schwach und verkommen, für eine unterlegene Spezies, die früher oder später unweigerlich unter die Herrschaft des Sternenimperiums geraten würde. Sie sahen in ihnen nur das Tor, welches das Imperium zu durchschreiten hatte, um in einem neuen Bereich der Galaxis Fuß zu fassen, wo zahlreiche weitere Eroberungen warteten.

Inzwischen hatte es aber zumindest bei der Führungselite einen Sinneswandel gegeben. Man hatte gesehen, zu welchen Leistungen die Menschen in der Lage waren und wie beträchtlich sie sich darin von anderen Widerstand leistenden Völkern unterschieden. Heute wusste der Prätor ebenso wie der Rest des Senats und die einflussreichen Teile in Politik, Militär, Geheimdienst und Wissenschaft, dass die Menschen nicht irgendein Feind waren, sondern die möglicherweise größte Herausforderung, der sich die Rihannsu seit Errichtung ihres Reiches gegenüber sahen.

Sie klopften an, wenn sie vor einer Tür standen. Menschen waren, zu diesem Ergebnis gelangte Valdore einstweilen, eine geschlossene Kultur in sich, mit einem eigenen sozialen und moralischen System. Vor allem aber besaßen sie eine Fähigkeit, über die andere Völker nicht verfügten: Sie konnten sich in Windeseile anpassen. Eine ungeheure Dynamik steckte in ihnen, und wenn sie erwachte, dann war nur schwer abzusehen, in welche Richtung sie sich entwickelten. Wo andere Spezies ganze Jahrhunderte brauchten, um einen Wandel zu vollziehen, brauchten sie nur wenige Dekaden.

Die Menschen waren schwer zu fassen, denn sie lagen immer zwischen den Polen, und diese Mischung machte es nicht nur nahezu unmöglich, sie einheitlich zu charakterisieren, sondern ihre Natur gewissermaßen auch sehr tückisch. Wenn es nötig war, konnten die Erdlinge im Angesicht großer Gefahren einfach vergessen, was sie spaltete, und sich für eine große Aufgabe zusammenschließen. Immer waren Gruppen in ihrer Gemeinschaft die treibende Kraft; Gruppen, die sich gegenseitig befruchteten. Obwohl es eine Reihe langfristiger Verhaltensweisen an ihnen gab, blieben sie niemals gleich. Man musste sich stets aufs Neue auf sie einstellen. So wie es sich mit ihrer wohl größten und zweifellos bedrohlichsten Leistung verhielt: der Schmiedung der Koalition der Planeten.

Valdore bewunderte dieses Gebilde gewissermaßen. Im Großen und Ganzen bestand die Koalition nämlich aus einer Reihe von Mittelmächten; Völker, die für sich genommen zu schwach waren, um stärkeren Gegnern wie zum Beispiel den barbarischen Klingonen oder dem Sternenimperium standzuhalten. Doch sie hatten sich in einem beispiellosen Akt vereint, ihre Potenziale gebündelt. Zusammen mit den anderen, unter Vereinigung ihrer Kräfte, gewannen sie an Macht, Erfindungsgeist und Zielstrebigkeit.

Der bedeutendste Teil dieser Kraft entsprang einem Konzept, das dem Sternenimperium fremd war: Es ging um das Wetteifern von Ideen. Eine Vielzahl teils widersprüchlicher Gedanken und Befindlichkeiten wurde in die Koalition eingebracht. So etwas verdiente mehr Bewunderung als pure Stärke. Das Gehirn zählte, die Intelligenz. Nur Narren glaubten etwas anderes, und an solche Personen vergeudete Valdore keinen Respekt.

Er kannte den Grund seiner Vorladung nicht. Spontan konnte er sich nur zwei Gründe vorstellen, warum der Prätor ihn sehen wollte: Entweder hatte er einen schweren Fehler begangen, sodass ihm jetzt eine ernsthafte Disziplinarstrafe bevorstand – und er wusste, dass das nicht der Fall war – oder der Prätor wollte seinen Rat in einer Angelegenheit haben. So war es seit dem Machtwechsel jedenfalls immer gewesen.

Valdore hatte die makellose Schönheit des prätorialen Thronsaals stets beeindruckt. Ein Kreis aus königsblauen Säulen umgrenzte den Innenraum der Einrichtung, und zwischen ihnen führten Nischen tief ins Vulkangestein. Uralte, berühmte Kunstwerke schmücken sie. An der hohen Decke prangte ein spektakuläres Gemälde. Es handelte sich um eine meisterlich gefertigte Replik von Dorin Zhagans berühmtem ‚Aufstieg‘ und zeigte einen gewaltigen Raubvogel, der sich aus dunklem Forst gen Himmel schwang, um majestätisch über die Baumwipfel zu gleiten.

In angemessener Entfernung blieb Valdore vor dem Kommandothron des Prätors stehen und wartete – in aufrechter, aber dennoch entspannter Haltung. Er stand da in der formalen Offizierspose; die Beine leicht gespreizt, den Rücken gerade, die Schultern gestrafft, den Blick geradeaus gerichtet, die Arme in Gürtelhöhe verschränkt, wobei die rechte Hand den linken Unterarm umfasste.

Der Kommandothron war mit dem Rücken zu ihm ausgerichtet, sodass Valdore den Prätor hinter der hohen, aus goldfarbenem Flechtwerk bestehenden Lehne zunächst nicht sehen konnte. Der Thron war einem großen Bildschirm zugewandt, auf dem das Gesicht von Prokonsul Ters zu sehen war. Offenbar fand gerade eine Konferenz statt, doch Valdore konnte keinen Ton hören, was bedeutete, dass der Prätor seinen Sicherheitskanal auf einer chiffrierten Frequenz benutzte. Kurz darauf verschwand das Gesicht vom Bildschirm – und daraufhin auch der Bildschirm selbst. Er wurde zunächst schwarz, dann matt und schließlich durchsichtig, bis nur mehr ein Panoramafenster mit Blick auf die prunkvollen Türme Darthas zu erkennen war.

Ohne ein Geräusch drehte sich der Thron langsam herum, bis Valdore dem Prätor gegenüber stand, welcher die Unterarme auf die Lehnen seines Sitzes gestützt hatte, in die kleine Schaltkonsolen eingebaut waren. Das Gesicht des Prätors wurde teilweise durch die Kommunikationsvorrichtung verdeckt. Sie bestand aus einem kleinen Metallarm mit dem abgeschirmten Mikrophon und dem Sender, an dem der Kopfhörer mit dem Empfangsteil befestigt war. Als der Thron seine Drehung vollendet hatte, zogen sich die Geräte zurück und verschwanden in einem Fach auf der Rückseite des Kommandothrons.

Vrax scheint sich inzwischen an seine neue Wirkensstätte gewöhnt zu haben…, dachte Valdore. Eigentlich hatte seine Vorgängerin T’Leikha bereits zu Beginn ihrer Amtszeit den Prätorenpalast in Auftrag gegeben, doch war es ihr nicht vergönnt gewesen, ihn auch zu beziehen. Kurz vor Vollendung des Baus ereignete sich der Staatsstreich, und jetzt kam Vrax in den Genuss des hoch aufragenden, kuppelgesäumten Gebäudes, in dem überall die Geschichte der Rihannsu erzählt wurde; auf Wänden, Böden, Mauern, Säulen. Es stand außer Frage, dass der Prätorenpalast schon heute eine Hommage an Imperium und Prätoriat darstellte, einen unendlichen Zyklus, in dem es immer darum gegangen war, nach den Sternen zu greifen.

In einigen wenigen Punkten aber hatte Vrax die ursprünglichen Konstruktionspläne des Prätorenpalastes abgeändert. Während der zurückliegenden khaidoa hatte er die besten Architekten damit betraut, zusätzliche Räume zu schaffen und sie dem eigentlichen Thronsaal vorzulagern. In den besagten Nischen, halb verborgen im Schatten, standen nun die Frauen und Männer seiner persönlichen Leibwache, ein gutes Dutzend an der Zahl. Diese furchtlosen Gardisten hatte Vrax im Laufe seiner Machtetablierung als Einheit geschaffen. Seither umgab er sich zunehmend öfter mit ihnen. Hierbei stand die Tatsache, dass er gleichzeitig immer seltener im Senat weilte und stattdessen den Großteil seiner Zeit hier verbrachte, durchaus damit in Verbindung. Er gab auch nur noch selten Audienzen. Valdore war es schon vorher aufgefallen, aber jetzt trat es immer offenkundiger zutage: Vrax schien immer misstrauischer geworden zu sein – selbst dem inneren Führungszirkel gegenüber.

Die einschneidende Erfahrung mit den Ejhoi Ormiin und der Verräterin Niherhe, der es gelungen war, den ganzen Stützpunkt auf Nequencia III zu zerstören, hatten gewiss das ihre dazu beigetragen. Andererseits war Valdore überzeugt, dass Vrax’ Paranoia ihren Ursprung in der Tatsache fand, dass er nicht auf normalem Weg T’Leikhas Nachfolger geworden war. Der letzte Putsch gegen einen Prätor und das Kontinuierliche Komitee lag bereits viele hhu’fvheisn zurück.

Tief in seinem Innern musste er spüren, dass er unter normalen Umständen eher exekutiert worden wäre als selbst einmal oberster Lenker der imperialen Geschicke zu werden. Aber eben jenes Gewissen, das er durch die penible Platzierung seiner Gardisten offenbarte, gab ihm einen bemerkenswerten Anstrich von Verletzlichkeit.

„Valdore, mein Freund…“, sagte Vrax. „Ich grüße Sie.“

Valdore löste seine Hände voneinander, ließ den linken Arm gerade herabhängen und hob den rechten zum Rihannsu–Gruß, indem er mit der Faust gegen die linke Brusthälfte schlug. Der Prätor erwiderte die Geste nicht, da von seiner Seite keine Bestätigung erwartet wurde.

Ein halbes fvheisn lag es zurück, dass Valdore zum letzten Mal ins Prätorenhaus geladen worden war. Die meiste Zeit über hatten beide Männer via Subraum kommuniziert, während er die Erebus befehligt hatte. Jetzt stellte Valdore wieder den beachtlichen Unterschied eines persönlichen Treffens fest – und wie unscharf seine Erinnerungen an das Antlitz Vrax’ geworden waren.

Der Prätor war nicht mehr der Jüngste gewesen, schon als er Valdore ob des Drohnenschiff–Projekts unterstützt hatte. Trotz des überdurchschnittlichen Alters, das ein Rihannsu zu erreichen imstande war, schien er aber gerade im Laufe der letzten khaidoa besonders gealtert zu sein. Tiefe Falten, manche fast furchenartig, zeichneten sein Gesicht; darüber lag der weißgraue Schopf. Seine Augen indes waren klar und sein Blick energisch. Vrax schien, ganz im Gegensatz zu seinem dahinwelkenden Körper, wachsamer denn je zuvor.

„Prätor.“

„Willkommen zurück auf ch’Rihan.“ Vrax leitete eine erhabene Geste über in einen Fingerzeig aus dem Fenster, das zuvor noch sein Bildschirm gewesen war. „Ist es so, wie Sie es verlassen haben?“

„Daran besteht kein Zweifel.“, entgegnete Valdore.

„Gut.“ Vrax lächelte. „Sagen Sie, wie geht es Ihrer Familie?“

„Kathela und Vareila sind wohlauf.“

„Ach ja. Ich habe gehört, Ihre Tochter besucht jetzt die Schule?“

„Ja, Prätor.“ Valdore verschränkte die Arme hinterm Rücken. „Ich bedaure, nicht bei Ihrer Einschulung dabei gewesen zu sein.“

„Nun, es kommen noch andere Gelegenheiten. Vielleicht sollten Sie sich in Zukunft die Zeit nehmen.“

Vrax’ Stimme hatte im letzten Satz unverkennbar nach oben verwiesen. Valdore kannte sein Gebaren und wusste, dass er ihn auf die Probe stellte. Also wählte er seine Worte mit Bedacht: „Möglicherweise. Aber bevor ich mich in eine unserer Klonkammern stelle, sollten ein paar Remaner sie vorher ausprobiert haben.“

Der Prätor amüsierte sich köstlich. „Ich bin froh, dass Ihr Humor während Ihrer Abwesenheit nicht gelitten hat, mein Freund.“, sagte er. Als wieder Ernst in seine Züge einkehrte, setzte er hinterher: „Rihannsu sind einzigartig. Deshalb sollte es von jedem von uns immer nur einen geben. Finden Sie nicht?“

Valdore nickte. „Ich wage es nicht, Ihnen zu widersprechen, Prätor. Nun würde ich gerne wissen…“ Er unterbrach sich. „Sie ließen die Erebus aus dem Grenzgebiet zurückbeordern.“

„Das ist richtig. Verzeihen Sie, dass ich Ihre Mission abbrechen musste. Aber ich wollte Sie gerne sehen, Valdore. Und ich habe mir so meine Gedanken gemacht…“

„Gedanken, Prätor?“, wiederholte Valdore überrascht. Gleichzeitig empfand er Zufriedenheit über die Tatsache, dass Vrax offenbar immer noch nicht müde geworden war, sein beratschlagendes Urteil zu konsultieren.

In seiner Tunika erhob sich Vrax aus dem Kommandothron und schritt die Marmortreppen langsam herab. „Unsere Operation im Coridan–System liegt jetzt einen khaidoa zurück. Ich denke, es ist an der Zeit, den Marsch fortzusetzen.“

„Ich verstehe.“, sagte Valdore antizipierend. „Sie gedenken, einen neuen Schlag zu planen; dort, wo ihn die Koalition am wenigsten vermutet.“

Vrax stand derweil vor ihm. Sein Gesicht verharrte in Ausdruckslosigkeit, was einen erschreckenden Kontrast zu seinem beinahe ekstatischen Lachen von vorhin darstellte. „Auf die Gefahr hin, dass Sie vielleicht enttäuscht sind: Nein. Ich habe soeben mit Ters und den anderen Mitgliedern des Kontinuierlichen Komitees gesprochen. Wir sind uns einig darin, dass sich in jüngster Zeit die Dinge ausgesprochen zu unseren Gunsten entwickelt haben. Ein weiterer Geheimschlag wird nicht nötig sein.“

Valdore wollte nicht recht glauben, was er da hörte. Zugegeben, sein Verhältnis zu Vrax war trotz ihres Zusammengehens stets ambivalent geblieben, aber dass der Prätor eine solche Antwort stand, hatte er nicht in Erwägung gezogen. Jähe Unruhe bereitete sich in ihm aus, während er den Blick schmälte und Vrax eingehend musterte. „Wie lautet dann Ihr Plan?“

„Folgendermaßen…“ Die Vorankündigung schwoll in Vrax’ Stimme. „Wir werden eine groß angelegte Invasion beginnen. Die Erde wird bald schon in unserem Besitz sein.“

Valdore stockte der Atem. „Eine Invasion?“, rollte er über die Zunge.

„Sie haben richtig gehört.“

Hat er den Verstand verloren? Wie konnte Vrax – entgegen aller Logik im Rihannsu–Universum – diesen Schritt ernstlich durchführen wollen? – Jetzt, zu dieser Zeit, unter Umständen, die sowohl ungünstig waren als auch jeglicher Vereinbarung mit der imperialen Flotte zuwiderliefen?

Einen Moment nahm Valdore an, gleich würde ein erneutes Lachen erklingen und das Gesicht des Prätors verzerren. Er bekam in seinem politischen Alltag sicherlich nicht viel Humor geboten. Aber Vrax’ Mundwinkel blieben ungerührt, seine blassen Lippen eine versteifte Horizontale, und in den grauen Augen erkannte Valdore sein Spiegelbild.

„Darauf sind wir nicht vorbereitet.“, beteuerte er kopfschüttelnd. „Die Drohnenschiffe schützen derzeit Coridan.“

Vrax winkte ab. „Coridan ist nur noch ein wertloser Gesteinsbrocken im All. Die Unrothii, denen wir gestattet haben, sich auf ihn zu setzen, müssen uns nicht weiter kümmern. Der Planet besitzt keinerlei strategischen Wert mehr, und wenn ich so frei sein darf: Die Koalition wird keinen Finger mehr für ihn krumm machen.“

„Coridan ist insofern wertvoll für uns,“, widersprach Valdore, „als die Welt weit näher an Erde, Vulkan oder Andoria liegt als jede andere unserer Niederlassungen. Es wäre überstürzt, die Flotte schon jetzt weiter zu schicken. Stattdessen sollten wir unsere Position festigen, einen Stützpunkt errichten und warten, bis mehr Drohnenschiffe vom Stapel gelaufen sind.“

Vrax starrte ihn an. „In den letzten eisae ist mir eines bewusst geworden, Admiral: Ich bin des Wartens überdrüssig.“

Er hat keine Geduld mehr. Und seine Grundsätze lösen sich in eben solchem Tempo auf.

„Sehen Sie es als Herausforderung an Ihr Wesen.“, sprach Valdore ihm zu. „Schon Karatek sagte: ‚Nur was sorgsam gebaut wird, hat Bestand’.“

Diesmal lächelte Vrax, aber es wirkte sehr viel abgeklärter, kontrollierter, sparte es doch die Augen aus. „Jetzt kommt mir wieder in den Sinn, wie wortgewaltig Sie sein können, mein Freund. Aber vergessen Sie bitte nicht, dass unsere Ahnen sich nicht nur durch Geduld auszeichneten. Dieses Imperium wäre nicht das, was es ist, hätten sie nicht ein Gespür für die Gunst des Augenblicks gehabt. Und die sehe ich nun gekommen.“

„Bei allem Respekt, Prätor: Woran machen Sie das fest?“ Indem er die Frage formulierte, war Valdore sich dessen gewahr, dass er das vorgesehene Kontaktverhältnis zwischen Prätor und Staatsdiener über die Maßen strapazierte.

„Die Koalition hat kluge Ingenieure, Admiral.“, insistierte Vrax. „Sie haben die Angewohnheit, dann besonders kreativ zu sein, wenn sie unter Druck stehen. Denken Sie nur an das Detektionssystem, das unsere Tarnvorrichtungen auffliegen lässt. Zudem hat unsere Niederlage auf Nequencia III gezeigt, dass wir auch ernst nehmen sollten, was die Menschen und ihre Verbündeten unter der Hand treiben.“

Nequencia… Sie hatten wirklich einen hohen Preis gezahlt. Nicht nur, dass ein Warp–sieben–Antrieb jetzt nicht mehr infrage kam – genauso waren sie jetzt nicht mehr imstande, Tarnvorrichtungen herzustellen. Die Erebus würde wohl in absehbarer Zeit das einzige Flottenmitglied mit dieser taktischen Fähigkeit bleiben.

Trotzdem hatten sie neue Optionen hinzugewonnen, waren stärker als zuvor. „Wir haben bereits mit der Zerstörung der Sensorphalanx begonnen.“, konterte Valdore. „Dieses Werk fortzusetzen, sollte nicht schwer sein. Und die geheime Sternenflotten–Zelle wurde vom Tal’Shiar eliminiert.“

Vrax schürzte die Lippen. „In diese Lücke will ich stoßen. Die Koalition soll keine Gelegenheit mehr erhalten, sich neu auf die Bedingungen einzustellen.“

Jetzt erschrak Valdore über das Ausmaß von Endgültigkeit in den Worten des Prätors. Trotzdem hielt er weiter dagegen: „Es stehen nicht genug Drohnenschiffe für einen offenen Einfall in ihr Stellargebiet zur Verfügung.“

„Das sehe ich anders. Wir haben erlebt, wie die Drohnen mit der coridaniten Flotte umgegangen sind. Oder mit den Vulkaniern. Dank des… Wie nannten Sie es doch gleich?“

„Katra.“

Vrax erübrigte eine Geste. „Dank dieses Katras sind unsere Schiffe jetzt nahezu unschlagbar.“

„Im Fall des Angriffs auf Coridan mögen sie funktioniert haben.“, räumte Valdore ein. „Aber es sind noch weitere Tests erforderlich, bis wir wissen, wie sich das Katra störungsfrei bedienen lässt.“ Er betrachtete sein Gegenüber beschwörend. „Das Risiko ist zu groß, Prätor. Bedenken Sie Ihr Vorhaben noch einmal.“

Vrax atmete tief durch; es klang wie ein Seufzen. „Das habe ich bereits. Und Ihr flammendes Plädoyer, mein verehrter Valdore, verrät Sie. Wenn Sie ehrlich sind, geht es Ihnen doch gar nicht um Zahl oder Ausstattung der Drohnen, geschweige denn um andere Risiken, nicht wahr?“

Schweigen machte die Runde. Der Blick, der zwischen beiden Männern wanderte, wurde immer schärfer.

„Prätor,“, fing Valdore an, „die Menschen sind gefährlich. Sehr sogar.“

„Sie haben viel von ihrer Gefährlichkeit eingebüßt, würde ich sagen.“

„Aber D’Era…“

„Wir werden im Sinne D’Eras handeln.“, sagte Vrax.

„Mit Verlaub, das werden wir nicht. Wir sind wieder dabei, die Menschen zu unterschätzen. Ein solcher Fehler ist uns schon einmal unterlaufen.“

„Er ist Ihnen unterlaufen, erinnern Sie sich?“ Vrax schlug einen Bogen um Valdore. „Ich hatte nur meine Hand für das ursprüngliche Drohnenschiffprojekt hingehalten.“ Er kehrte wieder zum Kommandothron zurück und setzte sich. „Sie sind mit Ihrer Spiritualität ein Überbleibsel aus früheren Zeiten, mein Freund. Nun ist es für mich an der Zeit, hart durchzugreifen, und das Imperium zum Sieg zu führen.“

Panik erfasste Valdore. Er spürte, dass dies nach so langer Zeit sein erstes, aber auch letztes Treffen mit Vrax sein musste. „Wie können Sie so etwas sagen, Prätor?“

„Weil ich weiß, dass es verhängnisvoll werden kann, wenn man den Blick zu tief in die Vergangenheit versenkt.“, antwortete der Andere. „Sehen Sie, D’Era ist der Mythos unseres Aufbruchs. Aber wir haben hier und heute schon ein Imperium errichtet. Und jetzt sehe ich es als meine Aufgabe an, ch’Rihan ein neues D’Era zu geben.“

Wie kann er sich anmaßen?...

Valdore presste die Lippen aufeinander, denn es fiel ihm schwer, nicht die Fassung zu verlieren. „Es ist nicht nur das. Sie brechen auch, was wir gemeinsam beschlossen. Wir wollten dem Imperium einen neuen Anfang geben.“

„Ich breche gar nichts.“, sagte Vrax, kühl lächelnd. „Allerdings befürchte ich, dass Sie sich, mein Freund, über gewisse Dinge falsche Vorstellungen gemacht haben. Verstehen Sie mich nicht falsch, Valdore: Ich habe Sie stets sehr ernst genommen und für Ihre Integrität bewundert. Doch nun muss der Prätor tun, wozu er bestimmt ist. Er muss dem Imperium den Weg in die Zukunft weisen.“

Damit war alles gesagt. Valdore ahnte, dass alles, was jetzt noch kommen würde, nur mehr der Abgesang war. Er schluckte. „Sagen Sie mir, Prätor: Sind wir so von unserem unbedingten Willen zur Macht durchtränkt, sind wir so blind vor Gier, dass wir längst der Sucht verfallen sind? Sollte dem so sein, gehen wir nicht mehr auf der Straße der Puritaner, die unsere Vorfahren waren.“

„Machen Sie sich nicht lächerlich, Valdore.“ Schroffheit erklang erstmals in Vrax’ Tonfall. „Macht war schon immer unser Gebot. Wir sind Rihannsu. Wir sind zum Herrschen auserkoren.“

„Ich verstehe.“ Valdore schickte sich an, sich umzudrehen.

„Admiral. Ich habe Sie noch nicht entlassen.“, ertönte in seinem Rücken die Stimme des Prätors, noch strenger. „Genau genommen konnte ich noch nicht einmal zum eigentlichen Anlass Ihrer Vorladung stoßen.“

Konnte es noch verheerender kommen? Valdore drehte sich langsam und widerwillig um.

„Wie Sie wissen, gibt es eine fortdauernde Auseinandersetzung mit den Klingonen im H’Atoria–System. Ich möchte, dass Sie die Erebus nehmen und unsere dortigen Bemühungen koordinieren.“

Valdore las zwischen den Zeilen. „Ich werde meines Postens enthoben?“

„Versetzt.“, korrigierte Vrax. „Oder habe ich Sie soeben etwa degradiert?“

Natürlich wusste Valdore, dass diese Wortwahl blankem Euphemismus gleichkam. Die schlichte Wahrheit lautete: Er hatte seinen Wert für Vrax verloren, weil sich der Prätor ganz unerwartet stark genug fühlte, um die Koalition frontal anzugreifen – und dabei alle neuen Werte zu opfern bereit war, für die die beiden Männer seit T’Leikhas Absetzung eingestanden hatten. Die Rihannsu würden keinen neuen Aufbruch erhalten, sondern lediglich ein machtpolitisches Weiter–so. Und das, wusste Valdore, mochte eines vielleicht nicht mehr allzu fernen Tages ihr Untergang sein.

Vrax indes strich sich mit zwei Fingern wie nachdenklich über die Schläfe. „Sehen Sie, Valdore: Die Dinge entwickeln sich zurzeit schneller als ursprünglich gedacht. Ich schätze Ihren Rat. Das habe ich immer. Aber in Anbetracht des Kommenden ist es vonnöten, dass ich den Oberbefehl über die Flotte übernehme.“

Das kann er nicht machen! Die Flotte war stets autark gewesen; jetzt schien der Prätor sie direkt unter seine Kontrolle stellen zu wollen. Zu spät erkannte Valdore, dass seine Gier grenzenlos war und dass er eine Schlange an seiner Brust genährt hatte.

„Ich habe bereits mit Ihren Stellvertretern, Admiral Viran und Admiral Hosan, gesprochen. Sie werden hinter mich zurücktreten.“

Viran und Hosan… Sie würden sich niemals zu so etwas bereit erklären., dachte Valdore. Wahrscheinlich hatte Vrax sie unter Druck gesetzt.

„Es tut mir Leid. Es war abzusehen, dass Sie mir nicht folgen würden. Doch seien Sie versichert: Ich werde unseren gemeinsamen Weg bis zu diesem Punkt in guter Erinnerung behalten.“

„Ja, wir beide wussten, worauf wir uns einlassen. Und es tut mir nun leid, festzustellen, dass Sie unseren gemeinsamen Weg verlassen haben.“ Wenn er überhaupt jemals existiert hat. „Prätor.“

Mit einer laxen Geste bedeutete Vrax Valdore, er dürfe jetzt wegtreten. Das war kein Problem mehr, hatte er ihn doch gänzlich entehrt. Erst jetzt glaubte Valdore, die Dinge ganz klar sehen zu können: Vrax war derjenige gewesen, der ihn zurückgeholt hatte an die Sonne, und er hatte ihn schließlich wieder unter die Oberfläche verbannt. H’Atoria… Ein entlegenes System, wo nichts zu holen war. Ein Hinterhof der Geschichte. Dort hatte Vrax ihn soeben abgesetzt.

Er drehte sich um und verließ den Thronsaal. Seine Stiefel klackten im Kontrapunkt.

Als er die Tür mit den Wachen passierte, erinnerte er sich an ein Gespräch mit Nijil. Es hatte unmittelbar nach seiner Befreiung aus den Verließe von Vikr’l stattgefunden.

Vrax ist bereit, meine Strategie anzunehmen.

Glauben Sie wirklich, dass er dem Sternenimperium eine neue Ausrichtung geben möchte?

Sagen wir so: Ich weiß nicht, ob es aus Überzeugung geschieht, doch Vrax ist ein anpassungsfähiger Geist. Er begeht keinen Irrtum zweimal, und er kann ausgetretene Pfade verlassen. Und deshalb hat auch er erkannt, dass dieses zweitausendjährige Reich nur dann Bestand haben wird, wenn es das alte Dogma fallenlässt. Überdehnung und haltlose Gier werden eines Tages unser Verderben sein. In Zukunft brauchen wir einen höheren Grund, wenn wir expandieren wollen. Und die Menschen und die Koalition sind dieser höhere Grund. Ein heiliger Krieg steht uns bevor, mein Freund. Im Namen D’Eras.

Aber sagten Sie nicht, es sei Ihr Fehler gewesen, die Lehre der unbegrenzten Expansion anzuzweifeln?

Das stimmt. Jedoch nicht, weil ich meine Überzeugungen hätte revidieren wollen, sondern weil ich mit meinen damaligen Forderungen vor dem Senat einige gute Leute in Gefahr brachte. So etwas darf kein zweites Mal geschehen. Seinerzeit beging ich den großen Fehler, den Willen zur Macht im Wesen der Rihannsu zu unterschätzen. Dieser Wille überlagert manchmal sogar den Sinn zur Anerkennung neuer Realitäten. Jetzt ist die Lage für uns entscheidend günstiger, und wir sollten sie nutzen. Gleichwohl ist selbst jemand wie Vrax nicht unser natürlicher Verbündeter. Er ist es nur solange, wie wir einen gemeinsamen Feind haben.

Die Menschen.

Der gemeinsame Feind existierte in Vrax’ Denken bald nicht mehr, sonst hätte er es nie gewagt, ihr Bündnis aufzukündigen.

Valdore war aber derweil nicht einmal mehr über die Entscheidung des Prätors schockiert als vielmehr über sich selbst.

Sein damaliger Wortwechsel mit Nijil belegte es: Er hatte diesen Tag kommen sehen. Den Tag, da Vrax ihm den Laufpass geben würde. Wieso, fragte Valdore sich nun, hatte er sich nicht darauf eingestellt? Hatte er sich von falscher Hoffnung, von Illusionen die Sicht vernebeln lassen? Hatte er irgendwann wirklich angenommen, er sei Vrax’ Freund? War er bequem geworden mit der Macht, die ihm der Prätor als Oberkommandierender der Flotte in die Hände gelegt hatte?

Valdore kannte die genaue Antwort nicht. Aber ihm dünkte, dass der Machttrieb auch seine eigene Schwäche gewesen war, sonst hätte er nie vergessen, wo er herkam.

Und jetzt war es zu spät.

Wieder einmal hatte das Sternenimperium einen seiner ergebensten Diener vorzeitig entlassen.

Hätte Valdore vorausgesehen, wie die Geschichte sich entwickelte, er wäre lieber in den Verließen von Vikr’l von den Remanern, die ihn dereinst abholten, erschossen worden.
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