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Festival

von JTD

Kapitel 1

Leute gingen ihr aus dem Weg.

Wenn Major Kira Nerys, Zweite in der Kommandostruktur der Raumstation Deep Space Nine mit diesem entschlossenen Gesichtsausdruck die Korridore entlang ging – oder eher schritt –, sprang jeder, der nicht gerade erst gestern angekommen war, zur Seite. Aus gutem Grund. Kira hatte einen Ruf, und sie tat nichts, um ihn zunichte zumachen. Leute standen ihr nicht unnütz im Weg herum, und sie kam schnell dorthin, wo sie hinwollte.

Ein bißchen Respekt hatte definitiv seine Vorteile.

Captain Benjamin Sisko jedoch beeindruckte Kiras Benehmen nicht nachhaltiger als wenn sie mit einem freundlichen Lächeln in seinen Kommandoraum eingetreten wäre. Entspannt saß er hinter seinem großen Schreibtisch, vertieft in ein PADD und mit einer Tasse Raktajino in der Hand, und nickte, als die Bajoranerin eintrat.

„Major. Guten Morgen. Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Captain, wir haben ein Problem.“ Kiras Gesichtsausdruck war ernst, als sie sich mit beiden Händen auf Siskos Tisch aufstützte und ihn durchdringend ansah. Nicht zum ersten Mal fragte sich der Captain, ob Kira tatsächlich leicht an ihrer geriffelten Nase vorbeischielte, oder ob das nur so wirkte.

„Und zwar?“ Er sah sie erwartungsvoll an.

Kira streckte sich zu ihrer vollen Länge und trat hinüber zur Tür. Sie war zweigeteilt, mit durchsichtigen Einsätzen versehen, und gewährte Einblick direkt in Ops, die Schaltzentrale Deep Space Nines. „Schauen Sie sich das an,“ forderte Sie ihren Vorgesetzten auf.

Er trat ebenfalls an die Tür. „Ops,“ sagte er.

„Sehen Sie genauer hin.“

„Wird das ein Rätsel?“ Benjamin Sisko mochte seine Antworten klar auf dem Tisch.

„Dax,“ sagte Kira mit einer Stimme, die darauf hinwies, daß das eigentlich schon alles sagte.

Der Captain runzelte die Stirn und trat näher an Kira heran, um einen besseren Einblick in Ops zu haben. Seine Wissenschaftsoffizierin, die Trill Jadzia Dax, saß wie immer an ihrer Station. Sie war nie unpünktlich, und eigentlich immer gut gelaunt. Das Bild, das sich den beiden Beobachtern jetzt bot, hatte allerdings nicht viel mit der Jadzia gemein, die sie beide kannten.

Normalerweise fröhlich und zu Scherzen aufgelegt, war ihre Stirn jetzt gerunzelt. Sie sah erschöpft und müde aus und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Ihre Bewegungen wirkten mechanisch.

„Seit Lenara wieder nach Trill abgereist ist, ist sie einfach nicht mehr dieselbe,“ erklärte Kira, und spielte damit auf eine unglückliche Liebesgeschichte im Leben der Trill an, die sich vor wenigen Wochen zugetragen hatte. „Sie ist nicht mehr im Quarks, sie geht nicht mehr aus, sie spielt kein Tongo mehr... So kann das nicht weitergehen.“

„Hm.“ Sisko stemmte die Hände in die Hüften und dachte nach. „Was schlagen Sie vor, Major?“

„Landurlaub,“ kam die wohlüberlegte Antwort.

„Und ich wette, Sie wissen auch schon, wohin.“

„Bajor. Landurlaub auf Trill wäre zurzeit wohl keine so gute Idee.“ Kira runzelte die Stirn.

„Da kann ich nur zustimmen.“ Sisko trat hinüber zu der Sitzgruppe in der Ecke seines Büros und lud die Bajoranerin ein, sich ebenfalls zu setzen. „Die Frage ist nur, ob sie sich überreden läßt.“

„Gerade findet das Friedensfestival in meiner Heimatprovinz statt,“ erklärte Kira. Ihre Gesichtszüge hatten sich vor Sorge um ihre Freundin vollkommen verwandelt. „Wir feiern das Ende der Okkupation von den Cardassianern. Mit Ihrer Erlaubnis würde ich gerne mit Dax dorthin gehen.“

„Aber wenn sie merkt, daß es darum geht, sie von ihrem Liebeskummer abzulenken, geht sie vielleicht nicht mit,“ gab Sisko zu bedenken. „Bisher hat sie sich allen Versuchen, sie aufzumuntern, ganz erfolgreich entzogen.“

Kira nickte. „Sie muß mit – da sie schon seit Jahren das Paldor-Festival auf der Station mit mir organisiert, wird sie in dieser Funktion offiziell eingeladen.“

Ein Lächeln erschien auf Captain Siskos Gesicht. „Das hört sich nach einem hervorragenden Plan an, Major.“

* * *

Als Jadzia an diesem Abend in ihr Quartier zurückkehrte, hatte sie schon fast ihre zweite Schicht in Folge beendet. Nur Captain Siskos deutliche Aufforderung, sie solle sofort den Dienst beenden, oder er würde es für sie tun, brachte sie dazu, Ops zu verlassen.

Lenaras Entscheidung, sich den strengen Trill-Regeln zu beugen und lieber wieder nach Trill zurückzukehren, statt ihr Leben mit Jadzia auf Deep Space Nine zu verbringen, hatte die Offizierin stark getroffen. Sie war bereit gewesen, ihr Leben vollkommen umzuwerfen, nur um mit der einen, großen Liebe ihres Lebens – oder eher, zweier Leben – zusammen zu sein. Daß Lenara offensichtlich nicht genauso stark empfand, tat weh. Sehr weh.

In der ersten Woche danach hatte Jadzia versucht, sich mit viel Zeit in den Holosuiten zu betäuben, vorzugsweise in Kampfsimulationen. Doch Lieutenant Worf, der einzige klingonische Offizier auf der Station, mit dem sie oft trainierte, hatte sie nach kurzer Zeit darauf aufmerksam gemacht, daß ihr Kampfstil mit dem Bat’leth nicht besser wurde, wenn sie nur wild draufloshackte. Der Blick, den Jadzia ihm daraufhin zuwarf, hätte mehrere Klingonen im Laufen tot zusammenbrechen lassen können, aber Worf blieb wie immer unbeeindruckt.

Der Schmerz war mittlerweile einer dumpfen Betäubung gewichen. Jadzia war sich sehr wohl bewußt, daß ihre Freunde sich um sie sorgten. Einladungen zu Baseball-Matches mit den Siskos, oder zu neuen heroischen Taten mit Julian und Miles in Quarks Holosuite waren immer wieder an sie herangetragen worden. Selbst Quark hatte versucht, sie mit einem extra für sie veranstalteten Tongo-Turnier in seine Bar zu locken. Doch als sie nicht reagierte, gaben auch die Freunde langsam auf.

Ehrlich gesagt, Jadzia war es langsam leid.

Sie war eigentlich nicht so. Lange Trübsal blasen war nicht ihre Art, sie fand immer einen Weg, das Positive in der Lage zu sehen und zu neuen Ufern aufzubrechen. Nur in diesem Fall saß der Schmerz tiefer, und es war es jetzt schwerer, aus dem Graben, den sie sich selbst gegraben hatte, herauszukommen.

Seufzend trat sie in ihr Schlafzimmer, schlüpfte aus ihren Kleidern und nahm eine Dusche. Sie frottierte sich gerade ihr langes, dunkles Haar, als ihr Blick auf ihre Computerkonsole fiel. Der Bildschirm blinkte mit der unmißverständlichen Ankündigung, es sei eine private Nachricht für sie angekommen. Neugierig trat Jadzia näher und drückte eine Taste, um die Nachrichten aufzurufen.

Das Gesicht Vedek Tenars erschien auf dem Bildschirm, und während er noch sein Anliegen vortrug, stieg Jadzias linke Augenbraue hoch und höher.

Interessant.

* * *

„Oh, ich kann es kaum abwarten, endlich anzukommen!“

Kira Nerys, gekleidet in Zivilkleidung in warmen Erdfarben, war kurz davor, in ihrem Sitz einen kleinen Tanz aufzuführen.

„Hmm ... Worüber genau freust du dich eigentlich am meisten?“ fragte Jadzia von ihrem Pult gleich neben Kiras. „Die langen Reden der Vedeks ... die Erinnerungen an die Cardassianer ... stundenlanges Meditieren im Tempel ...?“

Kira schüttelte nur den Kopf und lachte. „Das gute Essen ...“, zählte sie auf, „den Geruch der shinja-Kerzen ... alte Freunde wiederzutreffen.“ Sie lächelte ihre Freundin, die sich noch immer in Starfleet-Uniform befand, an. „Es wird dir gefallen, Jadzia. Und möchtest du dich nicht irgendwann umziehen?“

„Hm.“ Jadzia tat so, als müsse sie über Kiras Vorschlag nachdenken. „Da ich als Repräsentantin Starfleets komme, wäre das wohl nicht ganz angebracht, oder?“ Sie sah Kira herausfordernd an.

„Nach der Eröffnungszeremonie, Jadzia,“ drohte Kira. „Oder ich suche deine Sachen selber aus.“

„Ah, leere Drohungen.“ Jadzia winkte ab, aber Kira war sich sicher, ein schwaches Abbild von Jadzias typischem hintergründigen Amüsement gesehen zu haben.

* * *

Eine bajoranische Zeremonie war schon etwas Besonderes, entschied Jadzia ein paar Stunden später. Ob man nun an die Propheten glaubte oder nicht, so konnte man doch die festlich gekleideten Menschen genießen, die feierliche Stimmung und die offensichtliche Freude über den Anlaß dieser Feier. Es war noch gar nicht so lange her, daß Bajor die Besatzung der Cardassianer abgeschüttelt hatte. Obwohl die Föderation Bajor beim Aufbau half, waren die Narben der Okkupation noch überall deutlich sichtbar. Aber die gleiche Zähigkeit, die es den Bajoranern erlaubt hatte, durch eine Politik der Nadelstiche die mächtigen Cardassianer zu besiegen, half ihnen nun beim Aufbau. Jedes wieder erstellte Gebäude, jedes neu besäte Feld war eine Feier wert.

Kira, die neben ihr stand, war vollkommen in die Rede Vedek Tenars vertieft. Kira war eine tief religiöse Frau, und obwohl sie auf Deep Space Nine erleben mußte, daß Glaube nicht blind sein durfte, hatte es an ihrem grundlegenden Vertrauen in die Propheten nicht gerüttelt. Ihr Gesicht war beseelt von Andacht, und Jadzia gab sich einen Moment, um sie zu betrachten und diesen unerschütterlichen Glauben auf sich wirken zu lassen.

Als sie sich dabei erwischte, die Rippen auf Kiras Nase zu zählen, mußte sich lächeln.

„Fünf,“ dachte sie zufrieden. „Ob es wohl mit den Jahren mehr werden?“

„... wollen wir auch unseren Ehrengast begrüßten. Lieutenant Jadzia Dax, Wissenschafts-offizierin auf Deep Space Nine, die schon sehr viel für unser Volk getan hat.“

Vedek Tenars Ankündigung riß Jadzia aus ihren Gedankengängen. Es war vollkommen offensichtlich, daß die Bajoraner ihre Anwesenheit als Ablenkung von ihren religiösen Zeremonien werteten, der diplomatischen Bedeutung des Ganzen allerdings vollstens bewußt waren. Andererseits war es Jadzia gewesen, die damals, als der Kreis die Macht an sich reißen wollte, Kira geholfen hatte, die wichtige Information, daß die Cardassianer hinter der Bewegung standen, nach Bajor zu bringen. Wurden die Bajoraner gerne daran erinnert? Sicherlich nicht. Dennoch hatte es ihr einen gewissen Respekt eingebracht und die zögerliche Anerkennung, daß sie nun ein Teil der bajoranischen Geschichte war, wenn auch eines peinlichen Abschnitts. Lieber ehrte man sie dafür, daß sie jährlich gemeinsam mit Kira das Erneuerungs-Festival auf der Station ausrichtete.

Die Bajoraner klatschten höflich, wenn auch verhalten.

Jadzia verschränkte die Hände hinter dem Rücken auf ihrem Weg zum Rednerpult und gab die Haltung auch nicht auf, als sie oben angekommen war und über die versammelten Bajoraner hinweg auf die wogenden Felder im Hintergrund blickte. Das war der Grund, warum sie hier war. Daß dieses Volk feierte, daß es überhaupt in der Lage war, eine Ernte einzubringen, ohne gleichzeitig um sein Leben fürchten zu müssen. Die Diplomatin in ihr wußte, wie wertvoll das war.

„Liebe Anwesenden,“ begann sie, während ihre Augen über die Gesichter eben jener schweiften. „Es ist eine große Ehre für mich, zu diesem Festival eingeladen zu sein. Wir feiern heute die Befreiung von den Cardassianern, einer Tat, die dem bajoranischen Volk zur Ehre gereicht. So gern wir von Starfleet eine heroische Tat für uns verbuchen, so hat dies doch die Tapferkeit und der Mut derjenigen vermocht, die bis zum Letzten für die Freiheit ihres Planeten kämpften.“

Die Gesichter der Umstehenden hellten sich langsam auf, und Jadzia sah hier und da ein Nicken. Sehr schön. Sie hatte ihren diplomatischen Touch also doch noch nicht ganz verloren. Jadzia setzte gerade zum nächsten Satz an, als hinter ihr die Hölle losbrach.

* * *

„Sie hat versucht, den Orb-Splitter zu stehlen!“ Die Stimme des Akolyten überschlug sich fast vor Empörung. Die Orbs, sanduhrförmige Kristalle, von denen die Bajoraner glaubten, daß sie direkt von den Propheten kamen, waren ein großes Heiligtum. Dieser Tempel in einer eigentlich unbedeutenden kleinen Provinz hatte es geschafft, einen Splitter des Wahrheits-Orbs zu ergattern, und hütete ihn normalerweise wie ... na ja, wie ein Heiligtum eben.

Die junge Frau, die neben dem Akolyten zusammengekauert auf dem Boden kniete, sah nicht gerade wie eine Diebin aus. Sie war ganz wie die anderen Bajoraner gekleidet, in festlichen Kleidungsstücken, die aus einem brokatähnlichen Stoff in Erdfarben geschneidert waren. Als sie den Kopf hob, um dem Akolyten einen vernichtenden Blick zuzuwerfen, sah Jadzia, daß es sich um eine Bajoranerin handelte. Mit Verwunderung stellte sie fest, daß sich ihr Magen zusammenzog. Der stolze Ausdruck in ihren Augen berührte irgendetwas in ihr.

„Ich wollte ihn nur betrachten, nicht stehlen,“ sagte die Bajoranerin in einem Ton, der alles andere als unterwürfig war.

„Sie hat ihn berührt!“ Der Akolyt hatte eindeutig eine sehr unangenehm hohe Stimme und war sich der Wichtigkeit seiner Empörung bewußt, besonders deswegen, weil Vedek Tenar gleich in der Nähe stand.

„Kind, weißt du denn nicht, daß nur Auserwählte den Orb betrachten dürfen?“ fragte dieser die junge Frau nun in leicht vorwurfsvollem Tonfall.

Hinter sich hörte Jadzia, wie sich Kira einen Weg durch die Menge bahnte.

„Ro Laren!“ war das erste, was die Major von sich gab, als sie die dunkelhaarige Frau erblickte. „Was macht Ro Laren hier?“

Aber das konnten sie die junge Frau nicht mehr fragen, weil sie schon verschwunden war.

* * *

„Wieso weißt du mehr über eine ex-Starfleet-Offizierin als ich?“ fragte Jadzia Kira später, als beide sich zu einem wohlverdienten Mittagessen in die angenehm warme Sonne gesetzt hatte.

Kira zuckte mit den Schultern. „Es gibt nicht so viele Bajoraner in Starfleet. Und Ro Laren hatte schon einen schlechten Ruf, als sie von hier weglief. Er scheint ihr ja bis in die Sternenflotte gefolgt zu sein.“

„Schlechter Ruf?“ Jadzia kaute gedankenverloren an einem Stück gesottenem Gemüse.

„Sie lief einfach weg in ein besseres Leben, anstatt für Bajor zu kämpfen.“

„Oh.“ Für die Freiheitskämpferin machte das natürlich perfekten Sinn.

„Das Letzte, was ich gehört habe, ist, daß sie jetzt zum Maquis übergelaufen ist...“

„Das hört sich aber nicht so an, als wolle sie Unbequemlichkeiten aus dem Weg gehen,“ stellte Jadzia fest.

„Hm.“ Kira schaute sie erstaunt an. „So hab‘ ich das noch gar nicht gesehen.“

Jadzia hob eine beredte dunkle Augenbraue.

* * *

Was war es nur, was sie an Ro Laren so faszinierte? fragte sich Jadzia später, als sie, jetzt endlich in der von Kira geforderten Zivilkleidung, langsam über den Markt schlenderte. Kira hatte sich entschuldigt, um einer privaten Feier mit Freunden beizuwohnen. Jadzia war das ganz recht. Es gab ihr die Möglichkeit, einfach ein wenig die Seele baumeln zu lassen.

Nachdem sie alles über Ro Laren gelesen hatte, was die Starfleet-Akte hergab, natürlich.

Ro wurde gesucht, sehr dringend sogar. Starfleet fand es offensichtlich gar nicht amüsant, Ro die Ausbildung verschafft zu haben, die sie jetzt als Maquis so unschlagbar – und unfaßbar – machte. Selbst die wenigen offiziellen Bilder, zu denen Jadzia Zugang hatte, zeigten Ro mit diesem stolzen Blick in den Augen, der dem Betrachter mitzuteilen schien, daß sie zwar die Regeln befolgte, aber das aus vollkommen freien Stücken. Bis sie aus genauso freien Stücken plötzlich beschließen konnte, dies nicht mehr zu tun.

Jadzias Mundwinkel bewegten sich nach oben.

Als sie Tumult am anderen Ende des Marktes hörte, war sie eigentlich gar nicht überrascht. Eilig bahnte sich die Trill einen Weg durch die dichtgedrängt stehenden Menschen und kam gerade noch rechtzeitig, um eine dunkelhaarige Gestalt in einer Nebengasse verschwinden zu sehen. Jadzia heftete sich ihr an die Fersen, verfolgt von mehreren bajoranischen Sicherheitsleuten. Die Bajoranerin war schnell, das war nicht von der Hand zu weisen, aber die schnurgerade Gasse mit ihren glatten Häuserfassaden bot ihr keinen Schutz. Jadzia beobachtete, wie Ro Haken schlug, um den Waffen der Sicherheitsleute kein Ziel zu bieten, und dann am Ende der Gasse nach links abbog.

Das war ihr Fehler.

Die Sicherheitsleute hielten sofort an und nahmen den Weg über die Dächer. Die Route, die Ro eingeschlagen hatte, führte in einem Halbkreis parallel zu dieser Straße zurück, was sie aber nicht wußte. Ihre Verfolger mußten sie einfach nur abfangen. Jadzia zögerte nicht lange und folgte der Bajoranerin. Als sie um die Ecke bog, konnte sie sie etwa 50 Meter vor ihr laufen sehen.

„Ro! Ro Laren! Das ist eine Falle!“ Im gleichen Moment fragte sich Jadzia, was in sie gefahren war; Gesetzesbrechern zu helfen lag eigentlich nicht gerade in ihrer Natur.

Ro sah sich über die Schulter um.

„Es geht nur weiter nach links – sie warten da schon – sind über die Dächer ...“ rief Jadzia und lokalisierte eine Dachleiter zu ihrer rechten Seite, auf die sie zusteuerte.

Auf halbem Weg nach oben registrierte sie mit einem breiten Lächeln, daß Ro ihr folgte.

* * *

„Keinen Mucks!“ Nach dem Lauf nach Atem ringend fanden sich die Frauen auf dem Dach wieder und kauerten sich hinter einen Vorsprung.

„Wer, ich?“ fragte Jadzia und blickte die Bajoranerin erstaunt an.

„Sch!“ Das war deutlich. Atemlos beobachteten beide, wie nach einer Weile die Sicherheitsleute um die Ecke bogen und sich suchend umsahen. Einer von ihnen näherte sich der Leiter, die die Frauen gerade benutzt hatten und verschwand aus ihrem Blickfeld. Ro bedeutete Jadzia, da zu bleiben, wo sie war, und robbte sich langsam zur Leiter vor.

Die Augen der Trill wurden rund. Was hatte Ro vor?

Aber die Maquis wußte, was sie tat. Sobald sie nah genug war, berührte sie mit den Fingerspitzen die Leiter, die oben am Dachsims aufgelegt war, und „horchte“ so darauf, ob sie ihr Verfolger betrat oder nicht.

Sekunden dehnten sich zu Ewigkeiten, während Jadzia darauf wartete, daß Ro ihr ein Zeichen gab. Endlich hob die Bajoranerin den Kopf und bedeutete Jadzia, wegzukriechen. Wenn sie hier blieben , würden sie sicher entdeckt.

Jadzia war sich sicher, daß sie schon seit langem nicht mehr so viel Spaß gehabt hatte, als sie die Führung übernahm und Ro durch ein Gewimmel kleiner Gassen und Hinterhöfe in die relative Sicherheit des Ortsrandes führte.

„Was hast du angestellt, daß die so hinter dir her sind?“ fragte Jadzia schließlich, als es sicher genug war, um laut sprechen zu können.

„Jemand hat versucht, mich übers Ohr zu hauen. Er bereut es gerade.“ Ros Gesicht nahm einen raubtierhaften Ausdruck an. „Leider hat er auch eine Menge Einfluß. Ich glaube nicht, daß ich mich in der Stadt nochmal blicken lassen kann. Nicht gut.“

„Noch was zu erledigen?“

„Ziemlich dringend sogar.“ Ro blieb plötzlich stehen und sah Jadzia gerade ins Gesicht. „Ich weiß zwar nicht, wieso du mir geholfen hast, aber vielen Dank. Ich werde dich nicht weiter in Gefahr bringen ...“

„Mooooment.“ Jadzia faßte Ro am Arm, um sie am Weggehen zu hindern. „Wo willst du denn bleiben?“

Ro zuckte mit den Schultern. „Ich werd‘ schon was finden.“

„Wir haben ein kleines Haus nicht weit von hier – und genügend Platz für noch eine Person.“

Ro trat einen Schritt zurück. „Warum?“ fragte sie mißtrauisch.

„Weil ich schon seit langem keinen solchen Spaß mehr hatte,“ gab Jadzia freimütig zu. „Und vielleicht kann ich dir ja auch mit deinem anderen Problem noch helfen.“

Ros Augen verengten sich. „Wer bist du?“ fragte sie langsam.

„Die Frau, die dir den Ausweg gezeigt hat?“ Jadzia hielt den Blick der Maquis ohne Probleme.

Nach einigen Augenblicken atmete die Bajoranerin aus. „In Ordnung. Ich komme mit.“

„Gut.“ Jadzia lächelte sie an. „Ich habe gerne nette Gesellschaft beim Essen.“

* * *

Früher oder später mußte sie Ro sagen, daß sie Starfleetoffizierin war, und Jadzia entschied sich für später. In ihrem Zimmer, um präzise zu sein.

Es wäre auch kaum zu verheimlichen gewesen, da Jadzia ihre Uniform nach der Eröffnungszeremonie am Morgen recht achtlos über einen Stuhl geworfen hatte. Ro sah die Uniform, atmete hörbar ein und drehte sich auf dem Absatz herum, nur um direkt in Jadzias Arme zu laufen.

„Du ...“ zischte die Bajoranerin. „Ich hätte es wissen müssen!“

„Wenn ich dich festnehmen wollte, hätte ich das längst tun können.“ Jadzia knöpfte ihre Jacke auf und zeigte Ro den Kommunikator, der die ganze Zeit über an ihrem Hemd befestigt gewesen war. „Ich will wirklich nichts anderes als einen netten Abend verbringen und vielleicht sehen, ob ich dir weiterhelfen kann.“

„Wer bist du?“ fragte Ro zum zweiten Mal an diesem Tag, diesmal aber in einem herausfordernden Tonfall.

„Jadzia Dax, Wissenschaftsoffizierin auf Deep Space Nine,“ antwortete die Trill wahrheitsgemäß. „Wir sind hier, weil Kira zum Friedensfestival wollte, und dachte, ich könnte gut eine Abwechslung gebrauchen – was ja auch stimmt. Daß unser kleiner Ausflug allerdings so abwechslungsreich ausfallen würde, hat sie sich vermutlich nicht erträumt.“ Jadzia zwinkerte Ro zu.

„Kira? Kira Nerys? Die Kira?“

„Ja, die Kira.“ Jadzia knöpfte die Jacke komplett auf und ließ sie dann an ihren Armen herabgleiten, um sie anschließend über den gleichen Stuhl zu werfen wie ihre Uniform. Gelassen umrundete sie die stocksteif mitten im Raum stehende Bajoranerin, um kurz darauf im Flur auf der anderen Seite zu verschwinden. „Auch ein Glas Saft?“ fragte sie im Vorbeigehen.

„Nein, bitte Wasser,“ antwortete Ro reichlich geistesabwesend, bevor ihr klar wurde, daß das ihre Chance war, von hier zu verschwinden. Im gleichen Moment war sie sich sicher, daß sie das gar nicht wollte. Langsam folgte sie ihrer Gastgeberin ... Retterin ... Ro schüttelte den Kopf. Wie viele verschiedene Talente hatte diese Frau? Ein Teil von ihr war mehr als bereit, das herausfinden zu wollen.

* * *

„Wie steht es bei den Maquis?“

„Selbst wenn ich das wollte, könnte ich es dir nicht sagen, oder ich müßte dich hinterher umbringen.“ Ro hob das Glas mit dunkelrotem Wein und kostete es. „Wie steht es bei Starfleet?“ fragte die Bajoranerin anschließend in unschuldigem Tonfall.

„Touché.“ Jadzia hob amüsiert eine dunkle Augenbraue. „Gibt es irgendetwas Sicheres über das wir reden können?“

„Mit anderen Worten, haben wir uns etwas zu sagen? Keine Ahnung.“ Ros Ton war nicht unfreundlich, als sie das sagte.

„Warum hast du versucht, den Orb der Wahrheit zu stehlen?“ fragte Jadzia ohne Vorwarnung, aber mit genügend Neugier, um Ro zu zeigen, daß sie sie nicht aushorchen wollte, sondern tatsächlich interessiert war.

Ro seufzte trotzdem. „Ich wollte ihn nicht stehlen, nur betrachten.“

„Auf der Suche nach etwas?“

Ro zuckte die Schultern. „Nach meinen Wurzeln vielleicht?“

„Was soll das wohl sein? Eine Familie von Feiglingen?“ erklang plötzlich Kiras Stimme. Sie hatte unbemerkt von den anderen beiden Frauen die Terrasse betreten.

Ro war blitzschnell aus ihrem Stuhl aufgestanden und sofort bereit, die Ehre ihrer Familie zu verteidigen. „Mein Vater ist von den Cardassianern zu Tode gequält worden,“ sagte sie mit kaum unterdrückter Wut. „Er war alles, aber sicher kein Feigling.“

„Und seine Tochter? Wo wolltest du damals so schnell hin?“

„An einen Ort, von dem aus ich mehr für Bajor tun konnte als in einem Flüchtlingscamp.“

Kira trat einen weiteren Schritt auf Ro zu. „Wir hätten Frauen wie dich brauchen können damals. Ihr seid alle weggelaufen, während wir immer weniger wurden!“

Ros Augen blitzten auf, und Kira bereitete sich schon auf die nächste Attacke vor, als sich das Verhalten der anderen Frau plötzlich völlig veränderte. „Du hast ja überhaupt keine Ahnung,“ sagte sie leise.

Jadzia entschied, daß das der richtige Moment war, um dazwischen zugehen. „Was auch immer in der Vergangenheit geschehen ist, ist jetzt vorbei,“ sagte sie mit ruhiger, fester Stimme. „Kira, setz’ dich und trink‘ ein Glas Wein. Es gibt hier bestimmt nichts, über das man nicht reden könnte.“

Kira musterte Ro abschätzig von oben bis unten und schien sich nicht entscheiden zu können, ob sie ihr wirklich den Respekt zollen sollte oder nicht.

„Kira, sie ist mein Gast. Setz‘ dich.“ Jadzias Bitte hatte sich in einen Befehl verwandelt, und Kira folgte ihm, ohne lange darüber nachzudenken.

Wie es sich herausstellte, kannten sich die beiden Frauen nicht nur, sondern waren auch noch miteinander verwandt, wenn auch nur entfernt.

Die Vorwürfe, die Kira Ro machte, schien die Maquis schon Hunderte von Malen gehört zu haben, und ließ die allgemeineren mit Leichtigkeit von sich abperlen. Als Kira jedoch wieder darauf zurückkam, daß Ro mit dem Verlassen ihres Flüchtlingscamps ganz Bajor den Rücken gekehrt hätte, fixierte Ro sie mit einem Blick ihrer dunklen Augen.

„Du stellst es gerade so dar, als ob Bajoraner die reinsten Engel wären. Das sind sie nicht!“ sagte sie mit Nachdruck.

Kira hob die linke Braue und spielte mit ihrem Weinglas. „Ach?“

Ro entschied sich, ihre Karte auszuspielen. „Sagt dir der Begriff Halam-Kolonie etwas?“

Jadzia mußte zugeben, daß Kira plötzlich etwas weiß um die Nase wurde. „Ist das nicht die Kolonie von Bajoranern, die in der Entmilitarisierten Zone lebt?“ fragte die Trill.

Ro drehte den Kopf leicht zu ihr herum und nickte. „Genau.“

Kira rutschte verlegen auf ihrem Stuhl hin und her. „Und?“ fragte sie. „Was soll mit ihnen sein?“

„Bajor hat sie im Stich gelassen, als sie um Hilfe baten.“

„Stimmt das?“ In Jadzias Stimme schwang Neugier.

„Äh ... nicht ganz.“

„Die Halam-Kolonie war ursprünglich ein Flüchtlingscamp,“ erklärte Ro ruhig. „Aber die Bajoraner dort haben im Laufe der Zeit ihren Glauben an die Propheten und an eine Rettung vor den Cardassianern verloren. Der Planet wurde ihr Zuhause. Und als die Befreiung kam, wollten sie bleiben.“

„Trotz Himmlischen Tempels?“ fragte Jadzia und spielte auf die bajoranische Bezeichnung für das Wurmloch in den Gamma-Quadranten an, das kurz nach der Befreiung gefunden worden war und von dem die Bajoraner glaubten, daß dort die Propheten lebten.

„Trotz Himmlischen Tempels.“

„Und weiter?“

„Auf dem Planeten ist eine Krankheit ausgebrochen, mit der die Maquis einfach überfordert sind, da sie nur bei Bajoranern auftritt. Sie ist auf Bajor bekannt und könnte einigermaßen leicht behandelt werden, aber man hat sich geweigert, uns die nötigen Wirkstoffe zur Verfügung zu stellen.“

„Mit welcher Begründung?“

„Keine Mittel,“ erklärte Kira ruhig. „Sie haben sich von Bajor abgewandt, sie glauben nicht an die Propheten ... sie sind in mehr als einem Sinn keine Bajoraner mehr. Und die vorläufige Regierung war der Meinung, daß zunächst die eigenen Leute Vorrang hatten.“

„Abgesehen von den religiösen Sekten, die uns offiziell zu Außenseitern titulierten, da wir nicht mehr an die Propheten glaubten,“ ergänzte Ro. „Und da wir weder zur Föderation gehören, also eigentlich keine richtigen Maquis sind, noch die Unterstützung Bajors haben ...“ sie zuckte die Schultern.

Jadzia legte den Kopf schief. „Du scheinst ein bemerkenswertes Talent dazu zu haben, dich mit den Ausgestoßendsten der Ausgestoßenen zu alliieren,“ bemerkte sie treffend.

Ro lächelte traurig. „Irgendjemand muß es ja tun.“

„Bist du deswegen hier?“ fragte Kira endlich. „Um uns umzustimmen?“

„Ich bin hier, um Medizin zu beschaffen,“ erklärte Ro entschieden. „Egal wie.“

Die Blicke der beiden Frauen kreuzten sich und hielten stand. Nach einer Weile nickte Kira.

„Womit wäre euch geholfen?“

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