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Enterprise: The Dogs of War - Bd. 2: No Mercy, Teil 2

von Julian Wangler

Kapitel 2

U.S.S. Enterprise, NX–01
4. Juni 2156

Inès Chevallier betrat mit denkbar schlechter Laune die Trainingshalle. Laila Gweriin, die Sicherheitschefin, stand auf einer der am Boden ausgebreiteten Sportmatten im Zentrum der Fitnesseinrichtung. Wie Chevallier auch trug sie einen enganliegenden Trainingsanzug; was beide Frauen jedoch mit Sicherheit unterschied, war der Grad an Freiwilligkeit und Freude, mit dem sie hier waren.

„Ist das unbedingt erforderlich?“, fragte die blonde Französin, während sie langsam näher kam. „Warum muss ich das machen?“

„Anordnung des Captains. Ich soll jeden Führungsoffizier separat trainieren. Sie sind die Letzte auf meiner Liste. Wie lange liegt Ihr letzter Nahkampfkurs zurück?“

Chevallier blieb am Ende der Matte stehen und seufzte unüberhörbar. „Na ja, eine Weile denke ich.“ Mürrisch verdrehte sie die Augen. „Ich versteh‘ das nicht. Ich bin Wissenschaftsoffizier. Für das Kämpfen bin ich nicht in die Sternenflotte eingetreten.“

„Tja, dann schauen Sie mal aus dem Fenster. Oder achten Sie auf die Erschütterung des Bodens, das reicht schon.“, riet ihr die finnische Brünette. „Ich glaube, wir alle sind damals aus anderen Gründen in die Raumflotte eingetreten.“

Gutes Stichwort. Chevallier legte die Hände in die Hüfte. „Vielleicht nicht alle alle.“, widersprach sie. „Was ist mit Ihnen? Sie waren schon Teil von Caseys kleiner Marinebande, während die Sternenflotte noch von friedlicher Entdeckung und Warp fünf träumte.“

„Ob Sie’s glauben oder nicht: Ich habe diesen Traum auch geträumt.“, verteidigte sich Gweriin. „Nur bin ich vielleicht etwas früher aufgewacht als andere.“

„Ach so ist das.“ Ein eingeschnapptes Lächeln huschte über Chevalliers Züge. „Sie haben natürlich alles richtig gemacht.“

„Kommen Sie, lassen wir das Geplänkel. Wir frischen jetzt Ihre Nahkampfkenntnisse ein wenig auf.“

Die Lust schwand der Wissenschaftlerin noch mehr. „Bislang haben uns die Romulaner noch nicht geentert. Angesichts meiner Zeit in Doktor Rogaschowas Obhut sollten Sie mir vielleicht eher ein paar Tricks beibringen, wie ich einer explodierenden Plasmaleitung künftig besser ausweichen kann. Gelegentlich scheint mir, vor denen sollten wir uns mehr in Acht nehmen als vor Kung-Fu-kämpfenden Romulanern.“

Ihr Gegenüber prustete. „Sind Sie am Ende Ihrer schlauen Bemerkungen angekommen?“

„Ich und schlaue Bemerkungen? Das ist ja ganz ‘was Neues. Wie wär’s, Sie fassen Sie mal an die eigene Nase?“

Die Gräben brachen wieder auf. „Was habe ich Ihnen eigentlich getan?“ Gweriins Stimme klang nun deutlich schärfer. „Eigentlich kennen Sie mich kaum. Aber seit wir vor zwei Monaten Kolleginnen auf diesem Schiff wurden, kriege ich von Ihnen dauernd nur eine ordentliche Portion Zynismus ab. Verraten Sie mir den Grund für Ihre Vorbehalte?“

Chevallier nahm die Aufforderung entgegen. „Sagen wir so: Ihr MACOs ähnelt Euch wie ein Ei dem anderen. Immer wisst Ihr, wie der Laden besser läuft – oder wie man ihn komplett auf den Kopf stellt. Erinnert mich an ein paar überhebliche Unternehmensberater zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die eine Finanz- und Wirtschaftskrise nach der anderen ausgelöst haben, weil sie den Masterplan zur Optimierung der Welt in der Tasche zu haben glaubten. Nur dass die mit dem Hinterteil dachten, Ihr dagegen tut es mit den Fäusten.“

„Danke für die Ansprache. Ich darf Sie daran erinnern, dass ich keine MACO bin, weil es keine MACOs mehr gibt.“

„Klar gibt’s die noch.“, erwiderte die Szientistin selbstbewusst. „Nur kann man sie neuerdings nicht mehr auf Anhieb von Sternenflotten-Offizieren unterscheiden. Wolf im Schafspelz nenn‘ ich so was. Auf diese Weise werden wir ja seit einer Weile von einem MACO ‚regiert‘.“

„Ex-MACO, und falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Casey verfügt über eine Sternenflotten-Karriere, genau wie ich. Außerdem meine ich mich zu entsinnen, dass die Sternenflotte darum bat, die MACOs in ihre Strukturen aufzunehmen, nicht umgekehrt.“

„Das ist die offizielle Version.“

Gweriin schüttelte den Kopf. „Das ist lächerlich…und auch bedauerlich. Ich dachte, die Zeit der Feindseligkeiten hätten wir hinter uns gelassen.“

„Sie wollten doch eine klare Antwort haben, Commander. Und hier kommt sie: Ich halte einfach nichts von Euch. Momentan, während der Krieg tobt, mögt Ihr mit Euren dicken Gewehren und muskelbepackten, tätowierten Armen allgemein für ein gutes Gefühl sorgen. Aber ich bezweifle ernsthaft, dass es der Sternenflotte auf Dauer gut tun wird, Euch in ihre Strukturen integriert zu haben. Die Wissenschaft wird zurückgefahren, das Herumlaufen mit geschwelter Brust und das Posieren mit Phaserkanonen wird zur Normalität. Es ist eine völlig andere Kultur.“

Gweriin ächzte. „Eine Kultur, die der Erde verdammt noch mal den Arsch gerettet hat, wenn Sie sich an die Xindi-Krise erinnern.“

„Halte ich für ein Märchen. Captain Archer hat es trotz der militärischen Borniertheit einiger MACO-Holzköpfe geschafft.“

„Danke für die Aussprache. Na los, greifen Sie mich an.“

Chevallier winkte ab. „Das ist doch blödsinnig. Ich bin jetzt nicht in der Stimmung für so was. Ich kann nun mal nicht von jetzt auf gleich in den Prügelmodus umschalten.“

„Muss ich es Ihnen etwa erst befehlen? Oder der Captain? Seien Sie nicht so störrisch.“

Die Wissenschaftlerin verblieb wie angewachsen an ihrem Platz und rührte sich nicht.

Gweriin zog einen Mundwinkel hoch. „Haben Sie übrigens mal ein Auge auf Mike Burch geworfen? Ziemlich süßer Kerl, wenn Sie mich fragen. Ich glaub‘, ich werd‘ ihn mal nach Schichtende in seinem Quartier besuchen.“

Was zum…? „Sie sind eine verheiratete Frau, Commander. Also lassen Sie die Späße.“

„Ach was. Meine Familie ist weit weg, und es gibt ziemlich einsame Stunden hier an Bord.“

„Lassen Sie die Pfoten von ihm, ja?“

„Halten Sie mich doch auf. Zum Beispiel, indem Sie versuchen, mich zu töten.“ Gweriin streckte beide Arme aus. „Hier, sehen Sie, auf meiner Brust ist eine große Zielscheibe. Können Sie den Hai erkennen, wie er die Zähne fletscht? Geben Sie’s zu, einem MACO wollten Sie doch immer schon mal so richtig in den Arsch treten.“ Sie winkte die Andere näher. „Greifen Sie an.“

Wenn sie es so ausdrückt… Chevallier trat nicht näher, sondern nahm eine kampfbereite Haltung an: Der linke Fuß vorn, die linke Faust gehoben. Langsam verlagerte sie ihr Gewicht auf die Zehen, als sie um Gweriin herumzugehen begann, auf der Suche nach einer schwachen Stelle.

Sie fand dummerweise keine.

Chevallier entschloss sich zu einem Seitenangriff, trat vor und wieder zurück, um die Reaktion der Sicherheitschefin zu prüfen. Diese blinzelte nicht einmal.

„Kommen Sie, Lieutenant.“, forderte Gweriin sie auf. „Machen Sie’s nicht so spannend. Werfen Sie mich zu Boden.“

Sie achtete nicht auf den Spott in ihrer Stimme und hielt in den blauen Augen der Skandinavierin nach Anzeichen von Bewegung Ausschau. Gweriin hatte sie zum Angriff aufgefordert, aber das musste nicht bedeuten, dass sie selbst auf eine Attacke verzichten wollte. Chevallier kannte zwar aus der Vergangenheit verschiedene Methoden des Angriffs, aber hatte sie sich immer lieber auf die Defensive konzentriert. Eigentlich war es ihr recht, wenn Gweriin angriff, denn dann konnte sie vielleicht ihre überlegene Kraft gegen sie verwenden.

Sie glaubte nicht eine Sekunde lang daran, gegen eine so erfahrene Kämpferin wie Gweriin auch nur den Hauch einer Chance zu haben, doch sie wollte auch nicht völlig tölpelig und hilflos erscheinen. Die Finnin war stärker und ausdauernder; also wie lange konnte sie überhaupt eine derartige Konfrontation durchhalten?

„Das wird mir allmählich zu langweilig.“, seufzte Gweriin. „Dabei könnte ich ja mit Mike Burch…“

Die Provokation wirkte. Chevallier hechtete heran, doch in diesem Moment rollte sich Gweriin schon geschickt ab. Die Französin tat es ihr gleich. Eine Sekunde später saß sie rittlings auf Gweriins Brust und schlug mit der Hand nach dem Hals ihrer Kontrahentin. Diese wehrte den Hieb mit einer Leichtigkeit ab, die darauf hinwies, dass sie genau mit diesem Angriff gerechnet hatte.

„Sie hätten mit dem Handballen auf die Nase schlagen sollen.“, sagte sie. „Sie haben genug Kraft, um die Nasenknochen ins Gehirn zu treiben. Versuchen Sie es noch einmal.“

Du blöde Kuh! Chevallier wollte aufstehen, weil sie glaubte, dass sie noch einmal von vorn beginnen sollten. Doch Gweriin zog sie mit Nachdruck nach unten.

„Schlagen Sie mich schon. Mit dem Handballen.“

„Nein.“

„Tun Sie, was ich Ihnen sage.“, befahl Gweriin streng.

„Ich kann nicht einfach so zuschlagen wie…“

„Wie ein MACO? Klar können Sie so primitiv sein wie ein MACO. Ist doch nicht viel dabei.“ Als Chevallier den Kopf schüttelte, schlug Gweriin vor: „Na gut. Zeigen Sie mir die Bewegung ganz langsam.“

Die Wissenschaftlerin kam der Aufforderung nach und winkelte die Hand richtig an.

„Gut. Wenigstens wissen Sie, worauf es dabei ankommt.“

Chevallier rollte sich von der Anderen herunter, und beide Frauen standen auf.

„Gut, ich würde vorschlagen, dass wir jetzt…“

In einem unerwarteten Moment raste Chevalliers Faust heran und prallte in Gweriins Wange. Benommen taumelte diese zurück, und Blut begann ihr aus der Nase zu laufen.

„Ist das besser so?“, fragte Chevallier und rieb sich die Hand. „Ich glaub‘, jetzt hab‘ ich mich gefunden.“

Sie holte erneut zum Schlag aus, aber diesmal fing Gweriin den Hieb mit ihrem Unterarm ab, sodass die Französin Schmerzen bis in ihre Schulter spürte.

Ein weiterer Versuch folgte, auch vergebens. Es fühlte sich an, als hätte sie eine Ramme mitten in den Brustkorb getroffen. Chevallier schwankte, und Gweriin blockierte ihren Ellbogen mit dem Unterarm. Dann versetzte sie ihr zwei weitere Schläge gegen den Rumpf.

Sie spürte, wie ihr die Luft aus den Lungen gepumpt wurde, bis sie erschlaffte und von Gweriin mit dem Rücken auf die Matratze geschleudert wurde.

„Occhhh, das hat gewirkt.“, stöhnte sie und wusste nicht, warum ihr plötzlich nach Kichern zumute war.

Über ihr rieb sich Gweriin das Blut von der Oberlippe, ebenfalls lächelnd. „Sie waren aber auch nicht von schlechten Eltern. Ich würde es vielleicht nicht direkt Nahkampf nennen, aber falls ein Romulaner beschließt, sie anzugreifen, werden Sie ihm damit zumindest die Augen auskratzen können. Verraten Sie mir jetzt, warum Sie einen Groll gegen mich hegen?“

Chevallier ließ ein paar Sekunden verstreichen, legte ihre Hand auf die sich vom schnellen Atmen hebende und senkende Brust. „Nicht gegen Sie persönlich. Mein Freund war auf der Freedom, als es dort im Herbst ‘54 die MACO-Meuterei gab.“

Gweriin wurde wieder bitterernst, als sie begriff. „Ich hab‘ davon gelesen. Ein beispielloser Vorfall. Die Verantwortlichen sind, wenn mich nicht alles täuscht, unehrenhaft entlassen und von einem Militärgericht zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt worden.“

„Mag sein.“, sagte Chevallier. „Aber Jim haben sie mir trotzdem genommen. Er war zu diesem Zeitpunkt Zweiter Offizier auf der Freedom. Sie haben ihn und seinen Captain gefoltert, und all das, weil es eine Meinungsverschiedenheit gab und sich diese MACO-Arschlöcher anmaßten, die Befehlsgewalt zu übernehmen. Sie haben Jim dort seine Würde genommen. In den Monaten nach dem Vorfall hat er sich stark verändert. Musste in therapeutische Behandlung. Unsere Beziehung brach auseinander; ich konnte ihm nicht richtig helfen. Ich habe ihn so geliebt. Und alles wegen einer Horde selbstgerechter, schießwütiger Dreckskerle, die an Bord geholt wurden, weil man sich von ihnen eine Verbesserung versprach. Nichts ist besser geworden, gar nichts.“

Gweriin betrachtete sie aufmerksam. Kummer huschte über ihr Gesicht, wich dann Entschlossenheit. „Ich glaube, es liegt noch ein langer Weg vor uns, und die Sternenflotte wird sich neu finden müssen. Viele Dinge sind im Umbruch. Aber wissen Sie was? – Ich sehe mich als Teil dieser Besatzung an, und ich diene ihrem Captain. Ich bin hier, um die Leute auf diesem Schiff zu schützen, nicht um ihnen Schaden zuzufügen.“

„Dasselbe haben die Meuterer bei ihrem Verfahren auch gesagt.“ Chevallier wischte sich eine einsame Träne aus dem Augenwinkel. „Wissen Sie… Das hier ist nicht mehr die Sternenflotte, in die ich mal eintreten wollte. Es hat alles mit diesen verfluchten Xindi angefangen. Sollen diese Schweine doch in der Hölle schmoren.“

„Ich weiß nicht.“, entgegnete Gweriin nach kurzer Pause. „Vielleicht werden wir den Xindi eines Tages noch dankbar sein.“

„Wie zum Teufel kommen Sie darauf?“

„Na ja, so wie ich das sehe, haben die Xindi uns aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Ich meine den Dornröschenschlaf, in dem wir einen friedlichen, bunten Kosmos voller Wunder sahen. Zugegeben, es mag ein schöner Traum gewesen sein, nur leider hatte er nicht viel mit der Realität da draußen zu tun. Und jetzt, wo wir das kapiert haben, stehen die Chancen gut, dass Sie eines Tages doch noch die Sternenflotte kriegen, die Sie sich gewünscht haben. In dieser Sternenflotte werden wir wissenschaftliche Forschung betreiben und neue Welten entdecken…und den Schutz der Erde und ihrer Kolonien sicherstellen. In unserer Vielfalt und in unserer Anpassungsfähigkeit wird unsere Stärke liegen. Doch dafür war es wahrscheinlich nötig, dass wir die eine oder andere bittere Lektion beherzigen.“

Chevallier sah, wie Gweriin ihr die Hand entgegenstreckte. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass ihr Zorn verflogen war. Gweriins Worte hatten beinahe etwas Versöhnliches gehabt. Ein Stück ihrer Zuversicht war zurückgekehrt.

Sie ergriff die Hand der Anderen und ließ sich von ihr aufhelfen.

„Kommen Sie, machen wir weiter.“

„Einverstanden.“

- - -

Computerlogbuch der Enterprise, Captain Tucker;

Wir sind in den Emissionsnebel eingetreten, dessen Passage uns unentdeckt nach Weytahn führen wird. In voraussichtlich zwei Stunden werden wir dort eintreffen und unsere Operation beginnen können. Die Crew hat mit der Entschlossenheit reagiert, die ich von ihr erwartet habe. Wie viele andere Befehlshaber auf vielen anderen Schlachtfeldern in der Geschichte warte ich nun auf die Morgendämmerung.

- - -

Travis Mayweather war sich schon vorgekommen wie ein Geist, der sein eigenes Schiff heimsuchte. Umso glücklicher war er, als er nun die Krankenstation erreichte und seinen ziellosen und nervösen Rundgang vorübergehend unterbrechen konnte. Nachdem sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, blieb er stehen und beobachtete Doktor Rogaschowa und ihr Team bei der Arbeit. Sie holten Antigravbahren, Medikamente und Operationsinstrumente herbei, trafen ganz offensichtlich Vorkehrungen für die Behandlung Schwerverletzter.

Vor dem inneren Auge sah er, wie sich die Krankenstation mit Verwundeten und Sterbenden füllte. Rasch verdrängte er dieses Vorstellungsbild und sah, wie ein Sicherheitswärter dem medizinischen Personal Phaser austeilte.

Rogaschowa nahm die für sie bestimmte Waffe ruhig entgegen, steckte sie ins Halfter unter ihrem Kittel. „Travis.“, sagte sie, nachdem sie Notiz von ihm genommen hatte. „Sollten Sie nicht auf der Brücke sein?“

„Meine Schicht beginnt in einer Stunde.“, antwortete er. „Ich wollte mich noch einmal erholen, bevor es losgeht.“

„Und, hat es funktioniert?“ Ein vorahnungsvolles, müdes Lächeln bahnte sich über die Züge der Chefmedizinerin.

„Fragen Sie nicht. Bitte geben Sie mir nur etwas gegen Kopfschmerzen. Ich muss hundertprozentig belastbar sein, wenn’s losgeht.“

Rogaschowa drehte sich zu einem nahe gelegenen Ausrüstungsschrank und holte eine einzelne Tablette hervor, die sie ihm in die Hand legte. „Hier. Die enthält auch ein leichtes Aufputschmittel. Wir machen die Einnahme aber nicht zur Regel, einverstanden?“

Er nickte flach. „Danke, Doc.“

Wieder nahm Mayweather die umhereilenden Assistenten in Augenschein, und ihm wurde bewusst, dass sich das Erscheinungsbild der medizinischen Sektion seit dem Jungfernflug der Enterprise erheblich gewandelt hatte. Früher war das hier ein Ort der Ausnahmesituationen gewesen. Heute ist es einer der Routinen. So musste es sein, diese Entwicklung hatte sich vollzogen.

Plötzlich überkam ihn Melancholie, und er ertappte sich dabei, wie ihm etwas auf der Zunge lag. „‚Um neues Leben zu suchen und neue Zivilisationen…‘“, zitierte er und schaute die Ärztin an. „Zefram Cochranes Worte bei der Einweihung des Warp-fünf-Komplexes. Als Charles Darwin mit der H.M.S. Beagle zu seiner Reise ins Unbekannte aufbrach, nahm er nicht eine einzige Muskete mit. Wussten Sie das?“

„Es waren andere Zeiten.“, erwiderte Rogaschowa sanft.

„Wie weit sind wir doch gekommen…“, sagte Mayweather bitter. „Welche Hoffnungen wir hatten. Und es führt alles zu Krieg und Zerstörung zurück.“

„Die Geschichte ist noch nicht vorbei.“, sprach ihm die Ukrainerin zu. „Bringen Sie uns heil da durch, Travis.“

„Keine Sorge, ich werd‘ mein Bestes geben.“

Rogaschowa hauchte ihm einen flüchtigen Kuss der Freundschaft auf die Wange und widmete sich dann wieder ihren Vorbereitungen.

Sie ist eine gute Ärztin – und ein guter Mensch. Trotzdem: Phlox fehlt mir., dachte Mayweather, als er Richtung Ausgang schritt. Aber wir können die Zeit nicht zurückdrehen. Wir können immer nur vorwärts gehen. In diesem Sinne wollte er seinen denobulanischen Freund in Erinnerung behalten und wünschte ihm alles Gute für die Zukunft.

Wo immer er gerade war.

- - -

Dichtes, blaugrünes Farbflimmern verstopfte das Fenster der Messe des Captains wie auch jeden anderen Ausblick aus dem Schiff. Tucker ließ sich den Catfish schmecken, den Schiffsköchin Desirée Sulu ihm soeben gebracht hatte.

Nun nahm er einen weiteren Bissen, und nachdem die Spitze der Gabel aus seinem Mund zurückkehrte, gab er einen genießerischen Laut von sich. „Also eins kann ich Ihnen sagen: Das hier schmeckt mir nicht so gut, weil es das letzte Mahl ist.“

Die Asiatin lächelte. „Das will ich doch hoffen. Ich habe noch viele andere Rezepte auf Lager, mit denen ich Schiffscaptains verwöhnen kann.“

„Sulu, Sie haben sich selbst überoffen.“

„Freut mich. Immerhin heißt es doch, Fisch sei gut fürs Herz, und die Pumpe da drin wird ganz schön was zu tun haben, wenn wir unser Ziel erst mal erreicht haben.“

„Stimmt.“ Eine Weile saßen sie einander gegenüber, und sie schaute ihm beim Essen zu.

Tucker empfand Sulus Gegenwart als tröstlich. Seit der Krieg seinen Anfang genommen hatte, waren sie in einem stillschweigenden Übereinkommen irgendwie dazu übergegangen, regelmäßige Gespräche im Speiseraum des Kommandanten zu führen. Zumeist ergaben sie sich beim Essen. Es half ihm. Tucker musste zugeben, dass er sich, seit Sulu vor etwa einem Jahr – im Zuge eines ziemlich ungewöhnlichen Rekrutierungsverfahrens – an Bord gekommen war, an ihre Präsenz gewöhnt hatte und an die Aura, die sie verstrahlte.

Dabei war sie eine Köchin mit besonderen Gaben und Wundern – Dinge, die über die sonstigen Geheimnisse einer Frau weit hinausgingen –, und es hatte ihn eine Weile gekostet, damit umzugehen. Tatsächlich war er der Einzige an Bord, der um Sulus wahre Identität wusste. Früh im Alter einer jungen Frau entführt, war sie von einer fremdartigen und ominösen Gruppierung, die sich selbst als Technoschamanen bezeichnete, mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet worden.

Diese nachgerade magischen Eigenschaften hatte Sulu auf der letzten Mission der Enterprise vor Kriegsausbruch zwar wieder verloren, als sich ihr Orden dazu entschloss, sich in die Weiten des Alls aufzumachen und sie zurückzulassen. Tucker hingegen bezweifelte nicht, dass Sulu nach wie vor über Potenziale verfügte, die überaus wertvoll für das Schiff waren – nicht nur, was die Zubereitung von Catfish anbelangte.

Außerdem stellte sie in Zeiten, in denen nichts mehr wie früher war, in denen die Enterprise kaum noch ein vertrautes Gesicht aus vergangenen Tagen beherbergte, einen Anker der Kontinuität dar. Ausgerechnet diese teils rätselhafte Frau, der er vor nicht allzu langer Zeit kaum über den Weg trauen wollte, war für Tucker heute mit einem Gefühl von Heimat verbunden, vielleicht eben weil das Rätsel, das sie umschwirrte und von dem nur er wusste, beide auf besondere Weise zusammengeschweißt hatte. Und so wie er Sulu als vertraute Seele auf dem Schiff bitternötig hatte, so wenig gab es einen anderen Ort für sie, dem sie sich zugehörig fühlte. Mit der Entscheidung, auf der Enterprise zu bleiben, hatte sie ihrerseits ein neues Leben begonnen. Und in dieser Zeit hatte sie über viele intime Dinge mit ihm gesprochen. Sulu war seine Verbündete und seine diskrete Beraterin geworden, die weit mehr als einfache Küchenpsychologie lieferte . Er wollte sie nicht missen.

Nachdem er den Teller mit großem Appetit halb leer geputzt hatte, ertappte Tucker sich dabei, wie er in Gedanken verfiel. Bin ich auf das Kommende vorbereitet? Mit einem Mal kehrten die Bilder zurück. Vertraute Stimmen. Und auch Gerüche. Der Geruch nach Zefram Cochranes Whisky, der während des Flugs zur Delphischen Ausdehnung geöffnet worden war. Hier, in diesem Raum.

Wie oft hatte er hier mit Jon und T’Pol gesessen, sich über Vergangenes und Künftiges unterhalten? Ob die Mission sich verändert hatte, und ganz egal, welche Schatten den Horizont verdunkelten: Sie waren eine Gemeinschaft gewesen. Diese Gemeinschaft hatte ihn stets geleitet, war sein Kompass gewesen. Und nun? Nun musste er ohne diese Weisung auskommen. Das Gefühl, so auf sich gestellt zu sein, war ihm immer noch fremd.

„Sind Sie nicht mehr hungrig?“, fragte Sulu, nachdem sie jenen melancholischen Blick bemerkt hatte, der auf seinem Teller klebte. Zudem hatte er damit begonnen, in seinem Essen herumzustochern.

„Doch, ich hab‘ nur kurz nachgedacht.“

„Man kann auch beim Essen nachdenken. Finde ich zumindest.“ Die Köchin streckte die Hand aus und griff sich einen Happen des gebratenen Fisches. Kurz darauf verschwand er in ihrem Mund, und sie leckte sich einen Finger. „Ist wirklich nicht übel.“

Er war bereits woanders. „Darf ich Sie ‘was fragen, Sulu?“

„Was liegt Ihnen auf dem Herzen?“

„Wissen Sie, wie das ist, jemanden zu verlieren, und obwohl man weiß, dass man ihn verloren hat, kann man einfach nicht loslassen? So war’s damals bei Lizzie, und jetzt geht’s mir wieder so. Bei Jon. Ich meine, die Fakten liegen auf dem Tisch. Alles spricht dafür, dass er auf Kevratas den Tod gefunden hat. Und doch: Jedes Mal, wenn ich mich auf diesen Stuhl auf der Brücke setze, frag‘ ich mich: Was hätte er wohl getan? Und dann beginn‘ ich zu zweifeln. Vielleicht war ich nie zum Captain bestimmt.“

Die Asiatin bedachte ihn mit viel wissendem Lächeln, in dem eine alte Seele steckte. „Wenn ich etwas kann, dann ist es zuhören. Und ich weiß, dass die Crew Ihnen vertraut. Mehr als das. Sie haben sie gut durch die vergangenen Monate geführt. Sie können zufrieden mit sich sein, Captain.“

„Trotzdem hat Jon mich nie losgelassen. Er ist immer noch hier. Hier, in diesem Raum, überall auf dem Schiff, und sieht mir über die Schulter. Und während ich das erkenne, wird mir bewusst, dass ich immer die schlechtere Kopie von ihm sein werde.“

Sulu schüttelte entschieden den Kopf, und ihr Mondgesicht hellte sich auf. „Sie sind Charles Tucker, nicht Jonathan Archer. Sie haben Ihren eigenen Stil, Ihre eigene Persönlichkeit und die Erfahrungen, die Sie zu dem gemacht haben, der Sie sind. Wenn Sie einen Rat von mir haben wollen: Lassen Sie sich nicht mehr über die Schulter gucken, von niemandem. Archer ist von Bord gegangen, spätestens als er mit guten Absichten in romulanisches Gebiet aufbrach. Sie müssen eine geistige Trennung von ihm vollziehen. Und nicht nur zu Archer, sondern auch zu T’Pol.“

Sie kennt mich mittlerweile verdammt gut.

Er erinnerte sich an das letzte Gespräch mit T’Pol. Vor seinem geistigen Auge standen sie vor Jons Landhaus in Indiana. Mondschein fiel auf die makellose Haut der Vulkanierin und spiegelte sich in ihren großen, mandelförmigen Augen von unendlicher Tiefe. Sie hatte etwas gesagt, dann hatte sie ihn leidenschaftlich geküsst und war gegangen. „Ich hab‘ sie geh’n lassen.“

„Ja, das haben Sie.“, hörte er nun Sulus warme Stimme. „Und Sie sind nicht mehr für sie verantwortlich. Speichern Sie sie in Ihrem Herzen. Behalten Sie sie beide in guter Erinnerung und konzentrieren Sie sich auf das, was vor Ihnen liegt. Und wenn Sie auf die Brücke gehen, um den Platz in der Mitte einzunehmen, dann hören Sie diese Worte: Das ist jetzt Ihr Stuhl, Captain.“

Das Gesagte bewirkte, dass sein Schmerz abebbte. Tucker kehrte ins Hier und Jetzt zurück; die Vergangenheit wurde wieder zu einem leisen Hintergrundrauschen. Er wollte bereit sein, sich den Herausforderungen, die vor ihm lagen, unverdrossen zu stellen.
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