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Alle guten Dinge

von Laurie

Kapitel #1

Alle guten Dinge haben irgendwann ein Ende.


So endet eine Ära.

„Fünf Jahre“, sagt Jim. „Fünf Jahre meines Lebens habe ich dem Schiff und der Crew gegeben, und jetzt? Was bleibt übrig? Chekov hat mich vorhin gefragt, ob ich ihm eine Empfehlung schreiben kann, damit er bessere Chancen auf eine gute zukünftige Stelle hat, und Sulu hat mir auch einen Versetzungsantrag gestellt, und sie waren nicht die Ersten. Klar, es ist nur natürlich, dass die Crew sich Gedanken über ihre Zukunft macht, aber ...“

Aber alles bricht auseinander. In fünf Tagen ist es vorbei, seine Crew wird sich in alle Himmelsrichtungen zerstreuen, sein Schiff wird vorläufig außer Betrieb genommen, und ehe man es sich versieht, werden ihnen die letzten fünf Jahre wie ein Traum vorkommen.

Versonnen starrt Jim in sein Glas. Darüber, wie es für ihn weitergehen wird, will er erst recht nicht nachdenken. Das Oberkommando hat ihm noch nicht mitgeteilt, ob man ihm ein neues Schiff geben wird, ob man für ihn eine Ausnahme machen wird, sollte er die Beförderung zum Admiral annehmen, und ob er das möchte, weiß er auch noch nicht.

Er nimmt einen tiefen Schluck. McCoy neben ihm tut es ihm gleich. Vermutlich war es nicht klug, sich in Jims Quartier zu verkriechen und die düsteren Gedanken in Alkohol zu ertränken, aber bis vor ein paar Momenten war Jim noch der Meinung, dass er genau das gebraucht hat. Vielleicht wird es das letzte Mal sein. Fünf Tage noch, dann ist die Mission offiziell vorbei, und er weiß genau, dass diese letzten fünf Tage die Hölle sein werden und er abends keine Kraft mehr haben wird, um etwas anderes zu tun, als sich ins Bett zu legen und sich von der Melancholie auffressen zu lassen.

Ein weiterer Schluck. Es sollte eine Erinnerung an die guten alten Zeiten sein, aber irgendwie hat die Melancholie es geschafft, sie auch hier zu überrumpeln. „Fünf Jahre, alles nur für das Schiff“, wiederholt Jim. „Und was bleibt?“

„Wenn du vielleicht einfach mal aufhören würdest, das Schiff dermaßen zu vermenschlichen und es als Ersatz für, was auch immer, eine bedeutungsvolle Beziehung oder so zu sehen ...“, sagt McCoy. Genau wie Jim hat auch er vermutlich mehr getrunken, als angebracht gewesen wäre. Der Alkohol lässt seine Ehrlichkeit noch gnadenloser ausfallen als sonst und an diesem Abend ist das ein Problem. An diesem Abend hat Jim keine Verwendung für gnadenlose Ehrlichkeit.

McCoy merkt das, aber natürlich ist es zu spät. „Ah, Jim, tut mir leid, das hab ich nicht so gemeint.“

„Doch“, sagt Jim. „Doch, hast du.“

McCoy, das muss man ihm lassen, versucht nicht, zurückzurudern. „Das Schiff ist nicht alles, auch wenn es dir gerade nicht so vorkommt. Es gab ein Leben davor und es wird ein Leben danach geben. Du musst es nur zulassen.“

„Lass gut sein, Bones.“

Er lächelt ein wenig, um zu sagen, dass es kein Problem ist, dass sie sich nicht weiter damit beschäftigen müssen, dass er schon klarkommen wird; und er verbietet es sich, jetzt und auch später, als er im Bett liegt und dem vertrauten Summen seines Schiffes lauscht, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen: dass McCoy in allem recht hat.

~°~


Sie alle verlassen ihn. Er bekommt immer mehr Meldungen darüber, dass seine Crew sich neue Stellen besorgt, immer mehr Bitten um Beurteilungsschreiben; immer mehr Crewmitglieder erzählen ihm freudig von ihren Plänen, ohne zu bemerken, wie sehr er sich gegen diese Gespräche sträubt, wie aufgesetzt sein Lächeln ist, und wie sehr er sich selbst dafür verabscheut.

Spock hat sich bisher noch nicht zu seinen Plänen geäußert, aber McCoy –

Er zuckt zusammen, als Jim in sein Büro stürmt und ein PADD vor ihm auf den Schreibtisch wirft. Jim würde nie zugeben, dass er es mit Befriedigung wahrnimmt. „Wann wolltest du es mir sagen?“

McCoy weicht seinem Blick nicht aus. „Gestern. Aber du warst so schlecht drauf ... Ich hatte gehofft, dass du dir die personellen Angelegenheiten erst später anschaust und ich vorher noch mit dir reden kann.“

„Ach so“, sagt Jim, denn was soll er sonst sagen? Dass es sich für ihn wie ein Schlag in die Magengrube angefühlt hat, McCoys Mitteilung auf seinem PADD zu sehen, weiß McCoy auch so.

Mit einem Seufzen lehnt McCoy sich ein wenig nach vorne. Jim könnte es ihm gleichtun, sich setzen und eine bequemere Haltung einnehmen, die weniger an die Atmosphäre während eines Verhörs erinnert, aber er tut es nicht.

„Jim“, sagt McCoy leise. „Es war von vornherein als Fünfjahresmission geplant. Jetzt sind die fünf Jahre vorbei und wir alle müssen schauen, wie es für uns weitergeht.“

„Und deshalb verlässt du gleich den Dienst.“

McCoy blickt ihn weiterhin unverwandt an und Jim fragt sich, ob die Müdigkeit in seinen Augen neu ist oder ob er sie zuvor einfach nie bemerkt hat. „Ich dachte, es wäre offensichtlich, dass wir nach dem Ende der Mission nicht mehr unmittelbar miteinander dienen werden.“

Den Kern der Sache so schonungslos seziert zu sehen, macht es nicht leichter. Jim will protestieren und findet keine Worte.

„Tut mir leid“, setzt McCoy hinzu. „Ich tu das, was richtig für mich ist. Was du auch tun solltest.“

Jim versteht es, er versteht es wirklich. Die letzten Monate waren für sie alle die Hölle, aber McCoy hat es besonders hart getroffen. Die Vianer, seine Krankheit – all die kleineren und größeren Tragödien ihres Alltags haben Spuren hinterlassen. McCoy kann nicht mehr, Jim könnte das jeden Tag ein wenig mehr sehen, wenn er wollte, und ohnehin hat er nie so sehr für das Schiff gelebt wie Jim. Für ihn war es nie sein gesamtes Leben, sondern am Ende, wenn es darauf ankommt, doch nur ein Job, ein Ausweg, eine Flucht.

Jim kann ihn nicht einmal dafür verurteilen, dass er jetzt in das alte Muster zurückfällt. „Klar“, sagt er benommen. „Klar.“

„Du solltest dich nicht befördern lassen, weißt du? Du bist kein Admiral.“

Das ist nicht deine Bestimmung, will McCoy sagen; aber wenn man kleinlich aufgelegt ist, kann man auch du hast diese Beförderung nicht verdient heraushören. Jim weiß, dass es nicht so gemeint ist, fühlt sich aber trotzdem ein wenig kleinlich.

Als er die Krankenstation verlässt, fällt ihm auf, wie ruhig es hier ist. Anscheinend ist seine Crew gerade zu sehr mit ihren Zukunftsaussichten beschäftigt, um sich leichtsinnige Verletzungen zuzuziehen, und das schließt das Personal der Krankenstation durchaus mit ein. Chapel ist schon eine ganze Weile fort, um sich ihrem Doktorandenprogramm zu widmen, und Jim denkt mit einem Hauch schlechten Gewissens, dass er nicht der Einzige ist, der verlassen wird.

~°~


Erst Bones, dann Spock. Natürlich hat das Oberkommando es sich nicht entgehen lassen, ihn mit verlockenden Angeboten zu bombardieren. Unter anderem hat man ihm versprochen, ihn zum Captain eines vulkanischen Forschungsschiffs zu ernennen, und obwohl Jim weiß, dass das der nächste logische Schritt in Spocks Karriere ist, dass vermutlich niemand besser qualifiziert ist als er und dass er es verdient hat, tut es dennoch weh, mit Spock darüber zu sprechen. Spock versichert ihm zwar, erst einmal in San Francisco an der Akademie zu bleiben, aber ihnen beiden ist sehr wohl bewusst, dass das nur eine Übergangslösung sein wird. Um Spock und auch McCoy so zu kämpfen, wie Jim es eigentlich sollte, fällt ihm schwer, solange er selbst so müde ist.

„Sie haben länger als jeder andere hier gedient“, sagt er zu Spock, als sie am dritten Tag vor Missionsende in der fast leeren Mensa sitzen und sich, vielleicht ein letztes Mal, den scheußlichen synthetisierten Tee zu Gemüte führen. „Sie werden die Enterprise vermissen, nicht wahr?“

Sie werden mich vermissen?

„Zweifelsohne, Jim“, antwortet Spock. „Veränderungen erfordern immer eine Periode der Anpassung. Dennoch sind sie unvermeidbar und es wäre unlogisch, sich dagegen zu sperren.“

Sein Tonfall soll wohl aufmunternd sein, aber genau das ist das Schlimmste: Jim merkt, dass er ihn schon seit Tagen mit metaphorischen Samthandschuhen anfasst, weil er seine Laune nicht noch mehr verschlechtern will. Jim sollte etwas dagegen unternehmen und schafft es doch nur, ein Gespräch über die guten, alten Zeiten zu beginnen und sich einzureden, dass das genug ist.

~°~


Er will mit McCoy über all seine Ängste und Sorgen reden und kann es nicht. Es ist nicht so, dass sie sich gestritten hätten oder irgendetwas, aber irgendwie ist da eine Distanz zwischen ihnen, die sich über Monate hinweg aufgebaut hat. Vermutlich sind sie beide daran schuld und vermutlich wäre es kein Problem, die Angelegenheit zu klären und gemeinsam darüber zu lachen – wenn nicht alles zurzeit so kompliziert wäre.

Es ist lächerlich, denkt Jim. Und weil es so lächerlich ist, entspringt es vielleicht alles nur seiner Einbildung und er sollte sich erst mal um dringlichere Angelegenheiten kümmern, zum Beispiel die Tatsache, dass sich auch Spock dem Unvermeidbaren gebeugt und ihm die Kopie seines Versetzungsgesuches geschickt hat. Jim sieht die Nachricht auf seinem PADD, sieht Spocks Zusatz darüber, dass er das Ende der Mission aufrichtig bereue, beißt sich auf die Lippe, starrt eine ganze Weile an die Wand und schreibt dann an Admiral Nogura, um ihm mitzuteilen, dass er die Beförderung annehmen wird.

~°~


„Lass von dir hören, ja?“, sagt McCoy, und dann: „Und pass auf dich auf.“

Er steht am Rand der Transporterplattform, schon in seiner zivilen Kleidung, und das ist es, das ist der Moment des Abschieds.

Jim möchte nach ihm greifen, ihn umarmen, festhalten, zurückhalten, aber Spock neben ihm blickt ohnehin schon etwas unbehaglich drein angesichts einer zu erwartenden Zurschaustellung übertriebener Gefühle und der Transporteroperator wird langsam ungeduldig, also räuspert sich Jim nur und erwidert: „Klar. Du auch.“

McCoy lächelt erst ihm zu, dann Spock, und dann steigt er auf die Plattform und verschwindet.

So endet eine Ära, jetzt und zwei Stunden später, als die Zeit gekommen ist, sich zumindest vorübergehend von Spock zu verabschieden; als Spock ihm unerwartet die Hand zum menschlichen Gruß reicht, als auch er sich letztendlich von ihm abwendet und dabei die Traurigkeit in seinen nie menschlicher erscheinenden Augen nicht ganz verstecken kann, als auch er dematerialisiert.

Jim geht nicht lange nach ihm von Bord, als Letzter seiner Besatzung, wie es sich für einen Captain gehört – nur dass er kein Captain mehr ist, nur dass es nicht mehr sein Schiff ist. Dieses Kapitel seines Lebens ist vorbei.

~°~


Die administrativen Arbeiten, die er als Admiral zu erledigen hat, sind immens wichtig und tödlich langweilig.

Noch hängt das Versprechen über Jim, dass man ihm die Enterprise nach ihrer Umrüstung vielleicht doch wieder gibt – aber je mehr Wochen vergehen, desto mehr franst dieses Versprechen an den Rändern aus, bis Jim irgendwann erkennt, dass es nie wirklich ein Versprechen war, sondern nur eine vage Andeutung, um ihn ruhigzustellen.

Die Erkenntnis hilft ihm nicht dabei, sich besser einzugewöhnen. Er hat sich eingeredet, dass die Umstellung vom Leben auf einem Raumschiff zum Leben auf der Erde nicht so drastisch wäre, aber inzwischen sind drei Monate vergangen und er ist noch genauso weit von einer zufriedenstellenden Routine entfernt wie am ersten Tag.

McCoy hatte recht: Er hat dem Schiff zu viel gegeben. Fünf Jahre lang hat er nur für die Enterprise gelebt und sämtliche Möglichkeiten für anderes gewaltsam beiseitegeschoben. Wahrscheinlich würde sich das jetzt weniger bemerkbar machen, wenn nicht noch eine entscheidende Tatsache dazukäme: Fünf Jahre lang hatte er Spock und McCoy an seiner Seite. Sie waren ein großartiges Team, drei Teile eines Ganzen – und das macht es jetzt sehr viel anstrengender, allein klarzukommen. Wenn er ehrlich ist, weiß er nicht einmal mehr, wer er ohne die beiden eigentlich ist.

Er will Spocks Meinung dazu hören, sich vielleicht die Versicherung holen, dass alles viel weniger dramatisch ist, als seine unlogisch emotionsgeladenen Gedanken es erscheinen lassen, aber Spock ist nicht da. Er ist schon seit einiger Zeit nicht mehr da und Jim war zu sehr in seine nutzlose Arbeit und seine düsteren Grübeleien versunken, um zu bemerken, dass er ihm längst nicht mehr so häufig wie zu Beginn dieses neuen Lebens über den Weg gelaufen ist.

Weil er nichts Besseres mit sich anzufangen weiß, forscht er nach und bewirkt dadurch nur, dass seine Realität ein weiteres Mal erschüttert wird.

~°~


Hast du gewusst, dass Spock sich dem Kolinahr unterziehen will?, schreibt er McCoy. Er braucht drei Anläufe dazu, weil er sich so taub fühlt, dass es fast unmöglich ist, die richtigen Tasten zu erwischen.

WAS??!?, schreibt McCoy zurück. Wieso hat er nichts gesagt??

Jim nimmt ihm ab, dass diese Entrüstung echt ist, und das hilft ein wenig, das Gefühl der Kränkung einzudämmen. Bones und Spock, diese beiden haben einander immer sehr viel besser verstanden, als sie einen glauben lassen wollten, und kurz hatte Jim die Befürchtung, dass McCoy vielleicht eingeweiht war, wieso auch immer.

Ich hab keine Ahnung, antwortet er. Anscheinend hat er seinen Lehrauftrag ganz kurzfristig gekündigt und ist abgereist, ohne sich von irgendjemandem zu verabschieden. Ich hab mit seiner Mutter gesprochen, selbst sie war überrascht. Aber anscheinend gibt es jetzt keine Möglichkeit mehr, ihn zu erreichen.

Während er die winzige Anzeige auf seinem Bildschirm anstarrt, die ihm verrät, dass McCoy am anderen Ende des Landes eine Antwort tippt, fragt er sich, wann alles begonnen hat, auseinanderzufallen. Als McCoy bei Natira bleiben wollte, um sein letztes Jahr in den Armen einer Fremden zu verbringen? Als Spock das Gefühl hatte, ihm nicht von einer so weltverändernden Entscheidung berichten zu können, als hätten die letzten fünf Jahre nichts bedeutet? Als Jim zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, um zu merken, dass er nicht als Einziger zu kämpfen hat?

Das ist doch alles total lächerlich, schreibt McCoy.

~°~


Bones lädt ihn ein nach Savannah ein, damit er dort anstatt in San Francisco schlecht gelaunt sein kann. Es ist nett gemeint und bringt absolut gar nichts, weil es ihm vor Augen führt, dass McCoy zu einem charmanten alten Südstaatenhaus und so etwas wie einer Familie zurückkehren kann, während auf Jim sowohl in Iowa als auch in San Francisco nur leere Wohnungen und Bedauern warten.

„Wie kommst du so klar mit der Umstellung?“, fragt McCoy ihn, als er ihn vom Flughafen abholt. Seine Haare sind ein wenig länger geworden, gerade so sehr, dass sie nicht mehr dem vorgeschriebenen Offiziershaarschnitt entsprechen, und er hat sich seit mindestens einer Woche nicht rasiert. Er sollte entspannter aussehen als zuletzt auf der Enterprise, tut es aber nicht.

„Gut“, sagt Jim.

McCoy sieht kurz so aus, als überlege er, ihn für diese offensichtliche Lüge zu rügen, hält sich allerdings zurück und tut so, als sei er voll und ganz auf den Verkehr konzentriert. Bevor er es sich anders überlegen kann, fängt Jim an, ihn seinerseits auszufragen. Ehrlich gesagt weiß er nicht einmal, was McCoy inzwischen treibt; er hat irgendetwas davon erzählt, dass er sich eingehender mit den Fabrini-Datenbanken beschäftigen will, aber das ist sicher nicht alles. McCoys Beschwerden über die Inkompetenz seiner neuen Kollegen in der kleinen Praxis, in der er jetzt halbtags arbeitet, sind eine willkommene Abwechslung von seinen eigenen lästigen Gedanken. Jim seziert jedes einzelne Wort in dem Versuch, herauszufinden, ob McCoy die Zeit auf der Enterprise nicht doch etwas mehr vermisst, als er zugeben will, gelangt aber zu keinem Ergebnis.

Im Haus werden sie von dem Duft nach frischgebackenem Pfirsichkuchen begrüßt und von Joanna, die ihre Semesterferien hier verbringt, und wieder einmal stellt Jim mit einiger Überraschung fest, dass das Leben auf der Erde weitergegangen ist und ihn zurückgelassen hat, während er sich im Weltraum herumgetrieben hat.

Natürlich hat Joanna sich verändert. Das Kind, das ihn damals, als er McCoy kennengelernt hat, Onkel Jim genannt hat, ist eine junge Frau geworden, die ihm gegenüber nicht mehr viel von der Unbefangenheit des Kindes aufbringt. Sie versuchen es. Jim fragt sie nach ihrem Leben aus, nach ihren Freunden, ihrem Studium, und sie fragt ihn, wie das Leben als Admiral so ist, und es ist alles sehr freundlich und höflich – und viel mehr auch nicht. Sie sind Fremde füreinander geworden.

Es bessert seine Laune nicht. Er will sich für McCoy freuen, weil das Verhältnis zwischen Joanna und ihm nicht immer einfach war und es ganz danach ausschaut, als hätten sie die Probleme der letzten Jahre überwunden, doch es gelingt ihm nicht so sehr, wie es sich für einen guten Freund gehört. Jedes Mal, wenn er beobachtet, wie ungezwungen und voller Zuneigung die beiden miteinander umgehen, muss er an David denken – David, der jetzt fast elf Jahre alt ist und zu dem Jim nie so ein Verhältnis haben wird, wie McCoy und Joanna es haben.

„Was ist denn eigentlich mit ihm?“, hört er Joanna irgendwann fragen, als er gerade die Küche verlassen hat, um sich zum Gästebad zu begeben.

Gegen besseres Wissen bleibt er stehen, um zu lauschen. Vielleicht fällt es McCoy leichter, die richtige Antwort zu finden, wenn er Jim dabei nicht ins Gesicht sehen muss.

„Midlife-Crisis“, sagt McCoy.

„Und mit dir?“

Statt einer Antwort will McCoy wissen, ob noch genug Milch im Haus ist. Jim geht weiter zur Toilette und kehrt lange nicht zurück.

~°~


„Wenn ich ...“

„Hm?“

Sie sitzen in McCoys Küche und starren wieder einmal in ihre Gläser. Einige der ehrlichsten Gespräche zwischen ihnen sind auf diese Weise zustande gekommen, aber offenbar ist ihnen auch das abhandengekommen.

Wenn ich doch je wieder ein Schiff befehlige, wirst du dann wieder unter mir dienen?, will Jim fragen und tut es nicht, weil McCoy ihm eben erst von den Urlaubsplänen erzählt hat, die Joanna und er für den nächsten Sommer geschmiedet haben, und weil er dabei zum ersten Mal seit Jims Ankunft wirklich glücklich aussah.

„Wenn ich daheim bin, versuche ich noch mal, ob ich Spock irgendwie erreichen kann“, sagt er stattdessen.

McCoy schnaubt. „Viel Glück. Solltest du’s schaffen, sag ihm von mir, dass er ein Idiot ist.“

Ein Hauch von Bitterkeit schwingt in seiner Stimme mit und das ist ein winziger Trost, weil es Jim versichert, dass seine unschönen Gedanken voll und ganz legitim sind.

~°~


Jim bleibt nicht lange in Georgia. Die Pflicht ruft und kümmert sich nicht darum, ob er fast alles andere lieber machen würde.

Die Sache ist die: Er könnte trotz allem nichts anderes machen. McCoy schlägt vor, sich irgendetwas außerhalb der Flotte zu suchen, aber die Vorstellung ist so bizarr, dass Jim keine Zeit damit verschwendet, darüber nachzudenken. Die Flotte war sein gesamtes Leben und daran wird sich nichts ändern. Er wird zurechtkommen; er braucht nur noch ein wenig Zeit. Fünf Jahre sind zu lang, um sie einfach hinter sich zu lassen, auch wenn McCoy ihnen beiden etwas anderes einreden möchte.

„Pass auf dich auf“, sagt McCoy auch diesmal zum Abschied.

„Immer doch“, antwortet Jim anstatt all der anderen Dinge, die sie viel dringender besprechen sollten; und erst, als er im Shuttle sitzt, fällt ihm auf, dass er das du auch vergessen hat.

~°~


Er versucht, McCoys indirekte Vorschläge zu beherzigen, und begibt sich in den halb vergessenen Tanz der Partnersuche. Es hält nicht lange an. Lori ist witzig und intelligent und sie verdient jemanden, der sie nicht nur zur Ablenkung braucht; so viel Realitätssinn kann Jim gerade noch aufbringen, deshalb beendet er die Beziehung, bevor sie richtig angefangen hat, und empfindet nicht mehr als die vage Vorstellung von Reue.

Es ist ganz einfach: Wenn er nur die Enterprise wieder bekäme, würde alles gut werden. Er weiß das – egal, was das Oberkommando behauptet, egal, ob man sie lieber an Will Decker übergibt. Decker ist ein guter Captain und ein guter Mensch, aber er hat nicht Jims Erfahrung. Die Enterprise ist nicht sein Schiff.

McCoy würde das Ganze vermutlich als fixe Idee bezeichnen, doch er ist nicht da und genau das ist das Problem. Nicht mehr lange, denkt Jim. Die endlosen Monate der Langeweile sind vorbei. Das Universum schickt ihm einen unübersehbaren Wink mit dem Zaunpfahl, der gar keine andere Interpretationsmöglichkeit offenlässt: Die Enterprise wird gebraucht und sie braucht jemanden wie Jim, und dass das zufällig mit seinem tiefsten Bedürfnis übereinstimmt, ist eben nur das, ein glücklicher Zufall. Deckers Enttäuschung ist bedauerlich, aber zu vernachlässigen, wenn es darum geht, was das Beste ist – für die Erde, für die Enterprise, (für Jim). Zum ersten Mal seit dem Ende der Fünfjahresmission fühlt er sich richtig lebendig.

~°~


Schritt eins ist es, das Kommando über das Schiff zu übernehmen. Schritt zwei ist schon ein wenig komplizierter.

Bis zum letzten Moment ist Jim sich nicht sicher, ob McCoy kommen wird; aber er muss es versuchen. Er kann nicht ohne Bones und Spock ins Unbekannte aufbrechen, nicht ohne zumindest einen von ihnen. Inzwischen weiß er sehr wohl, wer er ohne die beiden ist, und dieser Jemand ist ihm deutlich weniger sympathisch als der Jim, der ein Teil von etwas Größerem ist.

„Das war deine Idee!“, faucht McCoy ihn dort im Transporterraum an, ganz wie er es erwartet hat.

Jim legt all seine Ehrlichkeit in den einzigen Satz, der jetzt einen Unterschied machen kann. „Bones, ich brauche dich. Dringend.“

Und das ist, zumindest für den Anfang, genug.

~°~


Natürlich läuft nicht alles glatt, und natürlich wird es einige Zeit dauern, bis Jim alles richtig verarbeitet hat. Loris Tod, Deckers und Ilias Verschmelzung mit einer neuen Lebensform, das anfängliche Gefühl der Inkompetenz ... Dennoch bleibt die Euphorie noch lange bestehen, nachdem die Bedrohung abgewendet wurde.

Sie haben die Erde gerettet und noch dazu hat Jim nicht nur McCoy zurückbekommen, sondern auch Spock. Es ist mehr, als er je erwartet hat, und alles, was er je gebraucht hat. Erst, als die beiden wieder an seiner Seite sind, entwickelt sich alles aus der Verwirrung und der Unsicherheit heraus in die richtige Richtung, und eigentlich ist es beschämend, wie lange Jim gebraucht hat, um das Wesentliche zu erkennen. Das Schiff ist, nun ja, das Schiff. Aber seine Crew ... seine Crew ist entgegen aller Erwartungen hier bei ihm, und auch wenn es lediglich aussehen mag wie ein nostalgischer Kurzausflug in die Vergangenheit, erscheint es ihm doch wie ein Vorbote für mehr.

Der Moment in der Krankenstation, als Spock nach seiner Hand gegriffen hat, hat Jims Welt endlich wieder ins Lot gerückt. Fast ist es, als sei die Zeit seit dem Ende der Fünfjahresmission nie geschehen; und als er zwischen seinen Freunden auf der Brücke steht und sie keine Worte brauchen, um einander zu verstehen, erkennt Jim, dass das für ihn der eigentliche Erfolg dieser Mission ist. Es ist richtig so. Jim weiß nicht, wie es für sie weitergehen wird, ob Spock in Zukunft wieder mit ihm zusammenarbeiten wird und ob McCoy dauerhaft in den Dienst der Sternenflotte zurückkehren wird, aber diesen einen Moment auf der Brücke wird ihm niemand nehmen können.

Vielleicht wird die Erinnerung daran diesmal ausreichen, um ihn durch schwierige Zeiten zu tragen. Und vielleicht hätte er nicht den bedeutungsvollen Beziehungen, von denen McCoy vor so langer Zeit gesprochen hat, hinterherjagen müssen, weil er längst etwas Wichtigeres gefunden hat.

~°~


Das lange, intensive Gespräch, das Jim an diesem Abend mit Spock führt, trägt viel dazu bei, die letzten Fetzen der Distanz zu beseitigen; und als das hinter ihnen liegt, ist es an der Zeit für die größere Herausforderung.

„Du hättest mich verdammt noch mal vorwarnen können, bevor du mich aus meinem Leben rausgerissen hast!“, blafft McCoy ihn an, noch nicht so wütend, wie er sein könnte, aber mit einem Unterton, der verrät, dass diese tiefere Wut sich im Anmarsch befindet. „Ehrlich, Jim, ich schwör’s bei Gott, wenn ich dich nicht theoretisch ganz gern mögen würde ... Ich hab mein eigenes Leben, klar? Ich saß nicht zweieinhalb Jahre lang daheim und hab Däumchen gedreht und nur darauf gewartet, dass du mich wieder antanzen lässt!“

„Ja, ich weiß“, sagt Jim in seinem versöhnlichsten Tonfall. „Aber es war gut, dass du da warst, oder?“

Er versucht sich an einem Grinsen, einem unausgesprochenen so schlimm war’s doch gar nicht, oder?, um die Situation aufzulockern, aber es hilft nicht viel. Jim bleibt nichts anderes übrig, als die Tirade mit der Frage abzuschneiden, die er schon vor langer Zeit hätte stellen sollen. „Wenn ich dich darum gebeten hätte, wärst du dann gekommen?“

McCoys Miene wird weicher, und plötzlich ist die Herausforderung gar nicht mehr so groß. „Natürlich wär ich gekommen, du Trottel.“

Und so einfach ist es; so einfach, dass Jim lachen muss und damit die letzten der heimtückischen Ängste verscheucht.

Von irgendwoher zaubert McCoy eine Flasche und zwei Gläser hervor, reicht eines davon mit einem resignierten Lächeln an Jim weiter, und als sie anstoßen, denkt Jim, dass längst etwas Neues begonnen hat. Er hat keine andere Wahl, als sich darauf einzulassen.

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