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STD 07 - Feindesland

von Adriana

Gewissensfragen

M’Rass marschierte vor dem Kraftfeld in ihrer Zelle auf und ab wie ein Panther im Käfig. Der Vergleich war gar nicht so abwegig, denn mit ihrem geschmeidigen Körper und dem glänzenden schwarzen Fell glich die Caitianerin in der Tat einem Panther – und diese Zelle war ihr Käfig. Kraftfeld, Gitter – wo lag da der Unterschied? Die kalten, grauen Wände drohten sie zu erdrücken, die Barriere flirrte gefährlich und mahnte, dass man sich besser nicht dagegen warf. M’Rass konnte dem Drang kaum widerstehen. Wie alle Caitianer hasste sie Gefangenschaft. Sie saß gerade mal eine Stunde in diesem Kabuff und war schon kurz davor, durchzudrehen. Ihr Schwanz bewegte sich unruhig, zeichnete missglückte Kreise in die Luft. Sie fuhr die Krallen immer wieder ein und aus, ihre Muskeln zitterten vor Anspannung, ihr Atem ging stoßweise. Man merkte, dass dieses Schiff von Humanoiden konstruiert worden war – Humanoiden, die ihren Gefangenen keinerlei Privatsphäre zubilligten. 
Wenigstens hatte sie ein Kratzbrett mitnehmen dürfen. 
Dieser verfluchte blaue Mistkerl! Die Caitianerin war froh, dass Prescott ihn in seinem Quartier unter Arrest gestellt hatte, denn sonst würde er in der Zelle gegenüber hocken und sich über sie lustig machen. In diesem Fall, glaubte M’Rass, würde sie tatsächlich die Kontrolle verlieren und sich gegen das Kraftfeld werfen, bis es entweder nachgab, oder – was sehr viel wahrscheinlicher war – ihr Körper von den Stromstößen niedergestreckt wurde. Dann käme sie wahrscheinlich in die geschlossene Abteilung der Krankenstation, was keine Verbesserung wäre.
Das Geräusch von Schritten auf dem Gang ließ ihre sensiblen Ohren augenblicklich herumfahren. Eine schlanke, dunkelhaarige Frau näherte sich ihrer Zelle, blieb vor dem Kraftfeld stehen und musterte sie forschend. An ihrem blauen Kragen erkannte M’Rass, dass es sich nicht um eine Sicherheitsoffizierin handelte. 
Nein, viel schlimmer: das war Commander T’Liza, die Schiffscounselor. 
In den gesamten achtundzwanzig Jahren ihres Lebens hatte M’Rass noch nie die Dienste eines Psychologen in Anspruch genommen. Wozu auch? Sie mochte ihr Temperament nicht immer unter Kontrolle haben, aber sonst war alles in Ordnung mit ihr.          
„Langes Leben und Frieden, Fähnrich M’Rass“, grüßte die Vulkanierin. 
M’Rass fauchte, worauf T’Liza amüsiert die Augenbrauen hob. „Sie erinnern mich gerade an die Katze meines Freundes Ernesto. Er war Botschafter der Erde auf Vulkan, als ich noch ein kleines Mädchen war. Seine Katze war ein richtiger schwarzer Teufel, wie es die menschliche Tierärztin auszudrücken pflegte. Wir haben Sie jedes Mal eine halbe Stunde lang durch die Wohnung gejagt, bis sie irgendwann in der hintersten Ecke auf dem Kleiderschrank saß und die Ärztin eine Leiter holen musste, um sie zu impfen. Danach sprang sie mit einem koketten Blinzeln vom Schrank und stolzierte siegesgewiss in die Küche, um zu fressen. Von Panik keine Spur mehr. Sie wusste, dass sie ihrem Schicksal nicht entgehen konnte – aber es war Ehrensache, ihren Peinigern wenigstens einen guten Kampf zu liefern.“ Eine winzige Andeutung eines Lächelns zuckte um ihre Lippen. „Am wildesten hat sie sich aufgeführt, wenn Ernesto sie auf Reisen mitnehmen wollte und sie in einen sogenannten Katzentransportbehälter musste …“
„Nun, ich habe mich bereits widerstandslos in meinen Transportbehälter stopfen lassen, oder?“, konterte die Caitianerin. 
Nun schmunzelte die Vulkanierin unverkennbar, was M’Rass irritierte. „Vielleicht hätten Sie besser einen guten Kampf geliefert, dann wären sie jetzt ruhiger.“
„Vielleicht habe ich ja eingesehen, dass meine Reaktion übertrieben war, und will nicht noch mehr Arrest aufgebrummt kriegen“, gab die Caitianerin hitzig zurück.     
Die intelligenten Augen der Counselor blickten sie durchdringend an. „Dann kann ich davon  ausgehen, dass Sie nicht Jedem wegen einer Beleidigung die Haut abziehen wollen …“
„Manchmal will ich es, aber ich nehme mich zusammen.“  
Wieder dieser forschende Blick. „Ich muss Sie nicht anfassen und Ihre mentalen Schwingungen sondieren, um zu erkennen, dass die Aggressionen unter Ihrer Oberfläche brodeln wie der Supervulkan unter dem Yellowstone Nationalpark“, erklärte T’Liza nüchtern. „Hinzu kommt, dass die gesamte Stimmung an Bord äußerst spannungsgeladen ist. ‚Kabinenkoller‘ nennt man das umgangssprachlich. Ich hatte schon lange befürchtet, dass es irgendwann zu einem solchen … Vorfall kommt, aber ich hatte gehofft, ich könnte es verhindern.“ 
M’Rass senkte schuldbewusst den Blick. „Es tut mir Leid, Counselor. Ich verachte mich selbst dafür, dass ich so ausgerastet bin, aber dieser … dieser Andorianer hat einfach etwas an sich, das mich – wie Sie so schön sagen – in einen brodelnden Vulkan verwandelt.“
„Dann sollten wir herausfinden, was an diesem Andorianer Sie derart in Rage treibt.“
„Er ist ein arrogantes, rassistisches Arschloch!“, fauchte M’Rass ungehalten. „So einer wie er dürfte überhaupt nicht in der Sternenflotte dienen! Wie er Vixpan behandelt hat … Was bildet der Kerl sich eigentlich ein? Dass er überhaupt so weit gekommen ist, hat er doch nur diesem Möchtegern-Diktator namens Layton zu verdanken.“ 
„Layton“, wiederholte T’Liza nachdenklich. „Kann es sein, dass Sie Tharev vor allem deshalb hassen, weil er seinem früheren Captain Phillip Edwardson loyal ist, der wiederum ein williger Befehlsempfänger Anhänger Laytons war?“
„Ich weiß nicht“, sinnierte M’Rass und formte ihren Schwanz passender Weise wie ein Fragezeichen. „Manche Leute aus der Edwardson-Crew sind ja ganz in Ordnung. Aber Tharev … er gehörte zum inneren Kreis, war seinem früheren Captain beinahe hörig ...“
„Loyalität gehört zu den besonderen Tugenden der Andorianer“, gab T’Liza zu bedenken.
„Mag sein“, lenkte M’Rass widerwillig ein. „Trotzdem frage ich mich, weshalb er immer noch frei herum läuft – und damit meine ich nicht den Vorfall heute!“
„Ich nehme an, er hat sich nichts zu Schulden kommen lassen.“
M’Rass funkelte die Counselor provozierend an. „Sie meinen, ihm konnte nichts nachgewiesen werden!“
„Nun werden Sie nicht paranoid! Ihre Verdächtigungen sind durch keinerlei Informationen untermauert“, wies T’Liza sie zurecht.
„Ihre Behauptung, er hätte sich nichts zu Schulden kommen lassen, ist ebenso wenig belegt.“ M’Rass legte die Ohren an und ihr Schwanz zitterte, als sie der Counselor in die Augen sah. „Okay, vielleicht ist er kein Verräter, aber er ist ein Ekel!  Was hat er ausgerechnet gegen Fähnrich Vixpan, frage ich Sie? Vixpan ist das hilfsbereiteste, freundlichste Wesen, das man sich vorstellen kann! So etwas hat er einfach nicht verdient!“
„Ja, warum ausgerechnet Vixpan?“, überlegte T’Liza. „Kann es sein, dass sich die beiden irgendwann in die Quere gekommen sind – ohne dass sich Vixpan darüber klar ist, Tharev gekränkt zu haben?“
„Sie meinen, eine Art interkulturelles Missverständnis?“ Die ganze Körperhaltung der Caitianerin drückte Skepsis aus. „Nette Theorie – aber ich habe auch eine: Der Andorianer ist stinkig, weil die gesamte Kommandocrew von Lairis ausgesucht wurde und er keinen Führungsposten auf dem modernsten Kriegsschiff der Sternenflotte abgreifen konnte, wie ursprünglich geplant. Nun kann er seinen Frust schlecht an seinen Vorgesetzten auslassen, also pickt er sich einen Schwächeren heraus …“
„Das widerspricht eigentlich Tharevs psychologischem Profil“, meinte T’Liza. „Er ist in vielerlei Hinsicht ein typischer Andorianer. Das bedeutet, er ist ehrgeizig, was in seiner momentanen Lage zu Frustration führt. Er liebt aber auch die Herausforderung. Bewusst auf einem Schwächeren herumzutreten, wäre unehrenhaft und unbefriedigend – also handelt er wahrscheinlich unbewusst und arbeitet einen persönlichen Groll gegen Fähnrich Vixpan ab.“
„Warum nehmen Sie diesen Kerl immer wieder in Schutz?“, murrte die Caitianerin. 
„Weil ich mich um Objektivität bemühe“, entgegnete T’Liza. 
„Also suchen Sie die Schuld bei Vixpan? Sehr objektiv!“
„Von Schuld war nie die Rede“, stellte die Vulkanierin richtig. „Aber Loyalität steht dem klaren Blick oft im Wege. Das scheint bei Tharev so zu sein – und bei Ihnen auch. Lebewesen neigen dazu, für ihre Freunde und Familienmitglieder automatisch Partei zu ergreifen. Die Lebenden können uns mit Argumenten und Gefühlen überzeugen – die Toten schaffen es allein durch die Tatsache, dass es niemand wagt, ihr Andenken zu beschmutzen.“
M’Rass‘ Ohren und Schnurrhaare richteten sich abrupt nach vorn. „Worauf wollen Sie hinaus?“, fragte sie zischend. 
„Ich weiß, dass Sie und Kilari Kayn auf der Akademie eng befreundet waren“, erwiderte die Vulkanierin sanft. „Womöglich fällt es Ihnen schwer, zu akzeptieren, dass Kilaris Tod ein Unfall war.“ 
Nun trat die Caitianerin so dicht an das Kraftfeld, dass ihr Gesicht kaum zehn Zentimeter von der flirrenden Barriere aus Energie entfernt war. „Auch bei einem Unfall gibt es meistens Schuldige“, stieß sie hervor. „Und das war kein Unfall, der von einem besoffenen Bruchpiloten verursacht wurde! Hier hat ein profilneurotischer Admiral geplant, die rechtmäßig gewählte Regierung der Föderation stürzen! Diese Laytons und Edwardsons und Tharevs waren bereit, für ihre Macht über Leichen zu gehen! Wenn sie nicht gestoppt worden wären, hätte es noch mehr Opfer gegeben! Kilari und die Toten auf der Konferenz wären nur der Anfang gewesen, denn die Erde hätte sich früher oder später in ein zweites Cardassia verwandelt! Damit so etwas nie wieder passiert, bin ich dafür, die ganze Bande hinter Schloss und Kraftfeld zu sperren – und zwar ausnahmslos!“
„Diejenigen, die nachweislich Verbrechen begangen haben, sitzen bereits hinter Schloss und Kraftfeld und warten auf ihren Prozess“, gab T’Liza zu bedenken. 
„Und was ist mit Benteen?“, konterte M’Rass. „Sie hat rechtzeitig die neue Fährte gewittert und kam mit einer Degradierung davon. Und einigen anderen passiert gar nichts …“
„Ich denke, wir haben gerade festgestellt, dass Tharev und ein Großteil der DEFENDER-Crew ihr Fähnchen eben nicht nach dem Wind gedreht haben und weiterhin Edwardson loyal sind“, meinte T’Liza spitzfindig. 
„Dann frage ich mich, was sie im Schilde führen.“
„Ist das etwa der wahre Grund, weshalb Sie auf der DEFENDER angeheuert haben? Um gewisse Leute im Auge zu behalten?“, bohrte die Counselor nach. Sie zweifelte selbst daran – es war lediglich ein Versuch, die Caitianerin aus der Reserve zu locken.
M’Rass lachte spöttisch auf. „Ich bin Wissenschaftlerin, kein Spitzel! Dieses Schiff fliegt mit einer Interphasen-Tarnvorrichtung in einen unbekannten Quadranten. Kein Forscher, der auch nur eine Spur von Ehrgeiz im Leib hat, würde eine solche Gelegenheit auslassen!“
„Allerdings wäre dieses Schiff ohne den Verbrecher Layton niemals gebaut worden“, wandte T’Liza ein. „Ebenso die Tarnvorrichtung, die wir genau genommen gar nicht benutzen dürfen. Sie haben deshalb eine Geheimhaltungsverpflichtung unterschrieben, bei deren Verletzung Ihnen mehrere Jahre Gefängnis drohen.“
M’Rass warf sich auf ihre Pritsche und starrte nachdenklich an die Decke. Ihre Gedanken wanderten zwei Jahre zurück, zu ihrer ersten Begegnung mit Kilari Kayn …

Fahneneid. Die blonde Trill stand zwischen feierlich herausgeputzten Sechzehnjährigen auf dem Appellplatz vor dem Hauptgebäude der Akademie. Blaue Föderationsfahnen flatterten im Wind, die Sonne spiegelte sich hundertfach in den Glasfassaden. Als die Hymne ertönte, erhoben sich alle Kadetten wie ein Mann. Das Pathos in den Augen der „Frischlinge“, ließ die älteren Kadetten und Offiziere geradezu abgeklärt wirken. 
Doch während ihre Mitschüler einfach nur aufgeregt und stolz waren, lag in Kilaris Blick eine stille Ironie und ihre freudige Erwartung paarte sich mit Fatalismus. Als wüsste sie bereits, dass zwei Drittel der Neuankömmlinge nicht einmal das erste Jahr hier aushalten würden, dass von denjenigen, die ihren Abschluss schafften, die meisten schon im zweiten Jahr ihren Traum vom eigenen Kommando begraben sollten – und einige dieser strahlenden jungen Leute später begraben werden mussten, weil sie sich ihren Traum erfüllt hatten. 
M’Rass hatte einen Platz in den vorderen Reihen ergattern können und dank ihrer scharfen Augen entging ihr keine Regung der frischgebackenen Kadetten. 
Als Kilari dem Blick der Caitianerin begegnete, lächelte sie zum ersten Mal. 
Die zwei Jahrgänge, die M’Rass der Trill voraus lag, waren das einzige, was die beiden Mädchen trennte. Es waren ihre Gemeinsamkeiten, weshalb sie beste Freundinnen wurden: Im Gegensatz zu den meisten anderen Kadetten waren sie schon über zwanzig, sie hatten beide eine wissenschaftliche Karriere begonnen, bevor sie auf die Akademie kamen. Sie liebten sogar dieselben Bücher und Holodeckprogramme. Für das militärische Gehabe einiger Offiziere und Senior-Kadetten hatten sie nur Spott übrig – schließlich waren sie in erster Linie zur Sternenflotte gegangen, um zu forschen.  
Glaubte M’Rass jedenfalls – bis die Red-Squad kamen. Die guten Leistungen der beiden Mädchen waren dem Anführer der Kadetten-Elitetruppe nicht entgangen – doch während M’Rass instinktiv einen Bogen um alles machte, was nach verschworener Gemeinschaft roch, obsiegte bei Kilari die Neugier. Sie ließ sich von Tim Watters, dem leitenden Red Squad, um den Finger wickeln und M’Rass sah ihre Freundin immer seltener.  
Als Layton auf der Erde die Macht übernahm, befand sich M‘Rass im letzten Jahr und stand kurz vor ihren Prüfungen. Die Nachricht von Kilaris Tod traf sie wie ein Photonentorpedo. Kilari Kayn war an Bord der LAKOTA einer Havarie zum Opfer gefallen. Weil sie in einer Arrestzelle gesessen hatte und sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte. Weil sie sich geweigert hatte, das globale Energienetz auszuschalten, damit Layton diesen Sabotageakt dem Dominion unterschieben konnte. Weil sie nicht auf ihre Freundin gehört und diesen selbstgerechten Schnöselverein gleich links liegengelassen hatte!
Ohne die Red Squad könnte Kilari noch leben. Ohne die Sternenflotte könnte sie noch leben! M’Rass wollte nicht länger einer Organisation angehören, die ihre beste Freundin auf dem Gewissen hatte. Noch am selben Tag schmiss sie voller Wut ihre Sachen in einen großen Koffer und buchte den nächsten Flug nach Cait. 
Die kommenden zwei Prüfungen verpasste sie, aber das war ihr gleich. Sie verkroch sich in ihrem Teil des Familienanwesens, ging ihrer Mutter und ihren Wurfgeschwistern erfolgreich aus dem Weg, stopfte Unmengen von rohem Fleisch in sich hinein und bearbeitete stundenlang ihre Kratzbäume. Die Tage und Nächte verschwammen.
Bis eines Tages ein Mann vor ihrer Tür stand. Ein Trill in der Uniform der Sternenflotte mit den Rangabzeichen eines Commanders am Kragen. 
„Hallo Kitty“, begrüßte er sie. In seinen blauen Augen lag Besorgnis und Mitgefühl.
M’Rass erstarrte. Kitty. Niemand außer Kilari durfte sie so nennen oder wagte es überhaupt – erst recht kein Fremder. 
„Ich kenne Sie nicht und ich brauche keinen scheinheiligen Militärseelsorger!“, fauchte sie aufgebracht. „Also verschwinden Sie, wenn Ihnen Ihr Gesicht so gefällt, wie es ist!“
Doch der Mann ließ sich nicht beirren. „Ich habe einen guten Arzt“, flachste er. „Aber entschuldige, dass ich mich nicht gleich vorgestellt habe: Mein Name ist Jerad.“ Er legte eine kleine, bedeutungsschwere Pause ein. „Jerad Kayn.“
„Kayn!“ Der Schwanz der Caitianerin stand senkrecht, ihre Augen waren weit aufgerissen. 
Das war der Name von Kilaris Symbionten. Nun wusste M’Rass, wen sie vor sich hatte.
„Ja. Kilari lebt weiter – in mir“, bestätigte der Mann.
„Wenigstens Ihre Erinnerungen, ein blasses Abziehbild …“
„Vielleicht auch mehr“, meinte Jerad und lächelte schief. „Mein Symbiont ist leider noch ein bisschen schüchtern und lässt mich nicht alles sehen. Wir müssen uns wohl erst zusammenraufen.“
M’Rass nickte. „Kilari hat mir so was Ähnliches erzählt.“ Sie deutete mit einer Kopfbewegung in den Raum. „Kommen Sie … ich meine: Komm rein.“
Jerad folgte der Caitianerin ins Innere ihrer Wohneinheit, die den Trill entfernt an eine mongolische Jurte erinnerte. Die Wände des kreisrunden Raumes wurden von Kratzbäumen gestützt, zwischen den Säulen waren einige hölzerne Regalbretter befestigt, auf denen zahlreiche Datenpadds, Kerzen, diverse Fellpflegemittel, Geschirr und einige rustikale Holzschnitzereien herumstanden. Jerad wusste von Kilari, dass M’Rass die meisten der Skulpturen selbst angefertigt hatte – mit leidenschaftlichem Kralleneinsatz.         
Der Trill sah sich mit großen Augen um. Es gab ein weiches, kuscheliges Bett gegenüber vom Eingang, die Sanitäranlagen waren lediglich durch eine Trennwand abgeteilt. In der Mitte befand sich ein niedriger Holztisch, umringt von Sitzkissen. Die Platte – eine große Baumscheibe – wies schon etliche Kratzspuren auf. Der steinerne Fußboden war mit echten Fellen ausgelegt, diverse Jagdtrophäen hingen von der Decke. Beim Anblick der blankpolierten Tierschädel lief Jerad eine leichte Gänsehaut über den Rücken. Lediglich die hochmoderne Computeranlage, der Replikator und der riesige Kühlschrank passten nicht so ganz ins Bild der vorzeitlichen Barbarenhütte.
„Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?“, fragte M’Rass. „Ich habe allerdings nur Wasser und Milch. Und das Essen müsste ich für dich erst grillen.“
„Wasser ist in Ordnung, danke.“ Jerad lächelte. „Wobei Grillen auch nicht schlecht klingt.“
M’Rass schüttelte kurz ihre Mähne. „Hast du deshalb die lange Reise nach Cait auf dich genommen? Für eine Grillparty?“ 
Jerad zuckte die Achseln. „Ich habe Urlaub.“
Sie ließen sich auf den Kissen um den Tisch nieder und die Augen der Caitianerin wurden schmal. „Du willst mich überreden, zur Sternenflotte zurückzukehren, nicht wahr?“
Jerad seufzte. „Erwischt.“
M’Rass‘ Körper spannte sich an. „Dann hättest du dir den Weg sparen können.“
Durch die kleinen, dreieckigen Fenster fiel nur wenig Licht, so dass aus der Schwärze ihres Gesichts allein die scharfen, goldenen Augen herausstachen. 
Jerad beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf der Tischplatte ab und erwiderte den misstrauischen Blick der Caitianerin mit der gleichen Intensität. „Auch wenn ich noch nicht alle Erinnerungen meines Symbionten kenne, weiß ich, dass du Kilari viel bedeutet hast. Sie wäre verdammt traurig und enttäuscht, wenn du die Akademie einfach hinschmeißen würdest, nach vier Jahren harter Arbeit …“
„Benutze nicht Kilari, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen!“, fauchte M’Rass. Am liebsten hätte sie Jerad vor die Tür gesetzt, aber etwas hielt sie zurück. „Das ist nicht mehr die Sternenflotte, für die wir uns einst verpflichtet hatten – und ich denke, das war auch Kilari klar. Jedenfalls gegen Ende.“
„Ja, am Anfang war sie echt begeistert von den Red Squad“, stimmte Jerad zu.  
„Sie hat von nichts anderem geredet“, erwiderte die Caitianerin verächtlich. „An welchen tollen Sonderprogrammen die Red Squad teilnehmen, was das für eine Ehre wäre und die Zukunft der Sternenflotte … Mir ging das ehrlich gesagt mächtig auf den Pelz und ich habe die Ohren umgeklappt, wenn sie sich nur an meinen Tisch setzte. Aber mit der Zeit wurde Kilari immer stiller. Sie redete, ohne etwas zu sagen.“
Jerad nickte. „Sie hatte Angst.“
„Verdammt, nach fünf Leben voller Erfahrung hätte sie es wirklich besser wissen müssen!“ M’Rass fuhr ihre Krallen aus, die sich tief in die Tischplatte bohrten.
„Die Red Squad waren etwas Neues – und angesichts der veränderten Lage muss die Sternenflotte auch flexibel sein. Da schützt Erfahrung leider nicht immer vor falschen Entscheidungen“, meinte Jerad.
„Und als ihr Verstand sich endlich gemeldet hatte, war es zu spät“, ergänzte M’Rass düster.
„Deshalb ist es wichtig, dass genügend Personen mit Gewissen und Courage die Stellung halten, damit die Laytons dieser Welt keine Chance bekommen!“, gab der Trill eindringlich zurück. „Verändern oder bewahren kann man ein System nur von innen heraus.“
Die Caitianerin spielte mit ihrem Schwanz und holte ein paar Mal tief Luft. „Vielleicht hast du Recht. Ich schlafe noch einmal darüber. Allerdings habe ich zwei Prüfungen sausen lassen. Wer weiß, ob ich meinen Abschluss überhaupt noch hinbekomme.“
„Bisher warst du eine der besten deines Jahrganges. Ein vermasseltes Fach könntest du verkraften – falls es kein wichtiges ist.“
„Die eine Prüfung war Militärgeschichte. Das ist wenigstens kein Hauptfach.“
„Und die andere?“
„Subraumharmonik.“
Jerad hob die Augenbrauen. „Die solltest du wiederholen! Wahrscheinlich musst du ein wenig bei der Akademieleitung katzbuckeln, aber ich lege gern ein gutes Wort für dich ein. Der Dekan ist kein Monster, sicher hat er Verständnis für deine Lage.“
Nun bekam M’Rass wirklich schlechtes Gewissen bei dem Gedanken, Jerads Angebot abzulehnen. Sie war sich nicht einmal mehr sicher, ob sie das überhaupt wollte. 
„Wie gesagt, ich brauche Zeit, um das zu entscheiden“, erwiderte sie. „Wenn du sowieso ein paar Tage Urlaub hast, empfehle ich dir die Kalmarassa-Schlucht zum Wandern und Klettern. Außerdem sind die Valjii-Fälle und die südlichen Bergwälder sehr nett anzusehen.“
Jerads Augen leuchteten auf „Klettern ist mein Hobby! Und ich habe noch fast sechs Wochen Urlaub. Allerdings solltest du die Wiederholung deiner Prüfung nicht auf den Sankt-Nimmerleinstag verschieben. Wenn ich dich zur Erde mitnehmen soll, sag Bescheid.“
Die Caitianerin musterte ihn scheel. „Du hast es wirklich eilig.“
„Weil ich eine Mission für dich habe“, erklärte Jerad unumwunden.
„Eine Mission?“, fragte sie interessiert.
„Ich bin Erster Offizier der U.S.S. DEFENDER“, antwortete er. 
„Ein Schiff von ziemlich zweifelhafter Berühmtheit“, gab die sie trocken zurück. „Und es wechselt öfter seine Captains als eine rollige Caitianerin ihre Liebhaber.“
Jerad lachte kurz. „Captain Lairis wird dir gefallen. Und sie ist viel zu stur, um sich von dem ‚DEFENDER-Fluch‘ vergraulen zu lassen.“
M’Rass spitzte die Ohren. Nach allem, was sie über Lairis Ilana gehört hatte, war das eine Kommandantin nach ihrem Geschmack: ehemalige bajoranische Freiheitskämpferin und Laytons persönliche Nemesis. Vor dem Putsch gehörte sie nicht gerade zu den berühmtesten Captains der Flotte – doch mittlerweile geisterte ihr Name durch alle Medien. 
„In sechs Wochen startet das Schiff zu einer Scout-Mission in den Gamma-Quadranten“, fuhr der Trill fort. „Wir werden die Truppenbewegungen des Dominion verfolgen, um taktische Vorhersagen zu treffen und uns für einen eventuellen Krieg besser zu rüsten. Allerdings hat sich der Wissenschaftsrat gleich eingemischt und vorgeschlagen, ein Team von Wissenschaftlern auf die DEFENDER zu schicken. Schließlich ist der Gamma-Quadrant durch die Föderation fast unerforscht. Das Hauptquartier hatte zwar ein paar sicherheitstechnische Bedenken, aber schließlich haben sie zugestimmt. Immerhin ist die eigentliche Mission der Sternenflotte die Erforschung des Weltraums.“
„Das klingt ja sehr verlockend – aber wie wollt ihr den Gamma-Quandranten erforschen, ohne von der nächsten Dominionflotte in Stücke geschossen zu werden?“, zweifelte M’Rass.
Jerad senkte verschwörerisch die Stimme. „Das darf ich dir eigentlich nicht sagen.“
„Hat die DEFENDER eine Tarnvorrichtung?“, fragte die Caitianerin gerade heraus. Sie stellte vergnügt fest, wie der Trill sich innerlich wand. „Es gibt auf dem Campus schon lange solche Gerüchte, mich schockierst du damit nicht.“
„Jetzt müsstest du eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterschreiben – egal, ob du in der Sternenflotte bleibst oder nicht“, erwiderte der Trill nüchtern. 
„Und du hättest gern, dass ich mich als Wissenschaftsoffizier auf der DEFENDER bewerbe?“, hakte M’Rass nach. Das hatte seinen Reiz, musste sie zugeben. Ein unbekannter Quadrant mit unerforschten Welten und Raumanomalien … Welcher Akademie-Absolvent bekam so eine Chance? Schließlich war sie in die Sternenflotte eingetreten, um Abenteuer zu erleben.
„Die Mission wäre allerdings vier Monate befristet“, erklärte Jerad. „Die DEFENDER ist ein  Kriegsschiff mit ziemlich dürftiger Forschungsausrüstung und die meisten Wissenschaftler gehen nur im Rahmen eines Personalaustauschs an Bord. Du müsstest dich also bald nach einem neuen Posten umsehen, aber …“ Nun lächelte er. „Mit solchen Referenzen dürfte dir das nicht schwerfallen.“ 
„Wie gesagt, ich denke darüber nach“, sagte M’Rass und folgte dem Offizier hinaus in die weite Savannenlandschaft unter dem rötlichen Himmel. Es erschien ihr auf einmal töricht, sich wegen einer emotionalen Kurzschlussreaktion die Zukunft zu verbauen.

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Als sich Captain Lairis nach ihrem Gespräch mit Vixpan im Kommandosessel niederließ und das Geschehen auf der Brücke überwachte, während eine sehr pointierte, sehr deftige Standpauke für Lieutenant Tharev in ihrem Kopf heranreifte, streifte ihr Blick eher zufällig das Interface auf ihrer Lehne. Instinktiv erkannte sie, dass etwas nicht stimmte: Diverse Kontrolllämpchen blinkten, der Status der primären technischen und taktischen Systeme wurde angezeigt – doch irgendwas fehlte. 
Das Interface erfüllte nicht seinen eigentlichen Zweck – jenen Zweck, weshalb es ausschließlich durch den Fingerabdruck des Captains, beziehungsweise des Ersten oder des Zweiten Offiziers aktiviert werden musste: Nur über dieses Interface konnten die zuständigen ODN-Verteiler entblockt werden, damit die Tarnvorrichtung auf den Statusmonitoren des Maschinenraums und der Taktischen Station erschien. Das war eine durchaus sinnvolle Sicherheitsmaßnahme, denn sollte das Schiff geentert werden, konnte der Captain oder sein Stellvertreter schnell die Verbindung der Tarnvorrichtung zum Hauptcomputer kappen, so dass der Feind gar nicht erst von der Existenz dieses heiklen Stücks Technologie erfuhr.
Damit die Tarnvorrichtung selbst nach dem Tod der Führungsoffiziere oder der gesamten Crew nicht für jeden daher geflogenen Plünderer auf dem silbernen Tablett serviert wurde, musste die Freischaltung standardgemäß alle vier Stunden erneuert werden. Anderenfalls verschwand die Tarnvorrichtung wieder von den LCARS-Displays der Arbeitsplätze – egal, ob sie noch in Betrieb war, oder nicht. Dieser Zwang bestand selbst dann, wenn das Schiff bereits aus der Phase geschoben war. Lairis hatte für die Gamma-Mission das Intervall bereits auf zwölf Stunden hochgesetzt, was das absolute Maximum war. 
Technik ist eben nicht perfekt, dachte sie. 
Ein Schauer lief der Bajoranerin über den Rücken, denn das kleine Display auf ihrer Sessellehne zeigte kein Icon für die Tarnvorrichtung. 
„Verdammt!“, rutschte er ihr heraus. 
Jerad zu ihrer Rechten warf ihr einen neugierigen Blick zu.
Davon unbeeindruckt, tippte sie auf ihren Kommunikator. „Lairis an Van de Kamp: Gibt es Probleme mit den Interphasen-Emittern?“
Marc am anderen Ende der „Leitung“ seufzte. „Wie ich gestern schon sagte: die Tarnvorrichtung ist nicht für wochenlangen Dauergebrauch ausgelegt. Ich habe bereits eine zusätzliche Schicht im Maschinenraum abgestellt, um das gute Stück zu überwachen.“
„Wie geht das ohne Freischaltung?“, hakte Lairis nach.
„Wie? Ohne Freischaltung? Commander Kayn hat sie doch erst vor sieben Stunden freigeschaltet“, wunderte sich Marc.
Lairis fuhr alarmiert von ihrem Sessel hoch. „Dann gab es entweder einen Stromausfall auf der Brücke, der mein Interface vom Netz gekappt hat – oder …“ Sie ließ die Möglichkeit absichtlich unausgesprochen. 
„Von einem Stromausfall weiß ich nichts“, mischte sich Prescott ein. 
„Sie stehen in fünf Minuten auf der Matte vor meinem Bereitschaftsraum“, sagte die Kommandantin zu Marc. Und zu Jerad: „Du hast die Brücke.“
Die Standpauke für Tharev musste warten. 
Lairis hatte sich eben hinter ihrem Schreibtisch niedergelassen, als das Türsignal ertönte. „Herein“, befahl sie.
Lieutenant van de Kamp sah ziemlich übermüdet aus, wie sie besorgt feststellte. 
„Setzen Sie sich“, forderte sie etwas sanfter. „Sie sehen aus, als könnten Sie einen Kaffee vertragen.“ Nach Marcs Nicken trat sie an den Replikator und kam kurz darauf mit zwei dampfenden Tassen zurück. 
„Danke. Wenn ich nicht im Dienst wäre, würde ich sagen: Ein Whisky wäre auch nicht übel.“ Marc lächelte schwach. 
Lairis hob die Augenbrauen. „Das klingt ernst!“
Van de Kamp atmete tief durch. „Wie Sie wissen, gibt es sechs Interphasen-Emitter, die über das Schiff verteilt und direkt mit dem Hauptcomputer sowie allen primären und sekundären Energiequellen gekoppelt sind. Sollte ein Emitter ausfallen, wird das durch die anderen ausgleichen, weil der Computer sofort reagiert …“
Lairis nickte. Deshalb war es laut Admiral Ross so schwierig, die Tarnvorrichtung auszubauen. Schwierig, aber nicht gänzlich unmöglich – denn nach einem kontrolliert herbei geführten totalen Energieausfall dürfte dieses Problem nicht mehr bestehen. Doch angesichts der großen Risiken beim Re-Start des Materie-Antimaterie-Reaktors entschied sich die Sternenflotte dagegen. Sicher spielten auch pragmatische Überlegungen seitens der Admiralität eine Rolle, aber das war jetzt nicht das Thema …     
„Was ist, wenn mehrere Emitter gleichzeitig versagen?“, fragte Lairis und machte sich innerlich auf eine Antwort gefasst, die ihr überhaupt nicht gefiel. 
„Könnte das ganze Schiff in Mitleidenschaft gezogen werden“, antwortete Marc düster.
„Inwiefern?“, hakte Lairis nach. Es kribbelte unangenehm unter ihrer Haut. 
„Weil unter Umständen die Kalibrierung der einzelnen Emitter und die Kommunikation zwischen ihnen nicht mehr funktioniert.“ Der Chefingenieur bemühte sich um einen festen Blick. „Das kann in schlimmster Konsequenz dazu führen, dass kein stabiles Tarnfeld aufgebaut wird und Teile des Schiffes sekundenweise in eine andere Phase geschoben werden, als der Rest.“
„Was?“, rief Lairis alarmiert. „Und das erzählen Sie mir JETZT? Eine Phasendifferenz könnte den Ausfall wichtiger Systeme bedeuten, Dekompression in kritischen Bereichen … es könnte den Tod von Crewmitgliedern bedeuten!“ 
„Ich weiß“, seufzte Marc. „Bis eben bin ich davon ausgegangen, wir kriegen das Problem in den Griff. Verschlissene Einzelteile konnten wir replizieren und austauschen …“
„Sie sind nicht mit Ihrer Yacht auf den Weg nach Risa! Es geht hier nicht um irgendeine unbedeutende Panne!“, fuhr ihn Lairis an. „Wir fliegen inkognito durch Feindesland und jeder Fehler könnte dazu führen, dass wir auf die eine oder andere fiese Art zu Tode kommen! Wenn es technische Probleme gibt, will ich davon wissen – und zwar GLEICH.“
Lieutenant van de Kamp war ein hervorragender Ingenieur, aber seine Neigung zur Eigenbrötelei verursachte nicht zum ersten Mal Probleme.    
„Ja, Captain“, erwiderte er reumütig. „Ich hatte zwar gestern schon erwähnt, dass die Tarnvorrichtung spinnt, aber …“  
„Ich war nicht informiert, wie ernst die Lage wirklich ist!“ Lairis sah ihn scharf an. 
Marc atmete tief durch. „Unser Dilithium wird langsam knapp, das Oberkommando hat wohl unterschätzt, was für ein arger Energiefresser diese Tarnvorrichtung ist. Zwei Wochen machen die Systeme das noch mit – maximal! Vielleicht auch nur eine, denn dass die Tarnvorrichtung nicht auf Ihrem Display erschienen ist, könnte bedeuten, dass die Verbindung zum Hauptcomputer kurzzeitig getrennt wurde.“
„Weil ein ODN-Relais sekundenlang aus der Phase geschoben war?“ Lairis schauderte. 
„Zum Beispiel.“
„Sie meinen tatsächlich, die Phasenverschiebung betrifft so winzige Einzelteile?“
„Sie kann einzelne Moleküle betreffen – oder auch ganze Schiffsektoren.“
„Die Vorstellung, dass einzelne Moleküle von mir in eine andere Phase geschoben werden, als der Rest meines Körpers, gefällt mir gar nicht!“
„Dann sollten Sie nicht beamen.“ Marc grinste schief. 
„Dass es ganze Schiffssektoren trifft, gefällt mir natürlich noch weniger“, entgegnete Lairis trocken.  
„Ich denke zwar nicht, dass Sie das beruhigt – aber dieses … Phänomen wirkt sich zuerst auf jene Computersysteme aus, die unmittelbar mit den Interphasen-Emittern verknüpft sind: Ein Energierelais hier, ein paar Speicherchips dort … Was sich am Anfang nur in ein paar lästigen technischen Fehlfunktionen zeigt, wird irgendwann lebensgefährlich, wenn die Hauptsysteme verrückt spielen.“
„Was schlagen Sie vor?“, erwiderte der Captain resigniert. 
„Ich denke zwar, wir haben noch drei-vier Tage Gnadenfrist, bis wir richtig Stress bekommen – aber auf der sicheren Seite sind wir nicht! Falls zum Beispiel die Steuerung des Materie-Antimaterie-Eindämmungsfeldes im Warpkern angegriffen wird …“
„Brauchen wir uns um einzelne Moleküle, die aus der Phase geschoben werden, keine Gedanken mehr zu machen“, ergänzte die Bajoranerin düster. 
„So sieht’s aus“, stimmte Marc zu. „Ich schlage vor, die Tarnvorrichtung abzuschalten.“
„Keine gute Idee – wir befinden uns in Sensorenreichweite einer Dominion-Patrouille!“
„Dann stehen wir also vor der Wahl, von denen vaporisiert zu werden oder selbst dafür zu sorgen, dass es Puff macht.“ Marc verzog das Gesicht. 
„Wie groß wäre denn die Wahrscheinlichkeit, dass es ‚Puff‘ macht?“, wollte Lairis wissen. 
„Nach der letzten Simulation 1:255, zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Tendenz steigend.“
„Da wäre die Chance, vom Dominion ausradiert zu werden, eindeutig größer.“ Lairis blickte ihren Chefingenieur ernst an. „Aber bevor das passiert, würden sie versuchen, das Schiff zu entern und die Crew gefangen zu nehmen, um beides genüsslich zu sezieren.“
„Sie ziehen also einen sauberen Warpkernbruch vor?“
„Sie kennen mich zu gut.“
Marc runzelte die Stirn. „Meinen Sie nicht, unsere Überlebenschancen wären größer, wenn wir roten Alarm geben, die Tarnung abschalten und irgendwie versuchen, der Dominion-Flotte zu entkommen? Falls sie uns verfolgen, kämpfen wir. Für den alleräußersten Notfall gibt es ja noch die Selbstzerstörung.“
„Das Dominion darf auf keinen Fall mitbekommen, wie wir uns enttarnen! Genau genommen dürfen sie gar nicht mitbekommen, dass wir überhaupt hier sind“, gab Lairis zu bedenken. „Können wir nicht versuchen, mit Warp aus dem Scannerbereich der Patrouille zu entkommen, ohne die Tarnung aufzugeben?“
Van de Kamp wog zweifelnd den Kopf hin und her. „Von einem Warpsprung würde ich dringend abraten, solange die Tarnvorrichtung aktiv ist. Die instabilen Emitter sind ja unmittelbar mit dem Materie-Antimaterie-Reaktor gekoppelt …“
„Ich weiß“, unterbrach ihn die Kommandantin ungeduldig. „Wie lange brauchen wir mit Impuls bis zum nächsten Sternensystem?“
„Sie meinen, bis A-3452?“, hakte Marc mit säuerlicher Miene nach. „Knapp zwei Tage.“
Lairis‘ Miene machte deutlich, dass ihr diese Aussicht ebenso wenig gefiel. Das Sonnensystem A-3452 war unbewohnt und es gab einen Klasse-J-Gasriesen mit hoher Konzentration von Kohlenstoff in der Atmosphäre. Dort sollte die DEFENDER im Orbit parken, bei Gefahr notfalls abtauchen und in der Zwischenzeit versuchen, die Emitter zu stabilisieren.  
„Ich fürchte nur, wenn wir zu tief ‚tauchen‘, wird das Schiff durch den Atmosphärendruck zerquetscht wie in einer Müllpresse“, meinte der Ingenieur besorgt. „Die Defiant hat so ein Abenteuer gerade hinter sich, danach war sie beinahe Schrott. Und die DEFENDER ist JETZT schon fast Schrott!“
„Keine Sorge, Marc, ich habe nicht vor, auf der Oberfläche nach Schätzen zu buddeln“, gab Lairis zurück. 
Gleich nach Lieutenant van de Kamps Andeutung, dass die Tarnvorrichtung unzuverlässig lief, hatte der Captain eine Krisensitzung mit allen Wissenschaftlern, leitenden Sicherheitsoffizieren und Ingenieuren einberufen. A-3452 hieß der Plan B, der dabei herausgekommen war. Lairis wäre dankbar für einen weniger gefährlichen Plan C oder D, aber den gab es leider nicht. 
„Falls dieser Gasriese überhaupt eine Oberfläche hat, könnten Sie bei Ihrer Schatzsuche sogar Glück haben: der Druck in den tieferen Schichten ist so groß, dass die Kohlenstoff-Partikel der Atmosphäre als Diamanten vom Himmel regnen“, dozierte Marc. 
„Sieht bestimmt hübsch aus – aber wie Sie schon sagten: wenn wir uns nicht aus dem Gravitationsfeld des Gasriesen befreien können, regnen wir selbst als Diamanten auf die Oberfläche.“ Die Bajoranerin verzog das Gesicht. „Ich mag die Dinger nur als Schmuck – nicht als Crew. Allerdings bräuchten wir nicht tief in die Atmosphäre vorzudringen, also bleibt das Risiko überschaubar. Laut M’Rass ist die Ionenkonzentration in der oberste Schicht der Thermosphäre schon so hoch, dass die Sensorreichweite dort höchstens fünfzig Kilometer beträgt.“ 
„Mag sein, aber …“ Marc schluckte. „Überstrapazierte Plasmarelais, instabile Computerverbindungen und ein Schwitzbad in einer Gasriesen-Atmosphäre … kein Vorschlag für einen gemütlichen Freitagabend.“
„Also lieber eine Grillparty, bei der wir gegrillt werden und das Dominion feiert?“, hielt Lairis dagegen.  
„Ich dachte, die Pest und die Cholera wären ausgerottet“, seufzte Marc.

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