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STD 07 - Feindesland

von Adriana

Prolog

Der Krach, der ihn weckte, rührte von den Schritten Dutzender schwerer Stiefel. 
Tel-Maro sprang aus dem Bett und packte die Strahlenkanone, die er während der Nacht stets umklammert hielt wie ein Kuscheltier. Als er die Waffe entsicherte und sich hinter der Tür versteckte, wagte er kaum zu atmen. Nicht schon wieder! seufzte er innerlich. Es war bereits das fünfte Mal, dass man kam, um ihn zu holen, dass man ihn in irgendein dunkles, dreckiges Kellerloch irgendeiner feindseligen, fensterlosen Stahlbetonfestung verschleppte - und dass er nach Stunden der Bewusstlosigkeit plötzlich in seinem Haus oder mitten auf der Straße aufwachte, ohne zu wissen, wie er dorthin gekommen war oder wo er sich eigentlich befand. 
Der Schrecken fühlte sich jedes Mal so real an, dass er Tel-Maro regelrecht lähmte – selbst wenn das, was er erlebte, so unglaublich schien, dass es nie und nimmer real sein konnte. 
Früher hatte er oft geglaubt, verrückt zu werden. Das Virus. Es befiel jeden Mann, jede Frau und jedes Kind auf diesem Planeten, es rief Hirnfieber und Wahnsinn hervor, ohne Behandlung führte es nach spätestens zwei Zyklen zum Tod. Es gab keinen Impfschutz und kein Heilmittel – bis auf das Implantat, das ständig Antikörper direkt im Gehirn ausschüttete. Das Virus war so aggressiv und vermehrte sich so rasant, dass es nicht ausreichte, das Gegenmittel ein- oder zwei Mal zu verabreichen … wollte die Regierung dem Volk zumindest glaubhaft machen.
Tel-Maro wusste es inzwischen besser. 
Das erste Mal, als die Visionen ihn heimsuchten, hatte er in seinem Büro gesessen und sich gelangweilt, während der Rechner seinen Programmcode kompilierte. Er las einen Zeitungsartikel über die bevorstehende Volkszählung und kam zu dem Schluss, dass die Erfassung von Gesundheitsdaten eigentlich eine Unverschämtheit sei. Da fragte er sich, ob sein Volk ohne Zentralregierung nicht wesentlich besser zurechtgekommen war. 
Just in diesem Augenblick verwandelten sich seine Hände in ein Gewimmel ekliger Würmer, die über die Tastatur seines Computers krabbelten, während er fassungslos auf seine blutigen Handstümpfe starrte. 
Doch plötzlich, von einem Moment auf den anderen, waren seine Hände wieder normal, die Würmer verschwunden. Er verließ in Panik seinen Arbeitsplatz und suchte das nächste Gesundheitszentrum auf, um sein Implantat überprüfen zu lassen. 
Tel-Maro hatte mit niemandem über diese Vision gesprochen, noch nicht einmal mit seiner Frau. Das Virus hatte kurzfristig zugeschlagen, aber nun war er außer Gefahr, versicherten ihm die Ärzte. Es gab also keinen Grund, Al-Quinnara zu beunruhigen. Als angehende Neurochirurgin kannte sie sich mit den Tücken dieser Hirnseuche bestens aus und würde ihn so lange beknien, bis er sich mindestens eine Nacht zur Beobachtung ins Krankenhaus einweisen ließ. 
Nun ja, man konnte es auch übertreiben …  
Eines Abends rief sie an und erzählte voller Aufregung von ihrer ersten Hirnoperation, die sie eigenhändig durchgeführt hatte. Es war nicht geplant, dass sie als Assistenzärztin alle Entscheidungen treffen musste, aber dank der unerwarteten Krankheit ihres Chefs blieb ihr nichts weiter übrig. 
Als sie sich am Abend in ihrem Lieblingslokal trafen, um zu feiern, verriet ihre Miene jedoch nichts von Glück, Erleichterung oder Stolz. Im Gegenteil: Al-Quinnara wirkte seltsam angespannt, so als würde sie ein belastendes Geheimnis mit sich herumtragen. Doch was mochte sie belasten, wenn der Tumor ihres Patienten vollständig entfernt werden konnte?
Tel-Maro sah erneut vor seinem geistigen Auge, wie sich Al-Quinnaras Finger verkrampften und die Pupillen in ihren großen, goldenen Augen sich zu senkrechten schwarzen Schlitzen verengten. „Ich musste zuerst das Hirngewebe untersuchen, um festzustellen, wie weit der Tumor inzwischen fortgeschritten war. Zuerst gelang es mir nicht, die kranken Zellen eindeutig identifizieren, und ich war kurz vorm Verzweifeln, bis ich herausfand, dass das Implantat meine Scanergebnisse verfälscht.“ Sämtliche Muskeln ihres Körpers schienen sich anzuspannen, bevor sie nach einer kleinen Pause fortfuhr. „Also habe ich es deaktiviert.“
„Du hast WAS?“, fragte Tel-Maro mit großen Augen.
„Nur für den Zeitraum der Operation“, beschwichtigte ihn seine Frau. „Mein Patient wäre dem Virus niemals so lange ausgesetzt gewesen, dass es dauerhafte Schäden verursacht hätte – aber der Tumor hätte das garantiert.“ 
Tel-Maro nahm ihre Hände und lächelte aufrichtig. „Ich bin stolz auf dich!“
Doch ihre Finger zitterten unter seinem Griff. „Der Patient ist gerettet, ja … aber was merkwürdig war …“ Al-Quinnara stockte, ihr Gesicht verzerrte sich unter Schmerzen und sie massierte sich die Schläfen mit allen acht Fingern. 
„Was hast du?“, fragte er besorgt. 
„Nichts, nur Kopfschmerzen“, erwiderte sie schnell. 
Tel-Maro ahnte, dass mehr dahinter steckte. „Bist du sicher?“, hakte er nach. 
„Nachdem das Implantat mehrere Stunden inaktiv war, hätte sein Hirngewebe mit Viren überflutet sein müssen … aber da war nichts“, brachte sie noch heraus – bevor sie mit einem gehetzten Blick von Stuhl aufsprang. 
„Nein! Maro, bitte tu das nicht!“, flehte sie. 
„Was soll ich nicht tun?“, fragte ihr Mann irritiert. „Was ist heute nur los mit dir?“
Sie antwortete nicht, sondern rannte Hals über Kopf aus dem Lokal.
Ein paar Gäste drehten sich neugierig um, wandten sich jedoch gleich wieder ihrem Essen und ihrer Gesellschaft zu. Hier auf Prelucidar war man an Leute gewöhnt, die sich urplötzlich seltsam verhielten. Man schob es auf die Seuche.
Tel-Maro folgte seiner Frau, doch als er vor die Tür trat, konnte er sie nirgendwo entdecken. Die rote Sonne stand schon tief und der Himmel änderte seine Farbe von orangegelb zu purpur und goldbraun. Bald würde die Nacht beginnen, er hatte also nicht mehr viel Zeit. Die Nächte auf Prelucidar waren selten, aber gefürchtet. Nicht nur wegen der nachtaktiven Raubtiere, die an den Stadtgrenzen auf Beute lauerten. Auch viele Prelucidarner drehten während der dunklen Stunden durch.  
„Quinnara?“, rief er laut und sah sich in alle Richtungen um. 
Er entdeckte den Saum ihres silbergrauen Kleides zwischen dunkelvioletten Grashalmen und rot leuchtenden Bodendeckern mit fleischigen dreieckigen Blättern. Die pilzähnlichen lila Talmak-Pflanzen wuchsen im Garten vor dem Lokal meterhoch. 
Zwischen ihren Stämmen lag Al-Quinnara. Reglos. Besinnungslos.
„Quinnara! Beim Geist des Universums … tu mir das nicht an!“, murmelte Tel-Maro. 
Nachdem er erleichtert festgestellt hatte, dass sie noch lebte, trug er sie eigenhändig ins nächste Krankenhaus. 
Und dort lag sie immer noch: Meistens im Koma, manchmal ans Bett gefesselt, weil sie in ihren Horrorvisionen trat und schrie. Ihre wenigen klaren Momente bekam Tel-Maro viel zu selten mit. 
Doch als sie ihm sagte, er dürfe nicht immer glauben, was er sah, war ihre Stimme klar und eindringlich wie nie. Vor allem dürfe er den Ärzten nicht trauen, die würden ihr nicht helfen können. Oder nicht helfen wollen. 
Aber Tel-Maro ließ nicht locker. Schließlich war er ein hochtalentierter Informatiker und hatte in seiner Jugend als Computerhacker das planetare Datennetz unsicher gemacht. Nach tagelangen Recherchen, die seinen Alltag in einen bizarren Horrortrip verwandelten, ließ er sich auf unbestimmte Zeit krankschreiben, bis er schließlich seinen Job verlor. 
Das hätte ihn in seinem früheren Leben, vor Al-Quinnaras Zusammenbruch, ziemlich aus der Bahn geschleudert – doch nun schüttelte er sich und arbeitete wie besessen weiter an der Lösung des Rätsels um die Krankheit seiner Frau …  die Krankheit des gesamten Volkes. Er war gut, einer der besten in seiner ehemaligen Firma – er würde eine neue Stelle finden. 
Die Kündigung war jedenfalls nicht der Grund, weshalb er kein Tageslicht mehr durch seine Fenster ließ und kaum schlafen konnte … weshalb er manchmal am liebsten vom höchsten Gebäude der Stadt gesprungen wäre, nur um seinem Elend endlich ein Ende zu setzen.     
Zweimal hatte sich der Boden unter ihm in Treibsand verwandelt. Einmal war er in seinem Schlafzimmer über eine verstümmelte Leiche gestolpert. Ein anderes Mal war er Zeuge geworden, wie Al-Quinnaras Mutter und Schwester mit Küchenmessern aufeinander einstachen, was leider nicht gänzlich weit hergeholt war. Er selbst war jedoch unfähig gewesen, sich zu rühren - geschweige denn, einzuschreiten. 
Mit der Zeit erkannte er ein System in diesem Wahnsinn. Es konnte kein Zufall sein, dass er immer dann von Horrorvisionen geplagt wurde, wenn er etwas Verbotenes tat, einen subversiven Gedanken hegte oder auf die Regierung schimpfte. 
Die Implantate dienten längst nicht mehr zur Bekämpfung der Hirnseuche. Falls es je eine Seuche gegeben hatte. 
In dieser dunklen, qualvollen Zeit gelang es Tel-Maro, einige hochwichtige Passwörter knacken, geheime Archivdokumente entschlüsseln – und die Beweise für seine Theorie verdichteten sich zu einem Szenario des Schreckens.   
Er wurde natürlich nicht aus allen Informationen schlau. So fragte er sich zum Beispiel, was das für ein „Dominion“ war, dem die frühere Regierung von Prelucidar nicht beitreten wollte. Doch er ahnte, dieses Puzzleteil könnte wichtig sein. 
Das einzige, was ihm fehlte, waren Leute, mit denen er sein Wissen teilen konnte. Er fand vage Hinweise auf eine Widerstandsbewegung. Mütter, die ihre Kinder im Dschungel zur Welt brachten, damit sie keine Implantate bekamen. Religiöse Einsiedler, die sich mithilfe purer Meditation von den schrecklichen Visionen befreiten. 
Sie waren die Hoffnung, an die er sich klammerte, um nicht verrückt zu werden. 
Und Al-Quinnara.
Als er wieder einmal aus einem von Alpträumen zerfetzten Schlaf erwachte, beugte sich seine Frau über ihn. Sie war so schön, wie er sie in Erinnerung behalten wollte. Kein Vergleich zu der ausgemergelten Gestalt im Krankenhausbett. 
Sie streichelte sein Gesicht und lächelte. 
Tel-Maro versteifte sich. Bestimmt würde sie gleich vor seinen Augen verwesen, in Flammen aufgehen oder ein schrecklich missgebildetes Baby zur Welt bringen. Das waren mit Abstand die schlimmsten Phantasien, die das verdammte Implantat ihm vorgaukelte.  
„Wie … wie kommst du hier her?“, fragte er gepresst. „Wie kann es sein, dass du plötzlich wieder gesund bist?“
„Sch …“ Sie legte einen Finger auf seine Lippen. 
„Du bist nicht real!“ Er kniff die Augen zusammen. „Verdammt, warum quält mich dieses Ding in meinem Kopf so!“ Diesmal schrie er fast. 
„Bald ist alles vorbei. Ich hole dich hier raus“, wisperte sie. 
Tel-Maro seufzte. „Das würde ich zu gern glauben.“
„Ich weiß es“, gab Al-Quinnara zurück. „Alles wird gut. Die Verbindung lebt.“
Die Verbindung … grübelte Tel-Maro. Ein eigenartiger Ausdruck dafür, dass Al-Quinnara und er seit vier Zyklen ein Paar waren. 
Irgendwas missfiel ihm an ihrem Lächeln, aber er konnte es nicht benennen.  
„Was haben sie nur mit dir gemacht?“, murmelte er traurig. „Falls du es überhaupt bist …“
Es war nicht fair, doch plötzlich wollte er nur noch weg von dieser Person, die mit seiner Frau nichts als das Äußere gemeinsam hatte. 
Aufspringen und dann schnell raus hier … 
Er kam nicht dazu. Fassungslos beobachtete er, wie sich Al-Quinnaras Arme in eine gallertartige, schimmernd goldbraune Substanz verwandelten. Lebendiger Schleim, der über seine Brust und seinen Hals kroch und sein Gesicht bedeckte, bis er nicht mehr atmen konnte. Ihre Schenkel hielten seine Taille im Klammergriff, drückten ihn gegen das Bett.  
Wieder nur so ein verfluchter Horrortrip, dachte er trotzig. 
Seine zwei Herzen hämmerten um die Wette, die Füße kickten ins Leere, die Arme ruderten in der Luft. 
Dann wurde alles schwarz.

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