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Im Sturm der Ereignisse

von Seveny

Chancen hat man nicht - Chancen ergreift man!

Jack hob theatralisch die Hände, um der nächsten Aussage das nötige Gewicht zu verleihen, eine Geste, die Bullets aufs äußerste besorgte.

»Seit der Xindi-Krise hat es etwas Derartiges nicht mehr gegeben. Es wird historisch werden – das verspreche ich dir«, wiederholte er sichtlich ergriffen.

»Historisch«, echote Bullets wenig begeistert und zog die Brauen hoch. Ihm schwante Böses. 

»Ja – es wird in die Geschichtsbücher eingehen.«

Bullets schwieg und hoffte inständig, dass sein Bauchgefühl ihn täuschen möge. Hatte die Sternenflotte womöglich vor, den Medienrummel um die Voyager mit einer größeren Veranstaltung zu krönen? Nur mühsam fasste er sich. Er wollte nicht den Eindruck hinterlassen, dass er grundsätzlich dagegen wäre.

»Eine historische Veranstaltung meinst du? Wann soll sie denn stattfinden?«

Jack platzierte die Hände in den Taschen und straffte sich. »Am 4. Februar. Wir dachten an ein interstellares Großereignis mit Ehrung der Führungsoffiziere. Was hältst du davon? Ist das nicht eine großartige Idee?«

»Eine Ehrung ... am 4. Februar?« Bullets fuhr sich über die bürstenartig geschnittenen Haare, dann wandte er sich mit spöttisch hochgezogenen Augenbrauen Jack zu. »Gab es keinen früheren Termin? Morgen oder so?«

»Hätte es sicher gegeben, aber nicht, wenn wir die Sache medienwirksam aufziehen wollen.«

Bullets nickte, bevor er sich mit einigen zögerlichen Schritten der Fensterfront näherte. Das hatte er befürchtet. Nachdenklich starrte er auf die Skyline, ohne die gewaltigen Türme aus Glas und Metall wahrzunehmen, die die Transamerica Pyramid wie wachsame Krieger von allen Seiten umgaben. Seine Gedanken drehten sich ausschließlich um Paris, Chakotay und die restlichen Widerstandskämpfer. Die Helden des Delta-Quadranten. Die Vorstellung die Maquis mit Wertschätzung zu überschütten, sie zu feiern, als wären sie die Sieger einer Schlacht, empörte ihn. Es sind gesetzlose Mörder!

Viele unterschätzten die Gefährlichkeit der Widerständler und das trotz der Erfahrungen im Dominion-Krieg. Dieser zusammengewürfelte Haufen bestand aus ideologisch verblendeten Fanatikern, die sich der Sternenflotte entgegenstellten, um ihre eigene Vorstellung von Gerechtigkeit zu leben – davon war er zutiefst überzeugt. Schließlich lieferte die Vergangenheit genügend Beweise dafür.

Sie hatten cardassianische Schiffe abgeschossen und Versorgungsstationen ausgeraubt, um ihre Vorräte an Proviant, Waffen oder Ersatzteile aufzustocken. Die Raubzüge der Maquis forderten zahlreiche Tote, genau wie die Rettungsaktionen, die sie angeblich nur flogen, um die Siedler in der Neutralen Zone zu schützen. Damit gehörten sie eindeutig zu jenen subversiven Elementen, die er eigentlich bekämpfen sollte. Statt diese Leute in Gewahrsam zu nehmen, zwang ihn die Sternenflotte, untätig daneben zu stehen, wenn der Maquis-Führer und seine Schergen unter dem Beifall des halben Quadranten die Ehrungen entgegennahmen. Was für ein Hohn! 

Er hörte die Schritte in seinem Rücken, doch er drehte sich nicht um. Selbst als er Jacks Stimme vernahm, die fast entschuldigend auf ihn einsprach, starrte er regungslos auf die Skyline.

»Eine kleine Pressekonferenz wird der Mission diesmal nicht gerecht – nicht nach sieben Jahren, Antony. Sie haben Großartiges geleistet.«

Bullets umfasste die Verstrebung am Fenster noch etwas fester. »Wir ehren Widerständler, die eigentlich vor Gericht gehören.«

»Ich weiß, wie du darüber denkst. Die Sternenflotte hat es so entschieden und du solltest dich damit abfinden.«

Bullets atmete tief ein. Es war strategisch besser, einzulenken. Er löste sich von der Fensterfront und wandte sich Jack zu.

»Wahrscheinlich hast du recht.«

Hayes sprach in beschwichtigendem Tonfall weiter: »Die Bevölkerung könnte dann ebenfalls daran teilnehmen. Denk nur an die großartige Publicity, die die Sternenflotte dadurch hätte.«

Bullets´ Brauen zuckten kurz. Vor seinem geistigen Auge strömten bereits unkontrollierbare Menschenmengen ins Hauptquartier der Sternenflotte – ein Gebäude, das normalerweise nur mit Sicherheitsfreigabe betreten werden durfte. Er presste verständnislos die Lippen zusammen, bevor er weiter nachfragte.

»Und das Spektakel findet im Hauptquartier statt?«

»Ich dachte eher an das Bay-Stadium. Was meinst du dazu?«

Bullets hob überrascht den Kopf. »Die alte Sportarena? Bist du sicher?«

»Was passt dir daran nicht?«

»Na ja ...«

Bullets schürzte abwägend die Lippen. Die alte Sportarena lag – wie eine Insel – inmitten der Bucht von San Francisco. Nur eine schmale Landzunge verband das Stadion mit dem Festland. Das bot eine ganze Palette an Möglichkeiten. Fast hätte ihm die Vorstellung ein Lächeln abgerungen, doch das wäre unklug gewesen. Als besorgter Leiter des Geheimdienstes musste er wenigstens pro forma einige Bedenken anmelden. So sagte er einfach das Erste, dass ihm in den Kopf kam.

»Das Bay-Stadium fasst rund achtzigtausend Menschen und ist durch die Luft frei zugänglich. Der Veranstaltungsort ist daher schwer zu schützen.«

Hayes runzelte die Stirn zu einer verständnislosen Miene, dann schüttelte er den Kopf.

»Also ehrlich, Antony ... ich bin ja gewöhnt, dass du überall Schurken und Verbrecher witterst, aber das ist nun wirklich etwas weit hergeholt, meinst du nicht? Du weißt, dass der Luftraum über San Francisco durch die Sternenflotte scharf überwacht wird – sogar vom Geheimdienst. Dazu gibt es Dutzende von Sicherheitssystemen. Oder befürchtest du etwa eine feindliche Invasion der Borg-Kuben?«

»Nein, selbstverständlich nicht. Trotzdem ist die Veranstaltung allein schon der Größe wegen ein Risiko. Es wird wohl am besten sein, wenn meine Leute Vorort sind.« 

Bullets Tonfall blieb emotionslos, doch in Wirklichkeit stand er unter Hochdruck. Würde Jack einwilligen, dass der Geheimdienst die Veranstaltung offiziell überwachte? Normalerweise war das die Aufgabe der Security, aber bei dieser Größenordnung konnte er die Forderung durchaus rechtfertigen. Hoffentlich stimmte Jack zu, das würde seinen Plan enorm vereinfachen.

»Ist das wirklich notwendig?«, fragte Hayes. »Die Security hat bereits zugesagt, mehrere Einheiten bereitzustellen.«

»Journalisten und Beobachter aus dem gesamten Föderationsraum werden zu diesem Spektakel kommen.« 

»Bisher gab es keine Vorfälle, die eine übermäßige Vorsicht rechtfertigen würden.«

»Jack, ich bitte dich ...«, begann Bullets im Tonfall eines geduldigen Nachhilfelehrers. »Die Voyager bringt uns Zukunftstechnologie einer sechzehn Jahre entfernten Zukunft. Das ist in einschlägigen Kreisen längst durchgesickert. Wie viele Welten in der Föderation lecken sich geradezu die Finger nach einer verbesserten Panzerung oder wollen genau diese verhindern?«

»Die Technologie ..., ja.« Hayes nickte beipflichtend, aber nicht völlig überzeugt. »Trotzdem scheint mir das überzogen, zumal es keine Hinweise gibt.«

Bullets schnaubte ungehalten auf. »Was brauchst du denn noch alles? Unsere Ermittlungen haben ergeben, dass B´Elanna Torres sofort Kontakt mit ihrer alten Freundin Sveta aufgenommen hat. Wie nennst du das?«

Hayes wehrte seine Aussage mit den Händen ab. »Aber was sagt das schon, Antony? Die Frau sitzt seit Jahren in der Tantalus-Strafkolonie.«

»Es ist mir Anzeichen genug. Wenn du schon die Crew der Voyager auf dem Silbertablett präsentieren willst, dann sollten wir wenigstens auf alles vorbereitet sein.«

Hayes schüttelte den Kopf. »Was ist nur los mit dir? Ich habe dich noch nie so beunruhigt gesehen. «

»Auch wenn du es schon vergessen hast – ich habe es nicht! Es ist gerade mal sieben Jahre her, dass der Geheimdienst gegen die Maquis ermittelt hat, und kurze Zeit später standen wir im Dominion-Krieg sogar auf verschiedenen Seiten.«

»Ja, sicher ...«

»Du weißt nicht, wie die Maquis heute zur Föderation oder der Neutralen Zone stehen«, erklärte Bullets in einem Tonfall, der keinerlei Widerspruch zuließ. »Vielleicht haben sie selbst Interesse an den neuartigen Technologien. Womöglich wollen sie ihren Freiheitskampf weiterführen. Oder umgedreht: Cardassia plant einen Vergeltungsschlag gegen die Maquis. Im schlimmsten Fall ruft die Veranstaltung noch ganz andere Feinde auf den Plan. Kannst du das alles ausschließen, Jack?«

»Nein ... natürlich nicht.«

»Als Chef des Geheimdienstes will ich nur sichergehen, dass diese Leute kein Sicherheitsrisiko darstellen, zumal eine derart große Veranstaltung von interstellarem Interesse ist.«

Hayes hob beschwichtigend die Hände. »Na schön, Antony, du hast mich überzeugt. Vielleicht ist es gut, wenn du dich um unsere Heimkehrer noch etwas mehr ... kümmerst. Die Security wird sich bestimmt über eine Verstärkung freuen, das ist jetzt schon sicher.«

»Ich lasse sofort eine Sondereinheit zusammenstellen.« 

Bullets versetzte Hayes einen kameradschaftlichen Schlag auf den Oberarm, bevor er sich abwandte. Im Vorzimmer schenkte er Asil ein freundliches Nicken, dann trat er mit zügigen Schritten auf den Korridor hinaus. Allmählich nahm sein Plan Konturen an. Heute noch würde er Dave Morrison auf Bajor kontaktieren. Die Zeitspanne bis zum 4. Februar war zwar knapp bemessen, doch sie reichte aus. Die Vorstellung gefiel ihm. Seine Mundwinkel hoben sich und plötzlich begann er sogar leise zu pfeifen



 

~~~*~~~





Von all dem ahnte Janeway nichts, als sie zur selben Zeit ihren Wohnblock betrat. Ein langer Tag voller Verpflichtungen lag hinter ihr, der nun mit dem Betreten des neu bezogenen Appartements sein vorläufiges Ende fand. Sie tippte den Türcode ein und konnte ein Gähnen kaum unterdrücken. So hatte sie sich den Arbeitsbeginn im Hauptquartier definitiv nicht vorgestellt. Gleich die erste Sitzung des Oberkommandos – eine unerfreuliche Diskussion über die von der Voyager mitgebrachten Zukunftstechnologien – hatte sich bis in die frühen Abendstunden gezogen. Sie verdrehte genervt die Augen.

Wenn Hayes kein Machtwort gesprochen hätte, dann säßen wir jetzt immer noch im Sitzungssaal, um uns über den Einsatz der Ablativpanzerung zu streiten. Verfluchte Sternenflottenpolitik!

Sie verdrängte den aufsteigenden Ärger und konzentrierte sich wieder auf das Display, das noch immer rot blinkte. Warum öffnete sich die Tür nicht? Stand sie vor dem falschen Appartement? Sie kontrollierte die Appartementnummer, dann tippte sie erneut den Zahlencode ein, diesmal mit einer Portion Verärgerung in den müden Gesichtszügen. Bei ihrem Einzug heute Morgen hatte der Türcode noch einwandfrei funktioniert. 

Nun ja ... Einzug war vielleicht falsch ausgedrückt, gab sie ehrlich zu. Sie hatte den morgendlichen Termin im Hauptquartier nicht verschieben können und daher lediglich die Koffer abgestellt. Schließlich blieb nach Feierabend noch genügend Zeit, das Appartement zu begutachten. Das Wohnviertel lag in einer der angesehensten Wohnlagen von San Francisco, in einem parkähnlichen Wohngebiet, das sich Presidio Terrace nannte und unmittelbar an das Gebiet der Sternenflotte angrenzte. Abgesehen davon, dass der Hausflur eine etwas romantische Beleuchtung besaß, die sie bestenfalls als Dämmerlicht bezeichnet hätte, war sie bisher ganz zufrieden. Sie fixierte die rote Kontrollleuchte. Das würde sich allenfalls dann ändern, wenn der Code die verdammte Tür nicht bald öffnete.

Ein Klicken. Endlich! Sie atmete auf. Das Display blinkte grün. Mit einem pneumatischen Zischen schob sich die Appartementtür zur Seite.

»Computer: Lichtintensität auf 40%.«

Sie betrat das Appartement, wartete einige Sekunden, doch nichts geschah. Der Flur blieb dunkel, nur erhellt von der Funzel im Hausgang. Ihr Stresslevel stieg erneut. Verdammt. Warum arbeitet das Lichtsystem nicht?

Entschlossen betrat sie das Appartement – ihren Schritten war nun der Unmut deutlich anzumerken. Sie hatte die Räumlichkeiten noch gar nicht richtig bezogen und schon jetzt jagte eine Fehlfunktion die nächste. Ungehalten sah sie sich um. Irgendwo gab es eine Konsole, an der sie die einzelnen Systeme manuell steuern konnte. Sie entdeckte die quadratische Abdeckung am Ende des geräumigen Flurs und ihre Miene entspannte sich wieder. Dort verbarg sich die technische Schaltzentrale, mit deren Hilfe sich auch das Lichtsystem aktivieren ließ. 

Sie wollte sich gerade in Bewegung setzen, als sie ein leises Zischen vernahm. Der dürftige Lichtstreifen, der bisher aus dem Hausflur kam, erlosch und die Dunkelheit legte sich wie ein großes Tuch über die Umgebung. Genervt stöhnte sie auf. Man sah die Hand vor Augen nicht. Selbst das Notlicht sprang nicht an. Das klappt ja heute reibungslos.

»Computer: Notbeleuchtung aktivieren«, befahl sie energisch, doch das Lichtsystem reagierte nicht. Sie presste die Lippen zusammen. Möchte nur wissen, in welchen technischen Behelfsunterkünften die Sternenflotte ihre Captains neuerdings unterbringt.

»Computer: Tür öffnen.«

Ihre Stimme war an Nachdruck nicht mehr zu überbieten, doch es half nichts – die Dunkelheit blieb. Das automatische System ließ sich offensichtlich nicht durch Strenge beeindrucken. Janeway schickte mit erhobenen Händen ein Stoßgebet gen Himmel. Hoffentlich bloß ein Fehler in der Sprachsteuerung und kein kapitaler Schaden am Energiesystem.

Aber das ließ sich nur mit einem Blick auf die manuelle Steuerungseinheit sagen, und die wiederum befand sich irgendwo auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als durchs Dunkel zu tappen, um die Wand nach der Schaltzentrale abzutasten, also etwas, dass sie sich schon immer gewünscht hatte. Verdammt!

Schritt für Schritt tastete sie sich durch die Schwärze. Doch bereits nach wenigen Metern prallte sie gegen etwas Hartes und stolperte. Ein Laut grenzenloser Überraschung gepaart mit einem Unterton, der von Schmerz kündete, entwich ihrer Kehle. Meine Koffer … die hatte ich ganz vergessen.

Sie rieb sich stöhnend das Schienbein und verfluchte, dass sie das Gepäck heute Morgen in aller Eile nur abgestellt hatte. Wer konnte auch ahnen, dass gleich mehrere Systeme gleichzeitig ausfielen? Erneut streckte sie die Arme aus, suchend, was in der Dunkelheit womöglich noch im Wege stand. 

Ich sehe wahrscheinlich aus, wie eine dieser Mumien in den historischen Filmen des zwanzigsten Jahrhunderts, die Tom so gerne zu den gemeinschaftlichen Kinoabenden auswählt. Gut, dass mich niemand sieht.

Endlich ertastete sie die Wand mit der Schaltzentrale. Unter der Abdeckung, die sich zum Glück leicht öffnen ließ, befand sich ein exzellent beleuchtetes Eingabefeld. Es gab scheinbar doch noch Systeme, die funktionierten. Sie tippte den Code manuell ein. Mehrere Sekunden später erhellte sich der Flur. 

Zum Glück nur ein Fehler in der Sprachsteuerung. Das Energiesystem arbeitet einwandfrei, stellte sie erleichtert fest und ihre Laune bekam wieder etwas Aufwind. Jetzt war es schon zu spät, aber gleich morgen würde sie den Service-Dienst, der die Wohnblocks betreute, einbestellen.

Nachdem die erste Anspannung abgeklungen war, keimte in ihr tatsächlich so etwas wie Vorfreude auf, immerhin hatte sie die neuen Räume noch nicht gesehen. Sie ließ die Koffer weiterhin unbeachtet im Flur stehen und öffnete stattdessen die Schiebetür zum Wohnbereich. Erwartungsvoll hielt sie die Luft an, doch ihr Hochgefühl wich schnell der Ernüchterung. Der großzügige Raum mit der gläsernen Front, die einen Blick auf das gesamte Presidio sowie über die Bucht von San Francisco gewährte, war repräsentativ – gar keine Frage. Aber die Standard-Möblierung der Sternenflotte wirkte genauso steril wie die Quartiere der Voyager; allerdings ohne den Reiz, den der Ausblick auf die Sterne bot. Morgen musste sie sich unbedingt um eine persönliche Dekoration bemühen, notierte sie sich im Geiste und inspizierte das Inventar genauer. 

Eine komfortable Computeranlage und eine große Projektionsfläche bestimmten den Wohnbereich. Davor stand eine moderne Couchgruppe. An den Seiten waren jede Menge Einbauschränke integriert, in denen sie ihre persönlichen Sachen diskret unterbringen konnte und – etwas verborgen im hinteren Bereich – entdeckte sie eine offene Küchenzeile. 

Ihr Magen meldete sich mit einem vehementen Knurren. Das letzte Mal hatte sie am Mittag gegessen, das lag bereits sieben Stunden zurück. Im kahlen Raum hallte das Klappern ihrer Absätze unnatürlich laut wider, als sie die geflieste Küchenzeile betrat. Sie strich sich fröstelnd über die Arme.

»Computer: Tomatensuppe.«

Es zischte, dann roch es verbrannt, ohne dass eine Suppentasse im Ausgabefach erschien. Sie verdrehte die Augen. Wenn doch nur einige der technischen Systeme funktionieren würden ...

»Tomatensuppe«, forderte sie nochmals energisch. 

Sie fixierte das unwillige Gerät. Ihre innere Anspannung stieg gerade genauso schnell wie Hochwasser bei Starkregen. Die Computersysteme des Appartements schienen ihre neue Besitzerin persönlich abzulehnen. Vielleicht muss ich den Replikator nur etwas motivieren? Sie schlug mit der Faust gegen das Gehäuse. 

Ein Knall. Ohne Vorwarnung schoss eine rußige Wolke aus dem Ausgabefach. Die Küchenzeile verdunkelte sich kurz, als hätte einer von Tom Paris´ Verbrennungsmotoren, an denen er in seiner Freizeit herum schraubte, Fehlzündungen. Hustend wedelte sie die dunklen Schwaden auseinander. Fünf Zentimeter näher am Replikator und ich sähe jetzt aus wie Tuvoks Schwester.

Sie machte ihrem Ärger Luft. »Aufgemotzter Toaster!«

Unterdessen blinkte das Display des Replikators wie eine Leuchtreklame, und eine zarte Frauenstimme säuselte: »Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte wenden Sie sich an das Service-Team.«

Sie schmälte die Augen zu einem erbosten Blick. Na spitzenmäßig! Das Mittagessen, das sie heute mit Owen im Quantum-Café eingenommen hatte, würde voraussichtlich die letzte Mahlzeit bleiben, konstatierte sie grimmig.

Mit einem Seufzer ließ sie sich in den nächstbesten Sessel fallen. Es waren Abende wie dieser, die sie zum Nachdenken brachten. Tagsüber gab es wenig Gelegenheit über das Leben, das sie ab jetzt führen würde, nachzugrübeln. Sie hatte alle Hände voll zu tun, um ihren Verpflichtungen gerecht zu werden. Nach Feierabend jedoch …

Sie sah erneut auf die blinkende Anzeige des Replikators. Ein Abendessen zu zweit wäre jetzt eine wundervolle Vorstellung und in ihrem Herzen schwoll eine Sehnsucht, von der sie wusste, dass sie sie nicht stillen konnte. Obwohl sie das Leben in der Sternenflotte liebte, gab es Augenblicke, in denen sie sich einen Partner wünschte.

Aus diesem Grund war sie damals sehr froh gewesen, dass sie mit Mark einen Mann gefunden hatte, der sich auf eine Frau in der Sternenflotte einließ, wohlwissend, was das im Privatleben bedeutete. Wer im aktiven Dienst stand, Missionen in entlegene Galaxien flog und oftmals über mehrere Monate nicht Zuhause sein konnte, hatte sich in aller Regel von dem Gedanken an Familie und Partnerschaft verabschiedet. Eine Beziehung gelang zumeist nur, wenn der Partner die langen Phasen der Einsamkeit akzeptierte oder auf demselben Schiff diente – nicht die beste Option für einen Captain, wie sie wusste. 

Zugegeben – sie verdrehte halbbelustigt die Augen – sie und Mark hatten sicherlich nicht die leidenschaftlichste Beziehung geführt. An die wenigen Liebesnächte erinnerte sie sich kaum noch. Es war eher seine Verlässlichkeit, die bedingungslose Ehrlichkeit und sein besonnenes Wesen, dass sie an Mark geschätzt hatte – charakterliche Eigenschaften, die er mit Chakotay teilte, wie sie überrascht feststellte.

Sie heftete ihren Blick an die Zimmerdecke, bevor sie im Geiste noch weitere Gemeinsamkeiten aufzählte: Die breite Statur und das markant geschnittene Gesicht, der besonnene Charakter, das Interesse an philosophischen Fragen, beide kochten gerne, die Vorliebe für die literarischen Klassiker, die Liebe zur Natur ... 

Sowohl Chakotay als auch Mark hatten durch ihre ausgeglichene Art ihr eigenes risikofreudiges Temperament gezügelt. Darüber hinaus waren sie intelligente Gesprächspartner, die keine Diskussion scheuten und deren Rat sie jetzt vermisste. Sie schickte ihren Blick nachdenklich zu Boden. Es gab noch eine weitere Gemeinsamkeit, die die beiden teilten. Nach etlichen Jahren der Zusammengehörigkeit hatten sie sich einer anderen Frau zugewandt. Wie durch einen Erinnerungsnebel hörte sie Chakotays Stimme.

Wahrscheinlich sind wir nicht das ideale Paar … zumindest, solange die Sternenflotte das Wichtigste in deinem Leben ist.

Erstmals dachte sie über den tieferen Sinn seiner Worte nach. Offenbar war er der Meinung, dass sie das private Leben für ihren Beruf opferte. Na ja, auf der Voyager hatte sie keine Wahl gehabt – das wusste er sicher genauso gut wie sie. Und jetzt auf der Erde? Die Frage ließ sie nachdenklich zurück, zumal sie in seiner Stimme eine Spur Bedauern gehört hatte. Oder war das eher ihr eigenes Wunschdenken?

Sie stülpte die Lippen. Jahrelang hatte sie sich derlei Gedanken verboten, doch nun durchleuchtete sie die Situation analytisch und mit gnadenloser Ehrlichkeit. Ja, sie fand es schwierig, sich den kommenden Lebensabschnitt ohne Chakotay vorzustellen. Nein, sie hatte sich nicht verliebt – bestimmt nicht. Aber er fehlte ihr und die Tatsache, dass er sich ausgerechnet Annika – einer zwanzig Jahre jüngeren Frau – zugewandt hatte, schmerzte mittlerweile mehr, als sie zunächst gedacht hatte.

Abgesehen davon, dass er bereits vergeben war, sprachen auch andere Gründe gegen diese Beziehung. Ein Leben auf Dorvan, so wie es Chakotay vorschwebte, konnte sie sich schlichtweg nicht vorstellen. Überhaupt – sie hatte nicht vor, die Erde – die Sternenflotte und ihre Familie – zu verlassen. Sie wollte auf nichts verzichten, obwohl diese Entscheidung zweifelsohne einige Nachteile mit sich brachte. 

Aber wer weiß? Vielleicht finde ich irgendwann noch den richtigen Kerl. Einen ältlichen Admiral womöglich? Oder einen übriggebliebenen Botschafter, der vergessen hat, auf seine Welt zurückzukehren?  Der Gedanke amüsierte sie.

Erst der Türsummer katapultierte sie geistig zurück in die Gegenwart. Sie erhob sich etwas schwerfällig aus dem Sessel. Wer kam zu so später Stunde auf Besuch? Sie war neu eingezogen, die Nachbarn kannte sie noch nicht. Sie schlurfte zur Tür. Hoffentlich keine schlechten Nachrichten; der Tag hatte sie bereits genügend Kraft gekostet. 

Als sie öffnete, klappte ihr die Kinnlade herunter. Für den Bruchteil einer Sekunde hielt sie wie erstarrt inne, den Mund zu einem ›O‹ geformt. Eigentlich hätte sie sich fragen müssen, was er zu später Stunde hier wollte oder wenigstens woher er überhaupt wusste, wo sie wohnte, aber ein Wortsturm blockierte jedes Denken und verhinderte, dass sie einen Laut herausbrachte. Im Moment wirkte sie bestimmt nicht sonderlich intelligent, schoss es ihr durch den Kopf. Es dauerte geraume Zeit, bis sie sich fasste, doch schließlich wich die Überraschung der Wiedersehensfreude.

»Mark …! Was machst du denn hier?«

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