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VOYAGER: Almost Morning

von Julian Wangler

Kapitel 3

Sternzeit: 47834,6 | 1. 11. 2370



Kathryn Janeway war eigentlich viel zu beschäftigt, um sich eine Verschnaufpause zu gönnen. An Bord der U.S.S. Bonestell, die sie seit dem Unglück von Captain Tombath vor vier Wochen kommissarisch befehligte, standen umfassende Umbaumaßnahmen an. Nachdem sich die Sternenflotte in den Kopf gesetzt hatte, den alten Kreuzern der Excelsior-Klasse noch einmal eine Frischzellenkur zu spendieren, war die Bonestell in den heimatlichen Hafen zurückbeordert worden. In einem der Trockendocks über dem Erdorbit wurde das Schiff derzeit auseinandergenommen, und mit ein wenig Glück würde sie bereits in wenigen Wochen runderneuert wieder auf große Fahrt gehen.

Doch bis dahin standen Janeway und ihrer Crew einige aufreibende Arbeitstage im Drei-Schichten-Takt ins Haus. Bei so einer Generalüberholung mochte in der Theorie alles perfekt sein – in der Praxis konnte vieles schief gehen. Daher war die Anwesenheit des Captains unverzichtbar, jedenfalls wenn es nach Janeway ging. Es mochte Kommandanten geben, die sich einen schlanken Fuß machten, während ihr Schiff in seine Einzelteile zerlegt und neu zusammengebaut wurde. Sie gehörte nicht dazu. Owen Paris hatte sie nicht zum Schönwetteroffizier erzogen.

Aus diesem Grund war die Einladung von Morris Patterson definitiv zur Unzeit gekommen. Ihr alter Akademie-Professor, inzwischen ein hoch dekorierter Vize-Admiral, hatte darauf bestanden, mit ihr eine kleine Shuttlespritztour innerhalb des Sol-Systems zu machen. Janeway hatte natürlich nach dem Anlass gefragt, doch Patterson gab sich äußerst schmalsilbig. Er hatte lediglich gesagt, sie müsse ihm in dieser Angelegenheit einfach vertrauen und solle an Bord der Fähre gehen, die in einer halben Stunde an der Steuerbordseite der Bonestell andocken werde. „Ist das ein Befehl?“, hatte Janeway sich erkundigt, woraufhin Patterson mit warmem Lächeln erwiderte: „Die Bitte eines alten Freundes.“

Eine Bitte. Angesichts ihrer derzeitigen Verpflichtungen hätte sie vermutlich die meisten Bitten dieser Art ausgeschlagen, doch nicht, wenn sie von dem Mann kam, der sie an der Akademie ‚entdeckt‘ und mit Owen Paris bekannt gemacht hatte. Sie hatte Morris Patterson viel zu verdanken, und es war weit mehr als nur der Umstand, ihre Begeisterung für Astrophysik geweckt zu haben. Also hatte Janeway sich bei ihrem Chefingenieur für die nächsten Stunden entschuldigt, wohlwissend, dass die Bonestell in dieser kritischen Phase nicht einmal einen regulären Ersten Offizier besaß, der sie vertreten konnte. Ihr guter Freund Tuvok, der nach dem Ausfall von Captain Tombath, auf den Posten des XO nachgerückt war, hatte kurzfristig eine Abkommandierung durch den Geheimdienst der Sternenflotte erfahren, um eine Widerstandszelle des Maquis zu unterwandern. Für die Zeit, die Janeway nicht an Bord war, hatte also ihr Chief das Sagen an Bord. Sie vertraute ihm. Es würde schon alles glatt laufen.

Das Shuttle legte pünktlich auf die Minute an. Janeway passierte die Luftschleuse und war überrascht, nur Patterson an Bord anzutreffen. Er strahlte wie ein Winterhöhlenbär und ließ es sich nicht nehmen, sie herzlich zu umarmen. Als sie sich voneinander gelöst hatten, bemerkte Janeway, wenn ein Admiral mutterseelenallein auf einen Besuch vorbeikomme, könne es niemals um eine Routineangelegenheit gehen. Patterson räumte ein, dass er das nicht verneinen könne, ließ sich jedoch weiterhin nicht in die Karten schauen. Stattdessen bat er Janeway, auf dem Sitz des Copiloten Platz zu nehmen und den Flug zu genießen. Sie seufzte und tat, wie ihr geheißen, obwohl sie bezweifelte, dass ein derartiger Trip ins Ungewisse ein Genuss werden konnte. Tatsächlich hasste sie es, über etwas im Dunkeln gelassen zu werden. Sie mochte diese Art von Überraschungen nicht, war sie doch jemand, der stets Wert darauf legte, die Kontrolle zu haben.

Während des Flugs sprach Patterson nicht viel, was ein weiterer ungewöhnlicher Aspekt ihres Wiedersehens war. Janeway kannte den Mann abseits des Offiziellen als leidenschaftlichen Plauderer, aber die Art von Schweigsamkeit, die er heute an den Tag legte, wollte nicht recht zu ihrem alten Mentor passen.

Zum Glück nahm der Flug nicht lange in Anspruch. Bereits nach einer Viertelstunde stellte sich heraus, dass Patterson einen Kurs auf den Marsorbit eingeschlagen hatte. Während die einstmals ‚Roter Planet‘ genannte, inzwischen seit Jahrhunderten erdähnlich terrageformte Welt beständig im Fenster anschwoll, spürte Janeway jähe Ungeduld in sich aufsteigen. Sie erneuerte ihre Frage, was er mit ihr vorhabe, doch Patterson entpuppte sich als wahrer Sadist – eine Seite, die sie nicht an ihm kannte. Er schwieg beharrlich wie ein Grab.

Zuletzt tauchte das Shuttle in den dichten Strom von Arbeitskapseln, Wartungsrobotern, Ausrüstungs- und Frachttransportern ein, die die gewaltigen Werftkomplexe von Utopia Planitia umschwirrten, einer der größten Planungs-, Entwicklungs- und Konstruktionsstätten der Sternenflotte in der gesamten Föderation. Spätestens jetzt ahnte Janeway, dass Pattersons Ziel irgendwo innerhalb des Areals der zwei Dutzend Trockendocks und Raumbasen des Ingenieurscorps liegen musste.

Sie sollte sich nicht irren. Mit einem überraschenden Sinn für Dramatik hatte Patterson die Fähre so manövriert, dass eines der Raumschiffe in einem an Backbord gelegenen Raumdock bis zum letzten Moment vor Janeways Blicken verborgen blieb. Jetzt aber geriet es in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit, als der laterale Schub eine langsame Drehung des Shuttles bewirkte.

Janeway sah nichts anderes. Die Zeit schien sich für einen Augenblick auszudehnen. Das feingliedrige Gitterwerks des Gerüstes, in dem das noch nicht vollkommen fertiggestellte Schiff schwebte, schien gar nicht zu existieren. Nichts schien es in diesem Moment zu geben außer diesem Raumer, und falls doch, dann waren das Raumdock und die vielen an ihm und um es herum glühenden Lichter nur eine mit funkelnden Edelsteinen gespickte Skulptur im All, deren Zweck allein darin bestand, Symmetrie und Schönheit dieses einen Schiffes hervorzuheben. Seine schnittige Eleganz unterschied sich von dem Erscheinungsbild anderer Sternenflotten-Schiffe, die sie kannte. In diesen Sekunden glaubte Janeway, einen Gepard zu sehen oder einen Orca, schnell, unermüdlich und doch voller Anmut.

Endlich brach Patterson sein Schweigen, und er tat es mit sichtlicher Freude. „Das ist die Voyager.“, sprach er. „Intrepid-Klasse. Sie ist nach dem erfolgreichen Test des Intrepid-Prototypen das erste reguläre Schiff ihrer Klasse.“

Janeway war gar nicht aufgefallen, wie sie sich von ihrem Platz erhoben hatte, um das Schiff noch besser in Augenschein nehmen zu können. „Ich wusste nichts von einer solchen Schiffsklasse.“

„Das Oberkommando wollte es nicht an die große Glocke hängen, ehe die Bauphase noch nicht abgeschlossen wurde.“, entgegnete Patterson. „Aber ich bin schon jetzt davon überzeugt, dass die Voyager das Zeug dazu hat, die Flotte zu revolutionieren. Wenn sich die Hoffnungen der Ingenieure erfüllen, wird sie mit einer Höchstgeschwindigkeit von Warp neun Komma neun sieben fünf unterwegs sein können.“

Janeways Augen wurden größer. „Neun Komma neun sieben fünf?“, wiederholte sie erstaunt.

„Oh, sie hat noch einiges mehr zu bieten.“, fuhr Patterson schmunzelnd fort. „Das Impuls- und Manövertriebwerk ist in Verbindung mit den Navigationssensoren so leistungsfähig, dass sie auch in gefährlichen Raumregionen, wie zum Beispiel Plasmastürmen, operieren kann… Sie ist das erste Schiff dieser Größenordnung, das standardmäßig für Atmosphärenflüge geeignet ist…“

Das Shuttle flog nun dicht am gewölbten Bug vorbei, um anschließend eine Flanke des prächtigen Schiffes zu passieren. Janeway nahm alle Einzelheiten in sich auf und merkte, wie sehr sie von der Voyager fasziniert war. Die niedrig angebrachten Warpgondeln an den kurzen Stutzen deuteten auf ein Antriebspotenzial hin, das weit über die Kapazität der Bonestell und anderer Raumer hinausging. Der glatte Übergang zwischen primärem und sekundärem Rumpf wirkte aerodynamisch im Vergleich mit den meisten anderen Sternenflotten-Einheiten.

„Und um das Wichtigste nicht zu verschweigen: Bei der Voyager sind einige traditionelle isolineare Schaltkreissysteme durch bioneurale Gelpacks ersetzt worden, die synthetische Nervenzellen enthalten. Sie organisieren Informationen besser, und dadurch wird die Reaktionszeit erheblich reduziert.“

Janeway stand für einen Augenblick die Kinnlade offen. „Ich wusste, dass die Sternenflotte mit bioneuralen Schaltsystemen experimentiert, aber ich hatte keine Ahnung, dass sie schon so weit ist, sie in einem Schiff zu verbauen…“ Instinktiv schnappte sie nach Luft. „Wann wird sie startklar sein?“

„Vorausgesetzt, wir bleiben im Zeitplan: Vielleicht schon in sechs oder sieben Monaten.“ Plötzlich spürte Janeway, wie Patterson eine Hand auf ihren Arm legte, eine warme, väterliche Berührung. „Und nun schlage ich vor, Sie setzen sich wieder, Kathryn.“ Infolge dieser Aufforderung drehte sie den Kopf und suchte seinen Blick. Der verhieß ein kommendes Paradies. „Sie wird Ihr Schiff sein. Sie werden die Voyager zu den Sternen führen.“
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