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Lerngruppe

von Janora

Oneshot

Leonard war sich sicher, dass er einen Fehler begannen hatte. Was wollte er überhaupt hier?
Er war fast dreißig Jahre, ein Arzt und Chirurg und viel zu alt um noch mal die Schulbank zu drücken. Das hatte er bereits zur genüge getan.

Dennoch war er hier und besuchte das erste Semester der Sternenflotte Akademie. Aktuell, genauer gesagt, in der Bibliothek.

Leonard kam es so vor, als hätte er vergessen, wie man lernt. Eigentlich war er immer gut darin gewesen. Sowohl alleine als auch in einer Gruppe. Sein Ehrgeiz hatte ihn gelehrt, nicht nur kurz vor den Tests alles Wissen in sein Hirn zu füllen und auf das beste zu hoffen, sondern systematisch und langfristig Wissen aufzunehmen.

Aber sein Gehirn schien an seine Grenzen gekommen zu sein. Es produzierte einfach keine neuen Gehirnzellen mehr und die vorhandenen waren bereits vollständig belegt.

(Das war natürlich ein medizinischer Mythos, das wusste er.)

Aber anders konnte er sich nicht die Tatsache erklären, dass er die digitale Form seines Textbuchs auf seinem PADD anstarrte, einen Satz nach dem anderem las und sein Gehirn sich dennoch weigerte, jegliche Information aufzunehmen.

Als hätte er spontan die Bedeutung der Wörter verlernt.

Es war gerade mal sechs Wochen her seit er nicht aus dem Shuttle geflogen war, das ihn von Riverside nach San Francisco gebracht hatte. (Das allein war schon eine erwähnenswerte Leistung, wie er fand.)

Das Lernpensum an der Akademie war vom zweiten Tag an herausfordernd gewesen. Leonard arbeitete mit, machte sich während der Vorlesungen Notizen – sobald der Kaffee ihn wach genug dazu gemacht hatte – und auch die Hausarbeiten, die bereits jetzt eintrudelten, erledigte er zeitnah. Dies war alles kein Problem.

Doch jetzt war zusätzlich ein Zwischentest für Sternenflottenrecht 101 angekündigt worden, sowie für Schiffscrewstruktur, die beide jeweils 25% der Endnote ausmachten.

Zwei Fächer, die Pflicht für jeden Kadett waren, unabhängig von der Laufbahn, die man bei der Sternenflotte einschlagen gedachte. Und beides Fächer, die Leonard für absolut unsinnig fand.

Wobei – das war nicht ganz richtig. Die Fächer an sich waren nicht unnötig. Unnötig war, dass man von ihm verlangte, für den Test einen Großteil des Handbuchs der Sternenflotte auswendig zu lernen.

Seufzend scrollte er auf die nächste Seite, in der Hoffnung, dass diese aufschlussreicher war.

War sie nicht.

Er hatte den ernsthaften Verdacht, dass sein Hirn sich einfach abgeschaltet hatte. Es war also nur natürlich, dass er in Frage stellte, warum er überhaupt hier war. Warum hatte er sich selbst vor die Herausforderung gestellt, der Sternenflotte beizutreten?

Wollte er sich beweisen, dass er besser war als all die Dinge, die Jocelyn ihm an den Kopf geworfen hatte?

Nun, offensichtlich war er es nicht.

Er hätte sich einfach irgendeine Stelle in einem Krankenhaus auf der anderen Seite des Planeten suchen sollen.

Aber nein, sein betrunkenes Ich war dumm genug gewesen sich einzuschreiben.

Schon wieder eine Sache in seinem Leben, die scheitern würde. Darin wurde er in letzter Zeit ziemlich gut.

„Ein Posten ist die kleinste organisatorische Einheit in einer Station,“ murmelte er leise vor sich hin, in der Hoffnung, dass sein Hirn vielleicht wie ein Tonbandgerät funktionierte und alles speicherte, was es hörte. „Sein Aufgabenbereich und Handlungsbefugnis ist in sich klar definiert und abgegrenzt.“

Die Sache war, dass Leonard eigentlich gut darin war, Dinge praktisch umzusetzen. Das machte ihn zu einem guten Arzt.

Er war aber nicht gut darin, theoretische Definitionen mit einer Menge Fachjargon für Teilgebiete, die kaum Einfluss auf seine tägliche Arbeit als Arzt haben würden, auswendig zu lernen – und fand es auch absolut überflüssig.

Mit Hierarchien am Arbeitsplatz kannte er sich aus, wusste, wer unter ihm arbeitete und wer seine Vorgesetzten waren. Warum er also verschiedene Arten von Führungsstilen oder stationsübergreifenden Arbeitsmethoden als schematische Organigramme lernen und benennen musste, war ihm ein Rätsel.

Es war unnützes Wissen.

Und davon war die Sternenflotte voll, wie er bereits festgestellt hatte.

Leonard hörte, wie ein Stuhl an seinem Tisch zurückgezogen wurde und sich jemand setzte. Er machte schon den Mund auf und wollte etwas sagen – vermutlich etwas unfreundliches – als er sah, wer es war. Sein Blick schien dennoch für sich zu sprechen, denn Jim fragte ihn belustigt, „Was ziehst du denn für ein Gesicht, Bones?“

Leonard hatte bereits mitbekommen, dass der junge Mann sich nicht von seiner Reizbarkeit einschüchtern ließ.

„Ich hab keine Zeit“, brummte er.

Jims Lächeln verschwand nicht. „Wie gemein. Du weißt doch gar nicht, warum ich hier bin. Es könnte etwas wirklich Wichtiges sein.“

Stumm seufzte Leonard. Immerhin vertrieb die Ablenkung seine schlechte Laune. Und vielleicht hatte er ja Glück und es war wirklich etwas Wichtiges, sodass er eine Ausrede hatte, nicht länger in seine Lernunterlagen schauen zu müssen.

„Warum bist du denn hier, Jim?“

Der andere Kadett zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Ich bin nur zufällig vorbeigekommen und hab dich hier gesehen.“ Auf den vernichtenden Blick des Arztes hin, nahm er ihm das PADD aus der Hand und schaute, woran dieser arbeitete. „Was lernen wir? Das Handbuch? Ach komm, das ist doch ein Kinderspiel.“

Leonard schnappte sich sein Gerät zurück. „Wir lernen gar nichts. Ich versuche mir diese wirklich dämlichen Vorschriften zu merken.“ Er scrollte zurück zu dem Absatz, an dem er stehengeblieben war, und überflog ihn zum dreizehnten Mal. Sofort merkte er, wie der Widerstand in seinem Kopf zurückkehrte.

„Warum muss man diesen Mist überhaupt wissen? ‘Stirbt ein Crewmitglied während einer Mission, so gilt seine Mission offiziell als beendet’. Das erklärt sich doch von selbst.“

„Ja eben. Das ist doch das gute daran. Die Dinge sind einfach und selbsterklärend.“ Jim sah, dass McCoy seinen Einwand wenig hilfreich fand. „Sieh es mal so: wie hast du in deinem Studium gelernt? Zum Beispiel die Knochen des menschlichen Körpers. Die lernen doch alle Ärzte, oder?“

Leonard nickte. Damals schien es nicht schwer gewesen, das Wissen in sich reinzuschaufeln. Er war jung und motiviert gewesen. Und das Wissen hatte einen direkten Bezug zu seiner zukünftigen Arbeit gehabt.

„Gut,“ fuhr Jim fort. „Dann lernst du sie einfach noch mal.“

„Was meinst du?“

Jim hielt seine Hand hoch und zeigte auf seine Daumenspitze. „Wie heißt dieser Knochen?“

Leonard musste nicht mal darüber nachdenken. Er hatte sämtliche Namen schon lange verinnerlicht „Phalanx Distalis.“

„Und wie lautet die erste Vorschrift im Handbuch?“

„Ein Crewmitglied muss zum Dienst immer in seiner vorgeschriebenen Dienstuniform an seiner Station erscheinen.“

„Und jetzt merk es dir zusammen. Erster Fingerknochen, erste Vorschrift.“

„Genau genommen werden die Endglieder der Finger als drittes Fingerglied bezeichnet. Man fängt hier unten an,“ Leonard zeigte es an seiner eigenen Hand, „Und geht mit der Reihenfolge dann nach oben. Wobei Daumen nur das erste und den dritten haben. Das mittlere fehlt.“

Jim lachte bei dieser Belehrung. „Perfekt. Vorschrift eins bis drei, fangen wir mit dem kleinen Finger an.“ Er deutete auf eben jenen und schaute abwartend zu Bones, der stumm seufzend sich in sein Schicksal ergab.

„Phalanx Proximalis: ein Crewmitglied muss zum Dienst immer in seiner vorgeschriebenen Dienstuniform an seiner Station erscheinen. Phalanx Media: ist ein Crewmitglied temporär dienstunfähig, so muss es sich zum frühestmöglichen Zeitpunkt von seinem Dienst abmelden. Phalanx Distalis …“ Er warf einen kurzen Blick auf seine PADD. „Ist ein Crewmitglied aus gesundheitlichen Gründen temporär dienstunfähig, so soll es sich zeitnah auf der Krankenstation melden.“

Zufrieden nickte Jim. „Was ist der nächste Knochen?“

„Ossa metacarpalia.“ Eigentlich war diese Methode gar nicht so schlecht, fand Leonard. So verband er das nervige Wissen zumindest mit einer Wiederholung von etwas Sinnvollen. „Nehmen wir für Elle und Speiche zwei verschiedene Vorschriften?“, fragte er.

„Na was denkst du denn?“

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