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Bruderschaft

von SusanQ

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Sobald die Sonne hinter den Bergen, welche die Hochebene von Shi Kar begrenzen versunken ist, nimmt die Lufttemperatur rapide ab. Der Luftdruck steigt an und nur der dunkle, an Olivinmineralen reiche und dadurch leicht grünschwarz schimmernde Basalt, der im Zentrum der großen Fläche durch den steten Wind, von jedem Sandkörnchen befreit wurde, hat tagsüber genügend Energie von der heißen Sonne Vulkans absorbiert, um noch immer etwas, von der gespeicherten Wärme abgeben zu können, so daß die Luftsäule darüber einen geringeren Luftdruck beibehält.

Langsam kommt Wind auf und die Luft bewegt sich radial zur Mitte der Ebene. Dabei streicht er, Sandkörner mit sich tragend, über die, während der vergangenen Jahrtausende zu kleinen dreiseitigen Pyramiden geschliffenen fast glasartigen Kiesel aus schwarzem Obsidian.

T’Rukh’s nicht beleuchtete dunkle Sichel steht hoch am Himmel und umschließt zum Teil das strahlende orangerot der reflektierten Sonnenstrahlen. Glutrote Vulkaneruptionen auf der, geologisch noch immer aktiven, Oberfläche des Nachbarplaneten von Vulkan, lassen die Sichel fast pockennarbig erscheinen und heben diese deutlich, sie als einen Teil T’Rukh’s zu erkennen gebend, vor dem Hintergrund des langsam dunkler werdenden Firmaments, mit den in kaltem Weiß erstrahlenden Sternen, hervor.

Aus der Ebene erhebt sich ein, am Tage blendend weißer, doch in der Nacht nur matt grauer, Fels aus granitischem Rhyolith einer weit zurückliegenden geologischen Epoche Vulkans, der von dem, vor wenigen Millionen Jahren ausflossenen Basalt umspült worden war und diesem dennoch hatte Stand halten können.

Auf diesem Felsen kniete eine, in Agonie zusammengesunkene, in die weiße Robe eines Kolinahrstudenten gehüllte Gestalt, die Kapuze weit ins Gesicht hängend, den Kopf in hoffnungslosem Schmerz so weit nach vorn gebeugt, daß das Kinn auf dem Brustbein ruhte.

Er hatte unaussprechliches Leid erfahren und unsagbar waren auch die Qualen, die er in diesem Moment erlitt. Im Glauben, an ihnen zerbrechen zu müssen, schrie seine gepeinigte Seele. Sein Körper bäumte sich auf und ein markdurchdringender Schrei brandete über die anscheinend so friedlich und sonst des nächtens lautlos daliegende Ebene.

In ihrem normalen Lebensrhythmus gestörte Wildtiere eilten, sich mit hoher Geschwindigkeit von der Quelle des ungewohnten Lärms entfernend, ärgerlich auseinander. Flugfähige Tiere flatterten aufgeregt davon, erhoben sich in die Lüfte und kämpften dort gegen den stärker werdenden Wind an.

Die humanoide Gestalt warf verzweifelt den Kopf in den Nacken. Die Kapuze rutschte auf die Schultern hinab und Spock blickte aus zusammengekniffenen Augen, mit schmerzverzerrtem Gesicht, wie um Hilfe flehend, hinauf zu T’Rukh. Seine Gedanken rasten und ein zweiter, diesmal deutlicher artikulierter, aber dennoch rauher, langgezogener Schrei entrang sich heiser seiner trockenen Kehle.

„NEIN!“ erschallte es gequält über die weitläufige Ebene, die sich danach in absolute Stille hüllte, als Spock, nicht vor Kälte zitternd, wieder in sich zusammensank.

Tief in seinem Inneren ballte sich unbewußt ein eindringlicher Wunsch zusammen und drang kraftvoll in den mentalen Äther hinaus. – *Hilf mir!*

~~~~~~~~~~~~~~~~

Zur gleichen Zeit, 12 Lichtjahre entfernt, saß Admiral James T. Kirk in seinem Büro im Hauptquartier der Sternenflotte und ging einen der unzähligen Berichte über die Umbauarbeiten und die damit verbundenen Verbesserungsvorschläge so manchen jungen Ingenieurs, der glaubte unbedingt seinen Betrag zur Verbesserung einiger Schiffe der Flotte, sei er auch noch so widersinnig und unnütz, leisten zu müssen, durch.

Manchmal kam es Kirk so vor, als handele es sich dabei ausnahmslos um alle Schiffe der Flotte, bis hin zum letzten altersschwachen Frachter, und eines dieser Schiffe war bis vor kurzem noch seines gewesen - die Enterprise.

Obwohl er schon seit mehreren Monaten, ja schon fast seit einem Jahr, nicht mehr der Kommandant des Flagschiffes war, erschien es ihm immer noch, als sei sie sein Schiff und er nur vorrübergehend an diesen Schreibtisch gefesselt, doch wenn er den Stapel an Datenträgerchips so vor sich sah, glaubte er auf Ewig an diesen Stuhl gefesselt zu sein und nie wieder ins All hinaus zu kommen.

Sein Adjutant, Lieutenant Commander Kevin Riley, der schon auf der Enterprise unter ihm gedient hatte, betrat gerade das Büro und brachte weitere Datenpads herein. Kirk lehnte sich leicht resigniert und leise seufzend in seinem Sessel zurück und fuhr sich genervt durch die Haare.

„Nimmt das denn nie ein Ende?“, wollte er jetzt wissen und blickte Riley hilfesuchend an. Dieser warf gerade einen prüfenden Blick auf den Stapel noch unbearbeiteter Datenträger auf seinem eigenen Schreibtisch im Vorzimmer des Admirals.

Als Kirk jetzt wieder auf die Unterlagen vor sich schaute, hörte er ein undeutliches Nein.

„Was sagten Sie gerade?“, fragte Kirk nun seinen Adjutanten.

„Ich sagte gar nichts“, entgegnete dieser verblüfft.

„Sie sagten doch gerade, nein.“

„Nein, Sir, das sagte ich nicht, obwohl es wahr wäre. Die Verbesserungsvorschläge scheinen tatsächlich kein Ende nehmen zu wollen.“ Jetzt sah Riley den Admiral aufmerksam an und überlegte, ob dieser nicht vielleicht doch etwas überarbeitet war und ob er ihm nicht eventuell ein oder zwei Tage freischaufeln könnte, wie Dr. McCoy es zu nennen pflegte, wenn er von ihm gebeten wurde, den einen oder anderen von Kirks Terminen so zu verschieben, daß dieser ein verlängertes Wochenende auf der Farm in Iowa bei seinen Pferden verbringen konnte.

*Hilf mir!*

Das war Spocks Stimme und er hörte sie direkt hinter seiner Stirn. Nein, das war so nicht ganz richtig. Kirk nahm sie unter seinem linken Schläfenbein wahr, dort wo sich sein Sprachzentrum befindet, nicht in seinem Hörzentrum hinter seinem Ohr, wie einen Reiz von außen, wodurch im der Gedanke erschien, als sei er sein eigener. Dennoch war es unverkennbar Spocks Stimme. Und er brauchte Hilfe, dringend.

„Besorgen Sie mir sofort zwei Passagen auf dem nächsten Flug nach Vulkan, egal wie und egal was es kostet“, gab Kirk seine Anweisungen, wobei er aufstand und entschlossen nach seiner Uniformjacke griff, die er achtlos auf die Sitzgruppe in seinem Büro geworfen hatte. Während er schnurstracks zur Tür ging, sprach er weiter: „Und sagen sie alle Termine in der nächsten Woche ab.“

„Auf welche Namen soll ich die Tickets buchen, Sir? Ihren und...?“, ist alles, was Riley wissen wollte. Er hatte noch nie Befehle oder Anweisungen von Kirk in Frage gestellt, egal wie ungewöhnlich diese ihm auch erschienen sein mochten.

Der Admiral hielt kurz im gehen inne, drehte sich um, sah Riley in die Augen und antwortete fast tonlos: „McCoy.“

~~~~~~~~~~~~~~~~

Auch den zweiten Tag, an dem Spocks Füße ihn über den heißen Wüstensand Richtung Shi Kar getragen hatten, brannte die Sonne hoch über seinem Kopf. Seine Füße trugen ihn mechanisch zum Haus seiner Eltern, ganz so, als gehorchten sie nicht mehr seinem Willen, denn sein Wille war es gewesen in jener Nacht, auf diesem Felsen inmitten der Hocheben zu sterben.

Jetzt stand er in der Eingangstür und starrte an seinem Vater vorbei in die Dunkelheit des großen Raumes im Erdgeschoß. Eine Dunkelheit, die Schatten und Kühle versprach.

Ein einziger Gedanke brummte in seinem Hirn – *physische Erholung*.

Spock wußte nicht, wie er hierher gekommen war. Er wußte nicht einmal, wo er sich hier befand. Es gab keine Erinnerungsfetzen in seinem Geist, die dieses Haus oder diesen Mann, der vor ihm stand und der ihm irgendwie bekannt vorkam, mit seiner Kindheit oder Jugendzeit in Verbindung brachten.

*Physische Erholung*.

Er stand da, leicht wankend, völlig entkräftet. Seine Kleidung war zerschlissen und staubig. Er hatte einen Ärmel und einen Teil der langen Robe zerrissen und um seine zerschundenen, blutigen Füße gewickelt, um weiterlaufen zu können. Jetzt war er, wo auch immer, angekommen und wußte nicht weiter.

Spock starrte noch immer in die verlockende Dunkelheit, in der er nun eine Couch zu erkennen glaubte. *Physische Erholung* – selbst der, nur mit einem dünnen Teppich ausgelegte Boden wirkte auf ihn überaus einladend.

„Spock?“ Erklang sein Name aus dem Munde seines Vaters. Die Stimme kam ihm vertraut vor, doch vertrauter erschien ihm das Wort – Spock.

Leicht irritiert schaute er mit glasigem Blick in die dunklen Augen seines Gegenübers. Dann brach er auf der Schwelle des Hauses ohnmächtig zusammen.

Als Spock wieder erwachte, lag er im Bett, in seinem eigenen Zimmer. Mit der Rückkehr seiner körperlichen Kraft, kehrten auch Erinnerungen aus seinem Langzeitgedächtnis zurück. Er erkannte diesen Raum wieder und wußte, er war im Haus seiner Eltern – in Sicherheit – daheim.

Trotz der schweren Tür aus massivem Holz hörte er leise Stimmen vom Gang her erklingen. Zwei Personen unterhielten sich. Er schloß konzentriert die Augen und erkannte die Stimme von Sarek, seinem Vater, und die seiner Mutter.

Amanda’s weiche Stimme und ihre sanft flüsternde Aussprache machten es schwer, sie zu hören, doch Sareks energischere Worte waren deutlich vernehmbar.

„Was hat ihn nur hierher getrieben?“, sinnierte Sarek.

„Das ist doch irrelevant. Er ist unser Sohn und bedarf ganz offensichtlich unserer Hilfe“, entgegnete Amanda leise.

„Wieder einmal hat er sich, gegen meinen Willen, für einen Weg entschieden, von dem er ganz genau wußte, daß ich ihn nicht gut heiße. Ich dachte nun, da er aus der Sternenflotte ausgetreten ist, widmet sich mein Sohn endlich der für ihn vorgesehenen Karriere im diplomatischen Dienst, aber nein, er geht in die Wüste um sich dem Kolinahr zu unterziehen!“

„Wenn Du ihn nicht immer so bedrängen würdest, hätte er vermutlich schon längst diesen Weg in seinem Leben eingeschlagen“, gab Amanda nun zu bedenken.

„Ist dies die obskure inverse Logik, mit der menschliche Eltern ihre Kinder zu erziehen versuchen?“

„Je mehr man versucht eine Person in ein bestimmtes Schema zu pressen, um so mehr wehrt sich diese Person dagegen“, erklärte sie nun ihrem Mann.

„Das ist unlogisch.“

„Es ist menschlich! Und Spock ist nun mal zur Hälfte Mensch.“

„Genau aus diesem Grund hat er auch beim Kolinahr versagt. Ich habe es vorher gewußt und wollte ihn davon abhalten, aber er hört ja nicht auf mich.“

„Das ist nicht wahr, Sarek, und das weißt Du auch. Irgend etwas anderes, viel schwerwiegenderes ist vorgefallen.“

„Nein, Amanda, ist es nicht! Auch der Arzt hat gesagt, daß derartiges schon gegeben hätte und das die Symptome Spock’s genau mit denen solcher Kolinahrstudenten, die das Ritual nicht meistern konnten, übereinstimmen. Du willst anscheinend nur nicht einsehen, daß Dein Sohn versagt hat.“

Die nächsten Worte Amandas klangen etwas aufgebrachter, als sie sagte: „Ach? Jetzt ist Spock also wieder MEIN Sohn?“

Zu der tiefen Scham, die er wegen des Vorgefallenen empfand, mischte sich nun auch eine leichte Wut auf seinen Vater, der ihm Versagen unterstellte, ohne auch nur das geringste zu wissen. Spock hatte in der Wüste nicht versucht die letzten Riten des Kolinahr zu vollziehen, aber das wußte niemand außer ihm und dem, der ihn in der Wüste zum Sterben zurückgelassen hatte.

Seine vulkanische Hälfte hatte den logischen Entschluß gefaßt, dort, wo er war, zu bleiben und zu sterben, denn sein vulkanischer Geist war zerbrochen worden. Es war einzig und allein der Überlebenswille seiner menschlichen Hälfte gewesen, der ihn dazu veranlaßt hatte, den beschwerlichen Weg durch die Wüste aufzunehmen und hierher zu kommen.

Jetzt lag er, in Fötushaltung zusammengerollt unter der dünnen Decke in seinem Bett und verbarg sein ausdrucksloses Gesicht in der Beugung seines Armes. Eine Träne rollte über seine Wange und wurde vom Bezug des Kissens aufgesogen. Langsam driftete er wieder hinüber in einen, hoffentlich traumlosen, Schlaf.

~~~~~~~~~~~~~~~~

Als Admiral Kirk am Haupteingang der Starfleet Medical School eintraf, wurde er bereits von Dr. McCoy erwartet. Dieser ging ihm durch die überschaubare Grünanlage, auf deren Rasenflächen es sich einige seiner Studenten in der Sonne bequem gemacht hatten, entgegen und begrüßte ihn mit den Worten: „Jetzt treffen Nachrichten für Dich schon schneller ein, als Du selbst.“ Dabei überreichte er Kirk einen zusammengefalteten Notizzettel.

Der Admiral überflog die dreizeilige Nachricht, die ihm offensichtlich Riley über McCoy’s Sekretärin hatte zukommen lassen.

*Keine Zeit zum packen.

Tickets auf Ihren Namen hinterlegt.

Frachter T’Mir startet 1815.*

„Bloß gut, daß Deine Sekretärin die Botschaft notiert hat. Deine Schrift kann ja kein Mensch lesen.“

„Ich kann sie lesen und nur darauf kommt’s an“, erwiderte der Arzt.

Daraufhin warf Kirk einen flüchtigen Blick auf seinen Chronometer und meinte: „Wir müssen uns beeilen.“

Bei diesen Worten lief er zügig los und McCoy hinterdrein.

„Beeilen? Wieso?“, wollte er nun wissen.

„Unser Flug geht in anderthalb Stunden, gerade genug Zeit, um einzuchecken“, erklärte Kirk.

„Flug? Wohin?“

„Nach Vulkan.“

Der Arzt blieb abrupt stehen. „Nach Vulkan? – Spinnst Du?“ Er breitete in einer fragend wirkenden Geste die Arme aus und schüttelte leicht irritiert mit dem Kopf. „Ich habe in einer halben Stunde eine Vorlesung über Interspeziesepidemiologie zu halten und danach noch einen Einführungskurs in allgemeine Anatomie.“

„Darum hat sich Riley mit Sicherheit schon gekümmert. Auf ihn kann man sich in solchen Dingen verlassen“, versuchte Kirk, der inzwischen ebenfalls stehen geblieben war und sich umgedreht hatte, ihn zu beruhigen.

„Worum geht’s hier überhaupt?“

„Spock braucht unsere Hilfe.“

Jetzt wurde Kirk von seinem Freund skeptisch betrachtet und gefragt: „Woher weißt Du das?“

„Das kann ich nicht sagen.“

„Kannst Du nicht, oder willst Du nicht?“, erkundigte sich McCoy nun leicht aufgebracht.

„Ich bin nicht dazu in der Lage, weil ich es selbst nicht genau weiß“, präzisierte Kirk seine Aussage, „aber ich denke, es geht um Leben und Tod.“

Daraufhin beobachtete McCoy, der noch immer zögernd dastand, ihn noch skeptischer.

„Herrgott nochmal, Pille! Wie oft hat Spock uns das Leben gerettet?“

„Mir persönlich?“, fragte McCoy zurück und beantwortete, nach kurzer Überlegung, Kirk’s, offensichtlich rethorisch gemeinte Frage: „Zwei Mal?“

Kirk, der in diesem Moment rein gar nichts mit McCoy’s üblichem Galgenhumor anfangen konnte, sah ihn strafend an und fragte weiter: „Und wie oft hat er uns um Hilfe gebeten?“

„Nie“, gestand der Arzt ein.

„Ich denke das allein zeigt schon, wie ernst die Situation ist“, meinte Kirk nur noch dazu.

„Meistens muß man ihm die Hilfe sogar aufzwingen“, fügte McCoy leicht resigniert hinzu und lief dem Admiral, der bereits seinen Weg eilig fortgesetzt hatte, hinterher.

~~~~~~~~~~~~~~~~

Nun, da Spocks Füße einige Tage Zeit gehabt hatten zu heilen, und der physische Schmerz langsam abgeklungen war, hatte er um so mehr Gelegenheit über die Geschehnisse in der Wüste nachzudenken. Diese Gedanken, die sich in seinem Geist so fest verankert hatten, daß selbst seine Versuche ihrer mit Meditation Herr zu werden, scheiterten und er sich Nacht für Nacht in alptraumgeplagtem Schlaf in seinem Bett hin und her warf, potenzierten ihre negative Wirkung auf seinen psychischen Zustand und marterten ihn zudem auch körperlich nachhaltig.

Nach Nächten ohne Schlaf und ohne Meditation versuchte er seine Situation logisch zu durchdenken. Spock entschied, daß es wohl das beste sei, sein Wissen, oder zumindest Teile davon, mit einer Person zu teilen, der er früher ohne zu zögern vorbehaltlos vertraut hatte. Doch in diesem Moment kam es ihm so vor, als gäbe es niemanden mehr, dem er sein Vertrauen schenken konnte oder das es irgend etwas gäbe, wodurch sich jemand sein Vertrauen hätte verdienen können.

Seine Mutter kam auf gar keinen Fall in Frage. Als Mensch würde sie ihn, da sie eine tiefe emotionale Bindung zu ihrem einzigen Sohn hatte und sich sicherlich zu tiefst um ihn sorgte, zweifelsohne bedrängen, alles preiszugeben und dazu war er noch nicht bereit, würde es vermutlich nie sein.

Und sein Vater? – Nachdem, was Spock von dem Gespräch zwischen diesem und seiner Mutter auf dem oberen Korridor, direkt vor seiner Tür gehört hatte, war mit Unterstützung seitens Sarek nicht zu rechnen. Aber vielleicht mit einem Rat?

Wen fragte ausnahmslos jeder aus dem Hause Surak’s um Rat, wenn es um schwerwiegende Entscheidungen ging? – Die älteste Mutter des Hauses. – Seit nun fast 100 Standardjahren hatte T’Pau, zugleich oberste Priesterin Vulkans, dieses Amt inne.

Spock faßte also den Entschluß mit T’Pau zu sprechen und bat sie schriftlich um eine persönliche Unterredung.

Selbst Sarek konnte seine Überraschung kaum verbergen, als ein Assistent T’Pau’s vor dem Tor des Familienanwesens auftauchte und bekannt gab, er solle Spock abholen, da ihm T’Pau noch am selben Tag eine Audienz gewähre.

Jetzt saß Spock, wenig würdevoll, in der erhabenen Umgebung des Arbeitszimmers der Hohepriesterin im Kloster von Shi Kar und erwartete deren Ankunft.

Die massive, Jahrhunderte alte Holztür wurde geöffnet und eine fast zierlich zu nennende ältere Frau mit schlohweißem Haar, eingehüllt in eine wallende zeremonielle Robe aus schwerem, dunkelrotem Stoff, betrat den Raum.

Spock erhob sich und neigte zur Begrüßung leicht den Kopf, wie um einen Segen zu empfangen, und wartete darauf von der Priesterin angesprochen zu werden.

„Sei gegrüßt, Spock, Sohn von Amanda und Sarek, meinem Neffen.“

Sie legte die Robe hinter einem Paravent ab und ersetzte sie durch einen sommerlichen Umhang aus sandfarbenen Stoff, der ihre zierliche Figur sanft umfloß.

„Ich grüße Dich, T’Pau, Schwester meines Vaters Mutter“, entgegnete Spock, bemüht ebenso emotionslos zu klingen, wie die Hohepriestern selbst. Es mißlang ihm insofern, daß man ein leichtes Zittern in der Stimme hören konnte, daß durchaus auch auf die Kraft, die er aufwenden mußte, um so aufrechte dazustehen, zurückzuführen hätte sein können.

„Setz Dich“, forderte T’Pau ihn auf.

Nachdem sie ihn kurz aufmerksam gemustert hatte, fuhr sie fort: „Meine Entscheidung Dich sofort zu hören, war offenbar recht getroffen. Deinen knappen Zeilen habe ich entnommen, daß es sich um eine Angelegenheit von höchster Wichtigkeit handelt. Und bedenkend, daß Du mich nie zuvor um Rat ersucht hast, scheint diese Angelegenheit auch von größter Tragweite zu sein, vermutlich nicht nur für Dich.“

Spock blickte auf den Boden einige Meter vor sich, irgendwo neben dem Sessel, in dem sich T’Pau inzwischen niedergelassen hatte und schwieg, als suche er noch nach den richtigen Worten, um sein Anliegen vorzutragen, doch sein Gegenüber merkte schnell, daß die Gedankenpause viel zu lange dauerte und sagte: „Ich spüre eine Art von Befangenheit, die nicht auf die, fast erdrückend zu nennende, erwürdige Atmosphäre dieses Ortes zurückzuführen ist. – Was kann ich für Dich tun?“

Es folgte ein weiteres Zögern Spocks, doch dann begann er zu reden: „T’Pau.“ Er wählte jedes weitere Wort mit Bedacht. „Ich spreche zu Dir, als der ältesten Mutter meines Hauses. – Ich habe Grund zu der Annahme, daß innerhalb des Ordens eine Bruderschaft existiert, die sich dem alten Kodex der Mindlords verschrieben hat.“

„Was veranlaßt Dich zu dieser Annahme?“, wollte T’Pau wissen.

Spock blickte zu ihr auf und antwortete: „Ich habe einige alte Schriften studiert und bin dabei auf Dokumente gestoßen, die uralte, verbotene Praktiken der Gedankenverschmelzung beschrieben.“

T’Pau nickte versonnen und Spock führte weiter aus: „Mein wissenschaftliches Interesse nötigte mich auf Grund einiger Unstimmigkeiten im Sprachgebrauch eine genauere Alterbestimmung vorzunehmen. Die Dokumente waren viel jünger als erwartet.“

Jetzt horchte die Hohepriesterin auf und erkundigte sich: „Wie jung?“

„Vermutlich handelt es sich um Abschriften, die keine 200 Jahre alt sind.“

„Diese Entdeckung von Dir ist überaus beunruhigend. Solltest Du damit recht haben, besteht die Möglichkeit, daß es immer noch Mindlords unter uns gibt.“ Mit diesen Worten stand sie auf und ging zu ihrem Schreibtisch. Sie rief auf ihrem Terminal ihre Termine auf und sprach dann weiter: „Ich selbst bin kein Mitglied der Hohen Rates mehr, habe aber noch immer eine beratende Funktion inne. Es ist von immanenter Wichtigkeit, daß Du dem Rat Deine Entdeckung mitteilst. Ich werde alles nötige veranlassen, damit Du bei dessen nächster Sitzung das Wort ergreifen kannst, um Deine Aussage zu machen.“

~~~~~~~~~~~~~~~~

Es war nicht die angenehmste Reise gewesen, welche die beiden zusammen in einem Raumschiff unternommen hatten, aber es war auch nicht die schlimmste, wie McCoy mit einem Schmunzeln anmerkte, als der Admiral unrasiert und in der selben Uniform, in der er den Arzt vor einer knappen Woche an der Medical School abgeholt hatte, über eine der drei Laderampen den Frachter verließ.

Als sie nun, in ihrem leicht verwahrlosten Zustand, bei Spocks Elternhaus eintrafen, überraschten sie Amanda dabei, wie sie sich gerade im Garten um einige Pflanzen kümmerte.

Die zierliche, in Würde gealterte, irdische Frau ging auf die beiden, ihr in den Jahren bekannt gewordenen Freunde ihres Sohnes zu und begrüßte diese mit herzlicher Zurückhaltung.

„Schön Sie zu sehen Captain, Verzeihung, ich meine natürlich Admiral Kirk. – Dr. McCoy...“, sie nickte den beiden Männern zu, denn ihre mit Erde beschmutzen Hände konnte sie ihnen nicht zum Gruß anbieten. Ein eher vages Lächeln umspielte ihre müden Augen und mit einem betrübter werdenden Blick fügte sie hinzu: „Ich wünschte die Umstände wären angenehmere.“

„Mrs. Sarek...“, begann Kirk.

„Sarek ist der Name meines Mannes. Ich bin Lady Amanda – aber bitte, nennen Sie mich Amanda.“ Mit diesen Worten geleitete sie die beiden Gäste in das Haus, in dem sie etwas Kühlung fanden, obwohl es nicht mit einer Klimaanlage ausgestattet war – allein die Architektur sorgte, durch ständig zirkulierende Luftströme, für das erwünschte Raumklima.

„Ma’am,“ meldete sich McCoy zu Wort und umging so die ihm etwas zu persönlich und vertraut erscheinende Anrede. „Wir sind gekommen, um mit Spock zu reden.“

„Ich weiß“, entgegnete Amanda und korrigierte ihre Aussage sofort, als sie bemerkte, wie verwundert die beiden Männer einander ansahen: „Zumindest habe ich das geahnt und gehofft. Aber zuvor müssen Sie sich etwas salonfähiger machen, denn so...“, sie deutete auf ihren Aufzug, „... können Sie unmöglich vor dem Hohen Rat erscheinen.“

„Was sollten wir vor dem Hohen Rat?“, erkundigte sich Kirk.

„Spock macht dort gerade eine Aussage“, erwiderte Amanda ausdruckslos und ohne weitere Angaben zu machen.

Kirk und McCoy sollten sich kurz frisch machen und Amanda gab Anweisung die Uniform des Admirals und den Anzug des Arztes zu reinigen, bevor die beiden Männer zu den Regierungsgebäuden aufbrachen.

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Seit nunmehr fast einer geschlagenen Stunde saß Spock vor dem Ausschuß des Hohen Rates, dem er seine Informationen bezüglich der Bruderschaft vortragen sollte, die Hälfte dieser Zeit schwieg er nun schon beharrlich. Auch die ersten Fragen des Vorsitzenden beantwortete er eher vage, denn in ihm hatte er, bereits beim Betreten des kleinen Saales, Kosz, seinen Peiniger, erkannt und jede Frage die dieser ihm stellte, war für Spock wie ein Schlag ins Gesicht, schmerzhaft und demütigend zugleich.

In Kosz’ Augen war ein fast sadistisches Funkeln zu erkennen, jedoch nur, wenn man wußte, wie ein solches aussah.

Die Mienen der anderen Ratsmitglieder waren als eher unbewegt, doch mit wachem Interesse an der Befragung, zu beschreiben. Keinem von ihnen erschien es ungewöhnlich oder unangebracht, daß der Vorsitzende des Ausschusses, nachdem so viele seiner Fragen unbeantwortet geblieben waren, bohrender nachhakte und zuweilen begann den Befragten zu diskreditieren, immerhin hatte dieser, allein durch T’Pau’s Fürsprache, so schnell einen Termin erhalten, um seine Sache vorzutragen und schwieg nun aus Gründen, die für niemanden mit Hilfe der Logik zugänglich waren.

Nur zwei Personen in diesem Raum wußten, worum es bei all dem hier ging. Die eine streute weiterhin Salz in die offene Wunde und die andere versuchte verzweifelt Haltung zu bewahren.

Die letzten Minuten waren verstrichen, indem Spock auf die Tischplatte vor ihm starrte und die gewählt ausgedrückte Tirade Kosz’ über sich ergehen ließ, während er zwischen abgrundtiefer Beschämung und der Unsicherheit, was er mit dem Wissen um die Dinge, über das er verfügte, welches er aber nicht beweisen konnte, anfangen sollte, hin und her gerissen wurde, als nun die schwere Tür in seinem Rücken geöffnet wurde und sich hinter den beiden Männern, die soeben den Saal betraten, wieder schloß.

Kosz schaute kurz zum Eingang und unterbrach seine Beschimpfungen gegen Spock – wie er es wagen könne, die Arbeit des Hohen Rates mit derlei Banalitäten aufzuhalten, man habe schließlich wichtigeres zu tun, als hier eine Anhörung durchzuführen, bei der man auf seine Fragen nur langes Schweigen erhalte, statt einer Antwort – nur, um Kirk und McCoy mit ernstem Blick zu sagen: „Dies ist eine nichtöffentliche Untersuchung. Ich wünsche keine weiteren Störungen!“

Spock drehte sich nicht um. Seine schlanken Hände, die er bisher vor sich zusammen gefaltet gehalten hatte und deren ausgestreckte Zeigefinger mit den Spitzen aneinander lagen und sein Philtrum, die beiden erhabenen Linien zwischen Nase und Mund, berührten, trennten sich voneinander. Die linke legte er flach auf den Tisch vor sich, doch die andere ließ er neben sich hängen, erst kraftlos, doch da er das Zittern nicht mehr länger unter Kontrolle hatte, ballte er sie zu einer Faust, wobei sich seine Finger so stark in die Handfläche bohrten, daß die Knöchel weiß hervortraten.

McCoy, der einen halben Meter hinter dem Admiral stand, sah, wie Spock’s rechte Faust heftig zu zittern begann und bemerkte auch die unmerklichen Kontraktionen des musculus masseter, an dessen Kiefer.

Kirk verstand die ganze Situation hier nicht wirklich, doch was er mit einem Blick realisierte war, daß sein Freund hier raus mußte. - Und zwar sofort!

Mit seiner kräftigen Stimme forderte Kirk in seinem besten Befehlston: „Schluß damit! Jetzt reicht’s!“, und ging schnurstracks auf Spock zu, der sich selbst beim Klang der vertrauten Stimme nicht umdrehte.

Kosz sah Kirk leicht verwundert an, sagte nach kurzer Überlegung aber nur: „Wenn Spock jetzt den Saal verläßt, wird es keine zweite Anhörung geben.“

„Wozu auch?“, fragte McCoy, der, zusammen mit Kirk, Spock von seinem Stuhl half, aufmüpfig. „Offensichtlich hat Spock sich entschlossen sowieso nicht mit Ihnen reden zu wollen.“ Nach einem kurzen, doch ausreichend langem, Zögern, daß zeigte, was er von diesem Wort in Zusammenhang mit dem Vorsitzenden hielt, fügte der Arzt dem noch ein: „Sir“, hinzu.

Flankiert von seinen beiden engsten Freunden und Vertrauten, ließ Spock sich von diesen widerstandslos aus dem Saal und dem Gebäudekomplex der Regierung Vulkans führen.

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Kaum hatten die drei Männer gemeinsam Spock’s Elternhaus betreten, zog sich dieser wortlos in sein Zimmer zurück. Amanda hatte ihrem Sohn einen besorgten Blick nachgeworfen, sprach ihn aber dennoch nicht an, sondern bat Kirk und McCoy sich zu ihr zu gesellen und eine Tasse Tee mit ihr zu trinken.

Nun saßen sie in dem salonartigen Empfangsraum vor dem privaten Büro des Botschafters und schwiegen die meiste Zeit, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend.

Es war Kirk, der als erster die Stille, mit einer an Lady Amanda gerichteten Frage, unterbrach: „Wissen Sie, was mit Spock los ist? Oder was das heute für eine Anhörung gewesen sein soll?“

Amanda schaute von ihren Knien auf, die sie die ganze Zeit über, während der sie die Hände im Schoß gefaltet hielt, versunken angestarrt hatte und schien ernsthaft über die beiden Fragen nachzudenken, bevor sie diese beantwortete: „Nein, ich habe nicht die leiseste Idee. Und ich muß gestehen, so verschlossen wie in den letzten Tagen war er noch nie – nicht einmal in seiner Nok’ktohr, dem vulkanischen Äquivalent der Pubertät.“

Sie hob kurz unentschlossen ihre Tasse und stellte sie doch unverrichteter Dinge wieder ab. „Ich mache mir ernsthafte Sorgen um Spock. – Es ist fast eine Woche her, seit er plötzlich hier auftauchte, stark dehydriert, mit extrem zerschundenen Füßen und völlig entkräftet. – Zuvor hatte ich ihn das letzte mal gesehen, als er sich den Ordensbrüdern anschloß, um das Kolinahr zu vollziehen, eine Entscheidung, die er, wiedereinmal, gegen den Willen seines Vaters getroffen hatte, aber Sie wissen ja, wie Spock ist, wenn er sich erst mal etwas in den Kopf gesetzt hat.“

McCoy nickte, seinen eigenen Gedanken nachhängend, leicht abwesend, während Kirk sich weiter mit Amanda über Spock und die Prozedur des Kolinahr unterhielt, denn dieser glaubte, daß der Zustand seines Freundes eventuell auf diesen Ritus zurückzuführen sei.

Der Arzt entschuldigte sich, mit der Bitte um Verständnis, denn er habe nach der langen, unbequemen Reise und den Ereignissen des heutigen Tages Ruhe bitter nötig und begab sich umgehend in den Wohntrakt des Hauses, in dem er sich ein geräumiges Gästezimmer mit zwei angrenzenden Schlafzimmern und einem kleinen Bad mit dem Admiral teilte.

Auf dem Weg dorthin kam er an Spock’s Zimmer vorbei, blieb wenige Schritte dahinter unentschlossen stehen und dachte: *Da steckt doch noch irgend etwas anderes dahinter, als dieses ominöse Kolinahr, etwas sehr viel schwerwiegenderes. In so einem Zustand habe ich Spock noch nie erlebt und ich habe ihn schon völlig die Kontrolle über sich verlieren sehen…*

Er schüttelte den Kopf und versuchte gleichzeitig damit seine Gedanken abzuschütteln – vergebens.

Jetzt drehte er sich um und ging zurück in die Richtung, aus der er soeben gekommen war. Vor der Tür zu Spock’s Raum verharrte er einige Sekunden, dann klopfte er an.

Nichts geschah.

Er klopfte erneut und verstärkte diese Bitte um Einlaß mit einer entsprechenden Frage: „Spock? Darf ich eintreten?“

Wieder keine Reaktion.

*Ich höre zwar kein Ja oder Herein, aber ich habe auch kein Nein gehört*, überlegte er. *Ach was soll’s? Soll er mich doch rausschmeißen, wenn ihm was nicht paßt!* Mit diesem Gedanken im Hinterkopf öffnete McCoy vorsichtig die Tür einen Spalt breit und sprach den Vulkanier, der sich noch nicht in seinem Blickfeld befand, erneut an: „Wenn Sie mir nicht antworten, komm’ jetzt einfach rein.“

McCoy öffnete die Tür weiter und warf einen Blick in das halb verdunkelte Zimmer.

Spock saß in einer verkrampften Meditationshaltung in der entfernten Ecke des Raumes und hatte die Brauen zusammengezogen. Seine Augen waren zugekniffen und er entgegnete, mit einem Zucken im linken Mundwinkel, tonlos: „Lassen Sie mich in Ruhe!“

Der Arzt ignorierte diese Aufforderung und betrat den Raum mit den Worten: „Was ist mit Ihnen los, Spock? Wissen Sie eigentlich, daß wir uns alle ziemlich große Sorgen um Sie machen?“

Der Vulkanier nahm, tief durch die Nase einatmend, kurz seine Lippen zwischen die Zähne und entließ sie wieder, wobei er scharf ausatmete. Dann sagte er, ohne die Augen zu öffnen: „Das interessiert mich nicht.“

„Wie bitte?“, fragte McCoy konsterniert nach.

Spock öffnete nun endlich seine Augen und ein wütender Blick blitzte McCoy zwischen seinen Lidern an, als er lauter und energischer als zuvor angeblafft wurde: „Es ist mir, verdammt noch mal, egal!“

Völlig unbeeindruckt von diesem Ausbruch ging McCoy einen weiteren Schritt auf Spock zu und sagte mit ruhiger, aber fester Stimme: „Spock, ich halte mich für einen Ihrer engsten Freunde. Ich will Ihnen nur helfen.“

„Sie können mir nicht helfen“, wurde dem Arzt daraufhin entgegnet und während Spock sich erhob, spuckte er förmlich die letzten Worte aus: „Keiner kann mir helfen.“

„Ich weiß zwar nicht, was vorgefallen ist, aber wenn Sie es mir sagen, kann ich Sie vielleicht verstehen“, wand McCoy verständnisvoll ein.

„Sie verstehen nichts! – Gar nichts!“, schrie Spock ihn nun an und trat ihm dabei entschieden entgegen und umfaßte kraftvoll die schmalen Schultern des anderen Mannes. „Lassen Sie mich in Frieden!“ Mit einem angewiderten, fast haßerfüllten Funkeln in den Augen stieß der Vulkanier jetzt den Menschen von sich. „Weg! – Los, verschwinden Sie!“

Völlig entgeistert starrte McCoy mit seinen hellen, blaugrauen Augen in die dunklen, unergründlichen Tiefen, seines Gegenübers und was er dort sah, beunruhigte ihn nicht nur, es machte ihm Angst. – Das waren nicht die Augen des Spock’s, den er bisher zu kennen geglaubt hatte. Es waren die Augen eines Fremden – eines Fremden, der Unaussprechliches erfahren hatte.

McCoys Mund war vor Entsetzen leicht geöffnet, als er dann doch verstehend nickte und sagte: „Sie haben recht Spock, vielleicht verstehe ich Sie wirklich nicht, oder auch nur – nicht mehr. Ich weiß nicht, was Ihnen widerfahren ist, aber ich sehe, daß Sie nicht allein damit fertig werden.“

Er wandte sich von seinem Freund ab und ging die wenigen Schritte bis zur Tür. Dort drehte er sich nochmals um und fügte dem vorangegangenen hinzu: „Okay, ich sehe schon, daß Sie nicht mit mir reden können… oder wollen. Aber ich rate Ihnen dringend, suchen Sie sich jemanden, mit dem Sie es können.“ Mit diesen Worten verließ er den Raum und Spock war wieder mit seinen Dämonen allein.

~~~~~~~~~~~~~~~~

Amanda saß ihm noch immer gegenüber und während ihres Gespräches hatte Kirk die zierliche Frau eingehend betrachtet.

Ihm war plötzlich bewußt geworden, daß sie bereits vor einigen Jahren die 70 überschritten haben mußte und belächelte sich selbst, als er in Gedanken anmerkte, daß man ihr dies, trotz der harschen klimatischen Bedingungen auf Vulkan, kaum anmerkte. In so mancher Hinsicht erinnerte sie ihn an seine eigene Mutter, die ihm wenige Jahre zuvor die Familienfarm in Iowa vererbt hatte, ihm und Peter, seinem Neffen, um genau zu sein.

Gerade in diesem Moment, als er deutlich ihre Müdigkeit erkannte, sie sich aber, aus reiner Höflichkeit einem offenbar noch putzmunterem Gast gegenüber, wacker bemühte hellwach zu wirken, war die Ähnlichkeit mit seiner Mutter geradezu erstaunlich frappant.

Er lächelte sie charmant an und sagte: „Amanda, es ist ein so angenehmer, kühler Abend. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich mich gern noch eine Weile in den Garten setzen, den Sie so liebevoll angelegt haben.“

Amanda lächelte dankbar zurück, denn sie hatte den Admiral durchschaut, und entgegnete: „Dann werde ich mich jetzt zurückziehen – James.“ Sie hatte kurz gezögert seinen Namen auszusprechen, denn obwohl er einer der langjährigsten Freunde ihres Sohnes war, fiel es ihr schwer Kirk bei dessen Vornamen zu nennen. Allerdings argumentierte er zurecht, daß sie ja auch darauf bestand, Amanda genannt zu werden, und so hatte sie sich seiner Dialektik ergeben.

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Kirk betrat den fast parkähnlichen, weitläufigen Garten und genoß die sanfte Brise, die von der Wüste her wehte und sich stetig abkühlte.

Obwohl er bereits auf so vielen Planeten gestanden und so viele fremde Konstellationen an den unterschiedlichsten Nachthimmeln betrachtet hatte, war er doch immer wieder für den Bruchteil einer Sekunde überrascht, wenn er irgendwo in der Galaxis in eine Nacht hinaustrat und nicht die, ihm seit seiner Kindheit, vertrauten Sternbilder und den weißgrauen Erdenmond in seinen verschiedenen Phasen erblickte, auf dem man, wenn sich die Kolonie gerade auf der nicht beleuchteten Mondhälfte befand, die Lichter von New Berlin mit bloßem Auge erkennen konnte.

Hier, auf Vulkan, dessen Sonne sich nur 12 Lichtjahre von seiner eigenen Heimat entfernt befand, wichen die Sternbilder nicht all zu sehr von ihrer ihm wohlbekannten Anordnung ab. Sie waren teilweise etwas verzerrt, aber nicht genug, um sie nicht dennoch leicht wieder erkennen zu können.

McCoy, der auf dem kleinen Balkon, der zu seinem Schlafzimmer gehörte, im Schatten einer dorisch anmutenden Säule stand, empfand ganz ähnlich wie Jim, nur fielen ihm die kleinen Abweichungen in den Konstellationen nicht auf. Er hatte einen lausigen Orientierungssinn, und dessen war er sich auch bewußt.

Leonard war nicht der geborene Raumfahrer, so wie Jim. Ihn verunsicherten neue und all zu fremdartig wirkende Umgebungen eher, als das sie ihn neugierig machten. Und so empfand er auch die Farbe des nächtlichen Himmels, der besonders um T’Rukh herum, durch dessen feurigen Widerschein, leicht violett und nicht schwarz wirkte, etwas befremdlich. Schon die Vorstellung, das T’Rukh kein Mond war, sondern mit Vulkan zusammen ein Doppelplanetensystem bildete, um dessen gemeinsamen Schwerpunkt die beiden Planeten kreisten, verwirrte ihn mehr, als das sie ihm die sich periodisch ändernden Tageslängen auf Vulkan erklärten.

Einmal hatte Jim aus einer Bierlaune heraus versucht ihm zu erläutern, daß es daran lag, daß sich auf Vulkan die ihm bekannten, jahreszeitlich bedingten, Tageslängenschwankungen mit einem zweiten Phänomen, daß er mit einer, durch die Relativitätstheorie erweiterten Newtonschen Himmelsmechanik begründete, überlagerte. Aber er gab es bald auf, als er merkte, daß McCoy ihm nicht mehr folgen konnte. Als letztes sagte Kirk nur: „Find’ Dich einfach damit ab, Pille.“

Plötzlich bemerkte McCoy eine Gestalt, die sich gedankenverloren durch den Garten bewegte. Bei diesem Habitus konnte es sich nur um Jim handeln und gerade als er ihn rufen wollte, erkannte er eine zweite, etwas größere und schlankere, dunkle Gestalt, die sich zielstrebig auf Ersteren zu bewegte.

Zuerst fragte sich McCoy, ob es sich dabei eventuell um Botschafter Sarek handeln könnte, der Kirk bemerkt hatte und ihn noch begrüßen wollte, doch dann wurde ihm klar, das ihm Sareks weißes Haar selbst bei dieser Beleuchtung hätte auffallen müssen. Also konnte es nur Spock sein, oder einer der Bediensteten, aber was sollten die hier nachts im Garten?

Nicht aus bewußter Neugier, sondern mehr aus einem Reflex heraus, verbarg sich McCoy tiefer im Schatten der Säule und beobachtete, wie sich ein anscheinend überaus ernsthaftes Gespräch zwischen den Beiden entwickelte. Sie gingen langsam zwischen den Bäumen hindurch in Richtung Pavillon und verschwanden so aus dem Blickfeld des Arztes.

*Was Spock Jim wohl erzählen mag? Ob es etwas mit dem unterdrückten Zorn bei der Anhörung zu tun hat? Oder mit seinem Wutausbruch vorhin?*, überlegte McCoy und machte sich zusehends mehr Sorgen um seinen vulkanischen Freund. *Vielleicht verabschiedet er sich lediglich nun doch endlich auch endgültig von Jim, um sein Kolinahr fortzusetzen, so wie er es vor ein paar Jahren mit mir gemacht hat.*

Diese rituelle Verabschiedung von allen Freunden und Verwandten sollte dazu dienen, sämtliche emotionalen Bindungen und sein gesamtes früheres Leben hinter sich zu lassen, denn mit dem Eintritt ins Kolinahr und darüber hinaus, würde man diese Personen nie wieder sehen. Doch völlig unerwarteter Weise hatte McCoy Spock wiedergesehen. *Was hat das alles nur zu bedeuten?*

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Es verging weit mehr als eine Stunde, bis Kirk, begleitet von der Kühle, die aus der Wüste kommend langsam in der Stadt Einzug hielt, wieder das Haus Sareks betrat.

Er wirkte müde, doch wer ihn kannte, erkannte in den sich schnell bewegenden Augen noch etwas anderes – dahinrasende Gedanken, gepaart mit blankem Entsetzen.

Spock, sein langjähriger Freund, hatte sich ihm gegenüber emotional so weit geöffnet, wie nie zuvor und vermutlich niemand anderem jemals, in Vergangenheit und Zukunft. Er hatte ihm von unbeschreiblichen und nahezu unglaublichen Dingen berichtet und ihm damit eine unmöglich allein zutragende Bürde auferlegt. Wie sollte er mit diesen Informationen nur umgehen? Mit wem könnte er sie teilen? Durfte er sein Wissen überhaupt mit jemandem teilen?

Unruhig schritt Kirk in seinem Schlafzimmer auf und ab, schüttelte noch immer, ungläubig über das Gehörte, seinen Kopf und fragte sich immer wieder, wie Spock mit derartigen Erlebnissen bloß fertig werden konnte.

Tief in diesen Gedanken versunken, hörte er nicht, wie die Tür geöffnet wurde und bemerkte auch nicht, daß McCoy von dem dunklen Salon aus, in sein matt erleuchtetes Zimmer spähte. Plötzlich vernahm er die leicht verschlafen klingende Stimme McCoy’s: „Jim, tu’ mir einen Gefallen und halt die Füße still. Du machst mich wahnsinnig mit dem Hin- und Hergelaufe.“

Erschrocken über die unverhoffte Unterbrechung der Stille und seiner Gedanken antwortete Kirk: „Pille... tut mir leid, daß ich Dich gestört habe. Ich habe nachgedacht.“

„Komisch,“ sagte McCoy und ließ sich in einen der Sessel neben dem Kamin sinken, „als Du noch jünger warst, hast Du dazu deinen Kopf benutzt und nicht Deine Füße.“

Etwas verdutzt über die in anbetracht der Umstände saloppe Entgegnung McCoy’s sah Kirk diesen an, als ihm plötzlich bewußt wurde, daß der Arzt ja nicht wissen konnte, was Spock ihm soeben im Gartenpavillon erzählt hatte. Er war stehen geblieben und sagte: „Gut das Du dich schon mal hingesetzt hast“, dann nahm er selbst in dem anderen Sessel platz. „Ich muß Dir unbedingt was erzählen. – Spock will seine vulkanische Staatsbürgerschaft aufgeben.“

Entgeistert fragte McCoy: „Unser Supervulkanier? – Wieso das denn?“

Kirk begann ihn über die Hintergründe aufzuklären.

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Wie in allen alten Religionen oder philosophischen Strömungen in der gesamten von der Förderation erforschten Galaxie, war auch auf Vulkan die gesamte Liturgie in einem alten Dialekt einer toten Sprache verfaßt und wurde traditionell auch heute noch so zelebriert. So ist es nicht verwunderlich, daß Studenten des Kolinahr, ähnlich den Novizen katholischer Orden auf der Erde Latein, diese alte vulkanische Sprache erlernen müssen.

Auch Spock, der bereits ein fundiertes Wissen auf diesem Gebiet erworben hatte, wollte seine Kenntnisse verfeinern und seine Sprachfertigkeiten verbessern indem er religiöse und philosophische Texte aus der Zeit Suraks und den Anfängen der religiösen Traditionen übersetzte.

Tagelang hatte er sich mit uralten Manuskripten aus den Archiven und der Bibliothek des Klosters in seiner Zelle verkrochen und diese in modernes vulkanisch übertragen, manchmal, nur so zur Übung und besseren Verinnerlichung der Inhalte auch in Standard oder andere Sprachen. Von Zeit zu Zeit sind ihm dadurch Bedeutungsinhalte noch bewußter und vertrauter geworden.

Bei seinen Übersetzungsübungen war er auf ein Manuskript gestoßen, daß, offenbar eine in der alten Schrift recht ungeübte Hand, fehlerhaft kopiert hatte. Der Text strotzte nur so von Fehlern, grammatischer und inhaltlicher Natur. Da war die Rede von dem Paradies der Schmerzen, gewaltverherrlichenden Ritualen, unmoralischen und unethischen mentalen Techniken, abscheulichen Praktiken und abstoßenden Grundhaltungen gegenüber Leben, persönlicher Unversehrtheit und anderen Grundrechten. Diese Abhandlung war blasphemisch, ketzerisch, häretisch. Sie sprach von Dingen, welche die Menschen wohl *die Hölle auf Erden* genannt hätten.

Zuerst hatte Spock an seinen sprachlichen Fähigkeiten gezweifelt, doch dann fiel ihm auf, daß es sich bei dem Medium, auf dem dieser abartige Text abgefaßt war, um Datenfolie handelte, kein Papier, Papyrus oder gar Pergament. – Seine wissenschaftliche Neugier war geweckt worden, woraufhin er das Dokument einer eingehenden Analyse unterzog, welche ergab, daß das Schreiben keine zweihundert Jahre alt war, vermutlich jünger – ein Vulkanierleben, vier Generationen.

Warum hätte jemand, seit Gründung der Förderation, ein solches Dokument kopieren sollen? – Handschriftlich! – Und wo war das Original?

Solch düstere Glaubensinhalte mußten noch aus der Zeit vor Surak stammen, aus der Zeit der Mindlords. – Abt Saria war eine Autorität auf dem Gebiet der vulkanischen Frühgeschichte und eine Kapazität in alter Philologie, so war es ein kleiner Schritt für Spock gewesen, um eine Audienz beim Oberhaupt des Klosters zu bitten, um mit diesem über seine Entdeckung zu sprechen.

Während ihres Gespräches hatte der Abt Spock glaubhaft versichert, daß die Bruderschaft der Gonev’ym, der Täuscher, wie sie vom Volk genannt worden waren, da sie nie ganz im Licht der Öffentlichkeit agiert hatten, bereits wenige Jahrzehnte nach Surak’s Tod vollständig verschwunden sei, da ihr die Anhänger scharenweise davongelaufen waren, um sich den Lehren des neuen Philosophen anzuschließen. Er solle sich keine Sorgen machen, vermutlich habe ein schlechter Schüler der alten Sprachen das Original irgendwo, in den mittlerweile wegen Baufälligkeit, versiegelten Katakomben gefunden und durch die Abschrift gehofft seine Sprachkenntnisse zu verbessern, wie es heute noch so mancher Kolinahrstudent tat. Er müsse dem keine weitere Beachtung beimessen, solle sich wieder auf seine meditativen Studien konzentrieren und seine Zeit nicht mit derartigen Analysen vergeuden.

Wenige Tage später war Kosz aufgetaucht. Spock hatte das Ratsmitglied nicht persönlich gekannt, wußte aber um ihn und seine politischen Verdienste, also hatte es ihn in keinster Weise verwundert, als dieser um ein Treffen bat, da ihm zu Ohren gekommen sei, daß Spock über neue Informationen über die Bruderschaft der Gonev’ym verfüge, die auf ein derzeit noch andauerndes Bestehen dieser perversen Vereinigung hindeuteten. Kosz wollte offensichtlich in einen Informationsaustausch treten, um diesen letzten Überbleibseln dieser ominösen Bruderschaft das Handwerk zu legen.

Spock hatte ihm vertraut – warum auch nicht, war er doch gewähltes Mitglied des Hohen Rates – und war ihm gefolgt, auch als Kosz vorschlug einen weiteren Sachverständigen zu Rate zu ziehen, zu dem sie, zu zweit, da dieser die Öffentlichkeit miede, mit einem kleinen privaten Gleiter fliegen wollten.

Erst als Kosz, mitten in der Wüste, zum Sinkflug überging und somit eine unplanmäßige Landung einleitete, hatte Spock ernsthaft begonnen an dessen Ausführungen zu zweifeln.

Dort hatte Kosz ihn befragt, wenn man das so nennen wollte. Natürlich wußte Spock nichts genaueres über die Bruderschaft und ihre unmittelbaren und langfristigen Ziele – die Unterminierung der Demokratie auf Vulkan, die Machtübernahme in der Förderation und die darauf folgende Unterdrückung aller Völker, inklusive der Vulkanier, welche nicht bereit wären, sich ihren Geisteshaltungen anzuschließen. Aber das hatte Kosz ihm nicht geglaubt, so wenig wie er ihm glaubte, daß er mit niemand anderem als Abt Saria darüber gesprochen habe.

Und dann geschah es.

Kosz drang, mit Hilfe einer uralten verbotenen mentalen Technik, aus der Zeit der Mindlords, gewaltsam in Spocks Geist ein. So sehr sich dieser auch zu wehren versucht hatte, es war ihm nicht gelungen, sich vor diesem Angriff, diesem Übergriff, diesem Eingriff, zu schützen. Doch er fand in den Gedanken, Erinnerungen und Ideen Spocks nichts, was darauf hinwies, daß dieser irgend etwas von seinem Wissen an Dritte, womöglich gar seinen Vater, dem hochgeachteten Botschafter aus hohem Hause, weitergegeben hätte. Sollte er doch sterben, mit dem bißchen Wissen, daß er hatte – also ließ ihn Kosz zu genau diesem Zwecke in der Wüste zurück.

Niemand würde hier überleben können, nicht einmal ein Vulkanier und erst recht nicht so ein menschlicher Bastard.

Aber in diesem Punkt sollte er sich getäuscht haben, denn Spock hatte es geschafft, er hatte sich durchgebissen, nicht Dank seines väterlichen vulkanischen Erbes, sondern Dank seines mütterlichen Erbes, seiner menschlichen Unvollkommenheit. Schon früh hatte er lernen müssen, sich nicht unterkriegen zu lassen, weder von seinen Mitschülern, noch von den Erwartungen seines Vaters. Doch in seinen verbissenen Willen das hier zu überleben, spielten auch menschliche Emotionen mit hinein – vor allem Wut, aber auch der zügellose Wunsch, Rache zu üben.

Er hatte seinen Schmerz verdrängt, den psychischen und den physischen, und hatte sich durch die Wüste geschleppt, zu seinem Elternhaus, nur um dort von seinem Vater wieder verletzt zu werden und ein weiteres Gefühl war ihn ihm aufgekeimt – Haß, unbändiger Haß allem Vulkanischen gegenüber, der sich noch verstärkte und ins Unendliche steigerte, als er seinen Peiniger bei der Anhörung gegenüber treten mußte.

Der Einfluß der Bruderschaft hatte solch weitreichende Kreise gezogen, daß er ihr niemals würde beikommen können, also ließ er das Vorhaben fallen, so wie das Vorhaben, das Kolinahr zu absolvieren und das Vorhaben auf Vulkan weiterzuleben und vielleicht bald auch das Vorhaben einfach nur weiterzuleben.

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McCoy hatte fassungslos den Ausführungen Kirk’s gelauscht und wußte nun endlich, was es war, daß Spock derart verändert hatte. Er konnte Kirk unmöglich klar machen, daß es nicht nur oder besser fast gar nicht an Spock’s Wissen um die Bruderschaft der Gonev’ym ging und erst recht nicht darum, daß er nichts gegen sie ausrichten konnte. Um diese Bruderschaft zu zerschlagen, hätte dieser nur mit seinen Erkenntnissen und Beweisen an die Öffentlichkeit treten müssen. Aber um es zu beweisen, hätte Spock über den mentalen Übergriff reden müssen – in aller Öffentlichkeit. Jeder hätte davon erfahren, jeder auf Vulkan und jeder in der gesamten Förderation, und das war eindeutig zu viel verlangt.

Allerdings interessierte McCoy im Moment die Bruderschaft und deren Zerschlagung herzlich wenig, er machte sich einfach nur Sorgen um Spock, denn er selbst wußte nur zu gut, was es bedeutete, wenn jemand eine Gedankenverschmelzung erzwang. – Er mußte mit Spock darüber reden!

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Obwohl es bereits weit nach Mitternacht war, wußte McCoy, daß Spock nicht schlafen würde, weil er es nicht könnte. Also ging er zu dessen Zimmer und klopfte vorsichtig an.

Er wartete einen Moment geduldig, dann wurde ihm die Tür von dem hochgewachsenen Halbvulkanier, der in eine traditionelle mahagonifarbene Meditationsrobe gehüllt war, geöffnet.

„Wir müssen reden“, sagte der Arzt und betrat ungebeten den Raum, gefolgt von einem verwunderten Blick Spock’s. Jetzt stand er in der Mitte des spartanisch eingerichteten Zimmers und zögerte nun doch etwas, denn er hatte sich nicht überlegt, wie er dieses Gespräch beginnen sollte, doch Spock kam ihm zuvor: „Gehe ich recht in der Annahme, daß Jim mit Ihnen gesprochen hat?“

„Ja, das tun Sie“, gestand McCoy den Grund seines Hierseins ein.

„Ich hatte etwas ähnliches befürchtet, schließlich hatte ich ihn nicht explizit gebeten, Stillschweigen zu bewahren. Ich hätte damit rechnen müssen, daß ein Mensch mit dem Wissen um derartige Dinge nicht alleine würde fertig werden können.“

Aus dem Mund eines anderen hätte McCoy dies als eine Beleidigung auffassen können und es vermutlich auch getan, aber nicht, wenn Spock es sagte, noch dazu in dieser Situation.

„Sie werden sich noch wundern, Spock, womit Menschen so alles fertig werden können, bereits fertig geworden sind, in gewisser Weise.“ Er legte seine Hand kurz über seinen Mund, suchte nach angemessenen, passenden Worten, nach den richtigen Worten eben, als ihm bewußt wurde, daß es diese gar nicht gab. Er zog seine Hand über das Kinn, ballte sie zu einer Faust und klopfte sich mit dieser leicht auf den Mund, während er seinen Blick auf den Boden heftete, bevor er weiter sprach: „Sie können sich das vielleicht nicht vorstellen, aber ich weiß, wie es Ihnen im Moment geht – na ja, ich ahne es, denn sicherlich handelt es sich bei Ihnen noch um ganz andere Dimensionen.“

Spock’s Blick traf ihn eiskalt, als er mit frostiger Stimme entgegnete: „Das glaube ich nicht, Doktor.“

„Oh doch, Spock“, antwortete McCoy, sah ihm dabei in die Augen und nickte leicht abwesend. „Ich weiß sehr wohl, wie es ist, wenn jemand gewaltsam Zugang zu all ihren Gedanken und Gefühlen erzwingt. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn ein Fremder sich all ihrer Erinnerungen bemächtigt, wenn er die letzte Schwelle, die ihr eigenes Ich definiert und von der Umwelt trennt und unterscheidet niederreißt. Ich kenne den Schmerz, den man verspürt, wenn es endlich vorbei ist und die Leere, wenn man glaubt, daß er einem alles genommen hat, jedes Vertrauen in andere, jede Sicherheit, jegliche Zuversicht und allen Mut und Lebenswillen. – Man fühlt sich schmutzig und schuldig zugleich.“

Die, in dem durch Kerzen nur diffus beleuchteten Raum, schattenhaft wirkende Gestalt des Vulkaniers wich einen Schritt zurück und blickte den Menschen ungläubig an. Dann formte sich zögernd nur ein einziges Wort zu einer unvollständigen Frage: „Woher…?“ und hing abwartend im Raum.

„Es ist mir widerfahren, so wie Ihnen“, offenbarte McCoy Spock sein größtes Geheimnis und zugleich sein schrecklichstes Erlebnis.

„Wer?“, wollte Spock nun wissen.

„Sie, Spock“, antwortete McCoy und schränkte, als er Spock’s entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte, diese Aussage sofort etwas ein: „Na ja, nicht wirklich Sie, sondern der bärtige Spock auf der anderen Enterprise.“

Die einzige Reaktion des Vulkaniers war ein weiterer fragender Blick, woraufhin McCoy ihm die Umstände erklärte. „Erinnern Sie sich an den Transporterunfall in einem Ionensturm, bei dem es unsere barbarische Pendants aus dem Paralleluniversum auf die Enterprise verschlug?“

„Selbstverständlich“, sagte Spock tonlos.

„Wieso frag ich überhaupt? – Nun ja, der dortige Spock mußte medizinisch versorgt werden. Verstehen Sie? Ich konnte ihn doch nicht einfach sterben und mich fröhlich in unser Universum zurückbeamen lassen. Jedenfalls schenkte er mir kein Vertrauen, kein Wunder bei den dortigen Zuständen. Ich denke, er wollte sicher gehen, wer ich bin und was wir vorhaben, also erzwang er eine Geistesverschmelzung…“

Diesen Worten McCoy’s folgte eine beinahe unnatürliche Stille, bis der Arzt nach einem kurzen resignierten Schulterzucken fortfuhr: „Wie dem auch sei, dadurch gewannen wir sein Vertrauen und am Ende war er es, dem wir unsere Rückkehr zu verdanken hatten. – Ich denke, mit Einschränkungen, war es die Sache wert.“ Er zögerte, nicht sicher, ob die nächste Äußerung auf Verständnis treffen würde, und fügte dem dann dennoch hinzu: „Lassen Sie Ihre Erfahrung nicht nutzlos werden. – Legen Sie diesen Mistkerlen das Handwerk!“

Spock blickte dem schmächtigen Menschen nachdenklich hinterher, als dieser stumm wieder sein Zimmer verließ.

Noch in dieser Nacht faßte er einen Entschluß.

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Zur Aufgabe der Staatsbürgerschaft war normalerweise keine halböffentliche Anhörung vor dem Hohen Rat von Nöten, aber wenn es sich dabei um die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedes eines so prominenten Hauses ging, in direkter weiblicher Linie abstammend vom Hause Surak’s, dann war ein großes öffentliches Interesse vorprogrammiert und genau damit hatte Spock gerechnet.

Der Sitzungssaal des Hohen Rates im alten Parlamentsgebäude in Shi Kar war zum bersten voll und mit Wohlwollen erkannte Spock einige namhafte Vertreter der Presse, nicht nur Vulkans.

Der Hohe Rat war vollzählig vertreten und unter dessen Mitgliedern befand sich selbstverständlich auch Kosz, direkt zur Rechten des Ratsältesten sitzend.

Das Klopfen eines scheinbar überdimensionierten Zeremonialstabes ließ die Menge verstummen und plötzlich herrschte eine bedrohliche Ruhe über dem Publikum.

Das Verfahren war eine reine Formsache. Man würde Spock fragen, warum er Vulkan für immer verlassen wolle, er würde antworten, die Mitglieder des Rates würden alle zustimmend nicken und er könnte gehen, doch diesmal würde es anders sein. Wenn alles so verlaufen würde, wie Spock es geplant hatte, würden die Ratsmitglieder nicht mehr zum nicken kommen und er würde ein Vulkanier bleiben.

T’Pau saß abseits der Ratsversammlung und blickte ernst in Spock’s Gesicht. Dennoch schien es, als drückten ihre Augen Zuversicht aus und vor allem Zuspruch für Spock’s Vorhaben.

Der Ratsälteste erhob sich und stellte mit kräftiger Stimme, verstärkt durch die, dem Saal eigene Akustik, die alles entscheidende Frage: „Weshalb willst Du, Spock, Sohn des Sarek, Vulkan für immer den Rücken kehren? Nenne uns den Grund!“

Zuerst blickte Spock, leicht verschämt und unsicher wirkend zu Boden und als er unter seinen gesenkten Augenlidern hervor den beinahe triumphierenden Blick Kosz’ sah, schaute er entschlossen auf und entgegnete mit ebenso kräftiger Stimme: „Weil es unlogisch, gefährlich und selbstzerstörerisch ist, auf einem Planeten zu leben, dessen Regierung und Bevölkerung die Augen vor einer inneren Bedrohung zu verschließen scheint, die größer und entgültiger ist, als wir in unserer Geschichte je erfahren haben. Machthungrige Mitglieder einer geheimen Organisation infiltrieren alle Ebenen unserer sozialen, religiösen und politischen Strukturen. Sie zersetzen das System von innen heraus, infizieren es mit ihren monströsen Ansichten.“ Die aufkeimende Unruhe im Saal wuchs noch weiter. „Sie wollen mit allen Mitteln Vulkan und die Förderation zurückkatapultieren in eine Zeit der Barbarei, Unterdrückung und Tyrannei und sie selbst wollen, wie Despoten, die alleinigen Anführer dieser Gewaltherrschaft sein“, Spock machte eine gut kalkulierte, theatralische Pause und fuhr fort: „…allen voran Personen wie Abt Saria und Ratsmitglied Kosz“, er zeigte mit ausgestrecktem Arm auf seinen Peiniger, der plötzlich all seine Selbstsicherheit und Überheblichkeit verloren zu haben schien, dann drehte er sich um und verließ gemessenen Schrittes den Saal, wobei sich die Menge vor ihm teilte und hinter ihm wieder schloß. Noch bevor er hinausgetreten war, konnte Spock den aufkommenden Tumult, teilweise übertönt von bohrenden Fragen an Kosz, gefolgt vom kraftvollen, alles übertönenden Klopfen des Zeremonialstabes, hören.

Er wußte, den Rest würden die Medien und die Öffentlichkeit erledigen, auch ohne das er persönlich weitere Stellungnahmen würde abgeben müssen.

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Draußen erwarteten ihn seine Freunde Kirk und McCoy, mit denen zusammen er diesen Plan erdacht hatte. In die Tat hatte Spock ihn alleine umsetzen müssen.

Sie stiegen zusammen in einen Gleiter und flogen zu dem vorsorglich bereits hermetisch abgeriegelten Familienanwesen Botschafter Sarek’s.

Nachdem sie ausgestiegen waren und das Haupthaus betreten hatten, klopfte Kirk dem Vulkanier freundschaftlich auf die Schulter und sagte mit einem zuversichtlichen Lächeln auf den Lippen: „Jetzt ist es vorbei, Spock.“

Doch McCoy betrachtete den Vulkanier nicht halb so erleichtert wie der Admiral, der beinahe freudig verkündete, er müsse jetzt aber bald zurück zum Sternenflottenhauptquartier, sonst würden sie ihn womöglich noch unehrenhaft entlassen.

Spock trat über die Veranda hinaus in den, von seiner Mutter so viele Jahrzehnte lang liebevoll gepflegten Garten, und starrte ein wenig apathisch in das für Vulkan so untypische fast üppig zu nennende Grün.

McCoy trat ebenfalls hinaus und blieb einen knappen Meter hinter Spock stehen. Dann sagte er mit sanfter Stimme: „Sie und ich, wir beide wissen, daß es nie vorbei sein wird – nicht wirklich. Was wir erlebt haben, kann man nicht vergessen. Man kann es auch nicht einfach verdrängen und das sollte man auch nicht, sondern man muß lernen mit einer solchen Erfahrung zu leben, sie zu akzeptieren, als einen Teil von sich selbst. Sie dürfen niemals so tun, als sei es nie passiert, denn damit würden Sie die Realität verleugnen. Und auf keinen Fall dürfen Sie die Schuld bei sich selbst suchen, denn dann werden Sie daran zerbrechen.“

McCoy wandte sich wieder dem Haus zu und ließ Spock mit seinen Gedanken allein zurück. Was er nicht sehen konnte, war eine Träne, die sich sacht ihren Weg aus dem rechten Augenwinkel des Vulkaniers bahnte, um dann langsam seine ausgezehrte Wange hinabzurinnen.
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