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5x10 - Interlude

von Julian Wangler

Prolog I

2254

Computerlogbuch der U.S.S. Potemkin.
Zurzeit absolvieren wir einen Übungsflug nach Gamma Hydra. Sektor vierzehn, Koordinaten: 22.87.4. Nähern uns der Neutralen Zone. Alle Systeme reagieren normal und sind in Funktion.

James Tiberius Kirk hatte mittlerweile Routine – nicht von ungefähr. Er nahm diesen Eintrag im Simulatorlogbuch schließlich nicht zum ersten Mal vor. Es war sein dritter Anlauf beim Kobayashi Maru-Test, und obwohl diese Prüfung nur einmal abgelegt werden musste – als einzige im Curriculum der Sternenflotten-Akademie ohne die Notwendigkeit eines Erfolgs –, hatte er sich geschworen, diesmal den großen Durchbruch zu schaffen.

Trotz seines unbedingten Erfolgswillens machte es ihm sein Gewissen heute allerdings nicht gerade einfach. Vor ein paar Minuten, als er vor Beginn der Simulation das nachgebildete Brückendeck betreten hatte, schien sich ein sonderbarer Widerstand allen seinen Bewegungen entgegenzustemmen, so als ginge er durch eine zähflüssige Masse, die ihn festhalten wollte.

Einen Moment hatte er geglaubt, in den Blicken seiner Kommilitonen an den verschiedenen Stationen etwas Sonderbares wahrzunehmen. Waren sie bloß verwundert bis beeindruckt, oder waren sie eher schockiert über seine Hartnäckigkeit, den Test zum dritten Mal abzulegen? Fast kein Kadett tat so etwas. Manch einer hatte Kirk krankhafte Verbissenheit unterstellt, andere Arroganz oder sogar Größenwahn.

Oder war der Grund für sein eigenartiges Empfinden ein ganz anderer? Mochte es sein, dass seine Mitstudenten irgendetwas ahnten? Hatten sie vielleicht irgendwie von seinem geheimen Einsatz an der Simulatordatenbank letzte Nacht Wind bekommen? Hatte ihn jemand beobachtet? In diesem Fall würde es ein ziemlich kurzer Flug werden.

Kirk war sich nicht sicher, ob es Schuldbewusstsein war, das ihn derzeit ergriff, oder doch eher die Angst davor, dass all die Zeit und Mühe, die er in seine Strategie investiert hatte, doch am Ende vergeudet sein würde? Dass sich all der Aufwand nicht gelohnt hatte. Und dass bei diesem überaus riskanten Spiel, das er trieb, am Ende doch nur um ein gekränktes Ego ging.

Noch weigerte er sich, aufzugeben. Er würde seine Rolle spielen und sein Glück versuchen. Dankbarerweise erwiesen sich die Armlehnen des Kommandostuhls als so fest, dass er äußeren und inneren Halt zurückgewann. Es hieß nun: Jetzt oder nie.

„Verlassen Sektor vierzehn nach Sektor fünfzehn.“, meldete sein Freund Gary Mitchell. Als einziger der anwesenden Kadetten hatte er sich bereiterklärt, den Test erneut abzulegen, weil Kirk ihn dazu gedrängt hatte. Für ihn war es das zweite Mal. Mitchell wusste jedoch von nichts.

Inzwischen kannte Kirk sämtliche Einzelheiten des Tests. Er beobachtete, wie die anderen Offiziersanwärter wachsame Blicke auf die Instrumentenanzeigen richteten, und schließlich bat der Steuermann um die Angabe von neuen Kursdaten, um der Neutralen Zone auszuweichen. Jeder Erstsemester wusste, dass dieser Raumbereich eine heilige Kuh war, von deren Achtung oder Missachtung Gedeih und Verderb des intergalaktischen Friedens abhingen.

„Steuermann, berechnen Sie einen parabolischen Kurs für die Neutrale Zone.“ Entschieden fügte er hinzu: „Wir wollen da auf keinen Fall ‘reinfliegen.“

„Aye, Sir.“, bestätigte Mitchell, und seine Finger huschten über die Instrumente seiner Konsole. „Kursänderung berechnet.“

„Captain, soeben empfangen wir eine Nachricht auf der Notrufwelle. Sehr schwach…“ Die andorianische KOM-Offizierin hatte sich mit besorgtem Gesichtsausdruck zu ihm umgedreht. Sie hielt den Feinberg-Empfänger dicht am Ohr und spielte, wie Kirk fand, ihre Rolle höchst authentisch. Das lag allerdings weniger an etwaigen schauspielerischen Talenten als vielmehr daran, dass sie – wie die meisten anderen Kadetten auch, die den Test zum ersten Mal ablegten – vor Ehrfurcht und Unsicherheit vibrierte.

Kirk konnte es ihr nicht verdenken; es war ihm, als er im letzten Jahr erstmals das Vergnügen mit Kobayashi Maru hatte, ähnlich ergangen. Dieses Szenario war gefürchtet wie kein anderes, und jeder wusste, dass auf der anderen Seite der perfekt replizierten Brücke Reaktionen der Mannschaft durch Feinabstimmung der Simulationsvariablen getestet und akribisch psychologische Gutachten erstellt wurden, die Einfluss auf den Gang einer Karriere haben konnten.

„Auf die Lautsprecher durchstellen.“, wies Kirk an. Seine Worte klangen fest und zuversichtlich, obgleich sein Gaumen so trocken wie eine vulkanische Wüste war.

[…Mayday, Mayday! Hier ist die Kobayashi Maru. Zwölf Parsecs entfernt von Altair VI.] Die aufgeregte Stimme eines Mannes wurde durch Statik überlagert. Sogar computerverstärkt war die Nachricht nur bruchstückhaft zu verstehen. [Wir sind auf eine Gravitationsmine aufgelaufen und haben alle Energie verloren. Unsere Außenhülle ist stark beschädigt, und es hat viele Opfer gegeben…]

Kirk hörte sich nicht auch den Rest der Übertragung an – er war mit jeder einzelnen Silbe des Textes bestens vertraut. Allerdings erwartete man von ihm eine angemessene Reaktion auf die simulierte Lage, und deshalb gab er sich tunlichst besorgt, als er erwiderte: „Hier ist die U.S.S. Potemkin. Ihre Nachricht ist unterbrochen worden. Können Sie uns Ihre Koordinaten übermitteln?“

Die Andorianerin am KOM-Pult kämpfte mit der Säuberung des zerhackten Signals und hatte schließlich Erfolg. [Potemkin, Gott sei Dank! Unsere Position ist Gamma Hydra, Sektor zehn.], lautete die Antwort.

„Das ist in der Neutralen Zone.“, merkte die junge Tellaritin an, die Kirks Ersten Offizier mimte und die Wissenschaftsstation besetzte.

Im Klaxon schwoll die Panik des Frachtercaptains wieder an: [Außenhülle beschädigt! Lebenserhaltungssystem defekt! Wir verlieren unsere Atmosphäre! Bitte helfen Sie uns!] Diese dramatische Zuspitzung war natürlich sehr wohl von den Programmierern des Szenarios beabsichtigt. Alles folgte einer minutiös bis ins Detail vorgeplanten Inszenierung.

Kirk kämpfte darum, ernst zu bleiben, doch in diesem Moment grinste er wie ein Schelm. Es wird funktionieren. Es wird funktionieren. Und wie es funktionieren wird! Sie werden Augen machen!

Die Euphorie erhielt einen Dämpfer, als ihm wieder in den Sinn kam, was ihm im schlimmsten Fall drohte, wenn er aufflog. Aber er war zuversichtlich, dass das nicht passieren würde. Er hatte alles doppelt und dreifach geprüft. Er hatte keine Spuren hinterlassen, und gewiss hatte ihn niemand bei seinen ‚Modifikationen‘ beobachtet. Und was seinen kleinen Eingriff in die Matrix der Simulatordatenbank anging: Er mochte kein Computerexperte sein, doch seine Idee war einfach viel zu genial, um sie auffliegen zu lassen.

Kirk lehnte sich zurück und entspannte sich. „Welche Daten haben wir über die Kobayashi Maru?“, fragte er, wie im Drehbuch vorgesehen.

„Das fragliche Schiff ist ein Neutronentreibstofftanker dritter Klasse. Einundachtzig Mann Besatzung, dreihundert Passagiere…“ Der taktische Offizier, ein kahlköpfiger Deltaner, führte noch einige weitere Einzelheiten zur Bauart der Kobayashi Maru aus – nichts, was Kirk auch nur im Geringsten interessierte. Er verschwendete keine Zeit, sich mit den Informationen, die ihm gegeben wurden, aufzuhalten.

„Damit verletzen wir die Vertragsbestimmungen mit dem Klingonischen Reich.“, gab der Erste Offizier zu bedenken.

Kirk lächelte herausfordernd. „Ist mir schon klar. Wir sind ganz schön in der Zwickmühle.“ Er versuchte, es so klingen zu lassen, wie ein hartes Ringen zwischen Gewissen und Regularien. Doch die Entscheidung hatte von vorneherein festgestanden. „Mister Mitchell, berechnen Sie einen Abfangkurs. Taktisch, Deflektoren aktivieren, nur für den Fall des Falles…“

Die Potemkin setzte sich in Bewegung. Der Computer wies darauf hin, dass sie gleich in die Neutrale Zone vorstoßen würden.

„Neutrale Zone erreicht.“, sagte Mitchell zuletzt und las seine Anzeigen ab. „Wir überschreiten die Demarkationslinie…jetzt.“

Der Erste Offizier seufzte gespielt. „Wir haben gerade den Vertrag verletzt, Captain.“

„Frachtschiff kommt in Sichtweite.“, meldete der Deltaner an der Taktik.

Lässig drückte Kirk einen Knopf an seinen Armaturen. „Brücke an Transporterraum.“

[Hier Transporterraum.]

„Machen Sie sich bereit für Notfalltransporte in größerer Zahl. Holen Sie sämtliche Überlebenden schnellstmöglich von der Kobayashi Maru. Setzen Sie auch die Frachttransporter ein, wenn es sein muss.“

[Aye, Captain.]

„KOM, benachrichtigen Sie die Krankenstation, sich auf Verwundete vorzubereiten. Und rufen Sie noch mal den Frachter.“

Die Andorianerin schüttelte den Kopf. „Jemand stört die Verbindung. Kein Kontakt mehr möglich.“

„Sir, ich glaube ich habe den Grund für unser Problem gefunden.“ Der Deltaner schaute von seinen Instrumenten auf. „Sensoren melden das Eintreffen mehrerer Schiffe. Es sind drei klingonische D7-Kampfkreuzer.“

„Das Beste, was sie haben.“, wusste Kirk.

„Die Kreuzer befinden sich mit voller Impulskraft auf einem Abfangkurs. Entfernung drei-eins-sechs-vier. Nähern sich rasch.“ Eine halbe Minute später kam es zum Unvermeidlichen. „Sir, die Klingonen laden die Waffen.“

Auf dem Schirm begannen die primären Torpedorohre aller drei Schiffe mit den gesenkten Tragflächen und nach unten abstehenden Antriebsgondeln fatalistisch zu glühen. Nach ein paar Sekunden warf der taktische Offizier hinterher: „Eröffnen jetzt das Feuer!“

„Ausweichmanöver!“, befahl Kirk und schloss die Hände fest um die Armlehnen des Kommandosessels – er wusste, dass eine heftige Erschütterung bevorstand, natürlich nur simuliert. Die mächtigen, düster wirkenden Raumer eröffneten das Feuer, und der Simulator erbebte. Ein Pult im Achterbereich platzte funkenstiebend auseinander.

„Schilde auf Maximum! Leiten Sie die Hilfsenergie hinzu!“

Eine drahtige Vulkanierin trat über den ‚Toten‘ vor der geborstenen Konsole hinweg und drückte mehrere Tasten. „Hilfsenergie steht nicht mehr zur Verfügung, Captain!“

„Wir haben einen Volltreffer an den dorsalen Schildgittern erlitten!“ Weitere Erschütterungen folgten. „Schilde brechen zusammen!“

Kirk knirschte mit den Zähnen. Er erinnerte sich, wie er an genau dieser Stelle während der beiden letzten Male die Kontrolle verloren hatte. Was er auch tat – er konnte keinen Erfolg möglich machen. Jedes Mal war das Ergebnis dasselbe gewesen: Die Potemkin war zerstört worden, die Kobayashi Maru kurz darauf von den Klingonen in Stücke geschossen, und die Rettungsmission war dramatisch gescheitert. Das übliche Resultat.

Natürlich gab es auch den einen oder anderen Kadetten, der nach sorgsamer Abwägung entschied, das Schiff gar nicht erst in die Neutrale Zone und eine Konfrontationssituation mit den Klingonen hineinzufliegen und damit die Kobayashi Maru ihrem Schicksal überließ. Doch diese Personen waren allesamt äußerst schlecht bewertet worden, weil sie einem notleidenden Föderationsschiff die Hilfe versagt hatten, zu der sie laut Statuten verpflichtet waren. Nein, Wegrennen konnte hier nicht die Lösung sein.

Zeit für meinen großen Auftritt. „Feuer erwidern! KOM, rufen Sie die Klingonen auf allen Frequenzen. Informieren Sie sie, dass wir uns in einem Rettungseinsatz befinden.“

Einen Moment wirkte die Andorianerin perplex. „Aber Sir, das sind Klingonen! Sie wissen doch, dass sie nicht bereit sein werden, das Feuer einzustellen.“

„Lieutenant, führen Sie meine Befehle aus!“, rief Kirk, während das Schiff erneut durchgeschüttelt wurde.

„Visuelle Verbindung, Sir…“

Ein mordlüstern dreinblickender klingonischer Kommandant mit langem Bart und abstehender Mähne erschien. Kirk wusste, dass das je nach befehlshabendem Offizier nicht immer so war – eine der Variablen, die in dem Szenario vorgesehen waren und sich, wie gemeinhin vermutet wurde, nach dem psychologischen Profil des Offiziersanwärters richtete, der im Kommandostuhl saß. Manchmal antworteten die Klingonen gar nicht erst, wenn man sie rief. Aber das Resultat war stets dasselbe: Sie ließen sich nicht dazu bringen, das Feuer einzustellen. Nur bei ihm würde es wie durch Zauberei anders sein.

„Hier spricht Captain PoqeQ vom Kreuzer TraQe’sh.“, sagte er guttural. Im Hintergrund war das Knurren und Zischen anderer simulierter Klingonen zu vernehmen, die ihren jeweiligen Aufgaben nachgingen. „Sie sind in den vom Klingonischen Reich beanspruchten Teil der Neutralen Zone vorgestoßen und haben damit die Vertragsbestimmungen verletzt! Das ist ein kriegerischer und ehrloser Akt! Es wird keine Gnade geben – weder mit dem Frachter noch mit Ihnen!“

Kirk drehte erneut den Kommandosessel, wandte sich dem Wandschirm zu und versuchte, sowohl würdevoll als auch zuversichtlich zu wirken – die Klingonen konnten ihn zwar nicht sehen, wohl aber die Offiziere der Bewertungsgruppe. „Hier spricht Captain James T. Kirk von der U.S.S. Potemkin. Sie sprechen von Ehre, aber offenbar haben Sie keine Ahnung, was sie bedeutet! Auf diesem Frachter, der versehentlich in Ihren Teil der Neutralen Zone eingeflogen ist, befinden sich Hunderte Zivilisten – Frauen und Kinder! Sind Sie ernsthaft bereit, diese Leute grundlos zu pulverisieren?! Sie wissen selbst, dass es hier keine Ehre zu gewinnen gibt! Lassen Sie uns dieses Schiff voller wehrloser Zivilisten evakuieren, und wir werden uns unverzüglich auf unsere Seite der Zone zurückziehen! Ich gebe Ihnen mein Wort!“

Der Klingone wahrte ein grimmiges Pokerface. Dann stieß er ein höchst widerwilliges Schnaufen aus und schien bereit, eine Konsole auf seiner Brücke einzuschlagen. „Das nächste Mal werde ich Sie ohne zu zögern vernichten, denn ich bin im Recht! Also gut. Evakuieren Sie Ihren Frachter. Doch wenn Sie nicht in fünf Minuten hinter Ihrem Teil der Grenze sind, werde ich nicht mehr so nachsichtig mit Ihnen sein!“

Als die Übertragung beendet wurde, starrte jeder auf der Brücke Kirk aus großen, ungläubigen Augen an. Was war da soeben passiert? Er hingegen blieb entspannt. „Sorgen Sie dafür, dass die Besatzung der Kobayashi Maru schnellstmöglich an Bord gebracht wird. Anschließend, Steuermann, setzen Sie einen Kurs zurück auf unsere Seite der Neutralen Zone. Wir wollen es uns doch nicht mit Captain PoqeQ verscherzen.“

Na bitte. Mission so gut wie erfüllt.



Als der Test ein Ende fand, waren achtzehn Minuten und siebenundzwanzig Sekunden verstrichen. Siegestrunken gab Kirk während der Rettungsaktion alle notwendigen Anweisungen. Die Crew verhielt sich tadellos, und die Klingonen demonstrierten eine für sie völlig untypische Kooperationsbereitschaft. Der Captain des Frachters – ein gewisser Vojiro Kance – lud Kirk zum Dank sogar zum Abendessen ein.

Im Simulator roch es noch immer nach verschmorten Kabeln und geschmolzenem Kunststoff, als Commodore Exthrophorow, der oberste Leiter des Ausbildungsprogramms an der Sternenflotten-Akademie, mit hinter dem Rücken verschränkten Armen im Zugang erschien. Die Ventilatoren in der Decke saugten erneut den Rauch ab, aber die beschädigten Konsolen – beziehungsweise ihre Simulationen – qualmten noch immer. Hier und dort zeigten sich spinnwebartige Gebilde aus Flüssigkristall auf dem ruhigen Boden.

„Alle bis auf Kadett Kirk verlassen unverzüglich den Simulator.“

Die größtenteils völlig gebannten Kadetten schoben sich in der folgenden Minute am Commodore vorbei, einem kantigen Mann mit ansehnlichem Vollbart in den Endfünfzigern, der nur äußerst selten lächelte und für seine strenge Härte bekannt war. Zuletzt schloss Exthrophorow die Tür, und beide Männer waren allein.

Kirk blieb im Befehlsstand sitzen, senkte den Kopf und strich mit den Fingerkuppen über die Armlehnen des Kommandosessels. Ich habe es geschafft! Wenn der Commodore nicht erschienen war, um ihm zu einem beispiellosen Erfolg zu gratulieren, durch den er in die Geschichte der Akademie eingehen würde, wollte er verdammt sein. Es spielte kaum eine Rolle, dass er seinen Triumph einer Manipulation verdankte.

„Eine ziemlich ungewöhnliche Vorstellung.“, sagte Exthrophorow und klang dabei durchaus anerkennend. „Eines muss man sagen: Noch nie hat jemand im Simulator die Klingonen bei ihrer Ehre gepackt. Das war etwas Neues.“

Kirk nickte und wollte nicht zu bescheiden auftreten. „Der klingonische Captain hat mir aus der Hand gefressen. Es war ein Kinderspiel.“ Damit hatte er den Test bestanden – als erster Kadett überhaupt. Es war beinahe zu schön, um wahr zu sein.

Der Commodore hob eine flache Hand, um zu signalisieren, dass er noch längst nicht am Ende angelangt war. Er sog Luft durch seine breiten Nüstern, und es klang wie eine Vorankündigung. „Nicht so schnell mit dem Eigenlob, Kadett. Bislang sahen alle Absolventen eine vornehmlich taktische Prüfung im Kobayashi Maru-Szenario – keine Herausforderung in Sachen interkulturelle Kommunikation. Sie haben da zugegebenermaßen neue Wege beschritten. Allerdings werden Sie in der Realität kaum einem Klingonen begegnen, der sich im Eifer des Gefechts mal eben an seine Ehrideale erinnern lässt und handzahm wird. Die KI dieses Szenarios passt sich dem psychologischen Profil und der Persönlichkeitsstruktur des Befehlshabers dynamisch an. Von daher ist nicht ganz ausgeschlossen, dass auch immer etwas Unerwartetes oder ganz Neues passieren kann. Obwohl uns die Reaktion von Captain PoqeQ ein wenig stutzig gemacht hat, hätten wir das Ganze wohl durchgehen lassen. Wäre da nicht die Spezialdiagnose der Simulatordatenbank gewesen, die wir heute Morgen zufälligerweise durchgeführt haben. Dabei sind wir auf etwas Interessantes gestoßen.“

Oh, oh…

„Sagen wir so: Sie haben ordentlich nachgeholfen, Kadett.“ Jäh verfinsterte sich der Ausdruck des Ausbildungsleiters. „Sie haben an der KI des Klingonen herumgeschraubt. Es war eine originelle Idee und eine nicht minder geschickte Tüftelei, und wir hätten sie vielleicht übersehen, hätte nicht besagte Feindiagnose angestanden, die wir nur alle paar Jahre in unregelmäßigen Abständen vornehmen.“

Wie gewonnen, so zerronnen… Kirk überlegte. Was der Commodore ihm gesagt hatte, ließ nur den Schluss zu, dass er bereits von der Manipulation der Simulatordatenbank gewusst hatte, als Kirk seine dritte Prüfung anging und auf dem Kommandostuhl Platz nahm. Warum also hatte er die Simulation nicht unterbrochen oder gleich von vorneherein abgesagt? Warum hatte alles plangemäß stattgefunden?

Vielleicht wollte er meine Modifikationen einfach in Aktion sehen. Oder er wollte mich einfach ins Messer laufen lassen. Kirk konnte immer noch nicht glauben, dass sein Plan nicht gezogen hatte.

„Ich will ehrlich mit Ihnen sein: Was Sie taten, kann mit einiger Wahrscheinlichkeit Ihren unehrenhaften Ausschluss von der Akademie nach sich ziehen. Verdammt, Kirk!“, fluchte Exthrophorow. „Sie sind ein guter Mann und haben in den letzten vier Jahren beeindruckende Leistungen an den Tag gelegt. Sie stehen kurz davor, die Akademie mit wehenden Fahnen zu verlassen. Aber was Sie sich jetzt haben zu Schulden haben kommen lassen, könnte das alles unter sich begraben.“ Er trat auf Kirk zu, der sich in seinem Kommandostuhl mit jeder verstreichenden Sekunde kleiner vorkam. „Warum zum Teufel haben Sie das gemacht? Warum haben Sie gemogelt?“

Ja, verdammt. Gute Frage. Warum habe ich das gemacht? Hatte er unbedingt besser sein wollen als alle anderen? Hatte er es seinem Intimfeind Finnegan so richtig zeigen wollen? Gut möglich. Aber das war nicht der Grund für seine Entscheidung gewesen, die Testbedingungen zu ändern.

Kirk war vollkommen im Reinen mit sich, als er das aussprach, was er wirklich dachte und fühlte. Wieder einmal in seinem jungen Leben ging er aufs Ganze, riskiert alles, lebte für den Augenblick. „Bei allem Respekt, Commodore: Ich sehe keinen Sinn darin, mich einem Szenario zu stellen, in dem man scheitern muss.“

Exthrophorow starrte ihn mit der Eisigkeit eines Winterhöhlenbären an. „Das ist ganz schön arrogant von Ihnen. Denn solche Situationen gibt es im Leben eines Offiziers – eines jeden Offiziers. Situationen, in den er dem eigenen Scheitern ins Auge schauen muss.“

„Objektiv gesehen mag das stimmen.“, räumte Kirk ein. „Trotzdem werde ich nie so denken. Es gibt keine aussichtslose Situation für mich. Wenn es so wäre, dann wäre ich nicht imstande, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um das zu verhindern. Zu akzeptieren, dass man nicht mal die Chance einer Möglichkeit hat, bedeutet, den Glauben an sich zu verlieren und Opfer einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu werden.“ Spontan kam ihm in den Sinn, was Spock, ein vulkanischer Student, mit dem er sich ein wenig angefreundet hatte, so gerne sagte. „Nein, es gibt immer Möglichkeiten…“

Er war noch nicht fertig, sondern erhob sich jetzt langsam aus dem Stuhl. „Und soll ich Ihnen etwas sagen, Sir? Ich habe ein wenig recherchiert. Es wird zwar immer wieder kolportiert, dass der Kobayashi Maru-Test rein fiktiv sei, aber tatsächlich scheint vieles dafür zu sprechen, dass er auf ein reales historisches Szenario zurückgeht. Auf eine Situation, in der das Scheitern so gut wie sicher war. Doch ich wette, wenn den Leuten, die diese Situation bestehen mussten, von vorneherein gesagt worden wäre, dass es zwecklos ist, hätten sie keinen Erfolg gehabt.“

„Ihre Recherchen waren offenbar nicht sehr sorgfältig, Kadett. Sie hatten auch keinen uneingeschränkten Erfolg.“, blaffte der Ältere. „Es gab Verluste. Es war eine Gewissensentscheidung. Es hieß ‚Entweder oder‘.“

„Das mag stimmen. Dennoch trafen sie die richtigen Entscheidungen. Ohne diese Entscheidungen wäre die Föderation vielleicht gar nicht erst zustande gekommen. Und ich bin mir sicher, Captain Archer und seine Leute hatten niemals ein Scheitern vor Augen, keine Kompromisse, kein ‚Entweder oder‘. Sie haben einfach nur ihr Bestes gegeben und sich nicht von den schlechten Aussichten entmutigen lassen. Aus diesem Grund denke ich…dass es keine ausweglose Situation geben darf, egal wie hoffnungslos die Lage ist. Ob nun im Simulator hier oder dort draußen. Und ganz egal, ob man am Ende doch scheitert. Man muss bis zum Schluss an sich glauben können.“ Unbeugsam setzte Kirk hinzu: „Denn darin besteht meiner Meinung nach das Wesen der Sternenflotte. Es geht darum, das Unmögliche möglich zu machen. Daran glaube ich ganz fest. Wäre es nicht so, hätte ich mich niemals eingeschrieben.“

„Man könnte das als eine tollkühne Einstellung bezeichnen.“, formulierte der Commodore scharf.

Kirk zuckte andeutungsweise die Achseln. „Und als die einzige Einstellung, um doch noch zu gewinnen, um sich nicht unterkriegen zu lassen…und um zu überleben. Deswegen habe ich den Simulator manipuliert, und deswegen halte ich die Vorstellung, uns Kadetten überhaupt mit einem solchen Szenario zu konfrontieren, für absurd, wenn Sie wollen, dass gute Offiziere aus uns werden. Wir müssen lernen, mit dem Verstand Realisten zu sein, einverstanden. Aber was unsere Herzen angeht, Sir, darf nichts für uns jemals unmöglich sein.“

Eine Pause entstand. Exthroporow schaute ihn aus großen Augen an, und Kirk wusste nicht recht, ob er als nächstes explodieren oder vor Begeisterung in Tränen ausbrechen würde. Dann lachte der Commodore kurz und tiefkehlig. „Also, ich denke, es gibt jetzt zwei Möglichkeiten für Sie, Kadett: Entweder wird man Sie für das, was Sie taten, im hohen Bogen ‘rauswerfen…oder man wird Ihnen einen Orden anheften.“
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