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STD 06 - Konsequenzen

von Adriana

Prolog

Seit einigen Tagen war Turo Karthals kleine Welt ein Scherbenhaufen.  
Den ersten tiefen Riss bekam sie, als ein Mann in Uniform seiner Familie die Nachricht vom Verschwinden seiner Mutter überbracht hatte. Ihr Jagdflieger war in den Badlands zum letzten Mal gesehen worden, sie galt als vermisst. Genau wie ihr Schiff, die RELITEK.  
Turos Vater hatte den fremden Offizier aus trüben, blutunterlaufenen Augen angesehen, war ein paar Mal mit den Fingern durch seine ungekämmten Haare gefahren, bis die Bedeutung dieser schlimmen Nachricht ihn zurück in den Sessel warf und in eine Art Starre versinken ließ.  Von diesem Tag an soff Jorel Karthal die doppelte Menge Kanar und verließ sein Bett nur noch, um ins Bad oder zum Replikator zu schlurfen.  
Turo schämte sich seines Vaters so sehr, dass er sich jeden Tag mehr in sein inneres Reich zurückzog, wo er mit seiner eigenen Armee gegen feuerspuckende, klauenbewehrte Fantasiegegner kämpfte. Seine Mitschüler und Freunde nahm er nicht mit, er blieb am liebsten für sich allein. Nur im Unterricht zeigte er sich so lernwillig wie immer und glänzte mit wohl überlegten, eloquenten Antworten auf die Fragen der Lehrer.  
Nein, er durfte jetzt nicht in seiner Leistung nachlassen! Nein, er könnte es nicht ertragen, wenn ein Lehrer Verdacht schöpfte, dass seine Familie kaputt war! Er wäre auf der Stelle tot umgefallen, wenn der Schulinspektor seinen ungewaschenen, nach Alkohol stinkenden Vater aus dem Bett geklingelt hätte!  
Doch kein Lehrer kam auf diese Idee. Schließlich wurden Turos Noten sogar besser, weil er kaum noch Zeit mit seinen Freunden verbrachte.  
Seine schulischen Erfolge waren die letzte Quelle seiner Kraft – neben der Hoffnung, dass seine Mutter eines Tages gesund und lebendig wiederkehrte.  
Bis zu jenem Tag, als seine Welt zum zweiten Mal zerbrach: der Tag der Gedenkfeier, als das 
Zentralkommando Belora Karthal für tot erklärt hatte. Fast einen Monat lang hatte das Militär die Badlads nach ihr absuchen lassen, bis man das Wrack ihres Jägers fand. Keine Spur von Glinn Karthal, kein Leichnam, nur einige Zellrückstände.  
Die Chance, einen solchen Absturz zu überleben, lag bei unter zwanzig Prozent, meinten sämtliche Experten. Zudem war das Triebwerk des Jägers explodiert – laut Schätzungen etwa acht bis zehn Stunden nach dem Aufprall infolge extremer Hitzeeinwirkung. 
Also musste Glinn Belora Karthal durch die Explosion ums Leben gekommen sein, falls sie nicht schon vorher beim Aufprall gestorben war. Diese Erklärung schien so naheliegend, dass alle Such- und Rettungsoperationen eingestellt wurden.  
Turo stürzte ebenfalls ab, innerlich.    
In den Wochen zuvor hatten die Suchtrupps vier Rettungskapseln von der RELITEK geborgen. Zwei von ihnen waren auf einem trostlosen, kahlen Mond in den Badlands zerschellt, die insgesamt acht Überlebenden aus den beiden anderen Kapseln wirkten verstört, ausgezehrt, am Ende ihrer Kräfte. Man fand auch durchs All treibenden Leichen, eine weitere Rettungskapsel und die Kommandantin der RELITEK, Jilano Madred, frei schwebend in einem Raumanzug, vor Sauerstoffmangel ohnmächtig.   
Alle Überlebenden berichteten von der Zerstörung der RELITEK – doch ihre Geschichten widersprachen sich. Einmal hatte ein Maquis-Geschwader erfolgreich aus dem Hinterhalt angegriffen, ein andermal war das Schiff bei dem Versuch, Karthal zu retten, von Plasmastürmen auseinander gerissen worden. Jilano Madred zufolge hatten die Gefangenen, die von der RELITEK transportiert wurden, versucht, das Schiff zu übernehmen.  
Innerhalb weniger Tage wurden aus Helden Verdächtige, die Überlebenden von der RELITEK wurden tagelang verhört, ohne dass das Zentralkommando der Wahrheit ein Stück näher kam.  
All diese Tatsachen, Geschichten und Gerüchte waren lange Zeit in der Schule das Gesprächsthema Nummer eins und sorgten nicht gerade dafür, dass Turo sich besser fühlte.  
Doch eines Tages schickte ihm ein gewisser Glinn Sehtaran eine Nachricht, die ihn aus seiner Trübsal riss – zumindest für einige Minuten: Seine Mutter war am Leben! Eine Crew von Sternenflottenoffizieren hatte das Unwahrscheinliche vollbracht und Glinn Belora Karthal gerettet, bevor ihr Jäger explodierte. Turo jubelte und sprang vor Freude auf und ab – bis Glinn Sehtaran fortfuhr und seinem kindlichen Glück einen brutalen Dämpfer versetzte: Die Sternenflottenärztin hatte darauf bestanden, Glinn Karthal auf der Krankenstation ihres Schiffes zu operieren. Sie behauptete, die Patientin hätte einen weiteren Transport nicht überlebt.  
Selbstverständlich flog das Schiff in den Raum der Föderation zurück und Glinn Karthal schwebte tagelang zwischen Leben und Tod.  
Dann überschlugen sich die Ereignisse: Die Nachricht vom Verschwinden Enabran Tains sickerte trotz aller Geheimhaltungsversuche bis zum letzten Landstreicher in den Slums von Lakarian City durch. Schuld waren diese verfluchten Föderationsnachrichten, die in den Randkolonien überall empfangen werden konnten.  
Das Zentralkommando verhängte eine sofortige Informationssperre, blockierte alle nichtcardassianischen Frequenzen mit Störsendern – aber die Gerüchteküche brodelte unvermindert weiter. Das Militär drohte, jeden ins Arbeitslager zu stecken, der „infame Lügen“ über das Verschwinden der Führung des Obsidianischen Ordens verbreitete. 
Doch die Spitzel des Ordens erhielten keine Anweisungen mehr von oben. Die Miliz, die sich nicht länger auf zuverlässige Geheimdienstinformationen verlassen konnte, verhaftete und folterte beliebige Bürger beim geringsten Verdacht auf „subversive Tendenzen“ 
In der gesamten Cardassianischen Union entlud sich der Zorn der Volksmassen so brachial, dass das Zentralkommando der Miliz bei der „Terrorbekämpfung“ helfen musste. Regierungsgebäude brannten von Celtris III bis Cardassia Prime, auf den Zentralwelten herrschte permanenter Ausnahmezustand. Die Leichen toter Zivilisten verwesten auf offener Straße. Qualmwolken verdunkelten den Himmel, so dass tagelang kein Sonnenstrahl hindurch kam.  
Turo kannte diese Bilder des Schreckens nur aus den Nachrichten, denn seit der Aufstand ausgebrochen war, durften die Kinder das Internat nicht mehr verlassen.  
Das Zentralkommando, so erzählten ihnen die Lehrer, hätte pro Forma alle Macht an eine Zivilregierung übergeben, um das Volk zu beschwichtigen, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Gul Dukat – offiziell der oberste Militärberater des Detapa-Rates – sei das wachsame Auge und Ohr des Zentralkommandos in der neu gewählten Regierung. In Wirklichkeit nutzte das Militär die Atempause, um seine Kräfte zu sammeln, und lauerte auf die nächstbeste Gelegenheit für einen Putsch.  
Aber dazu sollte es nicht kommen. Die Klingonen bekamen Wind von dem plötzlichen Regierungswechsel und griffen Cardassia an – ohne Vorwarnung und scheinbar ohne Grund. Wechselbälger hätten die Cardassianische Union unterwandert, lautete die lächerliche Ausrede, mit der sie die interplanetare Öffentlichkeit abspeisten. 
In diesen Zeiten des Krieges schweißte das Leid Turos Mitschüler enger zusammen. Fast jeder hatte einen Vater, Bruder oder Onkel, der an der Front gegen die Klingonen kämpfte. Es verging kein Tag, an dem sie nicht zitternd die Verlustmeldungen verfolgten – und keine Woche, in der nicht ein Angehöriger eines Schülers verwundert oder getötet wurde.  
Nur Turo hatte keinen Vater im Krieg. Sein Vater lag auf der Couch und schüttete wahllos Kanar in seinen Schlund. 
Ihm blieb nicht einmal der Stolz auf seine angeblich tote Mutter – denn die schlürfte Rootbeer in einem komfortablen Quartier der Sternenflotte, während hunderte und aberhunderte tapferer Cardassianer von blutrünstigen Klingonen in Stücke gehackt wurden.  
Bei diesem Gedanken packte ihn ein gnadenloser, kindlicher Hass. Diese feige Schlampe! Sie war nicht länger eine Cardassianerin, nicht länger seine Mutter – sollte sie doch bei der blöden Sternenflotte bleiben! Obwohl ... manchmal vermisste er sie so sehr, dass es weh tat. Als sie für tot erklärt worden war, hatte er fast jeden Tag heimlich geweint und das tat er jetzt auch. In solchen Momenten schämte er sich, dass er sie in Gedanken als „feige Schlampe“ beschimpft hatte. Womöglich war sie unschuldig oder gar eine Gefangene.  
„Wer weiß, vielleicht hat sie ihren Jäger gar nicht zu Bruch geflogen, sondern absichtlich in die Luft gesprengt. Sie war doch angeblich so eine hervorragende Pilotin“, mutmaßte ein Junge aus den oberen Klassen. „Wer hat denn behauptet, dass sie abgestürzt ist und schwer verletzt wurde? Richtig, diese ach so vertrauenswürdige Sternenflotte!“ 
„Ha! Die lassen viel Wühlmauskacke ab, wenn der Tag lang ist.“ 
„Ich wette, Karthal war eine Doppelagentin. Die RELITEK war doch angeblich voll von Verrätern und Freidenkern und Rattenpack! Muss eine wahre Seuche gewesen sein.“ 
„Das Zentralkommando denkt immer noch, sie sei zerstört worden.“ 
„Die RELITEK? Sag mal, wie naiv kann man sein? Wenn das Schiff explodiert wäre, gäbe es doch nicht nur Leichen, sondern auch Trümmer.“ 
„Nicht nach einem Warpkernbruch.“ 
„Dann gäbe es aber auch keine Leichen, weil alles in näherem Umkreis verpufft wäre.“ 
„Und was glaubst du dann? Dass Karthal mit einem Fähnchen irgendwo auf einem Planeten in dem Badlands gestanden und ihre Freunde zur Föderationsgrenze durch gewunken hat?“  
„Die hat ihren Tod vorgetäuscht und ist übergelaufen, da bin ich ganz sicher!“ 
Turo schnappte solche Gespräche fast jeden Tag auf den Fluren auf und jedes Mal schwollen ihm die Halskämme vor Zorn. Egal, was er selbst über seine Mutter dachte – andere hatten noch lange nicht das Recht, sie zu beleidigen!  
Zu dumm, dass deren Fäuste schneller gegen seine Kauleiste krachten, als er die Ehre seiner Mutter verteidigen konnte.  
Wenn er den Mund aufmachte, wurde er verprügelt. Wenn er schwieg, ebenfalls. 
Meist huschte er eine knappe Sekunde vor Unterrichtsbeginn in den Klassenraum, begab sich so unauffällig wie möglich zu seinem Platz und erntete trotzdem immer wieder einen mahnenden Blick oder eine bissige Bemerkung von seinem Lehrer. Sobald der Gong das Ende der Stunde ankündigte, verließ er die Klasse geradezu fluchtartig und verkroch sich schnellstens auf der Toilette oder in seinem Zimmer – je nach dem, wie lang die Pause war.  
Dann ging das Spiel von vorn los ...  
„He, Karthal!“, rief ihm eines Tages ein älterer Schüler hinterher. 
Turo war zu überrascht, um sofort los zu rennen wie eine verschreckte Wühlmaus. Wie nach jedem Unterrichtsschluss hatte er sich so lange in einer Toilettenkabine eingeschlossen, bis er sicher sein konnte, dass alle anderen Jungs auf ihren Zimmern waren.  
Doch offenbar konnte man sich niemals sicher sein.  
„Los, verschwinde, so lange du noch kannst!“, spornte er sich an.  
Aber es war zu spät: Der ältere Junge verstellte ihm bereits den Weg.  
„Ich hab gehört, deine Mutter muss für die Admirals beim Sternenflottenkommando die Uniformen waschen“, sagte er und grinste herausfordernd.  
Turo ballte die Fäuste in den Jackentaschen. Er war auf einmal bereit, sich mit dem größeren, stärkeren Jungen zu prügeln.  
„Das ist überhaupt nicht wahr!“, rief er wutentbrannt.  
„Ach nein?“, erwiderte der andere Junge lässig. „Sie ist Cardassianerin. Glaubst du im Ernst, die Sternenflotte lässt sie eine qualifizierte Arbeit machen, wo sie an Computerkonsolen ‘rankommt und geheime Daten anzapfen könnte?“ 
„Falls du es noch nicht weißt: Meine Mutter arbeitet nicht für die Sternenflotte, du Popel!“  
„Tatsächlich nicht? Sie sitzt im Föderationsgebiet fest und muss irgendwie ihren Lebensunterhalt verdienen. Weil dein Vater so ein Versager ist und unfähig, die Familie zu ernähren.“ 
Turo knirschte mit den Zähnen. Wäre an der Ehre seines Vaters noch irgendwas zu retten gewesen, hätte er ihn jetzt leidenschaftlich verteidigt. 
„Ich wette, sie hat sich für dieses absurde Austauschoffiziersprogramm gemeldet, das uns die Feds auf den Kamm gedrückt haben“, fuhr der ältere Schüler fort.  
„Nein, hat sie nicht!“  
Der andere Junge lächelte ironisch. „Tatsächlich, Kleiner? Wie heißt es doch so schön: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Hätte deine Mutter den eisernen Willen gehabt, in ihre Heimat zurückzukehren, wäre sie längst wieder hier – meinst du nicht auch? Wäre ich an ihrer Stelle und sehe, dass Cardassia in Not ist und meine Familie auch, hätte ich mich doch nicht von ein paar lächerlichen automatischen Waffenplattformen an der Grenze aufhalten lassen!“ 
Turo konnte sich ein wütendes Schnauben nicht verkneifen. Der Typ sah aus, als wäre er mindestens fünfzehn Jahre alt, und er wirkte auch ziemlich kräftig – doch die Vorstellung, ihm einen Kinnhaken zu verpassen, war trotzdem sehr verlockend.  
„Du weißt es genauso gut wie ich, nicht wahr?“ Sein Blick bohrte sich in Turos Augen. „Die 
Föderation ist unser Feind! Sie geben bajoranischen Terroristen Asyl, sie lassen zu, dass die Klingonen unsere Kolonien bombardieren und unsere Leute abschlachten! Sie haben sogar schon mal Krieg gegen Cardassia geführt! Falls deine Mutter ihnen nicht freiwillig in den Hintern gekrochen ist, wurde sie gefangen gehalten und zu ihrem seelenlosen Werkzeug gemacht.“ „Meine Mutter würde sich niemals zum Werkzeug machen lassen!“, schrie Turo.  
„Du weißt ja nicht, welche ‘Überredungsmethoden’ die Sternenflotte so hat“, konterte der andere Junge.  
„Welche denn?“, fragte Turo unsicher. Seine Ängste verdichteten sich zu grausamen Phantasien, die wie ein Film mit halb durchsichtigen holographischen Figuren vor dem Hintergrund der Realität abliefen. 
„Das versuchen wir herauszufinden“, antwortete sein Gegenüber. 
„Wer ist ‘wir’?“ wollte Turo wissen.  „Wir nennen uns der ‘Wahre Weg’.“ „Toller Name!“, lästerte Turo. 
Der ältere Junge lächelte nachsichtig. „Wir versuchen, Cardassia wieder stark zu machen. Und du könntest uns dabei helfen.“ 
Turo blickte ihn ungläubig an. „Ehrlich? Ich bin doch erst zehn.“  
„Das macht nichts.“ Der Junge zog ein Datenpadd hervor und reichte es Turo. „Wenn du Lust hast, kannst du dich bei uns melden. Auf jeden Fall könntest du ein paar neue Freunde gewinnen, die dich beschützen, falls dich mal wieder jemand verprügeln will.“ „Danke“, sagte Turo.  
„Und? Hast du nun Lust, uns näher kennenzulernen?“ 
Turo zögerte. Er ließ das PADD in seiner Schultasche verschwinden.  
„Ich meine es ernst“, erwiderte der Andere. „Meine Freunde und ich, wir haben … Beziehungen. Du wärst überrascht, wie viele hohe Offiziere zu uns gehören – und auch ein paar Lehrer an unserer Schule.“  
Turo wurde neugierig. „Im Ernst? Wer denn?“ 
Sein Gegenüber grinste. „Treffen wir uns nach der sechsten Stunde vor dem Hintereingang des Wohntraktes. Dann verrate ich dir noch viel mehr.“ 
„Zum Beispiel, was mit meiner Mutter passiert ist?“ 
„Klar doch. Wenn es jemand herausfinden kann, dann wir.“ 
Das Angebot klang verlockend für Turo. Eingesperrt auf dem Internatsgelände, ohne Informationsquelle außer den Schulcomputern, würde er die Wahrheit nie herausfinden. Außerdem konnte er starke Freude dringend gebrauchen.  
Turo setzte eine entschlossene Miene auf. „Also gut!“ 
Er ahnte nicht, dass er zwei Wochen später seinen Entschluss bitter bereuen würde. 

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