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5x09 - The Way of D'Era

von Julian Wangler

Kapitel 2

[unbekannter Ort]

Der Traum weckte sie auf.

Sie blinzelte, bis sie wusste, dass die Geräusche nicht echt waren.

Niemand war da. Niemand weinte.

Unruhig atmete sie einmal tief durch und vergrub das Gesicht unter dem Kissen. Ihr Körper entspannte sich, das Herz schlug wieder regelmäßig. Sie versuchte, sich den Traum zu vergegenwärtigen. Er war weg, ließ ein Gefühl der stechenden Angst, der unergründlichen Einsamkeit zurück – und eine Erinnerung an jemanden, der weinte. So traurig. So hoffnungslos. So echt.

Schluss damit, dachte sie.

Sie öffnete ein Auge. Diffuses graues Morgenlicht drängte unter den zugezogenen Vorhängen in den Raum. Genau genommen wirkte in der Dämmerung alles ziemlich unklar. Sie stieß die Decken weg, schwang die Füße auf den Boden und setzte sich auf. Sie fühlte sich schwer, träge, benommen. Abwesend starrte sie in den Spiegel gegenüber vom Bett. Und sah nichts als einen verschwommenen Fleck.

Sie runzelte die Stirn, kniff die Augen zusammen und schaute noch einmal hin. Ein verschwommener Fleck. Verwirrt stand sie auf und ging langsam zum Spiegel hinüber. Sie beugte sich nach vorne. Das Gesicht wurde scharf.

Nur dass es nicht ihr Gesicht war.

Die Frau, die ihr entgegenblickte – sie kannte sie nicht. Aber sie sah genauso panikbesessen aus, wie sie sich selbst fühlte. Offener Mund. Aufgerissene Augen. Das Gesicht farblos, bis auf einen hässlichen grünen Bluterguss. Sie hob die Hand zur Wange. Die Hand im Spiegel folgte der ihren genau. Sie wirbelte herum und sah hinter sich.

Niemand war da. Sie sah sich im Zimmer um. Alles schien verschwommen, durcheinander, es war ein Raum, den sie nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte.

Und dann hörte sie das Geräusch.

Ein Kratzen. Ein lautes, unregelmäßiges Kratzen. Es klang wie Klauen, die sich in Holz festkrallten, und es kam von irgendwoher außerhalb des Zimmers.

Sie tappte um das Bettende, mit weichen Beinen, das Blut pochte in ihren Ohren und übertönte fast das scharrende Geräusch. Sie ging auf die Tür zu, zog das altmodische schwere Nachthemd hoch, das sich zwischen ihren Beinen verheddert hatte, und irgendein Teil ihres Bewusstseins stellte fest, dass sie so ein Nachthemd gar nicht besaß. Sie spähte durch die Türöffnung hinaus. Der lange Gang, so verschwommen wie das Schlafzimmer, war leer.

Sie schlich hinaus. Das Kratzen wurde lauter, eindringlicher. Es schien hinter einer angelehnten Tür am Ende des Flurs hervorzudringen. Sehr langsam bewegte sie sich auf die Tür zu, blieb stehen, fasste nach der Klinke. In diesem Augenblick hörte sie einen Aufprall, die Tür bebte in ihrem Rahmen, als wäre etwas Schweres dagegen geschleudert worden.

Durch den Spalt kam ein pelziges Tier herein. Es erschien ihr dahingehend vage vertraut, dass sie sich ein Haustier von ähnlicher Größe und Gestalt vorgestellt hätte, und doch kannte sie diese bestimmte Kreatur nicht. Sogleich schmiegte sie sich an ihrem Bein. Zwar wies das Tier ein erschreckendes, messerspitzenscharfes Gebiss, zwei stumpfte Hörner am Hinterkopf sowie irisierend–kobaltblaue Augen auf. Doch mit seinem wedelnden Schwanz und dem fiependen Geräusch, das der Vierbeiner aussandte, wirkte er nicht gefährlich, sondern eher unterwürfig, ja fast schon schutzbedürftig.

Sie bekam Mitleid und streichelte den mehrfarbig gestreiften Kopf. „Ist ja gut…“

Über den Klang der eigenen Stimme war sie verwundert, unterbrach die Berührung des Wesens zu ihren Füßen sogleich wieder. Eigenartiges Empfinden regte sich in ihr: Sie hatte diese, ihre Stimme noch nie vernommen, und doch hatte auch hier wieder ein Teil von sich kein Erstaunen über die raue, aber zweifellos weibliche Tonlage aufkommen lassen.

Es war verrückt: Sie schien sich zu kennen, und doch konnte sie, wenn es um einzelne Betrachtungsgegenstände an sich oder ihrer Umgebung ging, nicht konkretisieren geschweige denn eruieren. Ihr Geist schien wie in Watte geschlagen, und mit dem Realisieren dieser Paradoxie ging Verstörung einher.

Nachdem das Tier sich lange genug an ihren Beinen kokettiert, aber zuletzt vergeblich um Aufmerksamkeit gerungen hatte, ließ es seine Bemühungen augenblicklich fallen und kehrte ihr den Rücken. Geschickt schob es sich durch den Türspalt, aus dem helles Licht in den düsteren Flur ausstrahlte.

Sie zögerte nur kurz. Dann machte sie einen Satz nach vorn, ohne nach der Klinke selbst zu greifen, und die Tür fiel auf.

Sie stand in einem Wohnzimmer, und zwar in einem überaus ansehnlichen. Das Erste, was ihr auffiel, war, dass man es offenbar von seinen Enden her definierte. Der Raum war an zwei Seiten begrenzt durch mannshohe, schneeweiße Steinskulpturen; Gestalten, die rätselhaft waren und doch ähnlich aussahen wie sie, dabei merkwürdige Äxte gen Himmel reckten beziehungsweise der hoch aufragenden Decke entgegen. Um sie herum waren die Wände gespickt mit Wandteppichen; der Boden wiederum bestand aus feinstem Marmor. Ein großer, prunkvoller Kamin im Zentrum des Raums brannte, indes sich um ihn herum eine eigenwillig geformte Couchgarnitur zog.

Wer lebte hier? Sie etwa?

„Hallo?“, fragte sie leise, erhielt aber außer dem eigenen Echo, das die Wände zurückwarfen, als Antwort nur das Knistern des brennenden Holzes.

Dann wurde sie auf das große, gewundene Fenster aufmerksam. Sie durchquerte den Raum, beobachtete dabei, wie sich das Haustier, das sie soeben noch begrüßt hatte, leise stöhnend vor dem Kamin niederließ. Als sie unmittelbar vor dem Glas stand, stockte ihr der Atem.

Das Haus musste sich auf einer ziemlichen Anhöhe befinden. Dabei verwies der zig Kilometer weit reichende Ausblick auf einen waldigen Abhang und weiter hinten auf ein Tal in Küstennähe – gespickt mit einer riesigen Stadt. Von hier waren nur Umrisse zu erkennen, doch das zivilisatorische Gebilde erschien ihr als perfekte Melange aus traditioneller, urtümlicher Architektur und moderner Technologie. Der Anblick der Kuppeln und Türme, der Bögen und spitzen Winkel, der anmutigen Horizontalen und Vertikalen aus poliertem Stein und feinem Glas nahm sie so sehr in Beschlag, dass sie sich in den nächsten Minuten nicht rührte.

Erst das Klopfen einer Tür, das irgendwo unten erscholl, riss sie aus der Gebanntheit des wundersamen Augenblicks. Sie zuckte zusammen, als sie plötzlich Schritte vernahm, die eine Treppe heraufzukommen schienen – und sogleich rasten ihr, parallel zum Pochen ihres Herzens, alle möglichen Szenarien durch den Kopf.

Vielleicht war sie gar nicht die Besitzerin dieses Hauses, sondern eine ganz schmutzige Einbrecherin? Doch warum trug sie dann dieses eigenartige Nachthemd, und warum hatte das Tier, welches nun vor dem Kamin schlummerte, sie ganz offensichtlich erkannt?

Eine andere Möglichkeit mochte sein, dass sie schon hier lebte – aber eben nicht allein. Kam gerade ihr Ehemann heim? Bedeutete dies, sie musste darauf gefasst sein?

Sie atmete schneller.

Schlagartig wurde ihre Aufmerksamkeit von etwas auf dem Tisch nahe der Couch Liegendem absorbiert. Zweifellos handelte es sich um eine Waffe. Sogleich erkannte sie, dass ihre Form den Streitäxten der großen Skulpturen verdächtig ähnelte.

Sie trat näher und nahm schließlich die Axt in die Hand. Genau genommen war es eine eigenwillige Mischung aus einer Hellebarde und einem Keilinstrument, mit großer Wahrscheinlichkeit zum Töten gedacht. Es zeichnete sich durch eine enorme Schlankheit aus, während der Haltestab sich sukzessive nach unten verdickte. Der Keil selbst war beidseitig und von merkwürdig gezackter Gestalt. Sie wog das Werkzeug in ihrer Hand und staunte über dessen ungeahnte Leichtigkeit.

In diesem Moment öffnete sich eine andere Tür im Raum, und ein uniformierter Mann trat ein. Er blieb schon im Türrahmen stehen und lächelte sie verblüfft an; als käme ihre bloße Anwesenheit in diesem Zimmer einem unbeschreiblichen Wunder gleich. Sie erstarrte in ihrer Unsicherheit und beschränkte sich darauf, den Mann zu betrachten. Er war von hoch gewachsener Gestalt, hatte breite Schultern, einen silbergrauen Haarschopf, was zusammen mit dem gegerbten Gesicht auf überdurchschnittliches Alter hinwies. Seine großen, offenen Augen funkelten jedoch hell und aufmerksam.

Noch einige Sekunden verstrichen, bis sich die Lippen des Mannes teilten. Dabei deutete er auf die Axt in ihren Händen. „Man nennt es einen Lirash. Es ist eine edle Waffe aus weit zivilisierteren Zeiten.“ Sein Fingerzeig fiel auf das Wesen vor dem Kamin. „Und Ihr treuer Baredha war bei jeder Ihrer Meisterschaften dabei. Ich saß mit ihm auf der Zuschauertribüne und applaudierte Ihnen. Im Eingangsbereich Ihres Hauses hängen die Siegesmedaillen.“

Der Mann strahlte eine sonderbare Sympathie, eine nachgerade Vertrautheit ab. Dieses Gefühl war weit stärker als im Falle des Haustiers oder Ihres eigenen Gesichts im Spiegel. Allein am Klang seiner kräftigen, aber gleichzeitig sanften Stimme wusste sie, dass sie ihn kennen musste. Trotzdem vermochte sie sich an keine der Gemeinsamkeiten, auf die er offenbar rekurrierte, erinnern, und so blieb ihr nichts anderes übrig als darüber zu stutzen. „Wer sind Sie?“

Er deutete eine knappe Verneigung an. „Mein Name ist Iteni.“

Noch einmal horchte sie auf ihre Erinnerung, aber es wollten einfach keine Bilder vor ihrem geistigen Auge entstehen. Sie schüttelte den Kopf. „Ich kenne Sie nicht.“

„Keine Sorge.“, sagte er und verließ den Türrahmen. „Wir sind Freunde.“

„Sind Sie…mein Ehemann?“

Er lachte über die Frage. „Wir mögen uns ja schon lange kennen und viele Konstellationen durchlebt haben, aber Geliebte waren wir nie.“

Die offenkundige Klarstellung beschwor in ihr nur weitere Konfusion herauf. „Wir sind also Freunde…“, wiederholte sie, ohne ihn aus den Augen zu lassen. „Von wo kennen wir uns?“

„Der Militärdienst.“

„Ich bin beim Militär?“ Instinktiv glitt ihr Blick wieder herab an ihrem Körper.

Er verstand den Affekt. „Das ähm…Nachthemd ist von meiner Frau. Ich wusste, Sie würden es nicht mögen, weil Sie normalerweise die Uniform gewohnt sind. Aber Sie waren schwer lädiert, und wir konnten nichts Bequemes für Sie finden. Sie sind nicht oft hier; dementsprechend leer ist Ihr Kleiderschrank.“

Schweigend nickte sie, ungewiss, was sie von alledem zu halten hatte. „Dies ist mein Zuhause.“, mutmaßte sie aus seinen Worten.

„Ja, genau.“ Ein hoffnungsvolles Strahlen loderte in seinem Blick auf, doch als sie unverwandt darauf reagierte, verebbte es wieder schnell.

„Ich…kann mich an nichts erinnern.“, sagte sie. „Wer bin ich? Was tue ich hier?“

Der Mann, der sich als Iteni vorgestellt hatte, zog mit seinen Händen ihre Gestalt nach. „Zunächst einmal sind Sie eine Rihannsu, genau wie ich einer bin. Und Sie sind meine Kommandantin.“

Kommandantin? Sie befehligte ihn? „Ach ja?“, fragte sie verblüfft. „Und mein Name?“

„Sie heißen Thiras.“

„Thiras…“ Sie rollte den Namen einmal laut, dann zweimal leise über die Zunge, aber er erschien ihr fremdartig. „Was ist mit mir? Sie wissen es, nicht wahr?“

Die Brauen Itenis zuckten mehrere Millimeter nach oben. „Es geschah auf unserer letzten Mission…“, fing er an. Bedrückung erklang in seiner Stimme. „Sie erlitten eine Amnesie. Während eines Angriffs durch fremde Wesen traf sie ein elektrolytischer Schock. Ihr Gedächtnis wurde dabei ausgelöscht. Wir haben Sie so schnell wie möglich hierher gebracht.“

Sie runzelte die Stirn. „Wo ist ‚Hier’?“

Iteni machte einen Satz nach vorn und verwies aus dem Fenster, in Richtung der wundersamen Metropole, die sie vorhin beobachtet hatte. „Es heißt ch’Rihan. Es ist unsere Heimatwelt. Das, wofür wir alle leben.“ Ein ehrfürchtiger Klang zeichnete seine Stimme, ehe er sich erneut umwandte. „Die Ärzte haben sich um Sie gekümmert. Die körperlichen Blessuren wurden geheilt. Und sie sehen gute Chancen, dass auch Ihr Gedächtnis zurückkehrt. Deshalb haben wir Sie hierher gebracht – in Ihr Anwesen.“ Er blinzelte. „Kommt Ihnen irgendetwas hier bekannt vor?“

„Bekannt schon…irgendwie.“ Im Blick ihres Gegenübers erkannte sie, wie wenig überzeugend sie wirkte. Sie schüttelte den Kopf. „Doch ich verbinde mit nichts konkrete Erinnerungen.“

Der Militär, der sich als Kollege, Untergebener und zudem Freund zu erkennen gegeben hatte, schien ihre Antwort positiv aufzufassen. „Das ist doch ein erster Schritt. Wir werden das Problem langsam angehen.“

Er lächelte wieder; sie fühlte sich in diesem Antlitz aufgehoben. Der Augenblick gewann an Substanz, wurde aber letztlich zerschnitten, als jemand Neues hereinkam.

Es war ein Mann, der kleiner und schmalschultriger war als Iteni. Sofort fiel Thrias auf, dass er dieselbe Uniform trug wie der Ältere. Er musste derjenige gewesen sein, mit dem Iteni sich unterhalten hatte, als sie durch das Treppenhaus hochgestiegen waren. Doch der Mann war draußen geblieben, aus irgendeinem Grund.

„Entschuldigen Sie die Verzögerung, Subcommander.“, sagte er zu Iteni.

Er musste ihn mit seinem Rang ansprechen, dachte Thiras.

„Schon gut. Was haben die Naval–Werften gesagt?“

„Die Reparaturarbeiten an der Khelot werden sich wegen der starken Schäden an den Fusionsreaktoren verzögern.“
Sie verstand nichts von dem, verfolgte nur, wie Iteni nachdenklich nickte und sich dabei sogleich wieder unterbrach. „Entschuldigen Sie, Thiras. Dies ist Kveton.“

Der jüngere Mann trat näher und erzeugte ein freundliches Lächeln. Er sah ausgesprochen gut aus, fand sie. Seine Haut war sonnengegerbt und der dunkle Haarschopf prächtig. In seinen braunen Augen flackerte fast etwas Intimes. Obwohl sie es nicht vorhatte, wäre es beinahe dazu gekommen, dass sie erneut fragte, ob vor ihr der Ehemann stünde? „Ich bin sehr erfreut, dass es Ihnen gut geht.“, ließ er zuletzt mit angenehmer Stimme verlautbaren.

Durch seine Anwesenheit hatte sich etwas verändert. Beide Männer waren ihr zweifelsohne sympathisch. Zwar vermochte sie nicht zu ergründen, warum dem so war, doch der Unterschied in ihrem Verhalten und in ihren Zügen schien beinahe greifbar. Iteni schien mehr so etwas wie ein Beschützer zu sein; er wahrte die Distanz, mutete aber wie ein besonderer Kenner ihrer Person an. Kveton war direkter und unkomplizierter, aber auch nicht so filigran. Seine genuine Anziehungskraft bestand zweifelsohne in seiner männlichen, attraktiven Erscheinung.

„Kennen wir uns auch vom Militär?“, fragte sie ein wenig unbedarft.

„So ist es.“ Kveton nickte. „Ich arbeite in der technischen Abteilung des Raumschiffes, das Sie kommandieren.“

Sie riss die Augen auf. „Ein Raumschiff?“

Kvetons Freude riss ab; er sah zu Iteni, und ein beinahe frustriert–entsetzter Blick wechselte zwischen den Männern.

Anschließend zog der Ältere die Mundwinkel wieder nach oben, als ginge er mit gutem Beispiel voran. „Die Khelot wird erst einmal nicht einsatzbereit sein. Das bedeutet wir haben Zeit.“ Vorsichtig berührte er ihre Schulter. „Ich könnte mir keine bessere Gelegenheit vorstellen, Ihnen Ihre Heimat zu zeigen.“

Daraufhin sagte Kveton: „Ich würde gerne mitkommen.“

Sie konnte über das Angebot nur dankbar schmunzeln und abwarten, was die Zeit brachte…
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